Beiträge vom Februar, 2010

Archibald entdeckt das Buchstabenriechen

Sonntag, 28. Februar 2010 17:57

kotzwinkleDa stand also Archibald vor dem roten Sofa, auf dem Ernst Albert laut und regelmäßig vor sich hin röchelte. Ein aufgeschlagenes Buch lag auf dem Bauch des Schläfers und hob und senkte sich im Rhythmus der Atemzüge. Vom Titelblatt des hoch und runter tanzenden Buches blickte Archibald ein Bär entgegen. Kein gewöhnlicher Bär, der einen Lachs fing oder durch die Wälder schlenderte, nein, ein Bär, der einen Anzug und dazu Hemd und Schlips trug. Ein großer, nicht überragend intelligent aussehender Bär im Anzug, mit Hemd und Schlips in den Straßen einer offensichtlich größeren Stadt zwischen vielen und kleineren Menschen. Menschen und Straßen, und das aus leidvoller Erfahrung, kannte Archibald. Doch angezogene Tiere fand Archibald schon immer entsetzlich. Manchmal peinigten Archibald Alpträume, in denen er als ganz, ganz junger Bär zwischen etlichen Bären, Hunden und anderen Viechern saß, von denen die Hälfte angezogen waren wie Menschen. Er träumte, daß Kinder und Erwachsene ihn anstarrten und mit dem Finger auf  ihn zeigten oder ihn gar betatschten. Als ob ein einstmals abbes Bein, von dem es noch zu berichten gilt, nicht schon Bärentrauma genug sei. “Hallo? Was ist denn das für ein Bär? Anzug geht ja so was von gar nicht. Oberpeinlich.” Archibald bemerkte, daß er vor lauter posttraumatischer Empörung in eine Art von eigentlich herzlichst verachteten Jugendslang verfiel, als Ernst Albert sich grunzend auf die Seite wälzte und das Buch vor Archibalds Tatzen fiel.

Archibald war innerlich schon wieder auf dem Rückmarsch zu seiner Fensterbank gewesen, wollte den Schnarcher und den Peinlichbär im Anzug ihrem Schicksal überlassen, als sich seine Nase meldete. Sapperdautz. Sie zuckte und zitterte und zwang Archibald, diese seine Nase, wie von Geisterhand bewegt, zwischen die mit unzähligen kleinen schwarzen Mäusespuren bedeckten Seiten zu stecken. Und Archibald roch. Und er roch nicht nur, für einen normalen Bären keine große Sache, die Bäume, die gefällt worden waren, um das Papier herzustellen, die stählernen, gut geölten Maschinen, welche die kleinen schwarzen Mäusespuren auf das Papier gepreßt hatten, den Schweiß des Mannes, der sich die Anordnung der Mäusespuren ausgedacht hatte, die Zigaretten und die Gläser roten Weines, die er beim Denken und Schreiben zu sich genommen hatte, mehr noch: Archibald roch eine Geschichte. Archibald roch die Geschichte eines Bären, der auf der Suche nach einer Torte in einer Aktentasche mitten im Wald ein fast fertiges Buch findet, welches ein Schriftsteller dort versteckt hatte. Aus was für Gründen auch immer. Um präzise zu bleiben, er roch sogar, daß man solch ein so gut wie fertiges Buch Manuskript nennt. Archibald roch, wie der Bär, erst darüber enttäuscht nicht Freßbares gefunden zu haben, nach und nach Gefallen an den Worten in diesem fast fertigen Buch findet und es also mitnimmt, wie der Bär zu seinem Anzug kommt, wie er in eine Stadt geht, wie er einen Verleger für das Buch findet, wie er Frauen kennenlernt und mit ihnen unglaubliche Dinge tut, und wie er reich und berühmt und verliebt und plötzlich wacht Ernst August auf und er glaubt nicht, was er da sieht: “Liebste! Kommst Du mal bitte. Das hier mußt Du Dir anschauen! Unfaßbar!”

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Herr Kotzwinkle schrieb: “Der Bär lief über den Berg und schaute, was es zu sehen gab…”

Freitag, 26. Februar 2010 11:58

vorne_1“Bärenviech!” Ab und an ließ Ernst Alberts Ausdrucksweise zu wünschen übrig. Dies zumindest fand Archibald. “Bärenviech?” Nun gut, man hätte meinen können, Archibald als Vertreter einer Gattung, die sich gerne mal mit Aas den Magen füllt und dann, um als Dessert ein paar Löffelchen Honig zu genießen, einen kompletten Bienenstock samt Bienenhaus in alle Einzelteile zerlegt und bei Bedarf den dazugehörigen Imker auf den nächsten Baum jagt, könne eine etwas rauhere Ausdrucksweise locker wegstecken. Prinzipiell schon. Heute jedoch nicht, denn Archibald durchströmten Zerbrechlichkeit und Hypersensitivität. Und an solch einem Tag beschlich Archibald das untrügliche Gefühl sehr, sehr einsam zu sein auf diesem Planeten voller Trampel, Rohlingen und Ignoranten. Dazu gesellte sich, daß das seit Tagen herrschende feuchtmilde Wetter die Anoperationsnarbe an seinem rechten Bein pochen und schmerzen ließ. Das machte ihn zusätzlich unleidig. Und nun auch noch Herr Ernst Albert.

Herr Ernst Albert wiederum, anstatt Buße zu tun für die unflätige Äußerung in Bezug auf seinen Lieblingsbären, lag auf dem roten Sofa und lachte. Archibald versuchte dies alles nicht persönlich zu nehmen, blickte konzentriert aus dem Fenster und entdeckte im Garten der Nachbarn die ersten Schneeglöckchen. Klein, scheu und weiß. Ein weiterer Beweis für seine Sensitivität, fand Archibald. Ernst Albert kicherte und gluckste ohne Unterlaß. Schuld daran war ein Buch. Ab und zu las er Eva Pelagia, die durch die Wohnung stürmte und das, was sie gestern nach links geräumt hatte, heute wieder nach rechts legte, daraus vor. Archibald, der auch als Bär, wenn er will, durchaus multitaskingfähig ist, also über Schneeglöckchen meditieren und gleichzeitig das Geschehen im Nebenraum überwachen kann, vernahm also, daß sich Ernst Albert wohl königlich über einen Bären amüsierte von dem das Buch, welches er las, erzählte. Es gab da viel Sex, das Fangen von Lachsen und das Verspeisen von Torten kamen auch nicht zu kurz und der Bär, der die Hauptrolle in der Geschichte spielte, mußte wohl ein symphatischer und sehr lustiger Geselle sein. “Auch das noch. Man lacht sich schlapp über einen anderen Bären. Na danke!” Archibald brummte zornig in sich hinein. Doch er bemerkte auch, wie  aufkommende Neugier die bohrende Eifersucht in seinem Bärenherzen besiegte. Der Sache mußte er auf den Grund gehen.

Wenig später vernahm Archibald, daß Ernst Albert auf seinem roten Sofa über der Lektüre eingeschlafen war. Sein gleichmäßiges Röcheln hätte einem ausgewachsenen Kodiakbären im tiefsten Winterschlaf zur Ehre gereicht. Eva Pelagia war unterwegs. Sie hatte beschlossen nicht nur die Wohnhöhle neu zu gestalten, sondern auch sich selbst und hatte einen Termin beim Friseur. Archibald faßte einen Entschluß. “Jetzt oder nie.” Vorsichtig,  denn das rechte Bein schmerzte – heute würde er im übrigen kein Wort mehr über diese Anoperation fallen lassen, das nur nebenbei – ließ er sich von seiner Fensterbank gleiten und machte sich auf in Richtung rotes Sofa. “Ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für Archibald.”, dachte der Bär. Er hielt inne. “Den Satz muß ich mir merken. Man weiß ja nie.”

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Von Lachseintopf, Aufräumen und Bärennasen

Donnerstag, 25. Februar 2010 8:10

vorne_2Archibald hatte die Augen aufgeschlagen und seine Zunge schmeckte die Reste eines geträumten Lachseintopfes mit Heidelbeeren. Was sah er? Vor dem Fenster regnete es. Immer noch? Wieder? Keine Veränderung also draußen. Gut. Oder doch? Mit seiner Bärennase, die einhunderttausendmal besser riechen kann als eine Menschennase, roch er, wie in nicht allzu weiter Ferne die Wasser der Flüsse und Bäche gewaltig anschwollen und dabei so einiges an winterlichem Unrat mit sich fortrissen. Es wird aufgeräumt. Wie gestern Eva Pelagia es tat, als sie, nachdem der neue Schrank aufgebaut war, stundenlang durch die Höhle gestürmt war, jenes von hier nach dort, dieses von da nach hier und wieder zurück räumte und dabei häufig zweifelnd ihre wunderschöne Stirn furchte. Archibald hatte vollstes Verständnis. Bewegung und Veränderung. Auch wenn es nur ein neuer Schrank ist, der hinzutritt, ein altbewährtes Gefüge muß sich neu zusammenrütteln. Der Blick bleibt als erstes am Eindringling, auch wenn man ihn noch so herbeigesehnt hat, haften. Neue Bäume wachsen langsam und schieben sich unmerklich in das Auge des Betrachters, aber so ein Schrank: eine halbe Stunde Hämmern und Fluchen und Schrauben, zwei gepflasterte Daumen von Ernst Albert später und da steht er nun: neu, fordernd, frech. “Füll mich! Nutze mich! Schau mich an.” Und dann dieser neufremde Geruch. Archibalds einhunderttausendmal empfindlichere Nase roch noch die Maschinen, welche die Bretter in Paßform gesägt hatten, den Schweiß der Arbeiter, die die Bretter in Plastikfolie und Pappendeckel eingepackt hatten und das vergossene Blut Ernst Alberts. Prinzipiell ist so eine feine Bärennase eine sehr sinnvolle Einrichtung. Zum Beispiel im Frühjahr, wenn sie in kilometerweiter Entfernung das Aas riechen kann, die Opfer eines harten Winters, die dem Bären dazu dienen, wieder zu Kräften zu kommen nach dem langen Schlaf. Aber so eine Bärennase kann auch eine rechte Qual sein. Wenn gar ein neuer Bär im Wald auftaucht und Ansprüche erhebt auf Aasstücke, Beerensträucher, Bienenwaben, kann sich das zur olfaktorischen Folter auswachsen. Über Kilometer hinweg weht der sensiblen Bärennase der Dunst des neuen Rivalen entgegen. Da werden selbst quadratmeilengroße nordische Wälder zur gefühlten Einraumwohnung ohne Fenster. Das einzige, was die Bärennase dann beruhigen kann, ist das Wissen darum, daß die neue Nase im Revier ähnliches erleidet. Jawoll, auch die Bärengötter sind gerecht. Und da schoß es Archibald ins Hirn. Der Verlust des Beines damals, vielleicht die Folgen eines Kampfes? Um Aasstücke? Beerensträucher? Bienenwaben? Dunkle Ahnungen, ein bedrohliches Echo aus längst vergangener Zeit. Groß und fordernd im Raum: die Vergangenheit.

Ernst Albert kam zurück von einem Spaziergang. Er hatte seine verletzten Daumen und sein Hirn ausgelüftet, war bester Laune und rief, die Türklinke noch in der Hand: “Beste, schau mal, was ich gefunden habe. Da wird das Bärenviech aber Augen machen.” Und wäre beinahe gegen den neuen Schrank gerannt. Rumms! Und Archibald hatte wieder etwas vergessen.

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Die Geschichte vor der Geschichte bleibt dunkel

Mittwoch, 24. Februar 2010 13:02

hinten2Eine alte Bärenweisheit aus Kamschatka lautet: “Betrachte jeden Fluß von beiden Ufern aus.”  Archibald setzte sich um. Auch wenn es Bären im Allgemeinen und Archibald im Besonderen schwerfällt liebe Gewohnheiten zu ändern oder gar aufzugeben. Nun blickte er von der anderen Seite aus dem Fenster. Jedoch die Welt draußen hatte sich nicht umgesetzt. Der Regen fiel weiterhin gleichmäßig aus einem grausuppigen Himmel und die allerletzten schmutzigen Schneereste verschwanden im Gulli. Regen bleibt nun mal Regen, ob von rechts oder links betrachtet. “Da hätte ich auch auf der anderen Seite sitzen bleiben können.”, hörte Archibald  seine bärengenetische Faulheit protestieren. Doch das Gleichmaß der fallenden Tropfen versetzte ihn innert kürzester Zeit in einen angenehmen Zustand der Weltergebenheit. Er saß. Es regnete. Ob von rechts oder von links betrachtet, ganz egal. Und er dachte ebenso gleichmäßig und weltergeben darüber nach, ob es tatsächlich eine sinnvolle Angelegenheit sei, in der alten Rumpelkammer namens Erinnerung rumzukramen. Und ob es denn wirklich wesentlich sei , jene Geschichte vor der Geschichte aus irgendeinem alten muffigen Pappkarton rauszuziehen, falls sie da überhaupt noch drinliegt. Dies liefe letztendlich rein küchenschypsologisch immer darauf hinaus, daß man einen Schuldigen suche und auch finde. In 90% der Fälle wäre der Schuldige dann Papa Bär, der den armen Bärenjungen nicht ordentlich genug liebgehabt hat, weil er lieber vergorenes Obst fraß und Fremdbärinnen hinterher rannte oder den armen Bärenjungen anfauchte, wenn der zu blöd war, sich selber einen Lachs aus dem Bach zu holen. Aber da ein Papa Bär sich sowieso nie um seinen Nachwuchs kümmert, hatte sich das hiermit erledigt. Das abbe Bein war wieder dran und viel wichtiger als den Abmacher zu verurteilen und bloßzustellen, ist es doch den Anoperierer zu ehren. Oder? Oder vielleicht doch nicht? Archibald kratzte sich an seinem Hinterteil. Bären sind manchmal sehr wankelmütig. Da hörte er aus dem Nebenzimmer ein Hämmern, Fluchen und Schrauben. Ernst Albert und Eva Pelagia bauten ihren neuen Schrank zusammen. Archibald schloß die Augen und hörte nur noch zu. Der Regen und das Hämmern, Fluchen und Schrauben verschmolzen zu einem  Rhythmus. Drinnen und draußen, gestern und heute, ab und an: alles ein großer wohlschmeckender Eintopf.

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Archibald und die Geschichte vor der Geschichte

Dienstag, 23. Februar 2010 9:29

hinten1Bären neigen manchmal zu einer gewissen selbstzerstörerischen Ehrpusseligkeit. Wenn sie bemerken, daß etwas nicht so verläuft, wie erwünscht und erhofft, suchen sie den Fehler. Unermüdlich und meistens bei sich selber. Also saß Archibald wieder auf seiner Fensterbank und war nicht wirklich konzentriert, was den Blick in die Welt hinaus betraf. Er dachte darüber nach, warum er es einfach nicht schaffte, das zu erzählen, was er seit Tagen versprochen hatte. Klar, es ist viel auf ihn eingestürmt seit Aschermittwoch, trotzdem: so eine große Sache ist das mit dem abben Bein auch wieder nicht. Und er mußte daran denken, wie ihn Ernst Albert damals aus der Kneipe in seine Höhle geschleppt, ihn dort auf einen kleinen Tisch in seinem Schlafzimmer gesetzt hatte und das abbe Bein so neben Archibalds Rumpf gelegt hatte, daß es aus der Ferne aussah, als ob das abbe Bein wieder dran wäre. Ernst Albert war in jenen Tagen nicht in allerbester Verfassung gewesen, schlug sich fast jede Nacht um die Ohren und hatte nicht viel Zeit, sich um einen, wenn auch schwerverletzten Bären zu kümmern. Wobei, ältere Herren und Bären: ein heikles Thema. Aber Ernst Albert gewährte Archibald immerhin Asyl. Archibald saß also auf diesem Tischlein, lehnte an einem Blumentopf mit einer Pflanze, die sich über Gießwasser sehr gefreut hätte, spürte das etwas mit seinem rechten Bein nicht stimmte, obwohl es sich wieder an der fast richtigen Stelle befand, die Zeit verging wie im Fluge und graue Staubflocken  sammelten sich auf seinem Bärenhaupt. Doch er war froh nicht mehr zweigeteilt auf der Straße zu liegen, es war schön warm in Ernst Alberts Höhle und überhaupt: er hatte komplett vergessen, wie es eigentlich dazu gekommen war, daß sein rechtes Bein etwa 70 Meter entfernt von ihm auf einer vorsommerlichen Straße in Mittelhessen gelegen hatte. Und da schoß es Archibald durch den Bärenschädel. Wie solle er denn die Geschichte der Anoperation des abben Beines erzählen, wenn er gar nicht mehr wußte, wie das Bein abgegangen war? Da war keine Erinnerung, da war nur ein großes, rotgerandetes Loch. Was war damals geschehen? Vor der Straße? Lange vor der Anoperation? Wer den zweiten Schritt vor dem ersten tut, fällt auf die Nase und blamiert sich. Und wenn Bären etwas nicht mögen, ist es sich zu blamieren. Also, dachte Archibald, ist es nicht angebracht sich jeden Tag zu entschuldigen wegen der fehlenden Schilderung der Anoperation. Erstmal müsse er über die Geschichte vor der Geschichte nachdenken. Grundsätzlich. Jawoll! Befriedung machte sich in seinem Bärenherzen breit und er schaute aus seinem Fenster. Konzentriert. Und sah Dinge.

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Archibalds Intertextualität kommt beinahe mit Herrn William Kotzwinkle ins Gehege, Mann!

Montag, 22. Februar 2010 15:04

dorkie“Mann Bärchen, hast Du sie noch alle?” Ernst Albert war ins Zimmer geplatzt. Und dies ausgerechnet am heiligen Potzrembel-Tag. Ernst Albert war auf der Suche nach seiner Sonnenbrille, weil die ganze Nacht  Stahlzigarren zu gucken und dabei alternierend Grauburgunder von Aldi und Cabernet Sauvignon von Lidl zu trinken nicht nur das Hirn gehörig verspannt, sondern auch die Lichtempfindlichkeit schmerzhaft verstärkt. Übellaunigkeit erfüllte das Zimmer. “Originalität gibt`s sowieso nicht, nur Echtheit? Pustekuchen, Herr Plagiator! Da sei der göttliche Horse Badorties vor!”, sprach also Ernst Albert, riß Archibald die Brille von der Bärenschnauze und hielt seinem Hausbär ein vergilbtes, kaffeebeflecktes und freudig zerlesenes Buch unter die Nase. “Mir scheint da will wohl ein Bär nach oben. Hier! Lese! Bär!” Und weg war er. Die Haustür fiel knackend ins Schloß.

Da saß nun Archibald, ein speckiges Buch in den Tatzen und wußte nicht wie ihm geschehen war. “Horse Badorties! Plagiator! Lesebär!” Er verstand kein Wort. Sicher, wenn sich die Blätter in der Heimat der Bären dort jenseits der Meere rot, gelb und bunt färben und nachts die ersten Pfützen zufrieren, ist es sinnvoll Beeren und Blätter und Käfer und Mäuse zu lesen, um sie zu verspeisen und Fett anzusetzen. Aber was hat dies mit dieser gelblichen Ansammlung wahrscheinlich übel schmeckender Blätter zu tun? Archibald kratzte sich an seinem Bärenhintern, was Bären nun mal machen, wenn sie angestrengt über etwas nachdenken. Er schlug das Büchlein auf und sah viele verschiedene schwarze Punkte und Zeichen auf dem gelben Papier, wobei  jede Seite ein etwas anderes Gesicht hatte. Bald jedoch stieß er auf eine sehr seltsame Seite, ach was, sechs, sieben solcher Seiten hintereinander. Er sah vor sich eine Ansammlung immer gleicher schwarzer Zeichen, die sich wiederholten und wiederholten und wiederholten, als sei eine gigantische Mäuseschar über das sandige Ufer eines Baches gelaufen. Fasziniert blickte er auf diese Mäusespuren, immer und immer wieder und fiel nach kurzer Zeit in einen tiefen Schlaf. Und es träumte ihn, wie er in einem knallgrünen Sommerwald Heidelbeeren las und Käfer und Larven, als er plötzlich am Ufer eines Baches voller Mäusespuren, die aussahen wie die Mäusespuren aus Ernst Alberts gelben Buch, einen alten bärtigern Mann erblickte, der sich, als Archibald gebannt auf ihn zutapperte, als ein Herr William Kotzwinkle vorstellte und ihm ein vergilbtes und mit Kaffeeflecken garniertes Buch überreichte und dabei sprach: “Fang am besten damit an, mein kleiner Lesebär.” Woraufhin der bärtige Mann aufstand und im knallgrünen Wald verschwand, tiefer und tiefer. Und Archibald konnte noch in der Ferne hören, wie Herr William Kotzwinkle dabei lachend ein einziges Wort vor sich hersagte. Immer und immer wieder. “Dorkie!” Ja! “Dorkie! Dorkie! Dorkie! Dorkie!” Archibald erwachte. Erfrischt. Aber er hatte auch das  Gefühl, daß er seit Tagen eigentlich etwas ganz anderes erzählen wollte. Und sein rechtes Bein fing an zu jucken. Wie damals nach der Anoperation.

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Es ist mal wieder Potzrembel-Tag!

Montag, 22. Februar 2010 10:37

potzrembeltagArchibald spürte eine mittelschwere Verbitterung in sich aufsteigen. Der gestrige Schnee, so schnell er gekommen war, so schnell hatte er sich weggetaut. Und wenn ein Bär etwas nicht leiden kann sind es Sprunghaftigkeit und Unzuverlässigkeit. So beschloß also Archibald heute seinen allmonatlichen Potzrembel-Tag einzulegen. Der Potzrembel-Tag ist ein Ritual der Soquatschi-Indianer, die in der alten Bärenheimat jenseits der Meere leben. Durch fortwährende Wiederholung des Wortes Potzrembel reinigt man sein Bewußtsein, befreit es von den drin angehäuften Trümmern und Spinnweben. Und heute war ein guter Tag für einen Potzrembel-Tag. Also lieh sich Archibald von Ernst Albert, der immer noch schlief, weil er bis in die frühen Morgenstunden Stahlzigarren in einer Rinne aus Eis in seinem Bilderapparat geschaut hat, eine Sonnenbrille, setze sie auf und sprach:

Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel  Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel (Archibalds Gewissen klopft an) Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel  Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel (Du wolltest) Potzrembel (etwas erzählen) Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel  Potzrembel (Das abbe Bein) Potzrembel Potzrembel (Die Anoperation) Potzrembel Potzrembel Mann! Mann?

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Archibald beginnt sich zu sortieren

Sonntag, 21. Februar 2010 10:08

schnee2Archibald war gestern nicht wirklich in der Lage gewesen aus dem Fenster zu blicken. Das heißt, er schaute durchaus hinaus, aber was er sah hinterließ keinen Eindruck, es rauschte durch seine Iris über die Synapsen ins Kleinhirn und von dort aus mit jedem Ausatmer durch die Nasenlöcher wieder hinaus in die Welt. Die Stahlzigarren, die fallenden Mädchen und der ganze Unsinn in den Bergen auf der anderen Seite des Meeres ließen ihn nicht los. Er spürte, wie seine Bärenruhe zu einer Art Hundehibbeligkeit mutierte. Das mochte er nicht. Ihm war, als verklebten Spinnweben die Furchen seines Hirnes. Doch es rettete den Bären Eva Pelagia. Eva Pelagia teilt sich in Archibalds Behausung – und das sollte man wissen – mit Ernst Albert Bett und Tisch und vieles mehr. Sie hole jetzt den neuen Schrank ab, rief sie Ernst Albert zu und verließ die Wohnung.

Durch Archibalds Schädel wehte ein belebender Wind.  Schrank! Schrank! Schrank! Da war sie die Lösung. Archibald beschloß sich einen Gedankenschrank zu bauen mit vielen Fächern und Regalen. Und in diese Fächer und Regale würde er dann seine Gedanken einordnen und sortieren. Wichtige, ganz wichtige, nutzlose, vollkommen sinnlose und fundamental brauchbare Gedanken. Und so baute Archibald im Dienste der Wiederherstellung seiner Bärenruhe vor seinem inneren Bärenauge einen wunderschönen Gedankenschrank. Nach erfolgreicher Bauabnahme des Gedankenschrankes begann Archibald als erstes die Stahlzigarren, die fallenden Mädchen und den ganzen Unsinn in den Bergen auf der anderen Seite des Meeres in das Fach “vollkommen sinnlos”  einzusortieren. Und wie er nun abheftete, ablegte, ordnete und sortierte, erschrak er ganz gewaltig, als er zur Entspannung kurz aus dem Fenster blickte. Draußen vor der Tür zogen nichtendenwollende Menschenschlangen vorbei und schleppten Tüten und Taschen voller Lebensmittel, Elektroartikel, Kleidungsstücke und Kopfschmerztabletten in ihre Höhlen. Ein Bär tut dies nur, wenn der Winter sich ankündigt. Potzrembel! Ein Gedanke verdrängte alle anderen Gedanken in Archibalds Kopf. Doppelt Potzrembel! Der Winter kommt, es gilt sich vorzubereiten! Und so ließ Archibald das Abheften, Ablegen, Ordnen und Sortieren sein, konzentrierte sich auf die kommende Jahreszeit und schlief darüber ein, verwirrt. Und als Archibald heute morgen aufwachte, da war er da, gekommen über Nacht wie es so seine Art: der Winter. Archibald stutzte. War Väterchen Frost nicht schon vor einigen Tagen zu Besuch gewesen? Und dies für längere Wochen und Monate? Hieße dies nun, Archibald habe den ganzen Sommer verschlafen? Einen Sommerschlaf getätigt und somit erfunden? Archibald schaute an sich herauf und herab, konnte aber keinerlei Anzeichen einer Alterung an Fell und Tatze feststellen. Auch fühlte er sich putz und munter. Nur sein Kopf dröhnte ein wenig vom Denken. Sapperdautz, dachte Archibald, jetzt habe ich aber ein fundamentales Problem, welches es zu bedenken gibt, bevor ich es abhefte, ablege, ordne und sortiere. Und so vergaß er ganz, was er heute eigentlich erzählen wollte, nämlich wie damals sein abbes Bein anoperiert wurde. Aber morgen ist auch noch ein Tag.

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Besser ans Fenster, denkt Archibald

Freitag, 19. Februar 2010 12:55

archi_fenster2Das ist so eine Sache mit dem Eis und den Bergen und den Schlitten. Da war Ernst Albert schon längst im Bett, als Archibald sich immer noch die Augen viereckig schaute mit Eis und Bergen und Schlitten und dann noch mehr Zeugs mit Eis und Bergen, aber auch ohne Schlitten. Da war zum Beispiel  eine Frau, die ist mit langen Brettern an den Füßen und vier gebrochenen Rippen und – was immer das sein mag, dachte sich Archibald – einem Lungenfellriss  in die Wälder gerannt, tiefer und tiefer, ist dann wieder rausgekommen und umgefallen und konnte gar nicht mehr laufen. Weder mit Brettern, noch mit den eigenen Beinen. Und sprechen konnte sie auch nicht mehr. Und dann war da eine Rinne voll mit Eis und da rasten Stahlzigarren runter, mit Menschen drin und dann fielen die Stahlzigarren um und die Menschen lagen darunter und mußten rausgezogen werden. Woraufhin der Mann im Bilderapparat, der immer zwischen den Filmen mit Eis und Bergen und Schlitten sprach, sagte, da dürfe man nicht drüber reden oder schimpfen, weil alles gut sei und ein Fahrfehler. Fahrfehler, dachte Archibald, wenn man sein Bein verliert, ist das auch ein Fahrfehler? Und am Schluß hat dann einer, der wohl keinen Fahrfehler gemacht hat, ein Stück Metall umgehängt bekommen, und weil alle ein Foto vom ihm machen wollten mit dem Metallstück um seinen Hals, hat er reingebissen in das Metallstück und ein Zahn ist ihm abgebrochen. Seltsam, seltsam.  Archibald spürte auf seiner Bärenstirn ein massives Bärengrübeln wachsen. Wer noch nie ein Bein verloren hat, macht offenbar gerne seltsame Dinge, sagte er leise vor sich hin und merkte gar nicht, daß er gerade dabei war das Sprechen der Menschen zu beginnen. Aber davon später.

Besser ans Fenster, dachte nun Archibald und räumte das rote Sofa vor dem Bilderapparat, nicht ohne vorher die Erdnüsse, die Ernst Albert dort hatte liegen lassen, aufzuessen. Bären dürfen das. Für die ordentliche Beseitigung von Lebensmittelresten ist seit jeher der Mensch zuständig, nicht der Bär. In der ursprünglichen Heimat der Bären ist dies sogar ein Gesetz.

Nun denn, wollen wir heute kein Gescheitbär sein, murmelte Archibald und nahm wieder Platz auf seiner Fensterbank, um nachzudenken. Zum Beispiel darüber, wie das jetzt genau vorgegangen ist, damals, als sein abbes Bein wieder anoperiert wurde. Da sah er jenseits der Fensterscheibe, daß dort wo vor wenigen Stunden noch der Schnee geglitzert hatte, nun alles voller grüner und brauner Pfützen war. Und überall  lagen Zigarettenkippen und Konfettireste und Hundekackhaufen. Und dann sah er, wie auf der anderen Straßenseite ein Kind aus der Haustüre kam, und hinter dem Kind eine Frau. Und die Frau hat dem Kind eine Tasche hinterher getragen. Daß dies die Tasche von dem Kind war, konnte Archibald sehen, denn auf der Tasche waren lauter bunte und verkleidete Bären – igitt – und sie war rosa. Und so eine Tasche, dies weiß sogar ein Bär in Mittelhessen, besitzt kein erwachsener Mensch. Und warum die Mama dem Kind die Tasche trägt, die doch ganz klein und leicht und leider potthäßlich war, hat Archibald nicht verstanden. Darüber ist er eingeschlafen. Und ihm träumte, daß er morgen die Geschichte erzählen würde, wie sein abbes Bein anoperiert wurde. Ganz sicher!

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Archibald schaut weiter hin

Donnerstag, 18. Februar 2010 11:17

archi_olympischAlso hatte Archibald aus dem Fenster geschaut, aufmerksam. Viel hatte sich nicht getan. Der Schnee lag entspannt und sonnenbestrahlt auf der Erde rum. Zwei schwarze Vögel pickten kleine schwarze Löcher in die weiße Oberfläche. Dann zog der Himmel sich zu, grau und feucht, und in Archibalds Bärenkopf bummerte das heranziehende Tief. Bären und Tauwetter haben keine wirklich innige Beziehung zueinander. Tauwetter heißt für Bären nichts anderes als Aufstehen und Dinge tun zu müssen. Archibald fing an über den Frühling nachzudenken. Dann wurde es hinter seinem Rücken laut. Er drehte sich um. Ernst Albert schaute  in seinem Bilderapparat ein alle vier Jahre stattfindendes Sportereignis. Er fluchte vor sich hin. Das tut er meistens, wenn er diesen Bilderapparat angestellt hat. Selbst dann, wenn er kein Bier beim Gucken trinkt. Mädchen und Frauen fuhren einen sehr steilen Berg herunter und viele fielen hin. Weil der Berg zu steil und zu schnell war. Archibald erschrak. Er weiß nämlich aus eigener Erfahrung, wie leicht man ein Bein verlieren kann. Und als das alles zu Ende war und eine gewonnen hatte, weil das ist ja das Wichtigste, daß da immer wer gewinnt, haben sie im Apparat noch mal Bilder gezeigt von den herumfallenden Mädchen und Frauen. Das sah etwas unbeholfen aus. Und der Ansager machte dazu dann lustig gemeinte  Bemerkungen. Die waren aber nicht lustig. Ernst Albert fluchte: “Zynischer Schwachkopf. Diesen  Quatschsack sollte man in einen gelben Sack stecken und den Berg runterkugeln lassen. Dann hat er seine spätrömische Dekadenz. Hier und Heute. Panem et Circenses.” Archibald verstand das alles nicht. Aber es gefiel ihm, wie Ernst August fluchte.  Jedoch vergaß er darüber, was er eigentlich erzählen wollte. Nämlich wie sein abbes Bein wieder anoperiert wurde. Da mußte er jetzt noch mal richtig drüber nachdenken. Aber dann kam noch mehr mit Eis und Bergen und Schlitten in Ernst Alberts Bilderapparat. Und Archibald hat hingeschaut.

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