Beitrags-Archiv für die Kategory 'Aufbrüche 2015'

In fernen Zonen / Der Heimkehrer bleibt blind

Sonntag, 25. Oktober 2015 9:52

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Immer wieder hatte ich meine weinende Pfote auf die Schulter des Ehrenwerten Herrn Archibald Mahler gelegt. Nein. Immer und immer noch ruhte die Pfote, feucht im Augenwinkel, auf der Schulter des Großen Häuptlings des untergegangenen Stammes der Kamschakta – Bear, dem Legendenberankten, dem Liederumtosten, dem Wehmutsriesen namens Kleines Abbes Bein. Aber der Zweitakter rollte vorwärts unbeirrt und das verräterische Grinsen im Antlitz des Bären gab mir keinen Anlaß eine Vollbremsung, eine Umkehr oder wenigstens eine besinnende Rast zu erhoffen. Wenn blubbernde Heizungsrohre und der bevorstehende Winterschlaf rufen, ist die Abenteuerlust oder ein herzschwerer Erinnerbedarf eines Feldhopplers dem Bären nicht mal ein Nicken des zur Kenntnis genommen Habens wert. Doch der gescheite Hase baut vor und haste nich gesehn nahm ich ein oder zwei Scheibchen der Magischen Pilze zu mir, die man mir zum Abschied in der Pulqueria in mein Jutebeutelchen gesteckt hatte. So lebet ihr weiterhin in den Gefilden der strukturierten Vermessenheit und glaubt den Ziffern eurer dahin rasenden Wecker, ich weile zwischen den Zeiten, Zeilen und Farben. Der Siegtreffer wird vor dem Ausgleich geschossen und der Fehler wird gemacht am Ende des Buches. Meine Augen verschließen sich vor den Bildschirmen und Straßenlaternen, in blinder Ruhe blinzeln sie entgegen einem inneren Lichte. Langsam reite ich die Welle zu Ende, die Larve des Old Schmetterpfote pellt sich von meiner Haut, es kitzelt und alsbald liege ich zusammengerollt in den Federn meines nächsten Ichs. Spektren durchpulsen mich und in frisch erworbener Blindheit vertraue ich dem Gasfuß des Herrn Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz, wieder mal befindlich auf einer seiner vielen ziellosen Heimfahrten. Und ohne eine Klage werde ich in den Körper schlüpfen, der – wann auch immer dies sein wird – neben dem Bären auf einer in Betrieb genommenen Heizung sitzen wird. Vielleicht werden wir Schach spielen. Vielleicht werden wir sterben. Wir werden zu tun haben. Das ist gewiß. Ausnahmsweise pfeift eben der Bär ein feines Lied, denn streng genommen ist dies mein Brevier. Dabei übersieht er eine rote Ampel. Blöd!

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Thema: Archibalds Geschichte, Aufbrüche 2015, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

A. Mahler macht sich selbstständig / Ankommen, um zu gehen und der Teppich nicht zum Gebet

Donnerstag, 5. Februar 2015 15:09

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Es war seine Nase, die Archibald Mahler weckte. Vertrauter Geruch. Ernst Albert? Es zieht. Die Türe eines Hotelzimmers steht offen. Mahlers Blick fällt auf den nächtlichen Zettel. „571. Herr E. Albert!“ Auf der offenen Türe steht? Erraten. Der Bär fasst sich an den Kopp. Der ist noch nicht ganz in den Tag eingetreten. „Ich Dummbatz aber auch!“ Man hätte eine gemütliche Nacht im und nicht vor dem Zimmer verbringen können. Wobei, nach einer Premierenfeier gibt der Herr Albert im Schlaf meist fürchterliche Geräusche von sich. Archibald Mahler huscht in das Zimmer. Leer. Fast. Was er sieht, lässt ihn erbeben. Nun ja, das ist doch etwas übertrieben. Er staunt. Da sitzen also der Anderbär vom Feldberg, der Schatten seiner selbst und Herr Archibald Mahler in persona pelzis ursorum und betrachten sich gegenseitig. Wer war aber zuerst da? Wer ist überhaupt wer? Sind alle nur einer? Oder ist keiner, der der er sein könnte, wollte oder ist? War Mahler gar die ganze Zeit hier oben in Kiel gewesen, während er noch dachte zu reisen? Träumt er schon oder ist er noch wach oder andersrum? Der Bär, der nicht da war und trotzdem schon da ist. Immer schon war? Es noch werden muß, um zu sein? Das Buch? Diese Geschichte wollte er doch erzählen. Gemeinsam mit Herrn Albert. Für den Musentempel. Jetzt fällt es ihm ein. Er muß nach Hause. Mittelhessen. Sofort.

Man muß anmerken, daß der Herr Archibald Mahler sich noch immer im Zustand der Mittellosigkeit befindet, er eigentlich auf der Flucht und er sich zudem – hinten rum – in ein Hotel rein geschlichen hat. Und das in einer Zeit, wo das Reiche die Zäune immer höher zieht. Gefahr. Dann liegt da dieser Teppich. Es ist ein Original – Gebetsteppich. Der reisende Muselmane hat so was im Koffer. Erschrecken! Ist der Herr Albert jetzt ein Konvertit geworden? Weia! Aber hat man nicht schon in alten Geschichten gelesen, daß ein solcher Teppich manchmal ein Fluggerät sein kann? Einen Versuch ist das immer wert. Mahler nimmt Platz. Wie startet man so ein Ding? Gibt es einen Anlasser? Muß man einen Teppich volltanken? Und wenn, wo? Hat das Teil noch TÜV und wo ist die Plakette? Welcher Flugschein ist gültig und wer erteilt die Starterlaubnis? Da gibt es doch diese Zaubersprüche. „Allah ist groß, Allah ist mächtig ohne Hut!“ Nichts. „Mekka, Mokka, Magenbitter!“ Nichts. „Heil’ger Vorwerk, Deine Gnad’ ich erbitt’!“ Nichts. „Je suis Archibald!“ Der Teppich hebt ab. Und die Winde wehen von Nord gen Süden. Gute Reise, Bär! Wir warten!

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Thema: Anregende Buchstaben, Aufbrüche 2015, Kieloben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

A. Mahler macht sich selbstständig / Denkmal

Mittwoch, 4. Februar 2015 23:10

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Dann dreht sich Archibald Mahler um. Da steht es. Das Abbild seiner selbst. Kalt und freundlich grinsend. Ein Schneebär. Fünfzigmal so groß und hundertmal so schwer. Und Mahler – oben auf dem Denkmalkopf mit kaltem Pöter – denkt, warum wohl ein Denkmal Denkmal genannt wird und ein Mahnmal Mahnmal, wo das Denkmal gerne Potentaten und von “Völkern“ oder “Vertretern” gehuldigte Kriegsverbrecher auf Pferde oder Sockel setzt zur geflissentlichen Anbetung und das Mahnmal nicht enden wollende Listen des Schreckens in den Beton meißelt. Wäre es da nicht sinnstiftender die Sieger feiernden Denkmäler umzubenennen in Mahnmale – Friede den Hütten etcppp – und die Mahnmale dann? Genau: Denk einfach mal nach! Aber darum geht es nicht, wenn der eigene Arsch auf dem Kopf einer Monsterkopie seiner selbst friert und zittert. Und Archibald Mahler dreht sich noch einmal um. Das Hotel da hinten am Ende des Ratsherrengarten. Yes! Genau.

Wie sieht das bitte aus, wenn ein kleiner Bär – mittellos und mit Schneekristallen am Pöter – versucht sich an der Rezeption eines nicht ganz billigen Hotels vorbei zu schleichen. Mahler ist kein Blender. Oder soll er forsch die Damen am Empfangstresen darauf hinweisen, daß der Ehrenwerte Herr Ernst Albert ihn seit Wochen erwartet und zackzack dann bitte gerne? Nein! Also surft der Bär durch die Dateien seiner Erinnerungen und da war doch der Hintereingang durch die Tiefgarage, die Abkürzung Richtung Musentempel, die man vor jenen vier Jahren gerne mal nahm. So war’s doch. Jetzt noch ein wenig warten und frieren und dem schrillen Gesang der Möwen zuhören und sich freuen, weil es schön ist, wenn man ankommt und was wiederfindet, wie zufällig auch immer. Und jetzt los. Hinten rum.

Nachts, alleine in den Fluren eines Hotels. Man mag gerne glauben, die meisten Gäste tun nur so, als ob sie schliefen. Die Stille mag man greifen können, aber die Nase des Bären spürt dieses nervöse Vibrieren. Insomnia atmet durch die mit Chipkarten gesicherten Türen. Von der sensiblen Nase des Bären hatten wir an anderer Stelle schon oft gesprochen. Ernst Albert ist hier. Das riecht der Bär. Oder war hier. So genau ist die Nase des Bären dann doch nicht. Ist das Ziel erreicht? Morgen das opulente Frühstücksbuffet? Egal. Angenehm die Nacht trotz allem, denn im Hotel sind selbst die kargen Flure beheizt. Und wie! Der Bär wird müde. Da liegt doch dieser Zettel. Es ist so warm. Bär,  lies doch, was da auf dem Zettel steht. Archibald Mahler schließt die Augen. Das hat – meistens – Konsequenzen.

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Thema: Aufbrüche 2015, Kieloben, Unterwegs mit Herrn Albert | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

A. Mahler macht sich selbstständig/Zimmermann

Dienstag, 3. Februar 2015 2:43

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Morgen wird der Herr Archibald Mahler sich umdrehen. Obwohl, eigentlich doof diese permanente Gesternerei. Jedoch: ein beheiztes Zimmerchen ist schon angenehm. Im Norden fällt weiterhin Schnee. Archibald Mahler würde jetzt gerne Lieder aus des Herrn Zimmermann Zitatenalbum hören. Das Werk ist zwar in Mittelhessen hinterlegt, aber der Bär ist ungeduldig Also denkt er: Link doch mal! Pustelfluchen und die Nachricht: “Dieser Beitrag ist in Schland nicht verfügbar, da er Gedanken enthalten könnte, über deren Verwendung wir uns mit der GEMA (Gibt Eine Mutti Alles?) nicht einigen konnten.” Mahler zittert, aber friert nicht, obwohl er es gerne täte. Zur Not lacht er leise vor sich hin. Mit kaltem Pöter.

Thema: Aufbrüche 2015, Robert Zimmermann | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

A. Mahler macht sich selbstständig / Landkarten

Sonntag, 1. Februar 2015 23:47

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Da haut der Budnikowski ab so einfach, hinterlässt Hinweise kryptischer Art und Ader, wütet und ist weg von der Förde. Der weiße Kuno weicht, ihm folgt der „Weiße Kurt“ und lässt es ordentlich schneien im Norden. Der Archibald Mahler liest heute daraus noch keinen Hinweis, er sitzt am Museumshafen in Kiel, war da schon vor Jahren, erinnert sich nicht mehr und es ist kalt und er surft so mal in einem öffentlichen und kostenfreien Handkommunikationsgerät älterer Bauart auf der Suche nach Anstößen, als eine Bildnachricht aus Mittelhessen ihn erreicht. Aha! So so! Der Grund der schnellen Abreise des Herr Budnikowski ist des Herr Zimmermann neue Platte. Im Anhang gleich die passende Besprechung. Der Bär liest und friert nicht mehr ganz so toll. Genau. Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Und er denkt zu meinen, wenn er sich jetzt umdreht und dann nach rechts oder links schaut? Vielleicht! Denn da hinter seinem Rücken, da war er doch schon mal. Hat er selbst das Lied oder hat es ihm wer vorgesungen? Gewiß, die Landkarten für die Seele. Man muß einfach loslaufen. Irgendwohin.

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Thema: Aufbrüche 2015, Kieloben, Robert Zimmermann | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

A. Mahler macht sich selbstständig / Zumutung

Freitag, 30. Januar 2015 22:09

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„Moin Mahler, ich muß Sie leider verlassen. Schnellstens!“

„Warum? Und schade ist das auch. Warum nun?“

„Sie erinnern sich an unsere Schandtaten? Die Flucht?

„Verdrängt!“

„Das Blaulicht macht mir Angst! Schland vergisst nur eigene Schuld, niemals fremde!“

„Dann schnell weg!“

„Folgendes: ‘Es gibt eine tschetschenische Spruchweisheit: Spät geölte Gefühle weisen abgestandenes Wasser ab, und beide vermodern zu Erinnerungsjauche.’ Ich weiß, es ist aus allen Zusammenhängen gerissen, aber bedenkenswert.“

„Budnikowski, ich folge Ihnen gerne, jedoch gerade sind Sie sehr forsch im Tempo des Hirnens!“

„Ok. Eine Neuentdeckung. Rudolf Walther. Die erste.

„Aha! Heino und Nervsack Broder und Lena und das dicke Tenniskind in wenigen Absätzen gemeinsam verwurstet. Chapeau!“

„Und das noch: ‘Der Gesinnungstest, der da gefordert wird, hat Tradition im “Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten”, wie der Philosoph Ulrich Sonnemann (1912-1993) in einer Essaysammlung schon 1963 anmerkte. Zumutbar ist nach der neudeutschen Tugendlehre, dass der Angeklagte seine Unschuld und nicht der Kläger dessen Schuld belegen muss; zumutbar ist auch, dass sich der seines Glaubens Bestohlene für Taten entschuldigen soll, die Diebe im Namen seines missbrauchten Glaubens begingen. Der Geschlagene soll niederknien und öffentlich um Verzeihung und Vergebung bitten bei der in “pan-deutscher Gemeinsamkeit” (Sonnemann) nach Sündenböcken jagenden Koalition der guten, willigen und rechtgläubigen Abendland-Unionisten.’ Auch nett, aber aktueller.“

„Sie springen durch die Felder des Denkens, wie ich es nicht könnte mit meiner dicken Denkplautze und dem den Winterschlaf vermissenden Hirn! Der Walther jedoch mich interessiert! Aber die Zusammenhänge? Und wer ist dieser Sonnemann?“

„Das Buch ist geordert und liegt in Mittelhessen bald. Ich muß also heim. Und auch die Pelagia braucht meine Gesellschaft!“

„Und das Zitat?“

„Walther, die zweite!

„Wie reisen Sie gen Heimat?“

„Auf dem Rücken meines Pferdes!“

„Und ich im Schneegewitter verharrend in Einsamkeit, nicht wissend, wo das Hotel? Ist das nicht eine Zumutung?“

„Wollten Sie nicht selbstständig werden? Halten Sie die Augen auf! Man hat Ihnen in dieser Stadt schon ein Denkmal errichtet!“

„Hase, Du hast doch einen am Löffel. Hau ab!“

„Mahler: Seni seviyorum!“

„Budnikowski: Ben de seni seviyorum!“

„Bis bald!“

„Ich schicke Ihnen baldigst eine Postkarte! Und Sie mir bitte das Buch von diesem Sonnemann!“

„Das lesen wir gemeinsam zu Hause! Tschüß!

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A. Mahler macht sich selbstständig / Hoffnung

Donnerstag, 29. Januar 2015 20:29

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Oben im Krähennest unverdrossen der Mastmatrose schaut und unten im Bauch des schaukelnden Narrenschiffs zwei der Seefahrt eher Fremde im Bemühen den Mageninhalt zu bewahren bei sich. Eine Momentaufnahme. Gelegentlich ein Schlepper auf rahmengenähten Schuhen vorbei schleicht und einkassiert. Eine Behauptung. Die Richtung der Fahrt von Ost nach West. Eine Tatsache. Heute die meisten Fahrten von Süd nach Nord. Die Berichtigung. Über der Förde geht ein Schneegewitter nieder. Eine neue Tatsache. „Eine Klimaveränderung, die beweisbar, gibt es nicht. Periodisch auftretende Wetterphänomene sind das bestenfalls.“ Ach, halt doch einfach die Schnauze und melde Deinen SUV ab. Der Kahn stoppt, das Ufer ist nicht erreicht. „Da vorne, das Hotel. Man erwartet Euch.“ Danke auch und die letzten Meter durchwatet man die Förde. Das Hotel ist eine Bude. Geschlossen. Die zwei Reisenden halten ein Herz in die Luft. Sie hatten es – zufällig? – gefunden beim Erreichen des Weststrands. Gestern soll hier eine Demonstration stattgefunden haben. Elftausend Aufrechtgeherköpfe hoch. Man sang und begrüßte alle Fremden. Außer die natürlich, die .. ähem … wir haben auch nur zwei Zimmer und so. Echt sorry. Alle Rollläden unten. Das Herz hochhalten trotzdem. Theoretisch. Im Norden ist es auch nicht wärmer als im Süden. Und wie der Bär und der Hase so sitzen und hoffen auf Einlaß, ertönt in der Ferne ein Martinshorn und Blaulicht funzelt wichtig in den einbrechenden Abend. Klingt nicht nach Freundlichkeit. Besser man steht auf und macht sich fort. Nur wohin? Und wo – hier könnte ein weiser Fluch stehen, der erst Manhattan und dann Berlin erledigt – ist das versprochene Hotel, die Pension „Zur blühenden Landschaft“? Mahler und Budnikowski schauen sich an. Wer mutet wem was zu?

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A. Mahler macht sich selbstständig / Verzichten

Mittwoch, 28. Januar 2015 20:32

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‘Fischbratkutter Elke’ ist kein Bandname, nicht der Titel des nächsten Roman des Herrn Archibald Mahler, kein vermeintlicher Steilpass für schwänzleschwingende Witzigkeit, sondern einfach nur eine Tatsache. Im Bauch des Kutters sitzen sie nun, die zwei der Förde entkommenen Herren. Lächelt da ein Weib? Lebt es gar? Mahler und Budnikowski ist Gegengeschlechtlichkeit fern. Fast! Die wunderbare Frau Pelagia existiert. Und wie! Kein Grund jedoch hier eine Homestory in die Welt hinaus zu sentimentalisieren. Die Beziehungsdramen, welche die Herren einst – das will doch keiner wissen. Oder? Später und gewiß vielleicht. Jetzt erst dies:

„Sagen Sie mal, Mahler und einen Dank für die letzten Stunden auch, jedoch: auf was könnten wir im Neuen Jahr alles verzichten?“

„Verzicht? Gut! Machen wir eine Liste!“

„Das wäre mein erster Verzicht: Alle Listen!“

„Tabellen auch?“

„Bitte!“

„Ihr Pöhlereiverzicht ist ernst gemeint, Herr Budnikowski?“

„Mehr denn je! Sie erinnern sich an meine letzte Auslassung? Lassen Sie mich – obwohl noch lange nicht in Rente – einmal den Rechthaber geben!“

„Und dann, Budnikowski, verzichten wir worauf?“

„Vor allem auf die unvermeidlichen Gegenpositionen!“

„Die Alternative?“

„Aikido! Die Energie des Angreifers aufsaugen, Schläge antizipieren, vorbeigleiten lassen und ins Leere laufen mögen sie!“

„Ich melde Zweifel an! Wegen der Wut!“

„Ok! Ab und an Gegenpositionierung ohne zurückzuweichen. Und unsere Gegner bleiben wie immer: alle potentiellen Schlußstrichzieher!“

„Genauer!“

„Gegen all diese Schlußstrichzieher zum Beispiel, die heute noch rumjammern, daß dieses Tor zu London im Jahre 66 nie und nie und nie und nimmer ein Tor war gewesen, was sie damals als schwer pubertierendes Wesen auf dem elterlichen Sofa mit Falkenauge sofort erkannt hatten, um dann auszuschwitzen im Chor: Laßt mich mit Birkenau in Ruhe, ihr Gutmenschen!“

„Gäbe es eine Steigerung?“

„Ewigpubertierende, welche meinen Ironie und den unvermeidlichen Braunauer in einen wie auch immer gearteten Zusammenhang schustern zu müssen! An Auschwitz muß halt leider jegliche Selbstsicherheit scheitern! ‘Heil Witzle’ ist einfach nur dämlich!“

„Jetzt ist aber Schluß!“

„Gewiß! Mahler, auf was wollen Sie verzichten?“

„Auf die Badewannen, die blubbernden Heizkörper und die fetten Teppichböden im Steigenberger!“

„Auf was wollen Sie nicht verzichten?“

„Auf die Badewannen, die blubbernden Heizkörper und die fetten Teppichböden im Steigenberger!“

„Dann sollten wir die Förde queren!“

„Hören Sie, Herr Hase, frisch gerettet sie sind und schon verbal extrem aktiv!“

„Auch dies schadet nicht! Da liegt ein Boot am Kai.“

„Budnikowski, dieses Boot spricht allen maritimen Sicherheitsvorschriften Hohn!“

„Dann schauen Sie sich mal die Dinger an, die tagtäglich das Mare nostrum queren! Und da sitzen mehr als nur wir zwei Nöhler drin!“

„Wissen Sie was, Budnikowski? Ich beginne Ihre Wut zu schätzen!“

„Wer lichtet den Anker?“

Der Wind frischt bös und böig auf aus Nordwest. Zwei Amateure der Seefahrt wollen von Ost nach West. Drücken wir die Daumen. Von Herzen und ohne Schiß.

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A. Mahler macht sich selbstständig / Befreiung

Dienstag, 27. Januar 2015 18:00

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Dieses Boot kannte er doch. Kleiner zwar und von Zigarettenqualm umweht und nicht vom feuchtkalten Westsüdwest. Damals als er mit Herrn Albert hier oben so manche Kaschemme besucht hatte, da stand das Boot auf einem der Tresen, an den Zapfhahn angekettet und mit oben einem Schlitz drin. Vor wenigen Minuten noch schaukelte das Boot – und jetzt ordentlich viel größer – über die Förde Richtung Möltenort und fischte einen durchfrorenen weiß – gelblichen Hasen, der auf dem Rücken einer Robbe durch die kalten Fluten ritt, aus dem Wasser. Der Schiffsführer und erste Retter, der den am Ufer von Holtenau entschlossen und wild Richtung Ostufer gestikulierenden Archibald Mahler an Bord genommen hatte, stoppte die Maschine, belohnte die Helferrobbe mit einem Sixpack Heringe. Und Mahler so wie Budnikowski wurden an Land gesetzt, nicht ohne sie mit den notwendig üblichen Belehrungen und Warnungen zu versehen. Besser ist das.

Die Langeweile sei es gewesen, die den Kuno von Lippstadt – Budnikowski diese nicht ungefährliche Reise antreten ließ. Mahler flüstert dem heftig nachbibbernden Gefährten eine Geschichte ins Ohr, genauer gesagt einen Essay. Den Essay aus  seinem liebsten Nachttischbuch, aus dem ihn der Herr Albert in letzter Zeit öfters vorgelesen hatte, wenn die Nächte mal wieder wacher waren, als sie sein sollten.

Eine Reise in die Langeweile

Robert Musil in ‘Grigia’: „Es gibt im Leben eine Zeit, wo es sich auffallend verlangsamt, als zögere es weiterzugehen oder wollte seine Richtung ändern. Es mag sein, daß einem in dieser Zeit leichter ein Unglück zustößt.“

Ja. Ein Jahr ist so kurz, und eine Stunde kann sehr viel länger sein. Wie in der Schule die Physikstunden nie enden wollten und die Turnstunden mit den hellweißen Bällen beim Volleyball so schnell wegflogen. Aber nicht nur für das einzelne Leben gilt das, sondern auch für eine ganze Gesellschaft. Die große Leere wird panisch mit großer Aktivität – Reisen, Sektierertum, Radikalisierung – gefüllt.

Musil schrieb seinen Satz im Rückblick auf den Ersten Weltkrieg und in der Ahnung eines kommenden. Ich erinnere mich an die Bilder vom Kriegsausbruch: Rowdies, die endlich ihre Langeweile loszuwerden glaubten, indem sie auf andere trampelten.

Wichtig wäre es, mit der Langeweile im eigenen und im kollektiven Leben umgehen zu lernen, die scheinbare oder wirkliche Bewegungslosigkeit nicht mit erfundenen Aktivitäten und Betriebsamkeit vollzustopfen. Einmal nicht zu reisen, sondern die Landschaft vor dem Fenster oder die Landschaft des eigenen Lebens auf sich zukommen zu lassen

(Ilse Aichinger)

Und während der Bär in ein Gegenüberohr wisperte, der Hase nickend zuhörte und beide ordentlich Hunger bekamen, dachte Mahler darüber nach, ob er nicht eben mit sich selbst spräche. Möglich ist das. Dann lief man los und entdeckte im Hafen von Möltenort den alten Kahn.

„Budnikowski, lassen sie uns den Bauch dieses Kahns betreten und nachsinnen!“

„Gerne folge ich Ihnen, Mahler. Und des weiteren denke ich, daß am heutigen Tage das ganze Schländle die Arbeit niederlegen und nachsinnen sollte!“

„Gewiß! Und das auch noch die nächsten siebzig Jahre!“

„Sagen wir hundertsiebzig! Und zwar bei vollem Lohnverzicht!“

„Auch dies schadet nicht!“

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A. Mahler macht sich selbstständig / Rettung

Sonntag, 25. Januar 2015 18:44

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Bären haben gute Ohren. Wenn der heimwehkranke Lachs an Vancouver vorbei schwimmt, merkt jeder Bär auf, vernimmt Flossenschlag vor Kalifornien und setzt sich schon mal an die Stromschnellen des Yukon – River. Bären haben auch gute Nasen. Wenn ein Aufrechtgeher auf irgendeinem Campingplatz zwischen Wyoming und Kamschatka sein Wurstbrot auspackt, geht der hungrige Bär schon mal los, denn auf des Aufrechtgehers Dummheit ist Verlaß. Des gemeinen Bären Augen schwächeln jedoch. Dies durfte schon mancher Aufrechtgeher erfahren, der verwechselt wurde mit einem allzu forschen Nebenbuhler, den es galt in die Schranken seines Reviers zu verweisen. Mit einem herzhaften Hieb. Oder Biß. Archibald Mahler nimmt Witterung auf, mit gespitztem Ohren.

Herr Kuno von Lippstadt – Budnikowski hatte sich in Mittelhessen gelangweilt, als er ein Rentier traf, welches der Weihnachtsmann auf einem uns bekannten Hinterhof geparkt und vergessen hatte, während er die erfolgreich absolvierte, flächendeckende Beschenkung mit etwas zu viel Punsch mit Schuß begossen hatte und die Vergeßlichkeit ihn anfiel. Ob nun auf dem Rückflug fünfzehn oder sechszehn Rentiere den Schlitten in die Luft erheben, das gemüdete Auge nimmt das nicht wahr. Jule Annika Haderströmsen – so der Name des Ren – war also höchst erfreut, als der Hase sie bat, ihn ein Stück des Weges Richtung Norden mitzunehmen. Als aber nun die kleine Reisegemeinschaft die Förde querte, genauer gesagt überflog, der Hase inständig auf eine Zwischenlandung bestand, das fliegende Nordtier aber entgegnete, daß ein nicht eingeplanter Stopp plus Erdkontakt leider verhindere die zur Querung der Ostsee nötige Flughöhe wieder zu erreichen und zudem die Alternative – die Fähre Kiel – Oslo – bis Ende Januar auf Trockendock läge und sie – die Dame Jule Annika Haderströmsen – keine allzu verspätete Rückkehr riskieren mögen wolle, denn die verkatert schlechte Jahresanfangslaune des Weihnachtsmannes sei Legende und außerdem liebe sie ihre Arbeit und selbst in Skandinavien sei Arbeitslosigkeit kein Salzstockschlecken. So warf sie den Passagier ziemlich genau über Kiel – Möltenort ab. Budnikowski segelte hinab und segelte. (In diesem Zusammenhang sei kurz erwähnt, daß Herr Budnikowski vor nun bald zehn Jahren in Acapulco eine erfolgreiche Karriere als Felsenspringer hingelegt hatte, welche er leider auf Grund einer bösartigen Kaktusstachelinfektion beenden mußte. Doch diese alte Geschichte gilt es an anderer Stelle zu erzählen.) Es segelte also und segelte der Budnikowski, doch ein fieser ablandiger Wind drückte ihn hinaus auf die Förde und sein anvisiertes Ziel, das Marineehrenmal, verschwand hinter seinem Rücken. Wenn ein wütender Westwind die Sturmflut in den Hamburger Fischmarkt drückt, zieht er zur gleichen Zeit das Wasser aus der Förde in die Ostsee hinaus. Des Hasen Glück und dann schwamm vorbei Rigobert Arjensen, der Robbenlotse.

Bären eignen sich nicht zum Rettungsschwimmer. Sie sind und bleiben Solitäre. Aber wenn die Klimaverschiebung einem den Winterschlaf raubt, kann man ja mal was anderes ausprobieren. Also greift Mahler zum Rettungsring, er der kürzlich sich noch sehnte nach Hotel und heißer Badewanne, haut sich todesmutig in die Fördefluten, Wind peitscht, Möwe stürzt, Lotse stoppt, Maschinist flucht und ein Bär kreuzt die Förde Richtung Möltenort. Ein Blick hinauf zu den Sternen. Fliegt da ein Rentier? Ohne Schlitten? Leuchtet die Nase? Skol!

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Thema: Aufbrüche 2015, Kieloben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth