Beitrags-Archiv für die Kategory 'Appenzeller Vergewisserungen'

Appenzeller Vergewisserungen / Wieder weg

Donnerstag, 2. Oktober 2014 20:04

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„Herr Mahler, noch Schmerzen?“

„Vielleicht. Ich weiß nicht so recht. Ich hab ja den Verband. Aber eigentlich schon.“

„Spezifische Schmerzen?“

„Diese Frage müßte ich eher verneinen. Diffus. Oder peripher. Das wäre richtiger, lieber Doktor Zimmermann!“

„Ist der Verband vielleicht nur ein Trick?“

„Zu solchen Mitteln würde ich niemals greifen.“

„Mir scheint, Sie machen sich gerade vom Acker!“

„Tastaturen haben etwas vom Blick in einen Spiegel. Die muß man ab und an verhängen. Mag der Raum dann etwas kleiner erscheinen, bedauerlich vielleicht, das ist nun mal seine ungespiegelte Größe.“

„Aber es ist doch auch ein Riesenspaß!“

„Es ist ein Riesenspaß. Aber mir ist das manchmal alles viel zu schnell geworden. Wie ich gestern schon bemerkte: mehr Papier, längerer Atem, mehr Bogen, weniger Tag.“

„Aber das hier ist doch einfach eine andere Baustelle.“

„Zimmermann, Sie müssen wissen, wenn ich zweifle, dann zweifle ich ordentlich!“

„Ich weiß, aber wollen Sie es nicht mal leichter?“

„Ein Bär ist keine Brieftaube!“

„Und ein Hase ist kein Briefbeschwerer!“

„Fahren Sie eigentlich mit Herrn Ernst Albert an die Förde?“

„Weiß ich noch nicht!“

„Ich würde gerne mit nach Straßburg!“

„Wenn Sie eine Idee haben, was sie von dort erzählen wollen, komme ich vielleicht mit.“

„Und was ist mit dem Breisgau?“

„Auserzählt!“

„Jetzt ist Schluß?“

„Jetzt ist Schluß!“

„Bis wann?“

„Mal sehen!“

Thema: Appenzeller Vergewisserungen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Appenzeller Vergewisserungen / Daheim wieder

Mittwoch, 1. Oktober 2014 20:58

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„Ist das eine Schreibblockade?“

„Erstmal einfach nur ein Verband.“

„Was ist geschehen?“

„Mir erschien zuletzt alles so ferngesteuert. Mein Schreibarm hüpfte sinnentleert über die Tastatur und ich hatte wohl vergessen, wer der Bär ist, der ich mal sein sollen wollte.“

„Das ist das Problem mit der Tastatur. Da wird Unspezifisches gespürt, nichts mehr nachgedacht, eine vage Conclusio in die Wolke gehämmert und dann forsch aus dem Fenster gehängt!“

„Gewiß! Das Hämmern! Vielleicht leide ich demnach unter einer chronisch sentimentalen Sehnsuchtsscheidenentzündung!“

„In welche Richtung wird von Ihnen gesehnt?“

„Bleistift? Füller? Papier?“

„Soweit zurück? Wie wäre es mit einer Schreibmaschine? Gabriele zum Beispiel?“

„Ja, dieses Tikka – Takka – Tukka – Geräusch. Eine belebende Begleitmelodie.“

„Und dann dieses Krrsch – Pling!“

„Wie bitte?“

„Dieser Hebel rechterhand oben, der die nächste Zeile ermöglichte!“

„Nannte man das Ding Zeilenhebel?“

„Keine Ahnung, ich bin an einer elektrischen Schreibmaschine eingestiegen!“

„Jungspund!“

„Und was nun?“

„Da ich Rechtspföter bin: erstmal Pause. Wer übernimmt?“

„Das traue ich mir nicht zu. Hase bleibe bei deinen Löffeln! Aus der zweiten Reihe heraus moppert es sich leichter. Verantwortung ist ein eigenes Boot! Schwer zu steuern!“

„Denken Sie, Herr Zimmermann, daß…“

„Du Archibald, ich Kuno, Du!“

„Wirklich?“

„Sie haben recht, Herr Mahler. Das Siezen steht uns weitaus besser zu Gesicht!“

„Herr Zimmermann, wir müssen nachdenken!“

„Maßnahmen?“

„Maßnahmen!“

„Denken wir also nach!“

„Zu zweit. Aber einmal ist dann gut!“

Thema: Appenzeller Vergewisserungen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Appenzeller Vergewisserungen / Uf Wiederluege!

Dienstag, 30. September 2014 21:20

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Der Blick dieser Kuh nun, ist er freundlich oder eher aggressiv? Und die Hand, fordert sie ein oder versucht sie Kontakt? Die Augen der Kuh geben keine Antwort. Die Antwort befindet sich vielleicht  im Auge eines Betrachters. Was aber erinnert morgen die Hand? Man wächst auf in einem gemeinsamen Raum und findet später keine gemeinsame Erinnerung mehr. Andere nennen dies Heimat.

Ernst Albert ist gelegentlich ein vergeßlicher Patron. Diesmal jedoch trug auch Frau Pelagia eine gewisse Mitschuld. Sie drängte einerseits zum Aufbruch, wollte aber hier und dort noch schauen, da drüben noch ein Foto schießen, – „Die Augen dieser Kühe!“ – ach, wahrscheinlich wollte sie nur den Tag verlängern, den Abstieg hinauszögern, die Sonne am Firmament festnageln und also: hier bleiben, hier. Es gab doch noch soviel zu atmen, soviel zu horchen, soviel zu sehen. Oberschenkel und Waden waren inzwischen in den Streik getreten – Ernst „Storchenbein“ Albert litt dabei mehr als Eva „Rückraumwade“ Pelagia – aber die kleine Wandercombo taperte zielstrebig gen Wasserauen, nahm den steilsten Weg runter durch den Tobel und hätte man sie sehen können von der Ferne, man hätte meinen dürfen, da stolpern Mitglieder der Augsburger Puppenkiste hölzern hinab ins Tal.

Langer Sätze wenig Sinn: Ernst Albert vergaß oben am Ufer des Seealpsees die beiden Besinnungsaufsätze, die der Hase und der Bär pflichtschuldigst und voll heller Freude verfaßt hatten. Also wird er niemals erfahren, warum der Hase eine Kuh und der Bär einen Säntis mit sich nach Hause nehmen wollte. Das ist schade. Andererseits: es entfällt die ersehnte oder auch befürchtete Bewertung.

Ohne sich seiner Vergeßlichkeit bewußt zu werden, streichelte Ernst Albert derweilen die Flanke einer Kuh, vorsichtig, von hinten links und seitlich, den Augenkontakt meidend. Eva Pelagia bannte alles auf eine digitale Speicherkarte und die Kuh dachte, sie würde photographiert. Oh tempora, oh Kodak!

Dort unten im Tal, da wo das Appenzell endet, beginnt der Bodensee. Den galt es zu queren auf dem Weg nach Hause. Das Gewitter, welches vor kurzem dem Säntis den Buckel runter gerutscht war, hatte sich inzwischen entladen und als man auf der Fähre Richtung Meersburg steuerbords gen Appenzell blickte, schien es, als habe der Wettergott über dem See ein kleines Theater aufgebaut. Eine spiegelglatte und postdramatische Spielfläche, sehr feuchte Wolkenvorhänge sowie unbedingt bedeutungsschwangeres Licht vor ferner Hügelkette. Drama, Baby, Drama! Nach dem Sturm ist vor dem Gewitter. Oder auch nicht. Der Vorhang zu und alle Fragen bleiben offen. Ein letztes Lied schallte über den See und war zu hören bis kurz vor Meersburg. Uf wiederluege! Gewiß, von einer Rückkehr der Abreisenden ist weiterhin fest auszugehen.

PS: Es muß angemerkt werden, daß es natürlich einen Moment heftigster Enttäuschung gab bei den Herren Mahler und Zimmermann, dahin gehend daß man ihnen einerseits einen Auftrag erteilt hatte, welchen jene zwei nach bestem Wissen und Gewissen erfüllten und keine Sau schaute hin. Weia! Keine Bewertung! Kein Feedback! Keine Noten! Kein Nix! Kein was auch immer! Es blieb der Moment. Man hatte es getan! Für wen? Man hatte es getan! Reicht das nicht?

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Appenzeller Vergewisserungen / Ein Säntis sein

Montag, 29. September 2014 23:35

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Sehr geehrter Herr Ernst Albert!

Ich freue mich sehr Ihrer Bitte nachkommen zu dürfen, darüber nachzudenken, was ich aus dem Appenzell mitnehmen könnte. Da ich beim Verfassen des angeforderten Besinnungsaufsatzes neben Freund Kuno Zimmermann saß und ich also zugegebenermaßen rüberschielte auf des Hasen Pergament, hier nur eine kurze Bestätigung, daß auch ich geklaute Biergläser nicht, Wappen oder am Wegesrand gesammelte Enziane oder Steinbrocken oder ähnliches in die EU einführen mag und nicht werden will.

Meine vorgestellte Mitnahme wäre der Säntis. Oder ein dem Säntis ähnlicher Berg. Aber ich bleibe beim Säntis, weil der so beeindruckend ist. Ich wäre also ein Säntis. Mein Kopf wäre öfters in den Wolken. Oder vernebelt. Da oben ist es auch gerne mal kalt. Oder alleine. Einsam eher nicht, weil es oft schneit. Schneeflocken sind eine Freude. Sie tanzen. Dann bleiben sie liegen. Und der heiße Kopf kühlt ab. Eine Schneemütze sieht auch apart aus. Damit keiner in meiner Schneemütze rumtapern kann würde ich auch die Seilbahn, die an meinen Bauch hochfährt bis zu meinem Kopp, wieder wegmachen lassen. Wohlgemerkt: auf meinen Säntis, der ich dann wäre. Wäre ich ein Säntis.

Ganz besonders aber gefiele mir es, wenn es Frühling würde beziehungsweise Juni und meine Schneemütze auftaute, diese mir dann kalt den Rücken runter rieselte oder sturzbachte und endlich sich zu meinen etwas wärmeren Füßen in den herrlichen Seealpsee ergießt. Streckte darauf allerdings ein Aufrechtgeher seine entblößten Fußsohlen in den Seealpsee – selbst mitten in der Hochsommerzeit – ein entsetzter Seufzer entführe zu meiner Freude seinem Leib und die folgende Bemerkung: „Arschkalt!“ Woher sollte er auch wissen, wie kalt es unlängst mir oben am Hirn gewesen war. Nicht weiter schlimm, manchmal schneit es sogar im Juni wieder.

Was mir auch noch sehr gefallen könnte als Säntis, der ich sein könnte, ist: wäre mein Kopf verdüstert und drohte Ungemach aus diesen Wolken um meinen Kopf herum, stiege so mancher schlecht besohlte Wanderer eiliger hinab ins Tal. Allein zu sein ist ein Gut, nicht einfach zu erwerben. Die Einsamkeit danach, die gilt es auszuhalten dann. Wenn ich wäre ein Säntis.

Na ja, vielleicht wird mir dann schnell langweilig. Aber darüber will ich weiter nachdenken und so werde ich in den verbleibenden Minuten meinen faszinierten Blick auf die Nordflanke des Säntis richten und froh sein hier sein gewesen zu dürfen. Und: Bergen sollte man nicht mit Eroberung drohen. Das mögen sie nicht.

Jetzt bin ich gespannt, was der Zimmermann verlautbarte und bitte um eine gerechte, nicht zu strenge Benotung meines Beitrages. Wie Dinge sich ändern.

Herzlichst Ihr Herr Archibald Mahler

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Appenzeller Vergewisserungen / Kuh käut wieder

Sonntag, 28. September 2014 21:06

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Lieber Herr Ernst Albert!

Sie haben mich gebeten, darüber nachzudenken, was ich aus dem Appenzell mitnehmen wollen würde. Erstmal keine Gegenstände würde ich sagen, keine Souvenirs, also keinen Käse oder Biber oder so, aber eine dieser freundlichen Kühe auf dem Hinterhof in der Kleinen Häßlichen Stadt in Mittelhessen würde mir sehr gut gefallen. Ich könnte morgens aufwachen und würde dieses herrlich gleichmäßige Bimmeln der Kuhglocken hören können, bevor der restliche Tag auftritt. Dieses Bimmeln ist für mich das schönste und friedlichste Geräusch der Welt. Stellen Sie sich vor, dieses Geräusch entsteht vor allem dann, wenn die Kuh den Kopf hebt und wieder senkt um zu fressen. Aber das geht ja nicht mit einer echten Kuh auf dem Hinterhof, weil es ist auch kein Gras dort, lediglich etwas Unkraut und Frau Pelagias gelungene Avocadoversuche. Deshalb nehme ich die Vorstellung mit, daß ich eine Kuh wäre, ich selber eine Kuh mit so vielen Mägen wie eine Katze Leben hat. In etwa. Ich würde aufwachen, aus dem Stall hinaus in die Bergluft hufen, etwas bergwandern, hoch und runter, fressen und fressen und fressen und ab dem Nachmittag rumliegen, das verzehrte Gras plus beigemischte Kräuter von Magen zu Magen wandern lassen, Teile davon wieder hoch würgen, nachschmecken, nachkauen, nachdenken, runter mit dem Zeugs in einen meiner sieben Ranzen, Lab dazu, vergären lassen, wieder käuen und kauen, warten bis die Milch in den Euter schießt, dann der Senn ruft und die Milch in die Kanne tropft und später Butter und Käse ante Migros.

Aber auch die großen braunen Augen der Appenzeller Kühe gefallen mir sehr gut und die Frisuren, die viele der Kühe zwischen ihren Hörnern – auf die sie auch mal dämliche Wanderer, die glauben unangeleinte Dackel über die Alp schleifen zu müssen, nehmen dürfen – tragen und die ihnen von den liebevollen Bergbauern verpaßt werden, sowie ihre Namen. Eine Appenzeller Kuh ist nicht anonym. Das gefällt mir. Also stelle ich mir vor, ich wäre eine Kuh auf harmonischer Weide. Das Leben wäre bestimmt vom Gleichmaß und man könnte immer wieder auf dem Zeugs, was eigentlich gefressen ist, rumkauen, bis es dann endlich verdaut ist und – hoffentlich – ausgeschieden. Und dann wird sortiert: Kuhfladen hier, Milch dort. Einfach, klar strukturiert, hier stinkend, dort wohlschmeckend, da böse, dort drüben gut und das alles umgeben von herrlicher Natur.

Na ja, vielleicht wird mir dann schnell langweilig. Aber darüber will ich weiter nachdenken und so werde ich den Rest des Tages zwischen den bimmelnden Kuhglocken schwelgen und froh sein hier sein gewesen zu dürfen. Und Kühen sollte man auch nicht direkt in die Augen schauen. Das mögen sie nicht.

Jetzt bin ich gespannt, was der Mahler mitnehmen will und bitte um eine gerechte, nicht allzu strenge Benotung meines Beitrages. I hope, I passed the audition.

Herzlichst Ihr Herr Kuno Zimmermann

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Appenzeller Vergewisserungen / Das Scheiden

Freitag, 26. September 2014 15:55

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„Werter Mahler, Sie findet man tatsächlich überall.”

„Ist nicht, Budnikowski mein, Ihr Geschlecht verantwortlich für das gelöffelte Wort: ‚Ick bin all hier.’?“

„Gewiß, aber entsinnen kann ich mich nicht, jemals einen Hasen, der auch noch – wie Ihr werter Vorfahr – einen Aufrechtgeher nachäfft, auf einem Bierglas verewigt gesehen zu haben.“

„Nun, einen Gegenbeweis verifizieren, dazu bin ich ad hoc nicht in der Lage, hätte aber Lust das zu kugeln.“

„Hä?“

„Nun, so im App und…“

„…im Cellphone dann finden?“

„So ist es!“

(Wir blenden uns aus und lassen die Zwei sich über ihr – so meinen sie – gelungenes Wortspiel etwas rumkugeln. Überzwerch rules ok! Währenddessen schweigen sich Ernst Albert und die wunderbare Eva Pelagia frohgemut, aber auch etwas wehmütig, an. Die Sonne wärmt gewiß noch, doch die gelegentlichen Böen, die dem Herrn Säntis den kahlen Rücken runterrutschen, sind kühl und riechen nach Abschied und erstem Schnee.)

„Haben Sie das gehört, Mahler? Morgen soll es auf den Säntis schneien. Wir müssen los!“

„Wenn ich nur könnte. Diese ganzen Absteigerei bin ich nicht gewohnt. Hier sitze ich und komme kaum noch hoch. Meine Oberschenkel sind aus Stein!“

„Trinken Sie einen Schnaps und lassen Sie sich ins Tal runter googeln!“

„Nun, einen Scheidebecher noch!“

„Hä?“

„Ich war vor Jahren mit den ehrenwerten Herrn Albert oben im Norden an einem seiner Musentempel. Da gab es immer Scheidebecher. Viele. Diesen Winter wollen wir wieder dorthin. Kommen Sie mit? Es gibt Fischbrötchen!“

„Hören Sie mal, Herr Mahler, wollen wir den Scheidebecher nicht nutzen, um uns nach all den langen Jahren zu duzen?“

„Weia! Ob da nicht was kaputt geht?“

„Dann wird einfach zurück gerudert!“

„Gut! Also ich wäre dann der Archibald!“

„Wohlsein! Nenn mich Hase!“

„Rightie right! Nenn mich Bär!“

(Während die zwei Herren sich über ihr auf neue Füße gestelltes Verhältnis freuen, der Sommer – dieser Hochstapler – das Feld räumt und der Säntis fröstelt, summt Ernst Albert sein liebstes Abschiedslied. Und weil es ihn gelegentlich zum Pädagogischen drängt, erhalten Hase und Bär eine Aufgabe. Man möge sich bitte überlegen, was man so aus dem Appenzell mitnehmen würde und dies anschließend notieren. Mindestens dreihundertfünfzig Worte. Damit es hier zu lesen sei. Jetzt das schönste aller Abschiedslieder. Und für alle die ganz viel Zeit haben: die Zugabe.)

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Appenzeller Vergewisserungen / Der Vergleich

Donnerstag, 25. September 2014 16:54

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(Der Säntisgipfel eben noch umwölkt, vernebelt, zeigt sich in voller Felsenpracht. Zu seinen Füßen silberblau, strahlend klar, durchsichtig bis auf den Grund, spiegelt der Seealpsee freien Himmel und zurückgekehrte Sonne. (So ein pseudoliterarischer Schmonzes. Die Sonne ist immer. Ja. Der Säzzer!) Mahler, Budnikowski und der Rest strecken Bein und Wade aus. Milchsäure schießt in die Muskelfasern. Mägen knurren. Wunderbar, das alles.)

„Teurer Hase, mir ist leicht und warm und generell und erinnert das hier nicht auch Sie an…“

„Geschwiegen, Bär. Keine Vergleiche. Hier!“

„Oh, verzeihen Sie bester Budnikowski. Eine Frage am Rande dieses kleinen Sees nur: wo ist er, der Ihnen eigene Zungenschlag der letzten Tage? Das Hömma – Syndrom perdu?“

„Herr Lippstadt – Budnikowski von und zu Datteln war lediglich eine Kunstfigur. Sie stürzte – von Ihnen unbemerkt – beim vorherigen Abstieg eine Felswand hinab, fiel in einen Bach und wird bald den Rheinfall bei Neuhausen runterpoltern. Sie verschied ungeheuer friedlich. Und mir ist leichter ohne Bälle am Hals.“

„Und wie heißen Sie jetzt?“

„Wie immer schon: Kuno Zimmermann.“

„Ist hier Bitterkeit? Oder Dünkel gar?“

„Iwoh, weder noch! Mir war etwas zuviel geworden und mein Hasenherz verträgt gewisse Aufregungen nicht mehr. Nichts von Bedeutung. Verträge laufen aus. Beziehungen enden. Bäume werden gefällt. Man stirbt. Es ist wie…“

„Keine Vergleiche, Mister Zimmermann!“

„Gewiß, man soll nicht auf die fremden Teller schielen!“

„Schaffen wir besser die Speisekarten ab?“

„Sofort. Gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Gilt übrigens für weit über 80% der Weltbevölkerung.“

„Nicht ganz so radikal. Vielleicht eher wie in einer kleinen und freundlichen Taverne. Der Koch kommt an den Tisch, sagt an, was die Küche heute zu bieten hat, spricht Empfehlungen aus und man läßt sich darauf ein. Fertig!“

„Nicht das letzte Wort. Trotzdem: Hunger! Durst!“

„Genau! Hunger! Durst!“

(Zwei einladende Alpengasthäuser am Ufer des Seealpsee. Zwei Speisekarten. Weia! Eine Terrasse da. Die andere Terrasse auch da. Einerseits. Aber? Sonne hier. Schatten da. Die einen und die anderen stehen und sitzen mal hier, mal da. Aber die Forelle da drüben oder die hier? Die Preise? Ob man noch mal drüben? Scheißegal! Schweizer Franken, da ist eh alles sauteuer. Hinsetzen. Guter Tag. Kommt nicht wieder so und niemals zurück. Noch nicht mal ähnlich. Wie war das noch? ‚Das Vergleichen ist… (Jaha! Danke! Kapiert! Schnauze! Der Säzzer) Zum Bestellen eines Bieres braucht es keine Speisekarte. Und dann das heutige Lied noch!)

„Zimmermann, haben Sie gehört, wie da jemand kurz vor Liedbeginn ruft: ‚We Want CREAM!’?“

„Eben! Eine einzelne Stimme ruft: ‘We!’ Wandernde Schatten! Sie sind überall!“

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Appenzeller Vergewisserungen / Der Abstieg

Dienstag, 23. September 2014 16:31

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(Über der Nordflanke des Säntis zogen finstere Wolken auf. Archibald Mahler aber stand, stand vor dem Kruzifix des Wildkirchli, stand starr, starrend und sann nach. Über diesen kleinen riesigen Unterschied. Ein Wort lediglich. Aus der Tiefe, Herr, rufe ich nach Dir. Aus der Tiefe, Herr, rufe ich zu Dir. ‚Nach Dir’ hieße es, hatte er immer gedacht. ‚Zu Dir’ aber ist die korrekte Übersetzung. Der Unterschied? Das nach Dir: fordernd, etwas erwartend, ähnlich einer Notglocke im Hospital, als habe man Anspruch auf ein Ohr, einen Lottogewinn, ein glückliches Leben. Rettung sofort. Erlöse mich! Das zu Dir: ein Wissen um die Gegenwart eines Gegenübers, dessen Antlitz zwar gelegentlich verhüllt ist – wie eben gerade der Säntis – aber doch vorhanden, auch wenn unsichtbar. Im mühsamen Vertrauen auf die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme gilt es zu warten und es erwächst kein Anspruch, da werden keine Platzkarten für die Arche Noah verteilt, da stehst du jeden Morgen vor deiner ureigenen Wand, doch Glaube, Liebe, Hoffnung machen: man hält das aus. Aushalten, ja, ertragen und aushalten. Und der Bär im Appenzell dachte weiter, daß dies vielleicht nur seine Lesart sei, Mahlers ureigene Lesart, so wie ein jeder Reim in einem jeden Leser eine andere Glocke zum Klingen bringt. Ein fremdes Wort läßt eine eigene Geschichte vibrieren, ein fremdes Wort formuliert keinen Anspruch auf letzte Wahrheit, ein fremdes Wort gehört keiner Wissenschaft an, und wenn, dann würden aus dem fremden Wort lediglich Wörter. Diese mögen vielleicht fixieren, das Wort aber hält offen. Und weiterhin schien ihm plötzlich, wie wichtig es sei so manches Wort – vor Abschuß des Pfeiles – auf die Goldwaage zu legen, auch wenn dies viel Zeit koste und schnelle Befriedigung verhindere, man sich eventuell quälen müsse und es noch mehr Zeit und sehr viel Energie kostete aus den Sackgassen, in die man besten Gewissens hineingerauscht war, wieder rauszukommen und dranzubleiben am Zweifel, selbst wenn solcher Vorsatz zur Folge haben könnte, daß bär – angestrengt, überfordert, gemüdet – eines schönen Tages verstummte. Für immer. Das dachte Mahler angesichts des Gekreuzigten. Da drang des weißen Hasen Stimme an sein Ohr.)

„Hömma Mahler, hasse gerade Sodom un Gomera rückblickend gesichtet und ham Dich die Götters als Salzsäule inne Appenzeller Hügel gepostet oder wat? Mach hinne, dat Wetter hier iss inne alpine Blitzverdüsterung begriffen! Der Abstieg tut not!“

„Ach ja! Der Abstieg! Budnikowski, warum sprechen Sie eigentlich nicht mehr vom – wie nannten Sie das noch?“

„Vom Gepöhle?“

„So ist es!“

„Ach, da gittet doch ausreichend Schlausprecher innem Metier. Da kann der Hase gelassenst schweigen un brauch sich auch nich euphorisch vonne rote Sofa runterrollen, wennet neubayrische Pfannekuchenjesicht, welchet auffe nach obend besoffene Unsympattenskala dabei iss ‚Ein – Finger – Effe’ so wie unseren ‚Sechs – Ischen – Loddar’ zu überflügeln, ein zugegeben blitzsauberes (Hömma Berichtersabbler! Die nächste Verwendung von diese Vokabel kannet Leben kosten! Gruß: der Vollstrecker!) Törchen zum verdient glücklichen Nationalsiech inne Maschen kloppt. Verzeihung, natürlich gardiolt. Un diese nächsten zwei in China geklöppelten Sterne auffe Trikots für unsere bemalte Jubeljugend holen wir dann bei Zarewitsch Putin und danach auffe Proletenfriedhöfe bei die Scheichs ab. (Hömma Pep! Mit die zwei Katarsagtdankemilliönkes auf Deine Kontoulien kannse Deine Kinners wat Anständiges lernen tun lassen, dat die nich später mal wie Du auf Billigbenzedrin anne Rasenkante rumhampeln müssen! Kein Gruß vom Säzzer!) So getz zurüch anne wichtigen Themata. Wat dachten Sie gerade in Ihre biblische Statuarik?“

„Ach, bester Freund, nichts!“

„Dat iss gelogen!“

„Ja! Das ist es! Steigen wir hinab!“

(Dieser Abstieg hatte es in sich. Die Muskeln aller Beteiligten sangen ein Lied. Von den kommenden Katastrophen? Oder von den überstandenen Katastrophen? Weder noch! “Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.” Diesen Satz sprach der mitabsteigende Ernst Albert vor sich hin. Erstgedacht hatte diese Erkenntnis aber einst Sören Kierkegaard. Und  plötzlich vor aller Augen der See!)

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Appenzeller Vergewisserungen / Aus der Tiefe

Montag, 22. September 2014 0:20

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(Das Wildkirchli sind drei Höhlen, die sich in der steil nach Osten abfallenden Felswand der Ebenalp befinden. Vor etwa hundert Jahren entdeckt, wohnten dort vor mehreren zehntausend Jahren – ähem – Höhlenmenschen, Neandertaler, feuerhütende Aufrechtgeher. Später Einsiedler, Solitäre, Menschenscheue. In einer der drei Höhlen fand man zudem etliche Knochenreste, die darauf hindeuteten, daß sich in einer der drei Höhlen bevorzugt Bären aufhielten. Vor noch mehreren zehntausend Jahren.)

„Hömma Mahler, komfortabel ist dat nicht, wie Ihre Vorfahren hier früher hausten. Et zieht und tropft permanent vonne Decke.“

„Aber in der Höhle nebenan gab es lecker Einsiedler und draußen allerlei anderes Getier und Preiselbeeren. Bär war versorgt.“

„Iss dat hier also sonne Art von Verwandschaftsbesuch, weshalb Sie mich an diese grauenhaften Abgründe geschleppt haben. Herr Mahler treibt Ahnenforschung, oder wat?“

„Nein, mein Bester. Frau Pelagia wollte eigentlich auf den Säntis da hinten, aber Ernst Albert sagte, daß dies zu teuer sei und deshalb sind wir hier. Und der erste und oberste Chef von Herrn Ernst Albert ist Madame Coincidencia.“

„Dat soll ich glauben tun. Dat iss von langer Hand und Hinterhältigkeit geplant!“

„Falsch! Der Herr Albert hebt die schwörenden Finger und bemerkt erst heute sei ihm überhaupt aufgefallen, daß der Bär das Wappentier vom Appenzell ist.“

„Ha! Wo der feine Herr Jahre von seine Jugend anne Grenze zu diesen hügeligen Ländereien verbringen tun durfte. Zweifelnd vibrieren mir die Löffel!“

„Es dauert manchmal, bis man begreift, was man Jahre lang sah, ohne zu sehen. Und: Es gibt keine Zufälle, außer man glaubt nicht an sie.“

„Dat iss woll richtig. Hinschauen iss ein aktiver Vorgang. Wenn dir wat gänzlich unreflektiert auffe Iris fällt, hasse lang noch nichts gesehen, geschweige denn begriffen.“

„Eingesehen, auch so ein Wort!“

„Bevor wir getz wieder inne Bärenphilosaufereien abgleiten, noch wat Touristisches. Wieso heißt dat Gelände getz Wildkirchli?“

„Ein paar Schritte noch!“

(Weiter über glitschigen Stein, unter tropfender Decke, vorbei an Fundstätten verwandtschaftlicher Knochen schritt man, es verengte sich die große Höhle zu einer kleineren mit grandiosem Blick hinab in tiefste Tiefe: die Altarhöhle.)

„Hier haben also die Einsiedler ihre ersten Altäre errichtet und Zwiesprache mit oben gehalten!“

„Dat kann ich nachvollziehen. Hinten am zitternden Pöter ihre hungrige Bärenverwandschaft und vorne vorre Nase biblische Abgründe. Datte da die Pfötken falten tust, dat leuchtet sogar meine Wenichkeit ein.“

„De profundis ad te clamavi domine! Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir!”

„Dat iss ja interessant. Zu Dir wird gerufen, nich nach Dir! Warum?“

„Freiwilligkeit!“

„Und wat iss dat für ein Liedken getz, wat von unten zu uns ruft?“

„Man ruft zu uns aus der Tiefe. Engel vielleicht. Hinab denn.“

(Man macht sich auf den Abstieg zum Seealpsee und ahnt nichts von den daraus erwachsenden Folgen. Während Herr Mahler sich so seine Gedanken darüber macht, warum sein Urahn, der die beiden Kantonswappen und etliche Gemeindewappen im Appenzell prägt, stets ein aufrechtgehender und mit eindeutig geschlechtlicher Zuordnung versehener Bär ist, zitiert Herr Albert den legendären Spruch, der in einer Nische des legendären Cafe Bohe zu Konschtanz a. B. hing, in dem er statt Algebra die legendären Butterbrezeln studierte: „Schilt nicht den Jäger, der sonntags nicht zur Kirche geht. Ein frommer Blick zum Himmel, ist besser als ein falsch Gebet.“ Herr Archibald Mahler aber bleibt stehen und dreht sich noch einmal um.)

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Appenzeller Vergewisserungen / Der Schwindel

Sonntag, 21. September 2014 11:11

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(Man hatte sich also losgerissen vom Idyll, stieg hinab den steilen, schmalen Pfad Richtung Wildkirchli, später dann Seealpsee.)

„Hömma hier iss Wandererverkehr wie am Kamener Kreuz, nachmittags annem Freitach.“

„In diesem verregneten Sommer stürzt nun mal, wenn die Sonne sich zeigt, alles wie auf ein geheimes Kommando hinaus ins Licht!“

„Tja, watte inne Mediums lesen konntest, hatt et die hier unten ganz besonders feucht erwischt in diesem Jahr!“

„Das mag wohl sein!“

(Wenig wird gesprochen ansonsten, der Pfad fordert sicheren Tritt. Nun gut, das ein oder andere obligatorische „Gruezi“ huscht den Wanderern über die Lippen. Und dann tut er sich plötzlich auf – nach guten zwanzig Minuten des Weges – unerwartet und jäh (welch herrliches Wort!!!): der Abgrund.)

„Mahler, halt mich. Dat glaub ich nich, wie et sich hier auftut in Richtung freien Fall. Da schlottert dat Bein und dat Hasenherz pumpt. Ihre Pfote her, Herr Bär!“

„Gewiß! Aber vergessen wir nicht diese wohlig schaudernde Faszination beim Blick hinab. Stellen Sie sich vor, man könnte fliegen!“

„Nee, dat überschreitet des Budnikowskis Horizont in ganzer Komplettheit. Einen Fluch meinerseits kann ich da nicht sehen tun, bestenfalls einen unkontrollierbaren Sturz inne Tiefe der Unendlichkeit. Der Aufprall mal komplett inne Verdrängung geparkt. Mir schwindelt.“

„Ist Ihnen schon mal aufgefallen: der Schwindel, der jemanden erfaßt und der Schwindel, den man gebraucht, um einem Gegenüber geschönte Wahrheit zu verkaufen: ein gleiches Wort.“

„Bei die Japaners, wenn ein Strich bei denen ihre kalligraphischen Wortgemälde nur eine Millimeterkes verrutscht ist, iss die ganze Bedeutung innet komplette Gegenteil verrückt. Verrückt!“

„Nachdem er unzählige Chancen vergeben hatte, wünschte er vergebens, alle mögen ihm vergeben!“

„Hat dat der Gomez gesacht?“

„Sind wir nicht alle ein bißchen Gomez?“

„Um auffe Schwindel zurück zu kommen: ich denk ja immer, schon aus eigene hasenherzige Erfahrung heraus, wennse jemand anschwindeln tust, merkse dat inne Moment vonne Schwindelei sofort und dann bisse erfaßt vom anderen Schwindel, woll. Bei die einen schwächer, bei die anderen mehr.“

„Wie sagte Georg Büchner treffend: Was ist es, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“

„Tja, das willste doch kein Aufrechtgeher sein!“

„Da können Sie ein Lied von singen!“

„Welches?“

„Konzentrieren wir uns auf den Abstieg!“

(Weiter hinab den immer steiler und schmaler werdenden Pfad. Waden und Oberschenkel senden erste Zeichen. Man summt ein altes Lied. Die Sonne wärmt den Fels. Rechterhand. Nicht stolpern. Runter brauchts mehr Konzentration als Rauf!)

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