DIE BADEWANNE NAMENS FANTASIE (I)

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Die Suche nach dem ersten Schritt benötigte einige Schritte mehr, immer am linken Rand der Förde entlang, stadtauswärts. Und da lag es. Festgezurrt, vertaut an einem Baum, den die Aufrechtgeher ins Wasser gehauen hatten: ein Haus, das auf dem Wasser lag. Aber kein solches Stahlmonstrum wie die tutenden Häuser von gestern. Dieses Haus war aus Holz. Es hatte keine Ecken, keine Kanten. Es war ein mildes und friedliches Schwimmhaus. Und es hieß “Hispaniola”. Und diese Farben! Oben – ein Seebär würde sagen: die Planken – war es wunderbar grün angemalt wie eine Wiese. Unten – der Seebär spricht hier vom Schiffsrumpf – war es rot angestrichen wie sein alter Freund SIMCA. Und in der Mitte des kleinen schwimmenden Holzhauses stand ein hoher Baum und an diesem Baum hingen unzählige miteinander verknotete und verwobene Taue und Seile. Ein undurchschaubarer Wirrwarr, der im heute recht warmen Wind vor sich hin klickerte und klackerte. Und das gefiel Archibald sehr. Und wo er gestern so gar nicht begreifen konnte, daß ein gigantischer Haufen Stahl nicht auf der Stelle versinkt und sein restliches Dasein auf dem Meeresgrund fristen muß, dachte er daß – So kann man das sagen! – Holz schwimmen kann. Nicht so gewandt wie ein Bär – wenn er will – aber immerhin. Aber wo ist jetzt hier der erste Schritt?

„Sieht so der erste Schritt aus?“ „Denke ja, Käptn Mahler!“ „Warum?“ Und Ernst Albert erzählte. Davon daß er als Junge lange bevor er das erste Mal mit einem richtigen Schiffe auf einem richtigen Meer fuhr, alle Meere dieser Welt hundert- und tausendmal durchquert und durchsegelt hatte. Und davon daß er dabei immer fachkundige Begleitung gehabt habe. Und die fachkundige Begleitung habe Jack London und Magellan und Vasco da Gama und Gulliver und James Cook und Huck Finn und Captain Ahab und Wolf Larsen und Humphrey von Weyden und Sven Hedin und Alexander von Humboldt und Robinson Crusoe und Daniel Dafoe und Captain Bligh und Fletcher Christian und Leif Erickson und Sir Francis Drake und Amerigo Vespucci und Roald Amundsen und Vitus Bering und Thor Heyerdahl und Friedrich Gerstäcker geheißen. „Und Käptn Teague!“ „Nein, Archibald, den gab es damals noch nicht! Aber Du hast recht: The trick is: It’s in yourself!“ Und so wollte Archibald Mahler, angehender Weltenumsegler wissen, wie und wo Herr Ernst Albert so rumgesegelt sei. Und der sagte: „In der Badewanne der Fantasie!“

„Und was findet man, da drüben, auf der anderen Seite der Badewanne?“ Das fragte der Bär, nachdem er eine ganze Weile nachgedacht hatte. „Tempel, versunkene Inseln, verwunschene Städte, Flüße ohne Wiederkehr, Tahiti, Pitcairn, El Dorado, Shangri La, die Reeperbahn, Portsmouth, den Hafen von Amsterdam und Schätze!“ Da wollte der Bär wissen, was für Schätze, und wie man die findet, und ob man die behalten könne, und ob man dann reich sei und alles gut ist und überhaupt. Und Ernst Albert sagte nur: „Mal so, mal so! Und wer den Schatz für sich allein beansprucht, der stirbt meistens, bevor Du das Buch zugeschlagen hast!“ Und Ernst Albert erzählte nun dem Bären  – natürlich eine Kurzfassung – die alte Geschichte von Captain Flints Schatz, von Jim Hawkins und Long John Silver, von Israel Hands, dem Blinden Pew, von der seltsamen Begegnung mit Ben Gunn, dem wegweisenden Skelett und wie das alles enden kann. Und Archibald summten die gespannten Ohren vor Freude und er lichtete den Anker, setzte Segel und nahm Fahrt auf. Da draußen, auf der Badewanne Fantasie. “Siebzehn Mann auf des Toten Mannes Kiste, hohohoooooo und die Buttel voll Rum.”

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Freitag, 29. Oktober 2010 16:02
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