Beiträge vom November, 2010

ICH SCHLAFE DOCH NUR! BIS DIE TAGE!

Mittwoch, 10. November 2010 6:16

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Jetzt ist Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz, wieder zu Hause. Die Heimreise war ziemlich entspannt. Herr Ernst Albert hatte nicht viel gesprochen, weil sein Kopf viereckig war. Der Zug war pünktlich. Man wurde abgeholt.

Jetzt sitzt der Bär in seiner Höhle in Mittelhessen, die Fensterbank ist fern, Eva Pelagia sorgt für eine angenehme Raumtemperatur in jeder Beziehung und bis Aschermittwoch 2011 ist noch was Zeit. Ordentlich Zeit! Morgen kommen die Narren. Das braucht ein Bär nicht! Man ist sich selbst Narr genug!

Jetzt schläft der Bär. Und der erste Traum des nun schlafenden Weltenschauers war der: aufzuwachen und als erstes wieder das geliebte Meer sehen zu dürfen. Und während man so schaut und wach wird, schmeißt Herr Lenz ein paar wärmende Sonnenstrahlen auf die Wasseroberfläche. Von rechts? Schaun wir mal!

Und sonst? Ich schlafe doch nur! Bis die Tage!

Thema: Archibalds Geschichte | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

SCHEIDEBECHER DER MELANCHOLIE, EUPHORIE UND WARUM KEINER GEHT

Dienstag, 9. November 2010 16:33

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Diese Geschichte ist die vorletzte vor der Winterpause, es ist die zweihundertzwanzigste seit Beginn der Weltenschau am Aschermittwoch 2010, also ist es auf eine Art und Weise auch eine ein klein wenig stolze Geschichte und es ist eine Geschichte, bei der Herrn Archibald Mahler das Gefühl beschleichen könnte, man nehme ihm gerade das Steuer aus den Pfoten. Dem ist aber nicht so. Der Reihe nach.

Ernst Albert war, nachdem er den Bären alleine gelassen hatte, am Ufer auf- und abmarschiert und hatte sich fremde Worte ins Hirn gehauen. Erst ins Kurzzeitgedächtnis rein damit, dort alles ein bißchen abhängen lassen, dann mit Sinn und Verstand vermengen und hoffen, daß beim morgigen Transfer ins Langzeitgedächtnis noch ein wenig übrigbleibt. Das ist das mühsame Gewerbe eines Musentemplers, wenn er auf und nicht vor den Brettern tätig sein muß. Aber irgendwann reicht es selbst dem diszipliniertesten Memorierer und Ernst Albert betrat ein Fischlokal. Es war eben jenes Fischlokal, an dessen Rückseite zur selben Zeit ein Bär in Richtung Winterschlaf ein letztes Mal die obligatorischen Fettreserven updaten wollte. Es rappelten die Deckel der Mülltonnen und Ernst Albert ließ besser mal ein Auge gelegentlich aus dem Fenster blicken. Weiß man es? Das andere Auge? Was tat das?

„Fisch muß schwimmen!“ So sagt man. In diesem Fall sagten dies Ernst Alberts derzeitiger Herr Musentempeldirektor nebst Gemahlin, die es im oben genannten Lokal zu treffen galt. Man legte also einen kleinen Biertümpel in den Eingeweiden an, um dem noch in der Küche lauernden Dorsch mit Rote Beete und Kartoffeln in Senfsauce eine fröhliche Einkehr zu ermöglichen. Und der Tag war noch ziemlich jung. Vielleicht hat es damit zu tun, daß das Hinausblicken aufs Meer gleichzeitig Euphorie befeuert, aber auch eine gehörige Portion Melancholie mit sich bringt. Ein Spannungsverhältnis, welches durch Gerstengetränke zumindest abgemildert wird. Der Fisch war gut, der Durst noch nicht gestillt. Aufbruch.

Archibald Mahler protestierte heftigst, als er geweckt wurde. Typisch Aufrechtgeher! Kein Respekt vor den Ritualen und Bedürfnissen anderer Erdenbewohner. Als Ernst Albert ihn dezent auf die mit Baggern anrollenden Strandreiniger von Strande hinwies, wuchs so etwas wie Einsicht in des Bären todmüdem Hirn. Er kam mit. Unter Protest. „Ich will heim! Sofort! Heim nach Mittelhessen! Und schlafen!“ In der Hoffnung keine Klage wegen der Vernachlässigung der Aufsichtspflicht an den Hals zu bekommen und um der Wahrheit die Ehre zu geben: man kehrte noch lange nicht heim. Im Gegenteil, die Kaschemme, die man nun ansteuerte, war ein berühmt–berüchtigter Sammelpunkt für Freunde des Tagesbiergenusses. Und dies wohl schon seit Jahrzehnten. Herr Mahler saß, inzwischen gelassen vor sich hindämmernd, auf einem Schiffmodell, schaute Herr Ernst Albert, der sich der Trunkenheit in dezenten Nullkommazwoliterschritten annäherte, über die Schulter und hatte seinen Spaß.

Es wurde eine schöne Abschiedsfeier. Der Musentempeldirektor und Herr Ernst Albert sprachen hoch im Norden in ihren zutiefst heckerländischen und sauschwäbischen Dialekten miteinander und auch die anderen Gäste freuten sich des Lebens laut und feucht. Da war zum Beispiel ein Mann, der jahrelang hinter Kasernentoren eingesperrt war und der sagte, als man ihn fragte, wie lange er denn die letzte und längste Nacht getanzt habe, bis drei Uhr habe er dies getan und als man ihn weiter fragte, ob es drei Uhr Sommer- oder Winterzeit gewesen sei, sagte er: „Zu beiden Zeiten!“ Worauf Herr Ernst Albert wiederum bemerkte, ein Panzer könne ja auch nicht gleichzeitig vorwärts und rückwärts fahren und so gewänne man keinen Krieg. Was ja wiederum sehr gut sei. „So iss das dann wohl!“ Das sagte der Mann und grinste. Und als man im angeregten Gespräch feststellte, daß die Butter im Heckerland auch gerne mal der Butter genannt würde, protestierten die anwesenden Nordlichter heftigst. “Das mag ja wohl nich angehn.” Aber Herr Ernst Albert hat ihnen dann erklärt, daß die Milch, wenn sie den Euter verlässt, stante pede das männliche Geschlecht annehme. Das ist dann auch gleich eine neue Runde wert gewesen. „So ein Blödsinn aber auch. Aber lustig ist das schon!“ Archibald staunte darüber, wieviel sinnloses Zeugs fröhliche Aufrechtgeher reden können, um sich dann unbändig darüber zu freuen. Und dann dachte er noch, daß, wenn er so viele gelbe Getränke getrunken hätte, sein Abdomen schon längst explodiert wäre. Und dachte aber auch, hier machen die Aufrechtgeher zwar auch dummes Zeug wie immer, aber zumindest tun sie keinem  weh. Außer sich selbst, selbstredend.

„Oin Scheidebecher nämmet mir noch!“ Wie oft er diesen Satz heute schon vernommen hatte! Archibald Mahler, Bär im Lammers Eck zu Kiel, hatte nicht mitgezählt. Fast schien es, daß diese Ankündigung eines nahenden Aufbruchs die alten Saufköpfe noch fester auf ihre Barhocker schraubte. Euphorie und Melancholie eben. Draußen dämmerte es, in den Hirnen der Thekenbelagerer auch und inzwischen hatte auch ein reger Pendelverkehr zwischen Zapfhahn und Endlagerstätte eingesetzt. Alter und Überfüllung taten ihr Werk. „Da bewegt sich ja was! Nur wie! Mehr in die Breite als nach vorn.“ Wo soll das alles nur enden?

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RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN DES TIEFSCHLAFS

Montag, 8. November 2010 7:50

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Der ein oder andere Aufrechtgeher widersetzt sich gerne dem Lauf der Welt und glaubt offenbar noch im beginnenden November an eine Rückkehr von Fräulein Else Sommer. Hübsch! Da standen also noch einige Strandkörbe, ganz nah am Wasser, waren vorne mit einem Lattenrost verschlossen und hinter diesem Rost lagen Handtücher, Schwimmreifen, Badehosen und anderes Sommergeschirr und warteten auf einen letzten Badetag. Vergeblich wohl. Oder war dies gar einer dieser Orte, an dem sich Winterschwimmer versammelten, um ihren Leib auch in den dunklen und kalten Monaten unerbittlich in die eiskalte Ostsee zu schmeißen? Archibald Mahler, den müden Bären, interessierte das nicht weiter. Ihm gefielen die abgeschlossenen Strandkörbe und zwischen den Holzlatten, welche das Hab und Gut der Badezweibeiner sicherten, war ausreichend Platz für einen kleinen Bären um durchzuschlüpfen. Und der hier gefiel ihm besonders. Kaum Gerümpel hinter dem Lattenrost, aber ein Aufrechtgeher hatte ein originales Piratenkopftuch drinne liegen lassen. Der perfekte Kolder. Den Apfel reingeschoben ins ausgewählte Winterdomizil – ist auch ein gutes Kopfkissen so ein Notapfel! – und dann sich in das Tuch wickeln und dem alten Bärenjahr einen beherzten mentalen Tritt in den Pöter geben und ab dafür. Herr Morpheus, übernehmen Sie!

Und weil weder Eva Pelagia noch Ernst Albert in der Nähe waren – ein selbstständiger Bär braucht das auch nicht! – sang er sich mit einem Lied, welches er öfters in der mittelhessischen Höhle gehört hatte, eigenverantwortlich in den Schlaf. Und so ging das Lied. Huch! In Ordnung, hier ist ein Einschub. Doppelpunkt. Tatsache ist, daß Herr Archibald Mahler selbstredend des Englischen mächtig ist, das haben wir ja schon an anderer Stelle erwähnt. Also jetzt: das Lied: “I’m a sleepy time baby, a sleepy time boy / Work only maybe, life is a joy / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / Sleepy time time / Sleepy time time all the time / Asleep in the daytime, asleep at night / Life is all playtime; working ain’t right / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / Sleepy time time / Sleepy time time all the time / I have my Sunday, that ain’t no lie / But on Monday morning comes my favorite try / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / Sleepy time time / Sleepy time time all the time.” Ach, Sie glauben nicht, daß man bei solch einem Krach einschlafen kann? Man kann. Achten Sie auf den Bass!

Am Sonntagabend war er dann eingeschlafen der Herr Archibald Mahler, da oben am Strand von Strande und die Ostsee gurgelte leise vor sich hin, der wilde Sturm war eingeschlafen und die Nacht war noch angenehm mild und die ersten Stunden des Schlafes tief und fest. Kein Traum störte den Bären, das vergangene, erlebnisreiche Jahr ließ ihn in Ruhe und nichts hirnte unter dem Fell, alles atmete ruhig aus und ein. Selbst die Möwen hielten ihre kreischenden Schnäbel. Weiche und wohltuende Ruhe. Aber ein Sonntag endet und dann kommt der Montag. Und es kam nicht nur der Montag. Sondern auch der kleine Bagger. Und der Lastwagen. Und die zwei Aufrechtgeher bewaffnet mit Schaufeln und Rechen und Müllsacken und Sackkarren und und und. Und warum fahren die mit dem kleinen Bagger und ihrem Laster und den Sackkarren auf den Strand? Und warum steuerten sie mit entschlossenem Blick die letzten Strandkörbe an? Und warum als erstes diesen einen? Eben jenen? Dort wo? Auweia!

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VON HIER AUS DAS NICHTS ANSTEUERN

Sonntag, 7. November 2010 13:17

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Er hatte so ein Ding schon mal gesehen, unten an der Lahn. Aber da gehören sie nicht hin, genau so wenig wie der dort aufgeschüttete extrem alberne Sand, der etwas unterbelichteten Aufrechtgehern den Feierabend gestalten soll, den sie wohl nicht mehr selber gestalten können auf Grund ihrer durch permanente Dauerbespaßung verkleinerten Gehirne. Aber hier gehörten diese Dinger hin, denn hier waren sie auch geboren worden. Ein Aufrechtgeher in Rostock hatte vor einhundertfünfundzwanzig Jahren für seine rheumakranke Tante so ein Ding konstruiert, damit sie bei jedem Wind und Wetter auf die Ostsee schauen kann. Und da ein Tag ohne Wind oder Sturm am Meer sehr selten ist, wollten alle anderen auch so ein Ding haben. Und jetzt kann man die sich kaufen oder mieten und es ist kuschelig warm am Pöter und vorne rollt das Meer gegen den Sand, der hier auch hingehört und gar nicht albern wirkt, sondern ganz im Gegenteil. Archibald Mahler saß das erste Mal in seinem Leben in einem Strandkorb und das gefiel ihm sehr.

Der Sturm rüttelte an seinem Korb, aber sonst war es recht gemütlich und Archibald dachte, eine bessere Höhle findet er nicht. Und jetzt den Winterschlaf beginnen und dann aufwachen und als erstes das Meer sehen, das war ab sofort sein Plan. Allerdings stand der Korb, in dem er jetzt saß, etwas ungünstig im Winde und es hatte ordentlich reingeregnet in das Ding und das wiederum gefiel ihm gar nicht. Mit nassen Pöter einzuschlafen, da ist das Rheuma vorprogrammiert und da hilft auch kein noch so schicker Strandkorb mehr. Und da sah er, weiter vorne am Strand, etwas, was ihm sehr geeignet schien. Und er packte seinen Apfel, den ihn Ernst Albert überreicht hatte und machte sich auf den Weg. Der Weg war nicht sehr lang, aber Archibald hatte das Gefühl viele, viele Meilen wandern zu müssen. Es war ihm, als balanciere er auf dem schmalen Grat zwischen Wachen und Schlaf. Aber er fiel nicht runter auf seinem Weg ins winterliche Nichts. Und er weiß immer noch nicht, wie er es dann doch geschafft hat sein Ziel zu erreichen. Aber er hat es erreicht.

Dann hat er sich vor das neue Ding gesetzt und noch mal geschaut, raus aufs Meer und ganz genau hingeschaut. Nicht mit den Augen geschaut, sondern mit jeder Pore geschaut, mit seinem Atem geschaut, mit allem geschaut, was einen Bären ausmacht. Ja, er liebte es sehr, das Meer. Und der Rhythmus der an- und abrollenden Wellen erfasste ihn und trug ihn sanft hinüber in das Land, in dem er sich die nächsten Wochen und Monate aufhalten sollte und wollte. „Hinter diesem Gatter ist besser!“ Das dachte er noch. Und er kletterte hinein. Ein Schiff fuhr in den nahen Hafen.

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SOMETHING IS HAPPENING AND ARCHIBALD MAHLER KNOWS WHAT IT IS

Samstag, 6. November 2010 11:21

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Es ging blitzschnell und das, was geschah, war von beeindruckender Kraft. Ungebremst fegte der Sturm über das große Wasser. Gottlob ein auflandiger Wind, sonst hätten die ungekannten Kräfte Archibald gepackt und auf die offene See hinaus geblasen. Mit aller Bärenkraft hielt er sich an dem alten Baumstamm fest, den die Aufrechtgeher der Küste vor langer, langer Zeit ins Wasser gerammt hatten, um daran ihre Boote und Schiffe festzumachen. Einen Wind von solcher Wucht kannte er nicht. Sicher, auch in Mittelhessen entwurzelt gelegentlich der entfesselte Atem des Aiolos einen Baum oder zwei. Aber hier oben kommt der Sturm unvermittelt und mächtig. Kein Grollen, kein Rauschen von Blättern, kein Klappern von Dachziegeln oder Antennen kündigt ihn an. Plötzlich ist er da und dann heißt es sich festhalten oder, wie Archibald Mahler, Bär im Wind, dies tat, indem er seine Tatzen fest in einen Riß in den Baumstamm, auf den er geklettert war, klemmte. Ein bißchen mulmig war ihm schon, aber das mußte man gesehen und gespürt haben, wie die Himmelsmächte an einem herumreißen und -zerren. Und diese Finsternis am Horizont, durchschossen von den Fingern des Belenus, dem Gott des Lichtes und der Heilung. Grandios! Ein Schauspiel ganz nach des Bären Geschmack.

Aber der Sturm sandte auch eine Botschaft, eine erste Botschaft des kalten Knaben Iwan Heribert Wintersen, der ungeduldig darauf wartete den werten Freiherr Gottfried von Herbst zu beerben. Archibald drehte sich um und siehe da, wo gestern noch buntes Blatt die Bäume im milden Lichte glitzern ließ, nur noch kahles Astwerk. Es war höchste Zeit, einen warmen und sicheren Platz aufzusuchen. Und davor vielleicht noch etwas zu sich zu nehmen.

War dort hinten am Strand von Strande nicht ein Lokal gewesen? Ein Fischlokal? Rochen die Mülltonnen an der verborgenen Rückseite des Hauses nicht verlockend nach Fischresten? Er machte sich auf den Weg. Lecker und nahrhaft! Und dann erblickte er ihn, den perfekten Ort, den Winterschlafthron, dieses Ding. Blau – weiß gestreift, überdacht, kuschelig, sicher! „Ein bißchen Schutz ist immer gut!“ Und Archibald saß erst mal Probe.

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EIN TANZ MIT DEM VERGEHENDEN JAHR

Donnerstag, 4. November 2010 13:17

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Hatte ihn wer gerufen? Der Bär stand auf, rutschte von seinem Felsen herab. Da, von dort vorne hatte jemand seinen Namen gerufen. Er ging den Strand entlang. Und was er nun erblickte, gefiel ihm sehr. „Magisch!“ Das dachte er. Nun vernahm er die Stimme ganz deutlich und nah. Sie sprach: „Moin, moin!“ Und: „Schön, daß Du zu meiner kleinen Geburtstagfeier gekommen bist!“ Archibald blickte um sich. Niemand zu sehen. Zumindest kein Aufrechtgeher, dem man diese Stimme zuordnen könnte. Lediglich ein ganze Reihe kleiner Steinmännlein. Von wegen lediglich. „Das ist bestimmt der geheime Garten eines Zauberers. Und die Steinmännlein sind seine Zauberlehrlinge und die haben Blödsinn gemacht und dann hat der Zauberer sie zur Strafe versteinert.“ Und dann hörte er Musik. Und die Stimme sprach: „Zwar habe ich heute Geburtstag, aber Du, weil Du von so weit hergekommen bist, Du darfst Dir heute etwas wünschen.“ „Darf ich kurz nachdenken, Herr Unbekannt?“

Und Archibald hatte sich gewünscht zu diesem Lied tanzen zu dürfen und der Herr Unbekannt möge doch, so lange dieses schöne Lied läuft, die versteinerten Zauberlehrlinge lebendig machen, auf daß sie mittanzten und er nicht so alleine wäre. Und Archibald Mahler begann sich im Kreis zu drehen wie ein alter Derwisch und Sufimeister und die Steinmännchen drehten sich mit ihm. Und sie fragten den Bären, was er dieses Jahr denn so alles erlebt habe. Und der Bär dachte nach und schon begann das ganze vergangene Weltschaujahr mitzutanzen, mit ihm und um ihn herum. Und es war ein großes Hallo und Grüß Gott und Ach gucke mal und der Bär staunte, was dieses Jahr, das auf einer mittelhessischen Fensterbank begonnen hatte und sich nun im Garten eines Magiers am Strand von Strande seinem Ende zu neigte, so alles mit sich geführt hatte. Da war er an der Lahn gesessen und hat von Meister Basho das genaue  Hinschauen gelernt. Da hat er Tage in einer Höhle im Wald zugebracht und eine Thunfischdose nicht aufbekommen. Da hat der den magischen Robert Zimmermann tanzen und singen gesehen. Da hat er mit seinem Kumpan, dem ehrenwerten Herrn von Lippstadt – Budnikowski, die Bretter, die die Welt bedeuten erobert und sich auf der anderen Seite der Straße, in Ernst Alberts Musentempel, in die Frau mit dem Rollator verliebt. Da hat er gedacht, bis das Bärenhirn qualmte und manchmal auch was rausgefunden. Da hat er unten im Heckerland zweimal Geburtstag gefeiert, erst mit Eva Pelagia und dann mit Ernst Albert und das Paradekissen wurde auch besessen. Da ist er auf den Spuren des Geheimrats in Ernst Albert Vergangenheit eingetaucht. Da saß er auf der Motorhaube seines geliebten Simca und hat so einiges an Zweibeinerdummheit kennenlernen dürfen. Da hat er sich aufgeregt, über die Dummheit und die Aufrechtgeher. Da hat er mit dem Lütten Stan die Großen Pöhlerei Festspiele besprochen. Da hat er rausgefunden, wer er eigentlich ist und sich seinen Namen zugelegt. Da hat er das Buchstabenriechen erlernt und neue Welten kennengelernt. Und jetzt ist er hier.

Dann war das Lied verklungen. Die Steinmännchen blickten hinaus auf Meer. Von dort näherte sich eine gewaltige Finsternis. „Au Backe und Potzrembel die Waldfee! Höchste Zeit aber auch!“

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ARCHIBALD SCHAUT AUF SEINEN RÜCKEN

Donnerstag, 4. November 2010 11:55

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Das war ihm zuerst gar nicht aufgefallen. Die Faszination überwog. Soviel Wasser. Kilometer, Meilen, Seemeilen schauen und schauen. Und er ganz alleine am Strand von Strande. Kein Teich, kein Tümpel, kein träge dahinkriechendes Flüßlein, kein Vergleich. Nichts gegen Mittelhessen, aber das hier ermöglichte eine gediegene Wassermeditation auf einem ganz anderen Level. Dann schaute Archibald Mahler, Strandbär, etwas genauer hin. Und sieh einer an: das Wasser war rund. Seltsam! Die Teiche und Tümpel und Fließgewässer da unten in Mittelhessen sind alle gerade. Also die Linie am Horizont, wobei sie da gar nicht hinreichen, bis an den Horizont. Nein, genauer, die Oberfläche, die ist gerade. Normalerweise und in Mittelhessen. Muß ja auch sein, sonst läuft der Tümpel aus, auf die Wiese oder in die Straßen der Stadt. Und das wäre doof. Aber hier, hier oben im Norden, hier ist das Meer rund. Also der Horizont, der hier nur noch aus Wasser besteht, ist gekrümmt und das kann man ganz genau sehen, wenn das Bärenauge von rechts nach links und wieder zurück schweift. Das Wasser ist rund.

Und er sah noch etwas. Wenn sich ganz weit draußen ein Schiff näherte, sah man zuerst den Rauch, dann einen Schornstein, dann die Brücke des Kapitän und ganz zum Schluß Bug und Rumpf und also den ganzen Pott. Es sah aus, als gäbe es ganz dort hinten, wo das Wasser aufhört, eine Art Aufzug, der die Schiffe aus einer Unterwassertiefgarage über den Horizont hebt und dann aufs Wasser setzt. Und dann nehmen sie Fahrt auf. Richtung Archibalds Strand. Und wenn die Schiffe von der Förde her kommen und Richtung offenes Meer fahren? Dann sind sie plötzlich weg. Also Stück für Stück. Und zuletzt der Rauch. Wie vom Himmel gefallen. Plumps!

Dies galt es genauer zu erforschen. Archibald erklomm den höchsten Stein, den der Strand zu bieten hatte. Großartig. Noch mehr Wasser. Noch mehr Blick. Gewaltige Meditationstiefe. Aber kein Ende abzusehen. Kein Ende des Wassers. Es bleibt weiter rund. Rechts, links und auch nach hinten hin. Nur vorne, das Ufer, an das die Wellen schlagen, das ist gerade. Zumindest von hier aus gesehen. Und so konzentrierte sich der Bär und schickte einen gewaltigen Blick hinaus auf das unendliche Wasser. Und der Blick sauste los. Und Archibald schaute hinterher und hinterher und hinterher. Und als es Abend ward, da erblickte Archibald seinen eigenen Rücken. Am Strand von Strande. Und so hatte er gelernt, daß die Erde rund ist. Und Caspar David Friedrich hätte ihn gerne gemalt, den Bären. Hier auf seinem Steine sitzend und Blicke sendend. Wenn er denn noch gelebt hätte.

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DIE BADEWANNE NAMENS FANTASIE (V)

Mittwoch, 3. November 2010 12:40

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Vor der Höhle am Fuße des Großen Pitcairn tobte der fürchterliche Kampf zweier Männer, zwei Männer, die sich um alle ihre vage Hoffnung betrogen sahen. In der Höhle war es kühl und düster. Von draußen drang das Geräusch berstender Knochen herein, fern, unwirklich. Archibald Hawkins starrte in die leere Schatztruhe, die Aufregungen und Mühen der Seereise, des zermürbenden Aufstiegs und die Enttäuschung hatten ihn müde gemacht. Seine Beziehung zur Welt ward komplette Gleichgültigkeit. „Sollen sie doch alle machen. Ich lege mich jetzt in diese Kiste. Basta.“ Gesagt und getan. Also lag er da mit bleischweren Gliedern und nicht minder schwerem Hirn und dachte noch, daß jetzt der Schatz, den er zu finden hoffte, er letztendlich wohl selber sein würde. Was da heißt: nur er selbst: Archibald Hawkins. Doch bevor er sich all zu sehr in den Labyrinthen der Philosophie verirrte, schlief er erstmal ein. Besser so!

Der nächste Tag näherte sich schon der Mittagsstunde, als Archibald Hawkins, der nun selbst sein eigener Schatz war, erwachte. Er kroch aus der Kiste mit brummendem Schädel und trat vor die Höhle. Unerträgliche Hitze und der süßliche Gestank frisch vergossenen Blutes schlugen ihm entgegen. Und da lagen Ahab Fletcher und Long John Larsen und über ihnen schwebten die weißen Raben. Um sie herum lag verstreut das was gestern noch das Skelett des Mick „The Gulliver“ Finn gewesen war. Die zwei Kampfhähne hatten sich im Laufe einer langen durchkämpften Nacht – Rumble in der Jungle! – mit den Knochen ihres alten Feind und Kameraden gegenseitig die Schädel eingeschlagen. Archibald Hawkins fühlte sich recht alleine. Er blickte in die Luft. Die riesigen weißen Raben starteten die ersten Scheinangriffe, denn ihre Tafel war reichlich gedeckt. Und Hawkins hatte seine Lektion in Sachen Pietät gelernt. Stein auf Stein häufte er auf die sterblichen Überreste seiner alten Weggefährten. Dann sprach er ein Gebet, in der Hoffnung, daß auch über die verderbteste Seele ein gütiges Wesen seine Hand halten möge. Und ging hinunter zum Strand. Schweren Schrittes und feuchten Auges.

Dort wo gestern noch die ‚Hispaniola’ drei Seeleute ausgebootet hatte, lag still und glitzernd die südliche See. Ein Schwarm fliegender Fische durchstieß die Wasseroberfläche und eine Haiflosse zog ruhig ihre Bahn. Und sonst: Leere! Vanitas! „Potzrembel und lüch ich denn, beim heiligen Klabautermann! Das riecht verdammt nach einsamer Insel.“ Und weil er viel zu erschöpft war, um sich jetzt großartig aufzuregen, fing er an darüber nachzudenken, welche drei Dinge er auf diese einsame Insel gerne mitgenommen hätte, wenn man ihn denn vorher gefragt hätte. Und bevor er eine vernünftige Antwort darauf fand, sah er am anderen Ende des Strandes einen fast nackten, dunkelhäutigen Mann. Seine aufgeregten Armbewegungen und Sprünge deutete Hawkins als die Bitte, sich nähern zu dürfen. Archibald spürte zwar wie der Angstschweiß ihm den Rücken hinunter lief, doch in seiner jetzigen Situation: Was sollte er tun? Er winkte den Schwarzen heran. Der stellte sich als ein Herr Mittwoch vor, weil ja heute Mittwoch war. Und er sagte dies zu Archibald:

„Archibald? Bald geht es wieder nach Hause. Ein paar Tage noch! Hast Du noch einen Wunsch!“ Ernst Albert hatte sich vorsichtig seinem kleinen Seebären genähert, der andächtig und fasziniert auf die Ostsee hinter Strande starrte. „Ach laß mich einfach ein paar Tage – Du hast ja viel zu tun – hier draußen am Meer. Da ist soviel Wasser zu gucken und vor dem Winterschlaf muß ich ja auch noch mein Hirn etwas leeren! OK?“ „Dein Wunsch sei mir Befehl! Bis die Tage und: das Wasser ist schon verdammt kalt! Aufpassen!“ Ernst Albert überreichte dem Bären noch seinen letzten Apfel und machte sich davon. Und Archibald Mahler, am Strand von Strande, war es wohl und er dachte, daß er die Geschichte von Archibald Hawkins und seinem treuen Diener Mittwoch auf noch erzählen müßte. Aber wohl erst nach dem Winterschlaf.

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DIE BADEWANNE NAMENS FANTASIE (IV)

Dienstag, 2. November 2010 12:53

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Archibald Hawkins saß an den Riemen und pullte das Beiboot der ‚Hispaniola’ mit kräftigen Zügen Richtung die Insel mit zwei Bergen. Mit im Boot saßen Ahab Fletcher und Long John Larsen und würdigten sich keines Blickes und das muß man erstmal hinkriegen auf knappen anderthalb Quadratmetern. Käptn Stevenson hatte das Triumvirat losgeschickt die Insel mit den zwei Bergen namens Kleiner Pitcairn und Großer Pitcairn zu erkunden, denn es bestand der hinreichende Verdacht, daß die Insel auf der Schatzkarte und die Insel, an dessen Strand drei verwahrloste Gestalten ein kleines Boot an den Strand zogen, ein und dieselbe war. Hinter dem Palmengürtel, der den schwarz funkelnden Strand aus Vulkanasche säumte, ging es steil bergan. Man vermutete die auf der Karte verzeichnete Höhle am Fuße des Großen Pitcairn, etwa 500 Höhenmeter über der ruhig dahindümpelnden Südsee. Es war heiß. Kein Lüftchen regte sich. Die Höhle ist dagegen eine Kühlkammer. Ein qualvoller Aufstieg.

Larson hatte es als Erster bemerkt, das Skelett, welches vor dem Eingang der Höhle lehnte und ein beschriebenes Stück Schiffsplanke um den Hals hängen hatte. Archibald Hawkins, der Einzige der schwitzenden Dreierbande, der lesen konnte, tat seine Pflicht! „High, Ihr Dumpfbacken. Schon mal was vom Panamakanal gehört? Ihr seid so blöd wie ein Stück Eselssalami. Hahaha! Herzlichst Euer Captain Keith ‚T for Teague’ Bligh“. Und dann sahen sie die zwei Ringe, die an der rechten Hand des Skelettes steckten. Auf dem einen war eingraviert:„SATIS“, auf dem anderen: „FACTION“. Und da wußten sie, daß es sich um die fein säuberlich abgenagten Reste des Mick „The Gulliver“ Finn handelte. Unergründliche Strömungen und wilde Winde hatten das Skelett vor den Bug der ‚Magic Bus’, den Viermaster des Captain Bligh, gespült. Und da ein ordentlicher Bösewicht sich solch einen Spaß nicht entgehen läßt, haben sie Finn, beziehungsweise was von ihm übrig war, vor die Schatzhöhle gesetzt. Und anschließend hundertausend altbritische Pfund in kleinen Münzen eingetütet und weggeschleppt.

Und dann brach ein fürchterlicher Streit los zwischen Larsen und Fletcher. Larsen warf den Steuermann vor, wer nicht mal „Seefahrt heute“ abonniert habe, sich dann aber als Steuermann engagieren lasse, obwohl er ein vollendeter Dumpfbeutel ist, weil er nicht mal weiß, daß letzten Monat der Panamakanal eröffnet wurde, gehöre den Haien zum Frühstück serviert. Und Fletcher antwortete, daß wenn der Herr Schiffskoch, der erstmal einen anständigen Labskaus in den Topf hauen soll, bevor er in Sachen Reiseplanung sein zahnloses Maul aufreißt, so oberschlau sei, dann hätte er, als man vor Recife lag, kurz mal ein Wort sagen können, und dann hätte man den Kurs auf Nordnordwest geändert und wäre eben mal, wahrscheinlich vor Bligh und seinem Sauhaufen, durch den neuen Kanal geschippert. Und ansonsten könne er sich sein Holzbein sonstwohin stecken. Ein Wort ergab das andere und bald flogen in beherzter Seemännermanier die Fäuste.

Archibald Hawkins hatte sich in die Höhle verdrückt. Er mochte keine Keilereien, kein Gebrülle, keine Skelette, es war heiß und außerdem, wenn man schon hier ist, sollte man auch mal schauen nach dem Schatz. Und so stand er vor einer alten wurmstichigen Holzkiste, der Deckel war hochgeklappt und Archibald blickte ins Nichts. „Bei allen Klabautermännern und Potzrembel das Holzbein! Das Ding ist ja leer. Leer wie der Bauch einer geenterten Barke.“

Ernst Albert und Archibald Mahler, der Seebär in Ausbildung, standen vor dem Fischmarkt in Wellingdorf. Und schauten kurz mal rein. Und die alte Backsteinhalle war riesig. Aber doch recht leer. In einer Ecke verkaufte man Würste und Fleischkonserven. Wo war das, was die Aufschrift an der Außenwand versprach? Wo waren die Fischberge? Und da sprach der Bär: „Bei allen Klabautermännern und Potzrembel das Holzbein! Das Ding ist ja leer. Leer wie der Bauch einer geenterten Barke.“ Und Ernst Albert wunderte sich, woher der Herr Bär die ganzen nautischen Ausdrücke hatte und er erzählte ihm, daß es in den Meeren in Sachen Fischen sehr oft genau so leer aussehe, weil die meisten Aufrechtgeher leider nicht in der Lage seien mit den ihnen anvertrauten Schätzen – in dem Fall den Fischen und anderem Meeresgetier – einigermaßen verantwortungsvoll umzugehen. Weil sie halt heute alles zu Geld machen müssen, und das Morgen geht ihnen am gierigen und dummen Pöter vorbei. Aber ein – nein, zwei – Fischbrötchen gab es dann doch noch. Auf dem kleinen Markt, hinter der großen Halle.

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DIE BADEWANNE NAMENS FANTASIE (III)

Montag, 1. November 2010 10:55

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Und dann schwebte er über das Wasser dahin. Zumindest kam das Archibald so vor. Die Luft war lau und milde, als habe Herr Lenz das Zepter wieder übernommen. Alle Lebenssäfte kochten und pulsierten in ihm und sein Bärenhirn arbeitete auf Hochtouren. Fünfzehn bis zwanzig Minuten sollte die Querung der Förde lediglich dauern, aber für den Anfang und gleich bei der ersten Bootsfahrt solche Bedingungen, da wollte der angehende Seebär nicht unnötig rummoppern. Und er dachte, wie er so auf das unter ihm durchrauschende Wasser schaute, daß, wenn man eine Geschichte begonnen hat zu erzählen, man sie vielleicht auf zu Ende oder zumindest weiter erzählen sollte. Wir schalten also zurück in die Badewanne der Fantasie:

Da stand er auf den Planken, die Augen verbunden, die Armen auf den Rücken gefesselt: der Kartendieb Mick „The Gulliver“ Finn. Archibald Hawkins beherzter Aufschrei hatte Long John Larsen unter Deck gerufen, und der alte Schiffskoch hatte den Dieb mit einem gezielten Tritt seines Holzbeins schachmatt gesetzt. Das Urteil der Crew war schnell gesprochen. Das sich unrechtmäßige Aneignen von Schatzkarten wird – und da darf der Delinquent wählen – mit Kielholen oder mit Wettschwimmen mit Haifischen belohnt. Finn wählte die zweite Variante. Warum? Larsen hatte einen Eimer Schafsblut über Bord gegossen und so die Raubfische angelockt. Haiflossen durchschnitten die Wasseroberfläche rund um die ‚Hispaniola’. „Los, spring endlich, Du Schweinepriester!“ „Ihr könnt mich alle mal!“ Und er sprang. Das Wasser schäumte. Plötzlich ein fürchterlicher Schrei und wie auf ein geheimes Kommando ließen die Haie von Finn ab und tauchten unter. Doch wo war Finn? Die See schwieg.

Man hatte festgestellt, daß die ‚Hispaniola’ nun keinen Steuermann mehr besaß. Ahab Flechter, ehemaliger Intimfeind von Larsen und eigentlich Maschinist auf einem der ersten Dampfer, die die Weltmeere kreuzten, hatte seinen letzten Job verloren, weil er im Vollrausch die beweglichen Teile der ihm anvertrauten Maschine mit Teer statt mit Öl bestrichen hatte. Eimer sehen ja alle gleich aus und schwarze Flüssigkeit? Naja! Also hatte er auf der `Hispaniola’ angeheuert. Als eine Art Mädchen für alles. Planken schrubben. Segel flicken. Nachtwache halten. Und dem ewig schlecht gelaunten Captain Leif Roald Stevenson, der sich fast nie an Deck zeigte, sein Rumglas regelmäßig nachzufüllen und ihm bei der Gelegenheit einen schlüpfrigen Witz zu erzählen. „Ahab, Du Mißgeburt!“ „Mein Kapitän?“ „Ab sofort bis Du mein Steuermann. Abtreten, Du versoffene Blindschleiche!“ „Aye, aye, Käptn!“

Es gibt ja Naturtalente, Aufrechtgeher oder andere Wesen, die eine noch nie getätigte Aufgabe übernehmen müssen und plötzlich und unerwartet auf völlig ungewohntem Gebiet Großes leisten. Ahab Flechter war ein solches Talent. Selbstredend war der Inhalt der Schatzkarte des kleinen Archibald Hawkins inzwischen Thema Numero Eins bei der gesamten verlotterten Crew der ‚Hispaniola’. Tag und auch des Nachts lagen die gierigen und glasigen Augen von Käptn Stevenson auf dem bemalten Stück Bärenhaut, welcher er in seinen Gewahrsam genommen hatte. Angeblich um weitere Streitereien an Bord zu verhindern. Wer es glaubt. Denn Stevenson wußte ganz genau, warum er Fletcher zum Steuermann gemacht hatte. Und hast Du nicht gesehen lagen Kap Hoorn und die röhrenden Fünfziger hinter ihnen, ein einziges Rahsegel hatte der fürchterliche Sturm zerfetzt und sie steuerten gen Norden, Richtung Südsee. Hawkins saß oben im Krähennest. Und dies eigentlich seit Wochen. Er hatte noch keinen Kürbis an die Rübe gekriegt, einmal hatte ein riesiger Albatroß ihm auf den Schädel gekackt, aber ansonsten blickte er unermüdlich und voller Freude auf das große unendliche Wasser und wartete, wartete darauf rufen zu dürfen: „Land in Sicht.“ Und siehe da, quatsch, höre da. Hawkins rief so laut er konnte.

Archibald hatte aufgepaßt. Wellingdorf näherte sich. „Land in Sicht! Ernst Albert! Land in Sicht!“„Richtig, Archibald. Da vorne müssen wir aussteigen. Da am Ende der Schwentine.“ Ein paar Schritte gegangen und da stand er: der Tempel.

Thema: Kieloben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth