Beiträge vom 12. Juli 2010

Aus der Tiefe des Raumes, weil WM is’ (11.)

Montag, 12. Juli 2010 12:27

schluß

(Leere Leinwand, keine Tröten, kein Geschwätz. Sengende Hitze und flimmernde Stille. Ein Bär und ein Hase schwitzen zwischen Geranien. Eine Stunde vergeht. Eine weitere. Dann räuspert sich der Bär.)

„Ja bitte?“

„Seltsame Koinzidenz! Finden Sie nicht?“

„Wie meinen, werter Herr Mahler?”

“Elfmal trafen wir uns zum Gespräch über den rollenden Ball!“

„Numerologie? Oder Alaaf?“

„Eher vier Wochen Karneval! Elf – etymologisch die Eins drüber – die Zahl der Narren, das was auf die Zehn Gebote folgt, die Rückennummer des historischen Linksaußens damals in fußballerischer Steinzeit: der Wilde, der Unberechenbare.“

„Ich sehe, Sie haben ihren Elfmeter verwandelt!“

„Danke für die Blumen. Wenn ich Sie was fragen dürfte, Herr von Lippstadt-Budnikowski?“

„Ich bitte darum, Herr Mahler!“

„Die sprachliche Einfärbung in Ihrer von mir gerne gelesenen Kolumne ‘Hömma, wat ich grad am Denken bin’? Bedeutung? Schnapsidee?“

„Ein Spiel! Das Wüten, Hadern, Granteln nach dem Spiel – in der heutigen Zeit leider als Ausdruck mittelalterlichen Gehabes verurteilt – ist Bestandteil des Ereignisses und wird vom Erzeuger längst nicht so ernst genommen wie vom Konsumenten. Man entledigt sich des fürchterlichen Ernstes des verronnenen Spieles, indem man  mit dem fürchterlichen Ernst der Nachbetrachtung spielt.“

„Nicht auch Ausdruck einer latenten Sehnsucht nach einer Zeit, die den Fußball noch nicht tot interpretierte oder zur zynischen Gelddruckmaschine verkommen ließ? Die Kathedralen der FIFA leuchten über den Townships, bleiben leer und verrotten. Das Kapital hinterläßt seine monumentalen Ruinen.“

„Treffer!“

„Das Positive?“

„Die vorletzte Woche. England. Argentinien. Müller. Der kurze Rausch.”

„Das Negative?“

„Das Gequatsche. Das Geraune. Die Spekulationen. Die Abrechnungen. Das Nachtreten. Es nimmt kein Ende!

„Man wird hören! Der gestrige Abend?“

„Horrible, würde der Brite sagen. Ein Mannschaft, die ihren Zenit überschritten hat, holt den Pokal.“

„Geschichte wiederholt sich. Deutschland 1974, Brasilien 1994 und 2002, Italien 2006. Mir war unerträglich die Penetranz mit der Herr Rethy dem Zuseher große iberische Fußballkunst verkaufen wollte.“

„Richtig! Das Dogma Ballbesitz besagt nichts anderes, als das Spiel zu verhindern. Die von den Medien gefeierten Neuerfinder sind Totengräber und merken es nicht. Humorlose Konditionswunder! Schrecklich!“

„Tja, das Nationale Nachkarten verlangt es wohl den Iberer aufzublasen. Wer ‚uns’ schlägt, muß wohl dem Genialischen nahe sein. Nervtötend.“

„Leider – und dies zuzugestehen schmerzt – leider nur übertroffen von der traurigen Phantasielosigkeit der Elftal. Übrigens: Man beachte die Farbe des Kostümes des Sängers!“

„Da ziehe ich aber den Hut! Sie wußten davon?“

„Der Zufall belohnt den, der sich ihm überlässt!“

„Nun? Ich sehe Sie in Reisevorbereitungen!“

„Die Wälder rufen. Die Stadt ist überhitzt! Die Aufrechtgeher stinken. Meine Nase rebelliert. Ihre Pläne!“

„Ich ziehe mich zurück. Am Scheinwerferlicht ist mir nur bedingt gelegen. Geheimer Fieberthermometerhalter ist eine ehrenvolle Aufgabe.“

„Ihre Bescheidenheit ehrt Sie. Ich danke Ihnen. Es war eine gute Zeit.“

„Glück auf all Ihren Wegen!“

(Der Bär erhebt sich. Er wickelt zwei Büchsen Thunfisch, ein Glas Heidelbeermarmelade und fünf Karotten in einen alten Schal, schultert das Ganze und macht sich auf den Weg. Uyahamba! Der Lütte Stan bleibt noch ein wenig sitzen und genießt die Stille. Die Leinwand bleibt leer. Uhamba kusasa!)

Thema: Aus der Tiefe des Raumes | Kommentare (1) | Autor: Christian Lugerth