Beiträge vom 9. November 2010

SCHEIDEBECHER DER MELANCHOLIE, EUPHORIE UND WARUM KEINER GEHT

Dienstag, 9. November 2010 16:33

kielkneipe2

Diese Geschichte ist die vorletzte vor der Winterpause, es ist die zweihundertzwanzigste seit Beginn der Weltenschau am Aschermittwoch 2010, also ist es auf eine Art und Weise auch eine ein klein wenig stolze Geschichte und es ist eine Geschichte, bei der Herrn Archibald Mahler das Gefühl beschleichen könnte, man nehme ihm gerade das Steuer aus den Pfoten. Dem ist aber nicht so. Der Reihe nach.

Ernst Albert war, nachdem er den Bären alleine gelassen hatte, am Ufer auf- und abmarschiert und hatte sich fremde Worte ins Hirn gehauen. Erst ins Kurzzeitgedächtnis rein damit, dort alles ein bißchen abhängen lassen, dann mit Sinn und Verstand vermengen und hoffen, daß beim morgigen Transfer ins Langzeitgedächtnis noch ein wenig übrigbleibt. Das ist das mühsame Gewerbe eines Musentemplers, wenn er auf und nicht vor den Brettern tätig sein muß. Aber irgendwann reicht es selbst dem diszipliniertesten Memorierer und Ernst Albert betrat ein Fischlokal. Es war eben jenes Fischlokal, an dessen Rückseite zur selben Zeit ein Bär in Richtung Winterschlaf ein letztes Mal die obligatorischen Fettreserven updaten wollte. Es rappelten die Deckel der Mülltonnen und Ernst Albert ließ besser mal ein Auge gelegentlich aus dem Fenster blicken. Weiß man es? Das andere Auge? Was tat das?

„Fisch muß schwimmen!“ So sagt man. In diesem Fall sagten dies Ernst Alberts derzeitiger Herr Musentempeldirektor nebst Gemahlin, die es im oben genannten Lokal zu treffen galt. Man legte also einen kleinen Biertümpel in den Eingeweiden an, um dem noch in der Küche lauernden Dorsch mit Rote Beete und Kartoffeln in Senfsauce eine fröhliche Einkehr zu ermöglichen. Und der Tag war noch ziemlich jung. Vielleicht hat es damit zu tun, daß das Hinausblicken aufs Meer gleichzeitig Euphorie befeuert, aber auch eine gehörige Portion Melancholie mit sich bringt. Ein Spannungsverhältnis, welches durch Gerstengetränke zumindest abgemildert wird. Der Fisch war gut, der Durst noch nicht gestillt. Aufbruch.

Archibald Mahler protestierte heftigst, als er geweckt wurde. Typisch Aufrechtgeher! Kein Respekt vor den Ritualen und Bedürfnissen anderer Erdenbewohner. Als Ernst Albert ihn dezent auf die mit Baggern anrollenden Strandreiniger von Strande hinwies, wuchs so etwas wie Einsicht in des Bären todmüdem Hirn. Er kam mit. Unter Protest. „Ich will heim! Sofort! Heim nach Mittelhessen! Und schlafen!“ In der Hoffnung keine Klage wegen der Vernachlässigung der Aufsichtspflicht an den Hals zu bekommen und um der Wahrheit die Ehre zu geben: man kehrte noch lange nicht heim. Im Gegenteil, die Kaschemme, die man nun ansteuerte, war ein berühmt–berüchtigter Sammelpunkt für Freunde des Tagesbiergenusses. Und dies wohl schon seit Jahrzehnten. Herr Mahler saß, inzwischen gelassen vor sich hindämmernd, auf einem Schiffmodell, schaute Herr Ernst Albert, der sich der Trunkenheit in dezenten Nullkommazwoliterschritten annäherte, über die Schulter und hatte seinen Spaß.

Es wurde eine schöne Abschiedsfeier. Der Musentempeldirektor und Herr Ernst Albert sprachen hoch im Norden in ihren zutiefst heckerländischen und sauschwäbischen Dialekten miteinander und auch die anderen Gäste freuten sich des Lebens laut und feucht. Da war zum Beispiel ein Mann, der jahrelang hinter Kasernentoren eingesperrt war und der sagte, als man ihn fragte, wie lange er denn die letzte und längste Nacht getanzt habe, bis drei Uhr habe er dies getan und als man ihn weiter fragte, ob es drei Uhr Sommer- oder Winterzeit gewesen sei, sagte er: „Zu beiden Zeiten!“ Worauf Herr Ernst Albert wiederum bemerkte, ein Panzer könne ja auch nicht gleichzeitig vorwärts und rückwärts fahren und so gewänne man keinen Krieg. Was ja wiederum sehr gut sei. „So iss das dann wohl!“ Das sagte der Mann und grinste. Und als man im angeregten Gespräch feststellte, daß die Butter im Heckerland auch gerne mal der Butter genannt würde, protestierten die anwesenden Nordlichter heftigst. “Das mag ja wohl nich angehn.” Aber Herr Ernst Albert hat ihnen dann erklärt, daß die Milch, wenn sie den Euter verlässt, stante pede das männliche Geschlecht annehme. Das ist dann auch gleich eine neue Runde wert gewesen. „So ein Blödsinn aber auch. Aber lustig ist das schon!“ Archibald staunte darüber, wieviel sinnloses Zeugs fröhliche Aufrechtgeher reden können, um sich dann unbändig darüber zu freuen. Und dann dachte er noch, daß, wenn er so viele gelbe Getränke getrunken hätte, sein Abdomen schon längst explodiert wäre. Und dachte aber auch, hier machen die Aufrechtgeher zwar auch dummes Zeug wie immer, aber zumindest tun sie keinem  weh. Außer sich selbst, selbstredend.

„Oin Scheidebecher nämmet mir noch!“ Wie oft er diesen Satz heute schon vernommen hatte! Archibald Mahler, Bär im Lammers Eck zu Kiel, hatte nicht mitgezählt. Fast schien es, daß diese Ankündigung eines nahenden Aufbruchs die alten Saufköpfe noch fester auf ihre Barhocker schraubte. Euphorie und Melancholie eben. Draußen dämmerte es, in den Hirnen der Thekenbelagerer auch und inzwischen hatte auch ein reger Pendelverkehr zwischen Zapfhahn und Endlagerstätte eingesetzt. Alter und Überfüllung taten ihr Werk. „Da bewegt sich ja was! Nur wie! Mehr in die Breite als nach vorn.“ Wo soll das alles nur enden?

Thema: Kieloben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth