Beiträge vom 7. November 2010

VON HIER AUS DAS NICHTS ANSTEUERN

Sonntag, 7. November 2010 13:17

kiel_strandkorb1

Er hatte so ein Ding schon mal gesehen, unten an der Lahn. Aber da gehören sie nicht hin, genau so wenig wie der dort aufgeschüttete extrem alberne Sand, der etwas unterbelichteten Aufrechtgehern den Feierabend gestalten soll, den sie wohl nicht mehr selber gestalten können auf Grund ihrer durch permanente Dauerbespaßung verkleinerten Gehirne. Aber hier gehörten diese Dinger hin, denn hier waren sie auch geboren worden. Ein Aufrechtgeher in Rostock hatte vor einhundertfünfundzwanzig Jahren für seine rheumakranke Tante so ein Ding konstruiert, damit sie bei jedem Wind und Wetter auf die Ostsee schauen kann. Und da ein Tag ohne Wind oder Sturm am Meer sehr selten ist, wollten alle anderen auch so ein Ding haben. Und jetzt kann man die sich kaufen oder mieten und es ist kuschelig warm am Pöter und vorne rollt das Meer gegen den Sand, der hier auch hingehört und gar nicht albern wirkt, sondern ganz im Gegenteil. Archibald Mahler saß das erste Mal in seinem Leben in einem Strandkorb und das gefiel ihm sehr.

Der Sturm rüttelte an seinem Korb, aber sonst war es recht gemütlich und Archibald dachte, eine bessere Höhle findet er nicht. Und jetzt den Winterschlaf beginnen und dann aufwachen und als erstes das Meer sehen, das war ab sofort sein Plan. Allerdings stand der Korb, in dem er jetzt saß, etwas ungünstig im Winde und es hatte ordentlich reingeregnet in das Ding und das wiederum gefiel ihm gar nicht. Mit nassen Pöter einzuschlafen, da ist das Rheuma vorprogrammiert und da hilft auch kein noch so schicker Strandkorb mehr. Und da sah er, weiter vorne am Strand, etwas, was ihm sehr geeignet schien. Und er packte seinen Apfel, den ihn Ernst Albert überreicht hatte und machte sich auf den Weg. Der Weg war nicht sehr lang, aber Archibald hatte das Gefühl viele, viele Meilen wandern zu müssen. Es war ihm, als balanciere er auf dem schmalen Grat zwischen Wachen und Schlaf. Aber er fiel nicht runter auf seinem Weg ins winterliche Nichts. Und er weiß immer noch nicht, wie er es dann doch geschafft hat sein Ziel zu erreichen. Aber er hat es erreicht.

Dann hat er sich vor das neue Ding gesetzt und noch mal geschaut, raus aufs Meer und ganz genau hingeschaut. Nicht mit den Augen geschaut, sondern mit jeder Pore geschaut, mit seinem Atem geschaut, mit allem geschaut, was einen Bären ausmacht. Ja, er liebte es sehr, das Meer. Und der Rhythmus der an- und abrollenden Wellen erfasste ihn und trug ihn sanft hinüber in das Land, in dem er sich die nächsten Wochen und Monate aufhalten sollte und wollte. „Hinter diesem Gatter ist besser!“ Das dachte er noch. Und er kletterte hinein. Ein Schiff fuhr in den nahen Hafen.

Thema: Kieloben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth