Beiträge vom September, 2015

Am Fluß ohne Wiederkehr / Die Verpflichtungen

Sonntag, 13. September 2015 17:50

tal25

Das Gehen der Kamschatka – Bear ist ein Fallen, ein Fallen mit dem Fluß, ein stetes Fallen in die Zeit. Ein Kamschatka – Bear weiß, daß jeglicher Schritt, den er ab seiner Geburt tut, ihn dem letzten Großen Sprung näher bringt. Der Kamschatka – Bear fürchtet nicht den Tod, er vergeht sich selbst Schritt für Schritt. Deshalb kennt der Kamschatka – Bear keine Eile. Er benötigt keine falsche Kraft. Das was ein anderer sein Gewicht nennt, nennt der Kamtschatka – Bear die Verpflichtung und diese zieht ihn dahin. Selbst das Erklimmen eines Berges – der Kamschatka – Bear ahnt wohlwollend die Zweifel im Auge des Lesers – erfolgt im steten Fall. Den Oberkörper Richtung Oberschenkel gelehnt, die Verpflichtung in den Waden konzentriert, fällt der Kamschatka – Bear Tatze für Tatze, Atemzug um Atemzug in den Hang und steigt hinan. Doch obgleich lange Jahre von meinem verehrten Lehrmeister Klecker Peter in der Kunst des klaglosen Gehens unterwiesen, so fiel mich auf der Wanderung hinaus aus dem Tal eine ungekannte Atemnot an. Ich folgte meinem Gefährten Old Schmetterpfote und dies gelang mir kaum. Das harte Gras schlug gegen die Verpflichtung in den schmerzenden Waden und auf meiner Brust machten sich einige der Dämonen breit, welche den Freund über das Grasland trieben. Meine Zunge klebte am Gaumen wie eines der gezackten Papierstücke, mit denen der weiße Mann seine Botschaften beklebt und diese dann den berittenen Boten des Pony – Express überantwortet. Entgegen aller tief in mir verwurzelten weisen Ratschläge – oh Hoffnung so trügerisch – führten wir, die wir überstürzt aufgebrochen, keinen Schluck Wasser mit uns. Die rasenden Hacken von Old Schmetterpfote wirbelten Staub und Gräsersamen in meine tränenden Auge und ich ersehnte den nahen Fluß.

Nein, ich war nicht auf der Flucht. Meine Heimat hatte ich – den Göttern sei Dank in freiwilliger Würde und aufrechter Ruhe – schon vor vielen Jahren hinter mir gelassen. Doch seit wir die kläglichen Reste von Kinky Claude unter die Erde gebracht hatten, trieben mich die Horden des Pferdefüßigen vor sich her. Hüfthohes Gras peitschte mir entgegen, meine rudernden Arme teilten die über dem steinigen Boden flimmernde Luft und mir schien, beschleunigte ich meine Schritte noch ein weiteres Mal, gelänge es mir den Horizont zu greifen. Was war der Grund dieser Hatz? Was trieb mich? War es der naive Glauben in Tinseltown ins Getriebe des Bösen greifen zu können und das ewige Rad des Verderbens in seinem Laufe bremsen, gar aufhalten zu können? Eine aus alten Gemächern der Seele aufsteigende Wut auf den obszönen Tanz der Krämerseelen um die goldenen Kälber? Meine nie versiegende Trauer über den Verlust von „Schöner Tag“? Oder trieb mich etwa die armselige Hoffnung in Tinseltown die Scherben meiner einst dort begangenen Dummheit zu finden oder gar zusammenkehren zu dürfen? Ich schlug meine Beine in den Prärieboden, schrie die Zahl meiner Schritte in die gleißende Mittagssonne, als ich den Horizont auf mich zurasen sah, meine Kehle sich schloß und ich unter einem dieser entrinnenden Gurgeln folgende Worte vernahm:

„Old Schmetterpfotes Geist weiß, daß der Feind, den er jagt, nicht fliehen wird. Er trägt ihn in sich. Es ist Zeit zu rasten!”

Die schwere Pranke von Häuptling Kleines Abbes Bein legte sich auf meine Schulter und ich fiel.

Rechtzeitig hatten wir das Ufer des Flußes erreicht. Wir saßen – gestärkt von Wasser und Forellen – im schützenden und kühlenden Schilf. Die Augen von Old Schmetterpfote blickten wieder klar. Der Pferdefüßige hatte sich zurückgezogen. Es war Zeit einen Plan zu fassen. Die Unken quakten. Der Freund und Westmann nestelte seine Mundharmonika aus der Ledertasche und blies ein wehes Lied in die hereinbrechende Nacht.

„Kleines Abbes Bein ist froh, auch wenn er weiß, daß eine Rückkehr ihm nicht mehr gewährt!“

„Ja! Die Lieder der Heimat klingen erst von fremden Höhen klar!“

(Fortsetzung folgt)

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Thema: Archibalds Geschichte, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Am Cospudiner See / Unbeglichene Rechnungen

Freitag, 4. September 2015 20:48

tal23

So saß ich also, all meine Reisen in die Täler und an die Ränder nur mehr als ein fernes Echo in meinen Löffeln rauschend, in eine Wolldecke gehüllt auf der Holzveranda meiner Blockhütte am Ufer des Cospudiner Sees in der Nähe meiner geliebten Gosenstadt, wohin meine von den Anstrengungen eines Lebens als Westmann gemüdeten Knochen mich hatten zurückkehren lassen – Oh Heimkehr du, stets ersehnt und schrecklich traurig gerne! – und der nahende Herbst blies kühl über das stille Wasser und das Rheuma in meine Glieder. Auf meinen wackligen Knien ein Schuhkarton. Erinnerungen quollen und ich fragte mich, was mich bewegt hatte, einen Gutteil der Schachtel mit Rechnungen anzufüllen, die meistens ordentlich beglichen zwar mit Nuggets oder einem guten alten Greenback, aber eben auch mit Narben, Schürfwunden und manchem geflickten Knochen, Rechnungen aber doch und es schüttelte mich die Vermutung, daß selbst im Herzen eines freien Geistes, geht es dem unvermeidlichen Ende zu, ein Buchhalter lauert, wenn ich mich nicht irre, hihihi! Und voller Wehmut blickte ich auf die Photographie, auf welcher der Schädel von Deadly Dust prangte, dem edlen Roß, welches einst Häuptling Kleines Abbes Bein über die Prärie getragen hatte und welches den Weg in die Ewigen Stallungen gehen mußte, an jenem gräßlichen Tage im Tal, als die zerstörerische Wucht einer Explosion mich durch die Luft gewirbelt hatte und der Große Manitu uns im allerletzten Moment das Gatter zu den Ewigen Jagdgründen vor der Nase zugeschlagen hatte, mir Old Schmetterpfote und meinem roten Bruder Kleines Abbes Bein. Sieh an den gebleichten Schädel eines unschuldigen Vierbeiners, welcher nun mahnend den Eingang zum (ehemaligen) Heiligtum der Kamschatka – Bear bewacht. Eine dieser Rechnungen, die wohl niemals beglichen werden oder erst im Angesicht des letzten Tages, an den Schranken eines letzten Gerichts.

„Mein weißer Bruder, der Du jenseits des Großen Wasser, welches der Große Geist zwischen unsere Heimatländer setzte, die Stille Deiner letzten Abende besingst, traurige Botschaft sendet Dir Kleines Abbes Bein, Häuptling des untergegangenen Stammes der Kamschatka – Bear. Jamulapanta, der Hüter der Seelen der Vierbeiner, ließ Hattumörla, das edle Roß von Old Schmetterpfote zu sich rufen. Viele Jahre weidete die treue Seele zu den Füßen meines Pueblo und nagte friedlich an den Halmen seines Ruhestandes, doch in einer der letzten Vollmondnächte, die eine klirrende Kälte bis in den tiefen Süden meines Landes geschickt hatte, fiel ein ausgehungertes Rudel Wölfe in unsere Stammesweiden ein und der alte Recke verlor seine letzten Kampf. Das Herz von Kleines Abbes Bein ist schwer und seine Gedanken weilen am anderen Ende des Großen Wassers bei seinem alten Weggefährten. Doch auch dankbares Glück erfüllt den Häuptling der Kamschatka – Bear, denn der weise Ratschlag von Klecker Peter, Kleines Abbes Bein möge Buchstaben und Schrift des Weißen Mannes erlernen, ist ein Segen und dem Herzen große Freude. Sei gegrüßt von den heißen Winden, die über die Prärien jagen. So manches Lied noch singen sie von den Taten des Old Schmetterpfote. Hugh, ich habe geschrieben!“

Dieser, einer der letzten Briefe meines Blutsbruders, war mir aus den klammen Pfoten gefallen, lag gelesen und beweint zu Füßen meines knarzenden Schaukelstuhles, eine vorwitzige Maus führte sich eine Ecke des wertvollen Dokumentes zu Gemüte, denn ich war eingenickt. Ich träumte von jenem Tag, als mich wenige Momente einer Illusion gestreift hatten, jener Illusion, diese alte Rechnung sei endlich nun beglichen, ich träumte von jenem Tag im Tal, als zwei aufrechte Seelen durch die Luft geflogen waren und das erste Geräusch, welches ich nach dem fürchterlichen Aufprall vernommen hatte, das erste Geräusch nach einem von mir herzhaft in die Prärie gebrüllten „Ei verbibsch, was brummt mir och dr Nischl!“, das Wiehern meines guten, alten Hattumörla gewesen war. Dazu wäre zu sagen, daß Kinky Claude einst – ach, einer unglückseligen Dummheit meinerseits geschuldet einst in Tinseltown, die zu erzählen ich bisher vermieden habe – mein treues Roß entwenden konnte und ich so also befürchtete, daß die todbringende Explosion, die auch den Auslöser in unzählige Teile zerfetzt hatte, das Ende von Hattumörla bedeutete. Doch dem waren die feinen Nüstern meines Rappen vor, das Roß hatte sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Und so erwachte ich vom alten Glück gestreift und mir war, als stünden der Große Häuptling der Kamschatka – Bear und ich wieder am schnell geschaufelten Grabe des Bösewichts, im Hintergrund befreites Wiehern. Ja, auch dem Sünder, und sind es nur ein paar Aschehäufchen, die man der Erde übergibt, schenkt der aufrichtige Christ tröstende Worte für die letzte Reise und bittet die Götter, sie mögen die eigene Unzulänglichkeit vor den Versuchungen und Abgründen des Bösen bewahren. Ich hörte wieder die Stimme meines roten Bruders.

„Old Schmetterpfote spricht Worte, die dem Herz von Kleinem Abben Bein wohltun. Möge der Mörder meiner Schwester und meines Vaters den letzten Pfad aufrecht hinabwandern. Es ist Zeit weiterzureiten.“

„Der Häuptling spricht weise und voller Vergebung. Bewunderung lässt mich tiefer atmen, doch vernehme, nur noch ein Pferd ist unser!“

„So schreiten wir voran! Kinky Claude war nur eine einzelne Seele, die der Milzbrand des Bösen ergriffen hatte. Mein Bruder weiß, daß es gilt den Arm des einarmigen Banditen zu brechen!“

„Und wohin führt uns die Wanderung, mein Bruder?“

„Nach Tinseltown, ins Herz der Finsternis. Die GRAUE WOLKE will weichen! Hugh!“

(Fortsetzung folgt)

tal21

Thema: Archibalds Geschichte, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth