Beiträge vom August, 2019

Hoy und Woj / Der Osten / Und Gundi hilft XI

Samstag, 24. August 2019 16:07

hoywoy21

Auf der eben noch ordentlich durchnäßten kleinen Terrasse vor der überschaubar großen, freundlichen Pension am Rande des Waldfriedhofs entspinnt sich ein vorläufig letztes Gespräch der Genossen Hoy und Woj vor Ort.

„Psijasel Bär, Sie blicken sehr nachdenklich!“

„Es regnet!“

„Aber das ist doch gut. Da freuen sich die Kiefer und der Sand.“

„Und die örtlichen Feuerwehren auch, Brigader Lampe!“

„Reisen wir nun ab?“

„Wir machen erstmal Feierabend!“

„Unser Wochenende wird länger als ein Sonntag?“

„Befürchte es!“

Schweigen. Regen plätschert. Wind bläst ins Geäst. Ein letzter Schnaps fällt ins Glas. Ernst Albert klampft ein Lied.

„Da denke ich oft drüber nach, wie es ist, wenn der Riß durch die Familie geht, Freund Woj! Schweige dort alles Ideologische. Hier wohnten doch die vom Westen so lauthals besungenen Brüder und Schwestern.“

„Ach, Meister Hoy, Sie wissen doch von der Lieblingsmarotte der Aufrechtgeher namens Vergeßlichkeit. Mögen Sie die – vorläufig – letzte Zuflüsterung von Gundi hören?“

„Towaris Lütten Stan; darum bitte ich!“

„Also: ‚Heimatanalyse II (Schrauben): Ich schreite nun zum systemanalytischen Versuch Heimat zu definieren. Es ist ja schwierig, nicht? Da ich in einem technischen Beruf arbeite, erkläre ich mir immer alles technisch. Also, ich glaube ich komme aus, komme aus einem Schraubenkasten, da stand drauf: Mit Linksgewinde. Und vor zwei, drei Jahren wurden wir alle umgeschüttet aus dem einen Kasten in einen anderen, da stand drauf: Mit Rechtsgewinde. Es ging die Legende in dem neuen Kasten ginge es lustig zu und der Terror hätte ein Ende. Weit gefehlt! Weil in dem Kasten mit Linksgewinde galt immer noch: Die Gedanken sind frei. Wir mußten uns zwar einspannen und das Gewinde wurde einem aufgedrängelt, aber wir konnten dabei immer noch mit den Zähnen knirschen. In dem Kasten mit Rechtsgewinde erwartet man ein hohes Maß an Eigenrotation von uns, wenn es dann ans Gewindeschneiden geht. Die Sache mit dem von den einen Kasten in den anderen ist so ähnlich wie vom Regen in die Traufe. Das schönste ist die trockene Sekunde dazwischen. Als ich sozusagen auf der Kante zwischen den beiden Kästen saß und überblickte erstmals den Kasten aus dem ich kam und konnte noch sagen: Na ja!! Und überblickte letztmals den Kasten in den ich gleich fallen sollte und konnte noch sagen: Na ja!! Das also war die kenntnisreichste Sekunde meines Lebens. Deshalb sollte sie auch möglichst kurz gehalten werden von Seiten des großen Umschütters. Aber weil ich clever bin und in einem technischen Beruf arbeite, habe ich mir Notizen gemacht, die ich immer zum Vortrag bin, wenn ich in Erkner bin.’ Also das mit Erkner kapier ich nicht, aber ein philosophischer Geist isser, nu?“

„Gewiß. Wissen Sie, was ich gelernt habe hier zwischen den Platten?“

„Leg auf!“

„Blödhase, bleiben Sie ernsthaftig!“

„Verzeihung, Zähne auseinander, Sensibelfell!“

„Sie wissen, wie lange ich haderte, ob ich nun aus Kamschatka oder Wyoming stammel… Verzeihung… stamme?“

„Oh ja! Und?“

„Ich beantrage einen Reisepaß, der Kamschatka als meinen Geburtsort ausweist!“

„Dann iss aber Schluß mit Kalifornien und Brötchen mit Fleischklops!“

Fischbrötchen sind eh leckerer! Lassen Sie uns noch mal an den Grabstein! Danken wir dem Geist, der Sie beflüsterte!“

„Und wann geht es weiter? Wir sind noch lange nicht zu Ende!“

„Noch lange nicht. Gewiß!”

„Wer liegt da neben Gundi?“

Ein guter Mann!“

hoywoy22

Thema: Hoy und Woy und Gundis Geist | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Hoy und Woj / Der Osten / Und Gundi hilft X

Donnerstag, 22. August 2019 16:42

hoywoy19

„Das ist ja ein brutaler Anblick!“

„Möchte meinen fast monströs!“

„Heute, gestern und morgen in Beton gegossen, lieber Hoy! Oder?“

„Schon, denn das ist was der „Wessi normale durchschnitticus“ mit dieser Stadt verbindet: 1991. Und in, um und um diesen Gigantenriegel herum fand es statt, das Unerfreuliche.

„Jetzt wird das Monstrum plattgemacht?“

„Rückbau, mein Freund, Rückbau!“

„Ach, das war es, was mir der Geist des Gundi gestern zur Nacht auch noch flüsterte:

‘Vor fünf Jahren habe ich mal ein Buch gelesen. Das war von Stephan Hermlin und hieß Abendlicht. Und ein Satz aus diesem Buch geht nicht mehr aus dem Kopf und dieser Satz hieß: Ab einem bestimmten Alter sind alle Wege, Wege nach Haus. Nu weiß ich nicht, ob ich schon in einem bestimmten Alter bin, aber auf alle Fälle habe ich das Gefühl, mich auf einer Wendeschleife zu befinden. Und wenn man wieder nach Hause will, muß man ja wissen, wo man zu Hause ist. Also muß man für sich Heimat definieren. Das kann man möglicherweise in zwei Richtungen tun. Einmal eine lokal – territoriale Variante und einmal eine systemanalytische. Das ist natürlich wesentlich schwerer, deshalb versuche ich es erstmal mit einer lokal – territorialen Variante. Ich komme aus einer Stadt, die in die Schlagzeilen gekommen ist. Diese Stadt hat mich gebacken. Und die Nachrichtensprecher sagen immer Hoyaswerdaa, die die Stadt lieben, sagen Hoywoy.’

Nachdem ich dies gehört hatte, dachte ich, schon sehr seltsam, daß man sich gerne an das intensiv erinnert, wo man gar nicht dabei war. Woodstock und so Krempel!“

„Viele Aufrechtgeher erinnern sehr sparsam, oder sagen wir: aussparend. Meist im Interesse der störungsfreien Niederschrift ihrer eigentlich nicht sonderlich aufregenden Geschichte! Das führt zu sehr einfachen Gleichungen.“

„Genau. Bob Dylan ist gleich Blowing in the Wind!“

„Das wäre eigentlich mein Einwurf gewesen!“

„Da war ich schneller. Wenn ich mich nicht irre! Hihihi!“

„Stromlinienförmig soll es halt sein wie die gottverdammten rollenden Blechkisten, selbst die Erinnerung. Ein Fingerwischen übers Display und siehe: WAHRHEIT! Als habe man mit seinen eigenen Fehlern nichts zu tun. Gestern noch Brüder und Schwestern, denen man die abgetragenen Jeanshosen anverdiente und heute sitzen im Osten lediglich noch Störfelder und Dösbaddel. Als ob irgend etwas einfach wäre nur einmal im Leben eines Aufrechtgehers.“

„Psst!“

„Wie?“

„Entspannung, alter brauner Bärenmann. Außerdem: neue Einflüsterungen schütten auf mich herab:

‘Volker Braun / Die Leute von Hoywoy (2)

Dreißig Jahre nach den kleinen Erdarbeiten im mitteldeutschen Loch, die mich die Jugend gekostet hatten, sah ich auf dem Bildschirm jene einst berühmte Stadt, in der wir gehaust hatten, in einer entsetzlichen Verwirrung. Ganze Haufen ihrer Bewohner waren in aufgeregter Bewegung auf ein großes Gebäude zu, und sie schlenderten ihre Arme — nicht wie einst an den Schaufeln, im Schlamm: mit Drohgebärden, und um Steine und Brandflaschen in die Fenster zu werfen. Die Werkzeuge, mit denen wir gearbeitet hatten, schleppten sie als Waffen, die Worte waren ganz unverständlich geworden. NIGGERSCHWEINE, VERPISST EUCH. WIR BRINGEN EUCH UM. Ich versuchte, auf den Film starrend, die Gesichter zu entziffern — trugen sie noch die Züge der Bauarbeiter, ich gehörte zu ihnen, lange ist’ s her. Ich sah haßkalte Fressen von Jünglingen, und die satten Gesichter Erwachsener, die aus ihren Wagenburgen Beifall grinsten. Was für eine Rasse, fragte ich mich, hatte sich hier eingenistet in den banalen Neubauten, auf den rohen Maschinen. Was hatte sich ausgebildet in dem faulen Frieden, in der Langeweile des Staats. In dem Schreberland zwischen Losung und Leben. Sie waren seßhaft geworden. Sie waren nicht weitergereist in die Zukunft, nicht in die Welt. Sie hatten sich eingerichtet in ihrem billigen Eigentum. Sie sprachen keine Sprache, außer der eigenen. Sie kannten nicht der Erde vielfarbene Menschheit. Unwissend und argwöhnisch betrachteten sie die Fremden, denen die Stadt Obdach bot; ahnungslos böse, toll vor Verachtung Aber ich hatte sie eben noch, an diesem gespenstischen Gerät, gesehen mit ratlosen, schamlosen, zerflossenen Mienen. Geduckt in Korridoren, in Sessel geworfen. Verzweifelt schwafelnd oder schweigend. Es war ihnen, den Erbauern von einst, etwas zugestoßen. Man war mit ihnen umgesprungen, wie kein Polier, kein Polizist es einst gewagt hatte. Es war etwas hereingebrochen, eine namenlose, eine Naturgewalt, die das Gelände entseelte und die Betriebe verödete. Die sie enteignete ihres unbestimmten Besitzes, ihrer Sicherheit. Zersiebt, zerstreut, entlassen; außer Kraft gesetzt ihr Leben. Ihre Blicke, ihre Rechnungen sagten: verächtliche Wesen. Das hatte man mit ihnen gemacht. — Und nun zeigten sie ihre Kraft, den Schwächeren, und erwiderten die Gewalt, die sie erfuhren, auf einen Schlag. Sie konnten, sie mußten wünschen, nicht die Letzten zu sein im Staat, nicht die Allerletzten. Nun schlugen sie zu. Was für Elendsgestalten, dachte ich. Ein unterentwickeltes Land! Eine Dürrezone des Mitgefühls! Sie waren selber Fremde, im Ausland hier, auf der Flucht. Ich stellte den Kasten ab, um Stillschweigen zu bewahren oder sie zu verbergen in der Dunkelheit. Aber sie waren jetzt im Raum. Glück auf, sagten sie. Antworte uns: GLÜCK AUF, WEM GEHÖRT DIE WELT. Glück auf, Kollegen. — Ich gehörte noch zu ihnen.’

Weia! Dürrezone des Mitgefühls? Ist das nicht Aufrechtgeherstandard?”

(Anmerkung des Säzzers: Bevor wir hier ins Übersinnliche abdriften. Gundis Geist wohnt zwischen den Blättern eines Buches, manche nennen dies die Bibel des Gundermannes. Der alte Ofterdinger aus Niedersachsen verlieh und leiht noch das vergriffene Werk dem Ernst Albert.)

Die zwei Gefährten erhoben sich und begaben sich – na ja, man kutschierte sie an die Rückseite des Skeletts. Laut war es, staubig, aber auch sehr entspannt. The Osten got to do, what he got to do.

“Rückbau. Irres Wort!”

“Soll wahrscheinlich vor Sentimentalitäten schützen, Meister Hoy!“

„Sprechen Sie, Sie sind das Medium!“

„SA-KI-MA!“

„Erklärung!“

„Die Sandkiefermacke kriege man hier und man brauche täglich eine Tasse Schnaps, um die Versammlung des Abschaums der Menschheit hier zu ertragen. Wohlgemerkt Zitate des Gundi aus Jahren weit vor der Übernahmebefreiung durch Aldi & Cohl!“

„Towaris! Wilde Wortspiele!“

„Gewiß, Bär, man kann seine Heimat lieben und der eigenen Wahrheit trotzdem die Stange halten.“

„Schwer isses der allgegenwärtigen Verklärung des eigenen Tuns den Fuß in die Tür zu setzen!“

„Es lebe die Ambivalenz, Meister Lampe!“

„Gibt es noch Schnaps?“

„Erinnern Sie sich bitte an den Kumpeltod! Es beginnt zu regnen. Gehen wir heim!“

„Wohin nur?“

hoywoy19a

Thema: Hoy und Woy und Gundis Geist | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Hoy und Woj / Der Osten / Und Gundi hilft IX

Montag, 19. August 2019 18:46

hoywoy13

Der Genuß des Kumpeltod: er birgt Risiken, aber er öffnet auch Pforten der Wahrnehmung. Und so legte sich auf die schmalen Schultern des dahindämmernden Hasen eine sanfte Hand – für das Protokoll: es war der umsichtige Ernst Albert, der dem Lütten den Schnappes entwunden hatte und aufopferungsvoll den Rest der Flasche etc, um ihn dann in den Fahrradgepäckträger zu legen und hehme gen HoyWoy zu radeln – aber steif und fest behauptet rückblickend der Genosse Budnikowski, dies sei die Hand von Gundis Geist gewesen und wie vor seinem inneren und trunkenen Aug’ kohlebeladene Förderbänder kilometerfressend vorbeirasten, habe der gütige Geist ihm folgende Geschichte namens ‚Helmut’ ins Ohr geflüstert:

Zu Schichtbeginn erfuhren wir davon. Wir mußten eine gesonderte Arbeitsschutz-Belehrung unterschreiben. Unten steige ich aus dem KrAS und laufe auf meinen Bagger zu. Parallel zu mir fährt der Leichenwagen, Gonzo mit der Raupe vornweg, damit der Leichenwagen sich nicht festfährt. Unterm Abwurfband des Baggers liegt ein Haufen. Mittendrin steckt ein zwei Meter langes Flacheisen. Seitlich liegt, was von Helmut übriggeblieben ist. Eine Art leere Kasperpuppe, der Kopf sieht aus wien Handfeger. Gestern noch war das ein prallgefüllter Arbeitsanzug mit großer Schnauze. Die Leichenmänner steigen aus und laden Helmut ein. Nun sind sie alle weg. Ich bin allein. Ich rekonstruiere den vermutlichen Hergang des Geschehens. Er wurde von einem unverhofft angefahrenen Förderband unter der Prallwand durchgepreßt. Die Prallwand ist etwa zwanzig Zentimeter überm Band. Er muß also gleich tot gewesen sein, ist aber noch über den gesamten Bagger geschleift worden. Bis er hinten als blutiger Lappen herunterfiel. Ich kratze die Fleischstücken von den Übergabestellen und vergrabe sie zusammen mit seinen Frühstücksstullen, die noch im Mannschaftsraum liegen. Dann lege ich in die leere Brotbüchse, was da sonst noch war, abgerissene Knöpfe, ein paar Münzen, einen Knochensplitter. Seinen gelben Helm packe ich daneben. Marke >perfekt<. Ich setze Kaffeewasser auf, stelle zwei Tassen auf den Tisch und konzentriere mich. Und Helmut sagt noch ein paar Sätze. Zum Beispiel: Heut lachste und morgen lachste nicht mehr. Oder: Es war doch noch gar nicht Weihnachten (weil doch die meisten Bergleute Weihnachten sterben). Und schließlich: Ich hab ein Haus gebaut, das vielleicht morgen schon zusammengeschoben wird, fürn neuen Tagebau. Du hast ein paar Lieder gemacht, die kaum einer kennt. Die Kohle, die wir hier früh um sechse rausgeholt ham, war um achte schon in Schwarze Pumpe auf Bunker und um zehne verheizt. Was könnte man tun, daß man sich an unsereins erinnern muß?

„Herr Ernst Albert, mir ist wieder gut. Bitte die Lieder singen. Alle!“

„Der Hase hat recht! Auf! Auf! Wir müssen uns erinnern!“

„Und den Westen an den Osten!“

„Erinnern?“

„Genau, Towaris Bär!“

Man war also wohlbehalten ins gebuchte Refugium zurückgekehrt. Hier jenes erste Lied der beginnenden Nacht. Es wurde eine lange Nacht. Und ist es noch.

hoywoy20

Thema: Hoy und Woy und Gundis Geist | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Hoy und Woj / Der Osten / Und Gundi hilft VIII

Donnerstag, 15. August 2019 16:37

hoywoy15

Archibald Mahler – Verzeihung Brigadier Hoy – war in standhafter Sorge. Natürlich weil der Kuno von und zu Budnikowski – Verzeihung Towaris Woj – mal wieder blöd – Verzeihung: Abschwächung : eigensinnig – war. Unter dem fatalen Vorwand seine Blase – Anmerkung: sehr klein – explodiere im Momente, sprang er aus der Tasche – Tadel: Herr Ernst Albert: Achten Sie auf die Ihnen anvertrauten Mitreisenden! Bitte! Sagt auch die Göttliche Frau Pelagia!!!!! – an der Abbruchkante des Tagebaus stand und drehte sich um. Natürlich wollte er nicht püschern, nein, ein letztes Mal in die gigantische Grube blicken wollte er, der Sentimentalist, als ein abendlicher Aufwind ihm ein ordentliche Portion Staub in die Lunge pustete. Jetzt röchelt er und das Granulat eines untergegangenen Landes – so und so und so auch – hinderte ihn am befreienden Ein – und Ausatmen. So sprach also der Bär zum Hasen.

„Freund! Lots Weib war auch so blöd. Vorbei isch vorbei und over! Diese Kohle hat keine Zukunft mehr! Leider wird die andere Kohle den Aufrechtgehern ihr Aufenthaltsrecht auf diesem Planeten entziehen. Und jetzt reden Sie bitte mit mir!“

(Der Hase röchelt. Was wir verstehen konnten, siehe unten!)

„Dreckskapit… hust …mus. Iss aambi … anderer… muß … kotzen … weia!“

Halte durch. Den Blog krieg ich ohne Ihro Hasigkeit nicht gebacken!“

(Sogar die Löffel sanken hinab, jene des Hasen. Und dann hatte der Bär eine eventuell rettende Idee!)

„Towaris! Deputat! Deputat! Deputat! Zwei Liter! Reinpfeffern!!!“

(Verhaltener Protest des Maladen!)

„Zung … ledig … feucht … hust … Gna…!!!!!!!“

„Trinken Sie bis Ihre Stimme wiederkehrt! Den Rest übernehme ich! Und was ist mit Ihrem Deputat in Sachen Briketts?“

„Wahnsinniger! Ich schwitze und röchle und mir brennen die Socken!“

„Nun gut. Sie beruhigen sich und morgen fahren wir weiter.“

(Dem stimmte der Reiseleiter Ernst Albert zu! Der Kumpeltod ist ein hartes Zeugs. Auch wenn er den Kummer lindern mag.)

hoywoy16

Thema: Hoy und Woy und Gundis Geist | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Hoy und Woj / Der Osten / Und Gundi hilft VII

Dienstag, 13. August 2019 18:20

hoywoy18

„Wir reden vom Mond, von der Braunkohle, Flutungen, Wölfen, Hartz IV, Heuschrecken, Platten und Ratten und gar nicht von Gundi!“

„Man muß sprechen von dem, was in und um und um ein Leben herum stattfand und noch stattfindet. Alles andere ist Bauchnabelei. Als könnte man kriechen in fremde Hirne und Herzen, um diese dann zu interpretieren! Anmaßung!“

„Meister Hoy, ich höre ihr altes Thema scheppern!“

„Ich erinnere mich!“

Desgleichen ich!“

„Wollen wir noch mal unsere liebsten Erkenntnissereien auf dem Jahre 2014 zitieren, geschätzter Löffler Woj?“

„Gerne! Gutes darf man wiederholen. Dauerschleife!“

„Erst Sie!“

„Ok: ‚Über die Toten kann man sprechen, was man will. Sie stehen nicht mehr auf, um sich zu verteidigen oder dein Lob schamhaft zu dämmen. Sie erschlagen dich nicht, wenn du sie schmähst, sondern deine Lüge erschlägt dich, sie erheben dich auch nicht, wenn du ihnen gerecht wirst, sondern deine Gerechtigkeit erhebt dich. Versprich nicht – denn, wenn man verspricht, verspricht man sich zumeist. Denn deine Zukunft gibt nichts auf dein Versprechen. Beruf dich nicht auf die Vergangenheit, um dich zu erweisen. Sage, wie es um die Gegenwart steht. Denn das sind immer die süßesten Worte, auch wenn es bittere Pillen sind. Denn sieh, das lebendige Blut in uns ist immer süß, auch wenn es uns weh ums Herz ist. Denke über die Vergangenheit nach, aber denke dabei, daß du darüber nachdenkst und du nicht die Wahrheit der Vergangenheit, sondern deine Wahrheit auffinden willst.’ Weia. Immer noch Klasse! Jetzt Ihnen die Ehre, Meister Hoy!“

„Ok: ‚Dichten heißt: nicht Schamane sein, nicht Beschwörer, nicht Überredner, nicht Gefühlsexzentriker. Das heißt, nicht Gefühle über Dinge sagen, sondern die Dinge so sagen, daß sie gefühlt werden können. Nicht eine Sache interessant machen wollen, sondern das Interessante der Sache entdecken. Nicht die eigene Begeisterung herausposaunen, sondern das Hinreißende der Sache zur Sprache bringen.’ Weia. Immer noch Klasse. Und jetzt?“

„Schweigen wir!“

„Genau. Nüscht im Schacht!

So erreichte man im rumpelnden Schweigen wieder den Rand der Grube Welzow – Süd, man fuhr durch ein Geisterdorf, vorbei an Hausruinen, zernarbten Stallungen, toten Gärten – dort wird bald der Bagger fressen die Reste eines bis vor kurzem dörflichen Lebens – und ein paar Kilometer später flog vorbei am Fenster ein wunderhübsches Dorf, wo noch gehofft wird. So oder so! Auf Birnen im Garten bis ins nächste Jahrzehnt oder auf fette Abfindung, wenn der Bagger anrollt und die Umsiedlung ansteht. Wie definiert man: ‘Ich habe mich verbessert’? Bald wird gewählt vor Ort. Der Westen macht sich in die Hose und tut so, als habe er eigentlich damit nüscht zu tun. Dann überkamen den Hasen schrecklichste Hustenattacken. Der Bär war recht hilflos. Noch ein Weia. Darauf  aber eine Idee.

hoywoy14

Thema: Hoy und Woy und Gundis Geist | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Hoy und Woj und der Osten / Und Gundi hilft VI

Donnerstag, 8. August 2019 19:20

hoywoy11

Die zwei Gefährten waren dabei auf der Reise zum Mond, jener Reise in den Mond, wo es nicht nach oben ging, sondern hinab, runter und rein. Jedoch fehlt alles an Abbildung, Dokumentation, der einzig heutzutage noch ernstgenommene Beweis von Anwesenheit an fremdem Ort. Warum?

Sie mußten bleiben im Reisegepäck, der Tasche auf dem Gepäckträger, aus der kürzlich noch wildes Geplapper perlte. Gar nicht mal um einer Staublungeninfektion zuvorzukommen und dem daraus resultierendem Kumpeltod, nein, eher auf Grund einer so gar nicht vermuteten Feigheit des Ehrenwerten Herrn Ernst Albert (EHEA), welcher die zwei Berichterstatter vor den Augen der anderen Excursionisten nicht aus dem Sack lassen wollte.

Und außerdem war da noch dieser Führer, Verzeihung, Reisebegleiter. Sächsisch ist ja bekanntermaßen ein Dialekt mit der Wucht und Lautstärke einer Heavy – Metal – Leadgitarre. Schrill und selbstbewußt. Der Laster, welcher runterrumpelte in die Mondlandschaft war ein alter brüllender Diesel, die Fahrwege von außerterristischer Beschaffenheit und der gemeine Tourist (Sachsen überwogen!) spricht gerne mehr als das er hinschaun tut, nu! Demnach: immense Grundlautstärke. Und da der leitende Excursionist früher wohl auffem Bagger saß, wo ja bekanntmaßen nicht gerade meditative Ruhe herrschte, war sein Organ geschult: er brüllte: was er auch mußte. Knappe zwei Stunden lang. Was er brüllte? Ganz sicher nicht: „Hambi muß bleiben! Flugscham! Heizt mit Tofuwürsten! Geht zu Fuß auf die Malediven!“ Nee, das Gegenteil. Klima? CO2? Nachhaltigkeit? Fick die Waldfee! Alles Kokolores! Und trotz der nervtötenden Einseitigkeit der Tiraden (Ehrenrettung! Was der EHEA alles nicht wußte und lernen mußte über die Mühen, die zu erbringende Leistung, die Härte der Arbeit, welche notwendig ist, um die von den meisten Aufrechtgehern so dringend und hysterisch verzehrte und geforderte Energie zu generieren! Danke dafür!), also begann der EHEA nachzudenken. Was ham die denn da noch, wenn die letzten Tagebaus stillgelegt werden? Nur noch 37 Grad statt 40 und nix zu fressen? Über den Strukturwandel läßt sich lässiger schwadronieren am Prenzelberg oder in der Freiburger Wiehre. Oder eben in den Wartesälen der Flughäfen. Vor allem jenen, die von RYAN-AIR angeflogen wurden.

Mein Gott, dachte man auch im Reisegepäck, es ist nicht so leicht den Menschen gerecht zu werden. Den Einen. Den Anderen. Und denen dazwischen.

Davon mal abgesehen. Guck! Guck hin! Diese Bagger. Dinosaurier. Monster. Ein quergelegter Eiffelturm. Gottesanbeterinnen aus Stahl. Götzen einer versunkenen Fortschrittswut. Oder einfach nur Notwendigkeit? Schmerzhaft. Und diese ganzen Bagger wurden in den 60 / 70 / 80ern in der angeblich so unfähigen DDR zusammengeschraubt und sie tun es immer noch. Man kann sie heute noch auseinanderschrauben und warten und weiter geht es. Wie lange noch? Die einen sagen so, Proschim findet das nicht lustig.

An diesem Tag unten auf dem Mond war es sehr heiß und trocken und so konnten die Bagger ihre Arbeit nicht tun. Verpuffungsgefahr. Der feine, durch die Luft flirrende Braunkohlestaub sollte er aufs Elektrische treffen: kein Spaß.

Anstrengende zwei Stunden, beeindruckend, wir müssen weitermachen, so der Tenor, aber die Rekultivierung, Renaturierung der abgeernteten Teile des Mondes gehe voran. Sagt der Genosse Reiseleiter. Und dann wurde dem EHEA der Brüller, der sein Wahlrecht gewiß nicht im Sinne des betuchten Lehrertums WEST nutzen wird, sogar symphatisch, da er erzählte, daß sich im ehemaligen Grubengelände in der Lausitz etliche Wolfsrudel rumtreiben und daß man mit denen ganz gut auskomme. Wenn man es denn wolle. Und daraufhin rappelte es mächtig im Karton, also in der Reisetasche. Der Ausbruch der Herren Hoy und Woj konnte in letzter Sekunde verhindert werden.

„Ich will die Wölfe sehen!“

„Und ich will mit ihnen sprechen!!!“

hoywoy12

Thema: Hoy und Woy und Gundis Geist | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Hoy und Woj und der Osten / Und Gundi hilft V

Dienstag, 6. August 2019 16:27

hoywoy09

Selbstredend fuhren hier keine Schichtbusse mehr ab, welche Jahre / jahrzehntelang /  tausende / zehntausende / abertausende / dauermüde / disziplinierte / frustrierte / verkaterte / zwangsverpflichtete / freiwillige / hoffnungsbereite / funktionierende / stolze / aufrechte / fluchende / lachende / optimistische / mitlaufende / sich wehrende / lediglich und das zu Recht / ein oder mehrere Leben lebende / wie da wären: Maschinisten / Baggerfahrer / Schlosser / Heizer / Rohrleger / Elektriker / Telefonisten / Fahrer / Fertigungsmechaniker / Lageristen / Brunnenbauer / Mechatroniker / Köche / Essensaufleger / Brigadeleiter / Handwerksmeister in die Tagebaus und Kombinate brachten.  Tag für Tag: Herzschlag / Taktung / Pendel / Struktur / Gnadenlosigkeit. Ein Vorteil dabei? Na ja! Man kommt auf weniger der dummen Gedanken. Auch nicht klüger. Und wenn dann auf ganz andere. Die freie Zeit diktiert die Stechuhr. Die Stechuhr aber ist Mitglied der Partei. Ziemlich gnadenfrei. Außer die Natur schlägt zurück.

Zurück zum Fahrdienst. Der Ehrenwerte Ernst Albert hatte ein Fahrrad gemietet. Zu einem Tagespreis von dem man in den westlichen Provinzen unseres immer noch geteilten Staats bei Abschluß eines ähnlichen Mietvertrags bestenfalls ein Selfie von sich und dem Zweirad machen darf. Hoy und Woj also rauf auf den Gepäckträger. Die legendäre F 97 gen Norden. Scheibe. Burghammer. Schwarze Pumpe. Dann links ab gen Welzow. Dort wird noch gebaggert. Der Fahrradweg dorthin ist kein Parkettboden. Die Felder und die Wälder und die zu durchfahrenden Straßendörfer erfreuen die Herzen, nicht die Bandscheibe des Piloten. Den Passagieren ist dies wurst. Es gibt ja einiges zu besprechen.

„Meister Woy? Existieren Helden? So und überhaupt?“

„Nun, eher als traurige Variante. Ein ständiges Taumeln hin und her zwischen Optimismus und Depression. Vielleicht gar nur der Ausdruck einer virulenten Starrköpfigkeit!“

„Geklaut Bär, geklaut und Verwurstung!“

„Ich gestehe: Petzow: 20.1. 1963.“

„Wie? Petzow? Bäringshausen? Grisslingen? Tatzow?“

„Witzhase, dämlicher. Petzow, Schriftstellerheimrefugium. Damals. DDR.“

„Aha. Die Tagebücher auf Ernst Alberts Nachttisch. Ein Bär ist verliebt!“

„Naja. Meine Felligkeit und eine tote Autorin? Aber ich gestehe Anrührung und … Ich möchte nun schweigen!“

(Rumpeln. Pumpeln. Schlagloch. Fragloch. Etliche Kilometer voller Stille. Nur der Pedalist keucht. Dem Hasen ist es zu schweigsam. Er tritt nach vorn. Weitere Worte.)

„Also ich finde diese Ausdrücke, die real altvorderen schon, wie soll ich sagen, ich lasse sie gerne über meine Lippen rutschen!“

„Ich höre!“

„Nu: Brigade. Kombinat. Proletariat. Maschinist. Oder hier, hömma die Pöhlervereine: Lokomotive, Energie, Empor, Motor Süd, Union, Anker, Volksstimme, Freiimfelde, Waggonbau und meine absolute Lieblingstruppe: Stahl Brandenburg. Schon allein wegen die  alten Verbundenheiten mit dem Ziegenbart.“

„Begrifflichkeiten und Reime. Andere verbanden und verbinden damit Erinnerungen, die entschieden dunkler sind als Braunkohle!“

(Daraus ergibt sich ein Schweigen. Das Fahrrad rollt weiter. Und die Zeit.)

„Scheiße, iss dat der Mond da unten?“

„Ne, Towarez Budnikowski! Das ist wohl ein Tagebau!“

„Und da sollen wir jetzt runter?“

„Glück auf!“

„……… Glück? Dann mal auf!“

hoywoy10

Thema: Hoy und Woy und Gundis Geist | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Hoy und Woj und der Osten / Und Gundi hilft IV

Freitag, 2. August 2019 16:32

hoywoy07

„Tja, das war wohl Heldenzeit!“

„Ist nicht jegliche Zeit nicht davor gefeit dem hungernden Volk anstelle von Wurstbroten und bezahlbarem Wohnraum Heldentum zu servieren?“

„Da haben Sie recht, Towaris Mjadwjez!“

„Und, unwesentlich eingeschoben, ist mir ein Baggerfahrer oder ein Architekt einer, wenn auch mit vielen Fehlern behafteten und aus dem Boden gestampften Stadt mit zumindest bezahlbarem Wohnraum und gesichertem Arbeitsplatz, näher als ein underbecuteter Kicker oder ein goldkettenbehängter Aggroreimer, der nicht gegen, sondern im Interesse der Spaltung einer Gesellschaft ferngesteuert rumhüpfen darf.“

„Weia, Genosse Bär, da wird aber abgewütet!“

„Verzeihung. Zurück in die Fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts und ran an unsere angelesene Erzählung. Zwischen den Baustellen fanden sich Schriftsteller freiwillig oder sanft gedrückt auf Bitterfelder Wegen und sollten vom Prolet lernen die Arbeit und lehren dem Proleten das Verfassen eines Gedichts. Prinzipiell nicht doof. Und das klang dann so. Also während der Ankunft. Herr Ernst Albert, könnten Sie noch mal vorlesen bitte?“

Gedanken über die Schönheit der Landschaft bei einer Fahrt zur Grossbaustelle ’Schwarze Pumpe’

Gegen mittag der Bauplatz,

die neue Schönere Landschaft

Schornsteine.

Montagehallen.

Stahl und Beton.

Erde, aufgerissen,

Berge, versetzt mit Maschinen und Händen,

Lärm und Staub.


Die Alten sammeln hier Reisig

Fünf mal hundert Jahre lang

Hier werden die Brikettfabriken stehen

in Fünf Jahren

und die neuen Kraftwerke.

Hier ist Schönheit.


„Wer schreibt denn so was?“

„Der zwiespältige und trotzdem große Heiner Müller.“

„Weia, um Sie zu zitieren. Meister Albert, können Sie bitte seine damalige selbstzerstörerische, aber mindestens genauso große Gefährtin Inge Müller zitieren? Das schrieb sie ein paar Wochen nach der Ankunft. Als der Alltag als Alltag akzeptiert wurde!“

Schwarze Pumpe

Fünfundfünfzig wurden wir aufgerufen

Zum Kampf gegen Bäume und Sand

WIR BAUN DEN SOZIALISMUS AUF

Stand auf rotem Tuch an der Barackenwand


Löcher hatten wir in den Schuhn

In der Kantine gab es Erbsen mit Speck

In der Zeitung stand, daß wir das Kombinat aufbaun

Wir standen bis zum Bauch im Dreck

„Tja, Heldenservierer aller Art schießen gerne an der Realität vorbei!“

„Dat iss ja auch der Grund, dat ich mich vonne ganze verlogene Götzendienst verabschiedet habe! Hömma!

„Jetzt springen Sie aber, Mejstar Lampe!“

„Iss mein Brevier!“

„Wo sitzen wir jetzt eigentlich, Genosse Woj?“

„In der Kniekehle von Gundi, lieber Bär Hoy!“

„Wie bitte?“

„Na hinten am Knie von Gundermann!“

„Geschätzter Hase, der Sie vorbereitet und offensichtlich mit angelesenem Wissen behaftet: Aufklärung bitte!“

„Also der hat hier gewohnt, als Junggeselle, nache Armee, wie er auffem Bagger gelernt hat. In dem Block mit dem Knick!“

„Was ein obszönes Riesenteil. Gewinnt jetzt bei mir auf Anhieb keine Schönheitspreise im Architektenwettbewerb!“

„Haben Sie schon mal Urlaub an den Küsten Spaniens oder der Türkei gemacht? Vor allem wenn es nix kostet?“

„Gott bewahre!“

„Eben. Trotzdem sollte das Monstrum rückgebaut werden!“

„Der übliche Aufrechtgeherzynismus! Rückbau! Zu feige um zu sagen: Fehler gemacht! Steingesichter!

Die Anwohner wehrten sich. Scheinte sogar Wirkung zu zeigen!“

„Selten genug. Tja, was so alles Denkmal werden kann!“

„Und visavis?“

„Das ist ein Nachdenkmal! Da fuhren sie – als sie noch Helden waren – täglich mit den Schichtbussen raus in den Dreck. Und der Gundi ooch! Bis die Uhr stehen blieb.

„Gibt es noch Reste?“

„Schaun wir uns morgen an!“

hoywoy08

Thema: Hoy und Woy und Gundis Geist | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth