Beiträge vom 1. November 2010

DIE BADEWANNE NAMENS FANTASIE (III)

Montag, 1. November 2010 10:55

kiel8

Und dann schwebte er über das Wasser dahin. Zumindest kam das Archibald so vor. Die Luft war lau und milde, als habe Herr Lenz das Zepter wieder übernommen. Alle Lebenssäfte kochten und pulsierten in ihm und sein Bärenhirn arbeitete auf Hochtouren. Fünfzehn bis zwanzig Minuten sollte die Querung der Förde lediglich dauern, aber für den Anfang und gleich bei der ersten Bootsfahrt solche Bedingungen, da wollte der angehende Seebär nicht unnötig rummoppern. Und er dachte, wie er so auf das unter ihm durchrauschende Wasser schaute, daß, wenn man eine Geschichte begonnen hat zu erzählen, man sie vielleicht auf zu Ende oder zumindest weiter erzählen sollte. Wir schalten also zurück in die Badewanne der Fantasie:

Da stand er auf den Planken, die Augen verbunden, die Armen auf den Rücken gefesselt: der Kartendieb Mick „The Gulliver“ Finn. Archibald Hawkins beherzter Aufschrei hatte Long John Larsen unter Deck gerufen, und der alte Schiffskoch hatte den Dieb mit einem gezielten Tritt seines Holzbeins schachmatt gesetzt. Das Urteil der Crew war schnell gesprochen. Das sich unrechtmäßige Aneignen von Schatzkarten wird – und da darf der Delinquent wählen – mit Kielholen oder mit Wettschwimmen mit Haifischen belohnt. Finn wählte die zweite Variante. Warum? Larsen hatte einen Eimer Schafsblut über Bord gegossen und so die Raubfische angelockt. Haiflossen durchschnitten die Wasseroberfläche rund um die ‚Hispaniola’. „Los, spring endlich, Du Schweinepriester!“ „Ihr könnt mich alle mal!“ Und er sprang. Das Wasser schäumte. Plötzlich ein fürchterlicher Schrei und wie auf ein geheimes Kommando ließen die Haie von Finn ab und tauchten unter. Doch wo war Finn? Die See schwieg.

Man hatte festgestellt, daß die ‚Hispaniola’ nun keinen Steuermann mehr besaß. Ahab Flechter, ehemaliger Intimfeind von Larsen und eigentlich Maschinist auf einem der ersten Dampfer, die die Weltmeere kreuzten, hatte seinen letzten Job verloren, weil er im Vollrausch die beweglichen Teile der ihm anvertrauten Maschine mit Teer statt mit Öl bestrichen hatte. Eimer sehen ja alle gleich aus und schwarze Flüssigkeit? Naja! Also hatte er auf der `Hispaniola’ angeheuert. Als eine Art Mädchen für alles. Planken schrubben. Segel flicken. Nachtwache halten. Und dem ewig schlecht gelaunten Captain Leif Roald Stevenson, der sich fast nie an Deck zeigte, sein Rumglas regelmäßig nachzufüllen und ihm bei der Gelegenheit einen schlüpfrigen Witz zu erzählen. „Ahab, Du Mißgeburt!“ „Mein Kapitän?“ „Ab sofort bis Du mein Steuermann. Abtreten, Du versoffene Blindschleiche!“ „Aye, aye, Käptn!“

Es gibt ja Naturtalente, Aufrechtgeher oder andere Wesen, die eine noch nie getätigte Aufgabe übernehmen müssen und plötzlich und unerwartet auf völlig ungewohntem Gebiet Großes leisten. Ahab Flechter war ein solches Talent. Selbstredend war der Inhalt der Schatzkarte des kleinen Archibald Hawkins inzwischen Thema Numero Eins bei der gesamten verlotterten Crew der ‚Hispaniola’. Tag und auch des Nachts lagen die gierigen und glasigen Augen von Käptn Stevenson auf dem bemalten Stück Bärenhaut, welcher er in seinen Gewahrsam genommen hatte. Angeblich um weitere Streitereien an Bord zu verhindern. Wer es glaubt. Denn Stevenson wußte ganz genau, warum er Fletcher zum Steuermann gemacht hatte. Und hast Du nicht gesehen lagen Kap Hoorn und die röhrenden Fünfziger hinter ihnen, ein einziges Rahsegel hatte der fürchterliche Sturm zerfetzt und sie steuerten gen Norden, Richtung Südsee. Hawkins saß oben im Krähennest. Und dies eigentlich seit Wochen. Er hatte noch keinen Kürbis an die Rübe gekriegt, einmal hatte ein riesiger Albatroß ihm auf den Schädel gekackt, aber ansonsten blickte er unermüdlich und voller Freude auf das große unendliche Wasser und wartete, wartete darauf rufen zu dürfen: „Land in Sicht.“ Und siehe da, quatsch, höre da. Hawkins rief so laut er konnte.

Archibald hatte aufgepaßt. Wellingdorf näherte sich. „Land in Sicht! Ernst Albert! Land in Sicht!“„Richtig, Archibald. Da vorne müssen wir aussteigen. Da am Ende der Schwentine.“ Ein paar Schritte gegangen und da stand er: der Tempel.

Thema: Kieloben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth