Beiträge vom Juni, 2010

Aus der Tiefe des Raumes, weil WM is’ (5.)

Dienstag, 29. Juni 2010 12:48

tiefe9

„Wenn ich Sie was fragen dürfte, Herr Mahler?“

„Ich bitte darum, Herr von Lippstadt-Budnikowski!“

„Ich finde Sie hier in kontemplativer Versenkung? Beten Sie? Für unsere Nationale Jugendtruppe?“

„Wieder einmal schießt Ihre Interpretation einer Vermutung weit übers Ziel hinaus. Doch vollkommen falsch liegen Sie nicht. Übers Beten denke ich nach, das Beten auf dem grünen Rasen!“

„Das habe ich auch beobachten dürfen, eine Welle der öffentlichen Frömmelei überschwemmt die Wiesen Südafrikas.“

„Falsch und fragwürdig! Es ist davon auszugehen, daß keiner darum bittet, Gott möge ihm helfen, seine Nerven im Griff zu halten, keinen Gegenspieler zu verletzen, kein vorsätzliches Handspiel zu begehen und falls er ein mehr als eindeutiges Abseitstor geschossen habe, dieses dem Referee  mitzuteilen!“

„Ein bißchen viel verlangt, finden Sie nicht?“

„Gewiß, doch ist Grundzug jeglicher Religiosität nicht die Bitte um das Wohlergehen des Anderen? Man vergißt gerne, daß sowohl Schütze als auch Torhüter – sollte es das Prinzip Gott geben, wovon auszugehen ist – beide unter dessen Schutz stehen. Mir scheint der Gebettext der Herren Kicker ist eher jener der Falschparker und Steuerhinterzieher. ‚Lieber Gott, mach’s Äuglein zu, schieb die Schuld den Andren zu.’ Was meinen Sie?“

„Verlangen Sie von den Aufrechtgehern nicht Erkenntnis, die sie nicht leisten können. Die Balltreter sind lediglich Vertreter der Gattung der nackten Affen, eine Art moderner Hohepriester. Der Zweibeiner spiegelt sich im Ritual mit den Bällen, zieht als Fan im Mensch und vice versa Trost aus der Leistung der Seinigen.“

„Und mehr noch: tiefsten Lustschmerz aus der Niederlage, die beweist, wie schlecht – wieder einmal – die Welt das gepeinigte Ego behandelt hat. Beweisführung quasi der permanent subjektiv empfundenen Benachteiligung. Bringt mir den Schuldigen! Und dann wird gekreuzigt. Zuerst die Trainer.“

„Sie erinnern sich an das Titelbild der taz? Klinsmann auf Golgatha?“

„Gewiß! Besser konnte man das Prinzip ‚Hosianna! Kreuziget ihn!’ im Fußballgeschäft nicht darstellen. In keinem anderen Bereich wird so viel gemunkelt, spekuliert. Verschwörungstheorien. Dunkle Mächte allenthalben!“

„Offensichtlich dieser Glaube  ein tiefes Bedürfnis der Gemeinde  “Pöhler der Ersten Stunde” und Hauptargument gegen alle Arten elektronischer Beweisführung! Der Mythos, der die eigene Niederlage verschleiert und den verdienten Sieg der Anderen kleinredet, über Jahrzehnte hinweg.“

„Dagegen ist nichts einzuwenden. Mich stört lediglich die Argumentation eines Luis Fabiano – und da steht er nicht allein – die da lautet: ‚Beschiß machte dieses Tor erst richtig schön.’ Die stolzgeschwellte Brust des Rasers, der nicht erwischt wurde. Es mangelt mir leider an jeglicher Wertschätzung solchen Tuns. Ewige Pubertät? Ihre Meinung zu Brasilien, in diesem Zusammenhang?“

„Eine Effektivität, ebenso wie bei den Niederländern, von fast schon erschreckendem Ausmaß. Nicht schön anzusehen, ermüdend!“

„Schönes Stichwort. Die Anhäufung ermüdet. Ich freue mich auf die spielfreien Tage.“

„Da sagen Sie was, lieber Herr Mahler! Das Flutlicht aus und alle Tore offen! Morgen ist kein Spiel!“

„Hosianna!“

„Übertreiben Sie es nicht! Bis Freitag dann! Schlafen Sie sich aus!“

„Danke schön, Herr von Lippstadt-Budnikowski, desgleichen. Ach: der Tipp noch!“

„Japan und Spanien!“

(Er gähnt und schläft auf der Stelle ein. Herr Mahler folgt seinem Beispiel. Ruhe kehrt ein. Zwei Stunden später: Herr Mahler erwacht: schreckensbleich.)

„Herr von Lippstadt-Budnikowski, um Himmels Willen, wachen Sie auf!“

„Hier bin ich! Sprechen Sie! Was plagt Sie!“

„Ein Alptraum, ein veritabler! Ein das Wohl der Nation gefährdender Alptraum!“

„So sprechen sie doch, ich bitte!“

„Die Merkelin, Kanzlerin auf Abruf, kündigt Ihre Ankunft für den Samstag zu Kapstadt an.“

„Menetekel! Menetekel! Stümperei ante portas! Bad Vibrations! Hängende Mundwinkel! Unvorteilhafte Kostümjacken! Wie kann man dies verhindern? Haben Sie eine Idee?“

„Gauck wählen!“

(Man schläft wieder ein. Gewitter. Unruhige Nacht. Maradona lacht. Herr Mahler spricht im Schlaf.)

“Breakings News: Herr Blatter entschuldigt sich bei England und Mehicho und denkt über Videobeweis nach! Sic!”

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Aus der Tiefe des Raumes, weil WM is’ (4.)

Montag, 28. Juni 2010 7:15

tiefe4

„Wenn ich Sie was fragen dürfte, Herr Mahler?“

„Ich bitte darum, Herr von Lippstadt-Budnikowski!“

„Sind Sie traurig?“

„Keineswegs, denn ich sehe in der Hochstilisierung eines schönen Spiels zur gewonnenen oder verlorenen Schlacht keinen Gewinn, weder emotional noch intellektuell. Sie finden mich eher nachdenklich.“

„Die Fehlentscheidungen?“

„Jawohl. In beiden Spielen des gestrigen Tages. Menschliche Unpäßlichkleit. Eingriffe schwerster Art in Ablauf und Entwicklung des Spieles. Fatal.“

„Glauben Sie denn es gibt Mittel, dies zu verhindern? Oder ist der Fehler, das Drama, die Ungerechtigkeit nicht wesentlicher Bestandteil der Oper um den runden Ball?“

„Wenn gewisse Grenzen der Blindheit überschritten werden, beginne ich an dieser These zu zweifeln. Ich erinnere mich an meine ersten Bilderapparaterfahrungen im März dieses Jahres. Eishockey ist eine höchst spannende und rasante Gelegenheit und es gibt Torrichter. Man sollte es zumindest ausprobieren. Der gestrige Tag ruft förmlich danach. Davon abgesehen, waren die beide Siege hochverdient, der deutsche mehr, der argentinische weniger, wobei: Herr Maradona ist Rock ’n’ Roll, wenn ich das so sagen darf.“

„Ich wiederum gebe zu, ich spiele mit dem Gedanken mir ein Trikot des Herrn Müller anzuschaffen.“

„Bleiben Sie, wie sie sind!“

„Sie sind und bleiben eine Euphoriebremse! Stichwort: Einschätzung der Leistung der Übertragungsgesellschaften?“

„Der Herr ARD bemüht sich, dem Mann aus der Tiefe des Raumes gebührt mein ganzer Respekt. Der hysterische Twen RTL: unerträglich.“

„Beispiele?“

„Klinsmann und Jauch. Ersterer nach den wütenden Protesten der Mexikaner – in diesem Zusammenhang sei noch mal auf die sportliche Haltung von Albion hingewiesen! – als er sagte: „Ich lääbe ja in Kalifornien. Da sind die Mexikaner in meiner Nachbarschaft. Sie lääben aus dem Bauch heraus!“ Wie meinen? Die ganzen mexikanischen Hungerlöhner, die im “Golden State” Rasen mähen, Toiletten putzen und die Gurken sortieren, immer schön aus dem Bauch heraus, oder was? Und wie kommt Herr „Ich bin schon längst Millionär“ Jauch dazu, sich darüber lustig zu machen, daß Maradona sich immer mal wieder bekreuzigte? Relikte unreflektierten und dummdreisten Germanentums. Oh sancta simplicitas! Ihre Erkenntnisse?“

„Staunen mehr denn Erkenntnis. Vier Spiele unseren Nationalen Jugendbande, vier verschiedene Visitenkarten abgegeben. Eine Wundertüte mit der Möglichkeit des Ausschlages nach ganz oben. Furcht vor Argentinien wäre unangebracht! Der von mir nicht immer verehrte Herr Löw tut offensichtlich seine Arbeit. Man folgt ihm unerbittlich!“

„Gegen die Lateinamerikaner ist zu hoffen, daß aus dem Serbienspiel Lehren gezogen werden. Die Engländer haben gestern für ihre Verhältnisse fast körperlos gespielt, dies gebe ich zu bedenken.“

„Aus den Haaren, die sie in jeder Suppe finden, flechten andere Perücken, mein lieber Herr Mahler! Das Flutlicht aus und alle Tore offen! Morgen ist auch noch ein Spiel!“

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Hömma, wat ich grad am denken bin (Folge 9)

Sonntag, 27. Juni 2010 19:37

wm_sieg

Ich sach ma so: Thank you, Albion! Dat erste Spiel, wo die Gesänge dat Getröte übertönen tun. Sorry, Albion! Dat is eine ganz klare Kiste inne Minute fünfundreissig. Und an alle meine Landskameraden inne hitze- und pilsbedingte Euphorie, und an Kai „Das ALO“ Dieckmann ganz besonders, kann ich nur appellieren müssen tun: Rache für Wembley? Lasset sein! Revanchefoul is immer Rote Karte! Inne tiefer gehende Diskussionseinheiten mit meine alte Kumpel und Three-Lions-Anhimmler Archibald wird die Frage nache Notwendigkeit vonne Einführung von Torrichters und Kameras und alle Arten von Gerechtigskeits-Schnickschnack behandelt werden tun. Und hömma: dat war tiefe Sportlichkeit von die alten Herren vonne Insel, die Knöchel von unsere wunderbare Jugendbande nich zu Brei zu kloppen. Kannse Dir vor Deine innere Auge ausmalen, die nich gegebene Hütte gegen Argentinien, Italien un wat weiß ich? Und Mick Jagger musse ersma auffe Tribüne sitzen haben als Supporter. Also fertig mit die alte Schlachtbildmalerei! Getz zurück zur Pöhlerei! Langsam geht et los! Da bisse am denken, dat dauert, dat wird zäh! Dann haut der Neuer dat Ding anne gegnerische Strafraumgrenze: und, wat soll ich saren: ne, dat kann nich dat Gespenst M.K. gewesen sein, dat is seine Clon vonne letzte WM, Ellenbogen raus und: ZACK! Hütte gemacht im Fallen! Glaub ich dat! Dat is Zeitreise pur! Zenklose is back! Der Werbeprinz kurz danach mit Scheuklappe fürre Nebenspieler. Befürchtungen! Et wogt. Doppelpaß germanisch, Latte angelsächsisch. Und dann: ich sach mal so: Wo Müller draufstehn tut, is großartige Pöhlerei drin! Wat ein Paß, un der linke Fuß vom allzu oft im Eigensinn verhafteten Herrn Podolski sei hiermit gepriesen. Freude praecox inne Mannschaft und in die Reporterkabinen und inne Folgerichtigkeit: Boateng un der vorzügliche Herr Neuer sind eine grobe Verschätzung am produzieren tun. Un der Herr Schiedsrichter im direkten Anschluß dito! Kannse Gebete für anne nicht vorhandenen Fußballgötters senden! Pause und: Herr ARD, kannse mir mal erzählen tun, wat dat Blondie vonne Fanmeile, wo die hysterischen, geschminkten Teilzeitfussies am kollabieren sind, mit die Pöhlerei zu tun hat? Halbzeit zwei is für et Nervenkostüm eine Prüfung inne erste Viertelstunde. Albion rollt! Und wie hat et der Herr Kommentator Simon (Ich sach mal so: Weniger is mehr!) ausgedrückt: „Der Ball senkt sich wie ein Stein aufs Aluminium!“ Hömma Steffen, der Preisträger vonne Lesetage in Klagenfurt is am feststehen! Dann die zehn Minuten, wo ich inne komplette Fassungslosigkeit verharre und sage: Herr Arne Friedrich, wat Sie seit die Duell gegen die Ghanaer an Leistung inne germanische Strafraum zaubern, dat is kurz vor Kohler! Der Rest: Thomas Müller! Thomas Müller! Und der Neuer hält et fest. Bewegungen allenthalben! Rein oder Raus? Raus und Rein? Wer is dat? Gomez? Kießling? Rooney kann dat nich gewesen sein! Abpfiff! Da bleibt Erinnerung haften. Der Hitze geschuldet un den nachmittäglichen Pilsken: dat Schlußwort dem Herrn Podolski: “Die Brust ist erstmal da!” Dat will ich doch hoffen! Auf innet Finale! Auch wenn et dann die Frau Merkel un der Herr Niedecken sind, die die prominenten Sitzbänke besetzen tun werden.

Also: Schicht im Schacht und ich danke Sie für heute. Et grüßt Euren „Lütten Stan“

Thema: Hömma, wat ich grad am Denken bin | Kommentare (2) | Autor: Christian Lugerth

Aus der Tiefe des Raumes, weil WM is’ (3 Lions)

Samstag, 26. Juni 2010 11:56

tiefe10

“Is it allowed, to ask you a question, Mister Mahler!“

“You’re welcome. Please go ahead, my dear Duke of Lippstadt-Budnikowski!”

“So, are you nervous?”

“No. Not a bit!“

„Have you been practicing penaltys lately?“

“Stupid question. You boring me!”

“I guess, you slept quite well!”

“Surely, I did. But I have to confess, I had a monstrous dream!”

“Would you like to share your dreams with us!”

“I dreamt about the finale!”

“Oh, quite interesting. Who were the participants?”

“Don’t laugh, please, but the game was North Corea versus South Corea.”

“So, who became the world champion in your soccer-dreamland?”

“Nobody! Even during the extra-time none of the teams succeeded to score. So they started the penalty-shootout. And it’s still going on. When I decided to wake up, the score was 59 to 59.“

“I sounds like you suffering from a serious case of fever pitch.”

“That’s what I’m afraid of.”

“Will you bet on an english victory?”

“I have to!”

“Why?”

“I don’t know. They didn’t play quite well up to now, their coach is a horrible italian, the only title, they ever won, came to pass by an invalid goal and Mister Beckham is a gas! So what! But, I have to admit, it’s kind of a  juvenile dream. Hard working, smoking and drinking dirty white man kick and rush away all soccer-science, high-tech fitness-programms and intellectual idle talk about that primitive and a little bit stupid game called football.”

“The sleazy man should beat the sniffy boy, you say?”

“That’s what I hope!”

“But, aren’t you a German Bear!”

“Not at all. I’m from Kamschatka near Wyoming. Let me ask you, what’s your favorite team?”

“El Tri.”

“Pardon me?”

“Mehicho!”

“Why?”

“That’s a whole different story. Switch off the floodlight and all the goals wide open. Tomorrow there will be an other game!”

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Aus der Tiefe des Raumes, weil WM is’ (2.)

Samstag, 26. Juni 2010 0:21

tiefe3

„Wenn ich Sie was fragen dürfte, Herr Mahler?“

„Ich bitte darum, Herr von Lippstadt-Budnikowski!“

„Sie kamen ja recht überraschend zu ihrer neuen Aufgabe. Hatten Sie Zeit sich etwas vorzubereiten? Ein Trainingslager?“

„Riechlesen des richtigen Buches. Peter Esterhazy!”

„Peter wie? Osterhasi?“

„Scherzkeks! Ich zitiere: ‚Schau ein Spiel nie so nebenbei an, abschätzig, als wärest Du zum göttlichen Mahl geladen und stocherst nur mit der Gabelspitze in der Speise herum. Sieh dir das Match elegant an, generös. So, als schautest du dir in der Todeszelle dein letztes Spiel an, das dir der Wärter gestattet hat. Als ginge es um Leben und Tod.’ Ich frage Sie: Ist es so schlimm?“

„Manchmal schlimmer! Jedoch, was war für Sie die gute Nachricht des gestrigen Tages?“

„Michael Ballack!“

„Verzeihung, aber er weilt nicht in Südafrika!“

„Lieber Herr von Lippstadt-Budnikowski, zwar ist Ihr Wissensvorsprung in Sachen – wie Sie es nennen – Große Pöhlerei Festspiele ein immenser, dennoch bin ich – Ihrer Diktion folgend – kein Vollpfosten. Selbstverständlich seine Rückkehr nach Leverkusen. Die vernünftige Entscheidung eines vernünftigen Spielers, der meist einen – lassen Sie mich es metaphorisch beschreiben – Spielstil des geschlossenen Hosenschlitzes pflegte. Ostschule, mannschaftsdienlich, effektiv, allerdings oft mit einer gewissen Tragik behaftet. Ich wünsche ihm Glück.“

„Ich stimme zu. Für Sie die schlechte Nachricht des Tages?“

„Joachim Löw.“

„Weshalb? Er hat, soviel ich weiß, nicht vor, Gomez in die Startformation gegen England zu beordern!“

„Andere Baustelle! Seine Diktion. ‚Die jungen Spieler gingen durch ein Stahlbad!’ Das – um es flapsig auszudrücken – geht gar nicht. Man spielt ja nicht in Kunduz oder Bagdad. Schwere Verfehlung!“

„Sie sind streng!“

„Ich will doch schwer hoffen! Ach, ich vergaß: natürlich noch die Spieler der Schweizer Nati!“

„Präzisieren Sie!“

„Was diese Agoniekicker dem Gesicht des hochgeschätzten Herrn Hitzfeld an Schatten und Falten zugefügt haben, geht auf keine Appenzeller Kuhhaut!“

„Chapeau! Ihre Frage?“

„Sehen Sie einen Favoriten nach Abschluß der Vorrunde?“

„Der nächste Weltmeister spricht spanisch!“

„Diesseits oder jenseits des Atlantiks?“

„Vamos a ver! Aber portugiesisch spricht er nicht! Weder diesseits noch jenseits des Atlantiks. Ya veras!“

„Herr von Lippstadt-Budnikowski, sie überraschen mich! Verbales Florett!“

„So soll es auch bleiben. Das Flutlicht aus und alle Tore offen! Morgen ist auch noch ein Spiel!“

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Aus der Tiefe des Raumes, weil WM is’ (1.)

Freitag, 25. Juni 2010 6:41

fragen_antworten

„Wenn ich Sie was fragen dürfte, Herr Mahler?“

„Ich bitte darum, Herr von Lippstadt-Budnikowski!“

„Was hat Sie letztlich dazu bewogen, meinem Vorschlag zuzustimmen, uns bis Mitte des nächsten Monats regelmäßig zum Gedankenaustausch zu treffen?“

„Die Macht des Faktischen. Bälle, Tröten, Wimpel, wohin man schaut und riecht. Kein Raum, kein Ruhe für die Verfertigung anderen Gedankenguts. Astra. Licher. Ruppaner. Und letztlich ihr gestrecktes Bein, welches am gestrigen Tage meinen Allerwertesten in etwas übertriebener Härte touchierte!

„Dies verzeihen Sie bitte, ich habe mir schon selber die Gelbe Karte gezeigt!“

„Das heißt, Sie sind für die morgige Fragestunde gesperrt? Gute Nachrichten gleich zu Beginn!“

„Da täuschen Sie sich. Dazu benötigt es eine zweite Karte und ab nächste Woche ist diese sowieso hinfällig. Erläutern Sie doch bitte dem Leser ihr Konzept!“

„Gibt es nicht!“

„Und ihre neue Haarpracht? Spekulieren Sie da auf eine Nachfolge?“

„Aus der Tiefe des Raumes kommt und kam nur einer. Was die kleine Veränderung meines Aussehens betrifft: sie erinnert mich daran, daß ich mich auf neuem, unerforschtem Gelände bewege. Man hält sich manchmal fest an der Äußerlichkeit.“

“Was fällt Ihnen auf? Von außen? Ein erster Blick?“

„Dauer des eigentlichen Ereignisses Neunzig – oftmals endlose – Minuten. Jedoch davor und danach unendliches bedeutungshuberisches Getöse, Gemunkel und Gemurmel. Verwissenschaftlichung und Verwässerung alter Rituale.“

„Fußball spielen und singen, läßt sich nicht erzwingen!“

„Von Ihnen? Respekt!“

„Nein, von Jörg Berger! Gott habe ihn selig!“

„Herr von Lippstadt-Budnikowski, ihre fachmännische Meinung zur Heimreise der zwei größten Mittelmeeranrainer?“

„Fußball aus der Mottenkiste. Nicht ist vergänglicher, als der Ruhm vergangener Tore. Und: wer von größenwahnsinnigen Politzwergen regiert wird, hat es nicht anders verdient!“

„Ich befürchte in diesem Zusammenhang schlimmstes für das sonntägliche Achtelfinale!“

„Das haben Sie gesagt. Das Flutlicht aus und alle Tore offen! Morgen ist auch noch ein Spiel!“

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Hömma, wat ich grad am denken bin (Folge 8)

Donnerstag, 24. Juni 2010 8:42

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Ich sach mal so: vielleicht sind et die meteorologischen Daten: fünf Grad in Johannisburg un rabenschwarze Nacht. Dat is kein Spaß  und also isset nich weiter verwunderlich, wenn sich die Pöhlerei von unsere Nationale Jugendtruppe wieder anne gute alte germanische Tradition erinnern tut und dat macht, wat sie kann: malochen. Nix mehr mit die Balltretkunst vonne Gala gegen Arminia Australien oder zumindest spielerische Ansätze wie beie verdiente Niederlage gegen Eintracht Serbien. Dat Ganze erschöpft sich in zwei lichte Momente von unsere gelsenkirchenstämmigen Mesut, wobei die Vergeigung vonne erste Chance schon gomezoid war. Dat, nur nebenbei, war eines von meine Highlights, dat der Herr Gomez draußen vor geblieben war. Nee getz mal ehrlich: dat Betrachten von die Partie: dat war Maloche pur. Ersmal fängt et damit an, dat eine schwachmatige Hiphop-Combo mit die üblichen Insignien vonne coole Männlichkeit anne Jacke durch eine Hometown rennen tut und dummdreiste Reime über die Pöhlerei zu billigste Rhythmen singen tut. Herr ARD, können wir dat bitte lassen? Dann erzählt Dir jeder Jungpöhler inne überflüssigsten Interviews inne Geschichte der Menschheit, dat er „focussiert“ is und dat der Zweifel nicht im Herzen wohnt, der Siech sicher gebucht und sonst wat an Larifari. Hamm die keine eigene Wortschätze mehr inne Labbertasche? Überall Orakel, Weißsagerei. „Kannse im Gesicht vom Müller schon wat sehen tun, ob er seine Gelbe Karte inne erste oder zweite Halbzeit abholen tun wird?“ Gott sei Dank gibbet noch Herrn Netzer, der dann sacht, dat Pöhler, die aussem Bus aussteigen eben ausehen tun, wie Pöhler, die aussem Bus aussteigen tun. Dann geht et los, wat übereifrig, der Werbeprinz hat wie immer seine energische erste Viertelstunde und dann is er sich am unter die Grasnarbe begeben, in et kölsche Versteck. Khedira rast los und nach zehn Minuten überlegt er et sich anders und bleibt konsequent wech von die Pille. Nur der einsame Herr Schweinsteiger gibt den Capitano un is am rennen, bis der Oberschenkel platzen tut. Der Rest trägt die Parole auffe Brust „Wir haben keine Angst, aber die Hosen voll!“ Der Kommentator is den Gegner am klein reden, weil er wohl hoffen tut, dat dat dat Spiel von die Unseren beflügeln könnte. Dat ging inne volle Hose. Dat Team von Ghana unter die Leitung von einem sehr dezenten Kevin Prince B. – Nix war mit die herbeizitierte Brüderkämpferei! Schade, Herr Kai Dieckmann, Du Vollpfosten!– hatte nur einen Fehler, allerdings vonne fundamentale Prägung: leider keine Hütte gemacht! Vielleicht sollten sie auffe Trainingsplätze auch dat ein oder andere Tor aufstellen und die Spielers anweisen, dat Runde innet Eckige und so weiter. Ansonsten is dat gepflechte Pöhlerei, wat die anbieten. Und et hat Gott sei Dank knapp gereicht für die Letzten von Afrika. So getz geht et gegen die Freunde von die Insel und da können die ersten Übungen für  die Elfmeterschießerei schon mal eingeläutet werden, Herr Bundestrainer. Und noch wat, und da brauch ich gar nich inne detailierte Beschreibung hineingehen. War dat der dritte Torpfosten, oder war dat der Herr Mertesacker, von wo die Pille in Permanenz unkontrolliert innet Spielfeld zurück am springen war? Dat waren vielleicht Schmerzen! Aber, Butter bei die Fische, dat Nivea von die Großen Pöhlerei Festspiele is bis getz auf erschreckende Niedrigkeit un die Chancen von unsere Herren Nationale Jugendtruppe bleiben in intakte Form. Und natürlich is man weiterhin „focussiert.“ Kär, Kär, anstrengend is dat schon.

Also: Schicht im Schacht und ich danke Sie für heute. Et grüßt Euren „Lütten Stan“

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Der Bär ist zurück, doch es fehlt noch ein Stück

Mittwoch, 23. Juni 2010 11:59

see_nachlese

Das Denken nach der Heimkehr von einer Reise ist per se immer ein rückwärtsgewandtes. Archibald schloß die Augen und ließ den Vorführer den Erinnerungsfilm abspulen. Was hatte ihm am besten gefallen? Unten am See? Der kleine, knarzende Tanzbär namens Zimmermann? Die Begegnung mit den zwei ungestümen Artgenossen? Die Fahrten mit Ernst Alberts knatternder und heulender Zweiradhöhle? Das Fischerboot auf der reichen Au? Die fassungslos jubelnden Aufrechtgeher im Nachbarland nach ihrem Sieg gegen die angeblich Übermächtigen? Der dicke Hintern der sich über der Hafeneinfahrt um sich selbst Drehenden? Nein, all das war schön, sehr schön sogar, aber am aller, aller schönsten hat ihm gefallen sein Platz auf dem orangenen Rettungsboot dort vorne auf dem Zipfel, wo das Heckerland beginnt. Und da, beschloß er nun, wollte er noch eine Zeit nachsinnend verweilen. Und auf die nachkommende Seele warten.

Er wurde gestört. Die Welt da draußen sandte einen Boten. Ein stechender Geruch drang ein in seine empfindliche Nase. Da war sie wieder: die ANGST. Heute eine noch nie gerochende Form der ANGST, heute: die ANGST VOR DEM AUSSCHEIDEN. Das erschien Archibald Mahler, keineswegs Fanbär, etwas übertrieben. „Schicksalhaft! Katastrophe! Blamage ante portas!“ So raunte und knisterte es allenthalben. Werden geschminkte kleine Mädchen wieder weinen müssen? Wohin dann mit den an den stinkenden Blechmilben befestigten schwarzrotgelben Stoffservietten? Wer grillt, grölt, trötet und hupt dann noch bauchnabelfrei? Der Bär roch, wie um ihn herum ein Land in Panik verfiel. Ein ketzerischer Gedanken befiel ihn. Wäre es nicht eine große Geste eines immer noch sehr reichen Landes, den Vertretern eines armen kleinen Landes dieses schwarzen Kontinents, der Jahrhunderte von den weißen Aufrechtgehern ausgeblutet, ausgebeutet und geknechtet worden war und auch heute noch nicht völlig ernstgenommen wurde, den Vortritt zu lassen?

Herr Reinhard Kuno Theophil „Stan“ Lippstadt-Budnikowski zu Datteln hatte sich von hinten herangeschlichen. Mit dem Schwung eines Fußes von der Elfenbeinküste trat er Archibald in den Bärenpöter. „Hommä Kumpel, geht dat noch? Iss dat Deine Ernst? Pöhlerei hat mit die weltpolitische Ungerechtigkeit nix anne Backe. Aber auch gar nix? Is dat gegessen, Du philosophische Heiopei! Stör mich nich inne Präparation mit Deine Verirrungen! Nix für ungut! Tschüßkes!“ Weg war er. So sind sie, die Herren Fans. Das war ihm dann doch zu anstrengend, dem Archibald. Er schloß wieder die Augen und roch an den Fetzen seiner Erinnerung. Leise plätscherte der See ans Ufer, Schilfgras rauschte, ein Bleßhuhn schwamm vorüber und schnatterte, in der Ferne grüßte das Signalhorn eines Ausflugsdampfers. Der Säntis winkte über den See. Er würde hier auch noch nächstes Jahr stehen. Ausscheiden sollen andere. Und an den Ufern des Bodensees machte sich Archibalds Seele daran, den Heimweg anzutreten, nach Hause in die kleine häßliche Stadt in Mittelhessen. Gute Reise und hetze nicht!

Thema: Im Heckerland, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Lenk I? Lenkscht Du? Lenkt wer? (Prinzip KN)

Dienstag, 22. Juni 2010 8:51

lenk1Abschied von der kleinen reichen eingebildeten Stadt. Festes Ritual immer ein letzter Blick auf das, was die Stadt wirklich reich macht, den See. Seine Weite. Sein Licht. Seine Farbenspiele. Das vergessen die lokalen Leichtgebücktgeher gerne und widmen sich lieber intensiv dem Studium der neuesten Gewerbesteuereinnahmen. Ein eiskalter Wind wehte über das Wasser. Archibald dachte, daß Herr Lenz sich genauso schoffel verabschiedete, wie er gekommen war, dieses Jahr seiner Aufgabe in keiner Weise gewachsen. Setzen: Sechs! Und was drehte sich da hinter seinem Rücken, in leichtem Gewand, üppig bearscht und gebrüstet? Ist es Fräulein Else Sommer, gekommen die Wärme und den lang ersehnten Wandel zu bringen? Offensichtlich nicht. Letzte Worte des Fremdenführers E. A. „Imperia“ nenne man dieses Mordsdrum von Weib. Vor sechshundert Jahren bald trafen sich in dem mit Holzschindeln verkleideten alten Kaufhaus die Kirchenfürsten der damaligen Welt zu einem Konzil. Sie brauchten vier Jahre, bis sie sich drauf einigten, wer denn nun der Stellvertreter des Herrn auf Erden werden solle. Und um zu verhindern, daß  sie sich in dieser langen Zeit nicht nur der Sauferei hingaben und besoffen an den Meßdienern herumfummelten, sandte man nach einer namhaften Puffmutter aus Rom und bat sie mit ein paar professionellen Damen gen Constantia aufzubrechen. Die Dame hieß Imperia. Und Peter Lenk fand, man sollte ihr ein Denkmal setzen. Und es drehte und drehte sich, dieses Monument, immer um sich selbst, wie das die Aufrechtgeher halt gerne machen. Und es grüßte die Gäste, die kamen, vom See.

lenk2Immer wenn Peter Lenk der Seehasenstadt ein Kunstwerk vermacht, gibt es feste Rituale: Empörung, Aufschrei, Leserbriefe. An vorderster Front, mit dem meisten Schaum vor der kommentierenden Lippe, das lokale Blättchen namens SÜDGESCHMIER. Doch fahren wir den moralischen Zeigefinger nicht allzu lang aus, wer schaut schon gern in den Spiegel und beklatscht seine eigene Häßlichkeit, auch wenn der Spiegel lediglich ein Kunstwerk ist. Archibald dachte sich nur, der Mann liebt wohl gigantische Ärsche. Vielleicht war er mal mit einer Bärin zusammen gewesen. Ihm gefiel das. Rechts und links des Brunnens rasten die Blechmilben durch die Stadt. Der Fremdenführer E.A. sprach. Damals, als es auf den Straßen noch etwas ruhiger zu ging, standen hier in langen Reihen Kastanien, unter den mächtigen Bäumen mehrmals in der Woche Markt. Bauern von  der Gemüseinsel, von der Höri, vom Bodanrück. Heute die Bäume gefällt, der Markt in der Vorstadt oder auf einem baumlosen Parkplatz und das Gemüse biobio. Deshalb strecken die Figuren auf dem Brunnen den Vorbeirasern die Zunge raus oder zeigen ihnen den Allerwertesten. Und das kann der Lokale nicht auf sich sitzen lassen. Dann aber kommt der Tourist, pilgert zu den Denkmälern, bestaunt sie, photographiert sie. Aaah und Ooohs! Druck erster Postkarten. Neue Wahrzeichen der Stadt. Kassen klingeln im crescondo. „Also wosch, i honn scho immer geseit, die Imperia, des hotts no braucht. Mal was anderes, oder it?“ „Der Brunnen der isch, Kunscht isch halt au, wie soll ich segge, was Neues halt. Oder it? Also, des muß mer derfe könne. Wa? Drei Poschtkarte mit der Imperia? Und des Buch über de Lenk! Fünfezwanzg Euro sind des!“

lenk3Der Zug stand auf dem Gleis und wartete auf die zwei Reisenden. Ein kurzer Blick noch auf das neueste Skandalon, welches der Herr Lenk den Seehasen ins selbstgerechte Nest gelegt hatte. Der Abguß einer der zwei Figuren, welche hoch oben über der Hafeneinfahrt auf den Händen des sich drehenden Lustweibes sitzen. Ob das Robert Zimmermann sei, fragte Archibald. Wie er bitte darauf komme? „Der sieht so aus! Ein kleines lustiges Männchen, dem man auch ein Denkmal setzen sollte! Deshalb!“ „Mein lieber Genosse Bär, ach hätte meine alte Heimatstadt nur Deinen Humor! Foto?“  “Yep!” Und Ernst Albert kaufte noch am Bahnhofskiosk eine Zeitung aus seiner Neuen Heimat und begann zu lachen und zu lachen. Warum? Deshalb! Sie lernen nie, hier unten, nie! Trotzdem, er liebte sein gutes altes Constantia und viele gute Menschen, die hier wohnen. Ein leises Winken und bis zum nächsten Mal. Der Zug rollt an. Archibald summt ein Lied des Herrn Zimmermann vor sich hin. „Because something is happening, and you don’t know what it is, do you Has from See?“ Natürlich ist Herr Archibald Mahler, Bär auf der Rückkehr zum Brandplatz, auch des Englischen mächtig. Zweifelt wer?

Thema: Im Heckerland | Kommentare (2) | Autor: Christian Lugerth

Zu Dornbirn besucht Archibald den Herrn Zimmermann und ist beeindruckt

Montag, 21. Juni 2010 15:44

dylan1Da war er schon stolz. In Begleitung dreier ehrenwerter Gesellschafter der alten Markgrafenbande aus der kleinen reichen eingebildeten Stadt ins benachbarte Vorarlberg zu reisen, um Herrn Robert Zimmermann zu erleben. Die Haare der Reisegruppe ergraut und das Auto – wie die Abdomen – etwas dicker geworden als anno dunnemals Mitte bis Ende der Siebziger. Die Stimmung jedoch die gleiche. Frühes Bier, indische Heilkräuter und dezent alberne und euphorische Vorfreude auf den Meister. Archibald fühlte sich ausgesprochen wohl. Man hatte ihn sehr freundlich begrüßt. Alle dummen und gescheiten Sprüche der Troika verstand er nicht, aber er spürte durchaus, wenn Aufrechtgeher guter Laune sind und es ehrlich miteinander meinen. Und die Lieder, die aus den Lautsprecher knarzten, sie waren ihm vertraut. „My woman got a face like a teddy bear / She’s tossin’ a baseball bat in the air / The meat is so tough you can’t cut it with a sword / I’m crashin’ my car, trunk first into the boards.” Keine Sorge: keine Unfälle. Die Betonpiste des Nachbarlandes, das soeben die Spanier besiegt hatte, wurde vignettenfrei befahren. No risk, no fun! Dornbirn erreicht. Unverschämte acht Grad plus vor Ort, Dauerregen und die umliegenden Berge im feuchtkalten Nebel. Na und? Nichts trübt die Laune auf dieser kleinen Zeitreise.

dylan2Eine Reise zurück in eine Zeit, welche beim Betreten der Halle fröhliche Urständ feiert. Kaum Einlaßkontrollen, Fotoapparate erlaubt, nur kein Blitzlicht bitte, die Bühne an der Längsseite der sehr überschaubaren Halle, größtmögliche Zuschauernähe, keine feste Bestuhlung, man kann sitzen oder stehen und bezahlt doch einen Preis. Einige “VIP’s” blicken mit häppchenverklebten Fingern von einem Balkon aus schräg runter auf die Bühne: Peching! Bierstände im Innenraum, viele Bierstände, keine Schlangen davor und drei Taler zwanzig für ein großes, gut gezapftes Getränk, unter den Rauchverbotschildern blitzten die ersten Feuerzeuge auf und bald ziehen süßliche Rauchschwaden durch die Halle. „Once upon the time!“ Lob, Gruß und Dank an die Veranstalter. Vorfreude wurde hier nicht durch kranken Kontrollwahn bombardiert. Pünktlich wie immer: “Columbia recording artist  B.D.” Und Archibald ist fasziniert. Ein kleiner dünner Bär, ein kleiner dünner, sehr gutgelaunter Tanzbär springt auf die Bühne. Neunmal steht er hinter seinem elektrischen Pianoforte, dreimal schultert er die Gitarre und viermal – und das ist der Moment, in dem Archibald sich in ihn verliebt – steht er im Zentrum der Bühne, nur das Mikrophon in der einen, eine Mundharmonika in der anderen Hand. Alle Kraft und alle Konzentration legt er in seine Stimme. Er knarzt, gurgelt, wütet. Er zerpflückt, zerlegt, streichelt die Worte. Fügt zusammen den Sinn. Alle Lieder, die Archibald schon öfters in Ernst Alberts Höhle gehört hat, sie beginnen zu wachsen, zu fliegen, zu glitzern und  zu tanzen. Sie tanzen über den Köpfen der begeisterten Menge, sie tanzen wie dieser mit der Mundharmonika ins Publikum winkende Mann in seinem hellgrauen Südstaatenanzug mit den obligatorischen Seitenstreifen an der Hose. Und hast Du nicht gesehen: er grinst, er lächelt! Flirtet er mit dem Publikum, welches seine Lieder auf Händen durch den Abend trägt? Vor ihm kniet gelegentlich der leitende Gitarrist und feuert den Tänzer an, treibt dessen Stimme an, zieht sich zurück, um die Stimme wieder in Empfang zu nehmen. Call und Recall auf höchster Ebene. Der Mann in Schwarz mit der wummernden Gitarre fördert und fordert den  Sing-  und Tanzbär! Und beim letzten Lied – Das spiele der Meister fast nie am Ende, ließ Ernst Albert, der alte Fachmann, verlautbaren! – da hatte Archibald feuchte Augen, falls ein Bär überhaupt weinen kann und nicht doch die indischen Heilkräuter die Bindehaut gereizt hatten. „May God bless and keep you always / May your wishes all come true / May you always do for others / And let others do for you.”

dylan3Auf der Rückfahrt wurde wenig gesprochen. Es war, da herrschte Einigkeit, eines der richtig guten und beseelten Konzerte des Meisters. Man war beglückt, bekifft, trunken. Nur der wackere Chauffeur nicht! (Danke an Arno für das Anhalten im rechten Moment!) Ein schöner Ausflug in Zukunft und Vergangenheit. Never ending tour! Zu Hause ein Absacker, noch mal singt der Meister, Archibald schlummerte ein und Ernst Albert notierte die Eindrücke des nun gestrigen Abends. Ihm war aufgefallen – Man notiere: Dylan zu interpretieren liegt ihm mehr als fremd: dennoch! – daß der Meister in die Mitte des Abends einen fast politischen Schwerpunkt gesetzt hatte. Ein wütender, teils zynischer, dann wieder gelassener Kommentar zu Finanzen, Banken, Ölpest und der ständig weiter wachsenden Schere zwischen Reich und Arm. Ein von Herrons Banjo voran getriebenes, entspannt stampfendes „High Water“. Hier kommt die Flut. Es folgt „Desolation Row“, unterlegt von einem Riff, das sich permanent im Kreise dreht, Rummelplatzmusik. Nichts ändert sich, Schemen und irreale Gestalten bevölkern den heruntergekommenen Planeten. Und dann – einer der absoluten Höhepunkte aller bisherigen zehn Konzertbesuche des Herrn Ernst Albert – Dylan ohne Instrument, alleine am Mikrophon und ein wütend ausgespucktes „Ballad of Hollis Brown.“ Sie nehmen den Armen nicht nur ihr letztes Hemd, sondern auch ihre Würde. Und wenn ihr Spaß dran habt, ihr vollgefressenen verwöhnten Lümmel, bringt ihr eine Hungerleiderin einfach um, kommt ungeschoren davon. „The Lonesome Death of Hattie Carroll”.  Jedes einzelne Wort spuckt er fast verächtlich aus. Nehmt die Lumpen aus Eueren Gesichtern! Eure Krokodilstränen interessieren die Verhungernden und Entwürdigten nicht. Schlußpunkt dieser kleinen Serie ein lautes und von dem großartigen Charlie Sexton wütend in die Saiten geknalltes „Honest With Me.“ Der Sänger kann seine tiefe Enttäuschung kaum verhehlen und er kämpft mit sich um ein Stück letzte Hoffnung. „Well, my parents they warned me not to waste my years / And I still got their advice oozing out of my ears / You don’t understand it, my feelings for you / Well, you’d be honest with me if only you knew.“ Später der sentimentale – und das darf sein – Abgesang:  “Workingman’s Blues # 2”. Die Gesellschaft ist eine andere geworden. Und als das alles kaum mehr zu toppen ist, mutiert er zu einer Art zynischen Frank Sinatra, stellt sich mit seiner Harp in die Mitte der Bühne und croont ein „Ballad Of A Thin Man“, daß sich draußen die Nebelwolken lichten und der Hausberg der Lokalen, der Karren, sichtbar wird. Und das war wirklich so. Ernst Albert hat es gesehen! Ein faszinierender Abend. Archibald erwachte aus seinem Schlummer. „Ernst Albert?“ „Ja?“ „Wann fahren wir wieder heim?“ „Weshalb?“ „Weil hier nur eine Zimmermannplatte ist. Ich muß mehr Zimmermannlieder hören!“ „Bald fahren wir wieder heim! Bald! Schlaf gut und: May your heart always be joyful / May your song always be sung / May you stay forever young / Forever young, forever young / May you stay forever young!” Danke Dornbirn! Danke Meister!

Thema: Im Heckerland, Robert Zimmermann | Kommentare (6) | Autor: Christian Lugerth