Beiträge vom November, 2011

WENN DAS EINE JAHR EINGESCHLAFEN, ERWACHT EIN NÄCHSTES (GEWISS?)

Mittwoch, 30. November 2011 5:09

kölle3

Ob er das sieht, was er hier sieht? Ob er das hört, was er hier hört? Ob er was denkt, falls er noch kann? Ob er der ist, der er dieses Jahr war? Und dann? Nächstes Jahr? Wer wird er sein? Wird er er sein? Wird er Bär sein? Kann oder will er sein, was er war oder sein wollte? Bleibt er Bär? Und wo er ist hier eigentlich? Ist er hier tatsächlich oder ist es schon der erste der vielen Träume dieses Winters? Ein kurzes Erwachen vielleicht? Ein fremdes Land? Braucht er ein Visum gar? Fliegen schon wieder die Kamele, wo er gerade eingenickt? Es rumpelt ihm im Magen. Es dröhnt ihm das Ohr. Es juckt ihm der Pelz. Es zieht ihn hinab. Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz im Winterschlaf, ist es, als schlingere er zwischen den Welten hin und her. Weia!

Tja, so wird es wohl sein. Dreh Dich um, kratze Dich am Pöter und schlafe weiter, mein kleiner Freund! Wir machen hier lediglich einen kurzen Zwischenstopp auf dem Weg nach Hause. Keine Sorge und bis die Tage!

Dein ehrenwerter Herr Ernst Albert

Thema: Archibalds Geschichte, Unterwegs mit Herrn Albert | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

SECHS SÄTZE AN DEN WASSERN UND EINER GEHT EINFACH (NICHT SCHLIMM)

Dienstag, 29. November 2011 15:04

kiel11

„Mahler! Hallo! Herr Mahler!“

„Lassen Sie mich! Man schläft!“

„Keineswegs! Die letzten Sätze! Bär! Zusagen!“

„Aufkommende kalte Winde befreien einen Bären von allen Zusagen!“

„Das denken nur Sie.“ (Man tritt dem Bären beherzt ans Knie.)

„Seehase, elender! Dann beginnen Sie und ich drehe mich kurz noch mal auf die andere Seite. Ein Viertelstündchen!“

„Handeln Sie nicht mit mir, dies hier ist kein Denkbasar!“

„Entschleunigung! Entdeckung der Langsamkeit! Stan zu Lütten, gehen Sie in sich!“

„Ab morgen sei Ruh. Endspurt! Man scheitert oft genug am letzten Pinselstrich!“

„Potzrembel die Waldfee, Sie Laus im Pelz. Dann stellen Sie das Ohr in den Wind und hören Sie!“ (Der Bär atmet ein, sein schweres Haupt sinkt auf die Brust, beinahe fast, der Hase hebt das Bein zum neuerlichen Tritt, der Bär erbärt sich und spricht.) „Die selbstgerechte Anhäufung von Geld, Macht und Schuldzuweisung im germanischen Lande ließ dieses Jahr den Griechen in mir wiederauferstehen. Das vierzehnte Jahresgehalt ist allgemeines Bärenrecht! Nummero Eins! Jetzt Sie!“

„Meista gestern, Meista auch morgen, der Rotkopp tut sich schon Baldrian besorgen. Ich wage die Wette und wenn et nich klappen tut, dann 2013 und allet is gut. Woll! Gebe zu, die klappert verheerend, die Nummer Zwei. Bleibt aber so stehen. Ran an den Speck, Herr Bär.“

„Wenn die Stürme die Wälder abholzen, die Fluten durch die Straßen jagen und die strahlenden Fische die Tiefen der Meere beleuchten, geht der Gemeine Aufrechtgeher sich erstmal die Nägel machen lassen. Nummer Drei. Stan zu Lütten, übernehmen Sie!“

„Wenn in den Tiefen der Wälder die Zeit stehen bleibt, mußt Du die Schnauze halten! Länger ist meine Nummero vier nicht. Nach Ihnen, Mahler!“

„Sieh hier! Kaum Wasser!

Dort rufen sie um Hilfe!

Ein Berg schwimmt vorbei.“

„Geschafft, bester Mahler! Ihrer Fünf folgt meine Sechs! Manchmal ist es höflicher aufzustehen und einfach zu gehen.“

(Herr von Lippstadt – Budnikowski erhebt sich. Warum nicht noch ein wenig am Strand entlang schlendern. Man hat ja nun genügend Zeit. Archibald Mahler ist dabei, eine imaginäre Linie zu überschreiten. Wacht er noch, schläft er schon? Es färbt sich vor seinem Auge Meer, Land und Luft, ein Arm packt ihn, er schwebt, es drudelt und – hört er recht? – in der Ferne rufen Glocken. Mächtige Glocken. Nur wo! Die See liegt still. Der Bär murmelt vor sich hin. Was hat er gesagt?)

„War ein schönes Jahr! Danke, Ihr Bärengötter! Finster wird es! Weia!“

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LANDGANG, STRAND UND MÜDE SEIN

Montag, 28. November 2011 20:32

kiel09

„Leichtmatrose Stan von Lütten bittet an Land gehen zu dürfen!“

„Ja, was soll ich denn dazu sagen?“

„Leichtmatrose Stan von Lütten, im Namen aller überstandenen Winde, kommen Sie an Land!“

„Warum?“

„Rituale, Sie Landei.“

„Komm von dem Kahn runter, Du Hase, mir ist kalt am Pöter und ich bin müde!“

„Von dieser Begrüßung träumte mir in den Kurischen Wäldern!“

„Träume können auch wahr werden. Schön Sie wieder zu sehen, auch wenn das Auge vor Müdigkeit tränt!“

„Ha! Sentimentbär!“

„Der Name des Schiffes, nur eine kurze Anmerkung, ist ein Frontalangriff auf meine empfindliche Bärenseele. Sie sehen mich nachdenken über den Zufall. Ich biege um das Eck und dann: Kehrheim!“

„Verzeihung, Mahler, und Sie werden mir es nicht glauben: es fiel mir erst auf, als ich von Bord gegangen war!“

„Glaube! Hiebe! Winterschlaf!“

„Was halten Sie davon, wenn wir uns ein wenig die Pfoten und Tatzen vertreten und jahresabschließend aufs Wasser blicken?“

„Genehmigung erteilt. Was hätten Sie zu berichten?“

„Nichts! Sie haben die Karten gelesen?“

„Große Freude!“

„Dann schweigen wir eine Runde und basteln uns eine Sanduhr!“

(Es wird freudig erregt ob des Wiedersehens geschwiegen. Kann man auch mal machen. Gestern war ja gestern. Dann spricht der Bär.)

„Und morgen? Kleines Spiel?“

„Gerne, Herr Bär! Vorschlag!“

„Jeder hat drei Jahreszusammenfassungssätze zur Verfügung!“

„Länge vorgegeben? Form definiert? Reimgebot?“

„Wurschtbrot!“

„Fein!“

(Es wird freudig erregt ob der allerletzten Aufgabe geschwiegen. Kann man auch mal machen. Wer denkt, moppert nicht rum. Dann spricht der Bär.)

„Ich bin recht müde!“

„Dürfen Sie sein, Herr Mahler!“

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POST AUS LITAUEN / ABSCHLUSSBERICHT

Samstag, 26. November 2011 15:46

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Lieber Herr Mahler!

Bin an Bord und glaube es noch nicht. Heute morgen noch in den Wäldern. Einen letzten Elch doch bitte! Die Elche haben aber anderes zu tun und die Götter, die ich anrufe, auch. Kurische Stillen! Ich sitze, in mir verloren, zwischen diesen herrlichen Bäumen, halte Ausschau und – gebe es zu – genieße ein letztes geistiges Wässerchen und will nicht fort. Dann aber muß ich. Schlendere gen Fischerhütte, die mir so lange Unterkunft gewesen. Vor der Türe wild gestikulierend meine Wirtin, meine Reisehabseligkeiten in ihrer Hand haltend. Ein Wortschwall, litauisch, russisch, englisch, deutsch, ergießt sich über meine Ohren. Weia die Waldfee! Hatte ich wohl heute mit morgen verwechselt. Die Fähre “Kehrheim” steht also schon mit rauchendem Kamin in Klaipeda an der Mole. „Blitztransfer! Blitztransfer!“ Mehr der Wirtinnenworte verstehe ich nicht. Ich drücke der lieben Frau meine letzten Litas in die Hand und an selbiger nimmt mich der Taxifahrer ihres Vertrauens und uns bleibt eine knappe Stunde bis zum Hafen. Wie ich schon in einer meiner ersten Postkarten erwähnte, kennt der litauische Taxipilot nur die Gegenfahrbahn. Ich halte mir die langen Ohren vor die Augen und singe irgendwelche Lieder. Der Taxifahrer flucht fröhlich vor sich hin – litauisch, russisch, englisch, deutsch – und mir fällt der Text des Vaterunsers wieder ein. Fünfzehn Minuten bevor das Schiff in See stechen soll, bin ich an Bord. Leinen los! Sirene heult! Die Kamine rauchen und ich trinke ein letztes Svyturys. Und vielleicht noch ein geistiges Wässerchen. Rein in den dicken Nebel. Bis gleich!

Herzlichst Ihr treuer Herr von Lippstadt – Budnikowski

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DANN IST DAS SCHIFF DA UND MAN GLAUBT ES NICHT (KEIN ZUFALL)

Freitag, 25. November 2011 11:08

kiel07

Da wären die schönen Schiffe. Die alten Schiffe. Die Schiffe aus Holz. Aber die segeln nicht mehr. Oder nur an Festtagen und dann wischen sich alle die Tränen aus den Augen und jammern ob der guten, alten Zeiten. Wer es eilig hat! Und da fällt dem Bären etwas auf. Seit Tagen sitzt er nun hier oben an der See und es regt sich kein Lüftchen. Der Wind hat sich hinter einer Düne schlafen gelegt und läßt die trübkalte Luft in Ruhe über den Wassern stehen. Archibald Mahler erinnert sich an das letzte Jahr hier oben, als der Sturm dermaßen übers Meer jagte, daß er den ehrenwerten Herrn Ernst Albert bitten mußte, ihn festzuhalten, damit er nicht hinausfliegt auf das offene Meer und am Ende sogar noch das Schwimmen hätte lernen müssen. Können täten hätte er es schon gekonnt, das Schwimmen, aber wollen müssen, daß wäre ihm nicht recht gewesen. Die Nähe zum Aufrechtgeher macht bisweilen bequem. Und jetzt? Bewegen sich die salzigen Lüfte? Nüscht! Die alten bunten Holzboote haben ihre Segel gerefft, dümpeln vor sich hin und sogar die Möwen sitzen mißmutig auf der Mole. Es trägt sie nicht der Wind, sie müssen selber fliegen. Blödblöd! Und nirgendwo eine Hinweistafel, auf der etwa stünde: „Abholer für Anreisende aus Litauen bitte hier warten und in aller Ruhe ein Fischbrötchen verzehren!“ Leere und Stillstand, wohin die Nase riecht. Archibald Mahler ist ja prinzipiell ein großer Anhänger der Unhektik, aber man muß es nicht übertreiben. Er vertritt sich die Tatzen und biegt ums Eck, als ihn der Schlag tritt. Der Schlag des Zufalls, der natürlich kein Zufall ist. Denn wenn der Bär auf Reisen ist, passiert ständig so etwas. Das kommt vom die Augen offenhalten. Erhebet Euch von Euren Sitzen und stimmet an das Lied von der Coincidencia! Ist dies etwa das Schiff, welches die Heimkehr des lange in Litauen weilenden Herrn von Lippstadt – Budnikowski bewerkstelligen soll? Den rechten Namen trägt es wohl. Warten wir es ab!

Auf den Wassern liegt

Der schlafende Wind. Es knarrt

Die lose Planke.

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WENN EIN SCHIFF DA IST, HEISST DAS GAR NICHTS (WENN ES WEITERFÄHRT)

Donnerstag, 24. November 2011 17:28

kiel05

Und dann ist es plötzlich da. Es schält sich aus dem Nebelbrei. Man hatte es nicht kommen hören können, nicht kommen sehen können. Zack! Riesig! Ist es das richtige Schiff? Zumindest das erste Schiff ist es. Archibald Mahler hatte gerade Spaß am Warten gefunden. Das Schiff kommt zu früh. Viel zu früh. Man hatte gesagt morgen oder eher übermorgen. Aber wenn es das jetzt schon ist? Man wäre noch nicht bereit. Oder will mittlerweile doch ein anderes Schiff haben, auf das man warten möchte. Das Leben ist der neidvolle Blick auf den Teller des Mitessers. Warum habe ich das eigentlich nicht bestellt? Zu spät. Jetzt hört man – das Schiff ist nah genug – das Stampfen der Maschine des Schiffes. Weit weg. Vernebelt. Gedämpft. Fremd. Das Schiff macht keine Anstalten zu halten. He! Hallo! Komisch. Ich habe doch gewunken. Dann ist es das Schiff nicht, auf welches Archibald Mahler warten will. Fahr weiter! Nimm mein Winken als Abschiedsgruß. Entscheidung! Aber morgen dann nicht rumjammern. Hätte und wäre und wenn! Archibald Mahler denkt nach. Ihm fällt was ein. Weia! Ist er etwa schon so winterschlafdusselig im Kopf, daß er schon komplett vergessen hat, ob heute heute oder vielleicht nicht doch gestern oder gar schon morgen ist? Vielleicht war dies schon das nächste Schiff. Das von morgen. Und das richtige Schiff ist schon längst vor Anker und man wartet. Das kommt davon, wenn man vergessen hat, die Fahrpläne zu studieren und sich mal so an den Strand setzt, weil da hinten im tiefsten Nebel, am Ende des Wassers Litauen liegen soll und man jemanden erwartet. Vielleicht ist es doch angeraten einen Hafen zu suchen. Sonst fahren die Schiffe einfach weiter. Der Bär macht sich auf den Weg. Er geht am Ufer entlang. Ein ganzes Stück. Er erblickt, was er gesucht. „Ha! Wußte ich es doch! Man ist ja kein Blödbär!“ Das spricht Herr Mahler und nimmt Platz. Eventuell ist morgen ja tatsächlich  morgen.

Neben den Wassern

Kein Land. Hör auf zu winken.

Bau einen Hafen.

kiel06


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LETZTE FRAGE / VORLETZTE ANTWORT 5

Mittwoch, 23. November 2011 12:38

frage06

Fast vergessen. Noch eine letzte Aufgabe. Die Neue Aufgabe! Ja, die neue Aufgabe also. Wie war noch mal die Frage?

„Warum habe ich eigentlich Eltern?“

Seltsame Frage. Doch bedenken wir, es naht der Aufrechtgeher wichtigstes Fest. Überall auf den Tannenspitzen. Weia! Das Fest! Tja, was soll man auch klagenfragen, wenn die Kühlschränke gefühlt sind und so genügend Zeit für Langeweile vorhanden ist. Lassen Sie mich raten! Sie wären gerne ein freies Wesen? Ein glückliches Wesen? Ein von allem Unbill der Aufrechtgeherexistenz abgekoppeltes Wesen? Sie wären gern ein Anderer, kommen aber leider nicht dazu? Schon gar nicht in der Vorweihnachtszeit? Weil, ja, genau weil? Wegen denen? Richtig! So ist es! Die sind schuld! Die Erzeuger! Genau! Was tun? Werden Sie konsequent, kündigen Sie nachträglich Ihre Geburt, geben Sie Ihren Personalausweis ab und lassen Sie sich aus dem universellen Melderegister streichen. Vielleicht adoptiert Sie ein Reagenzglas. Ach, das wollen Sie nicht? Schade. Dann werden die nächsten Wochen und die Planung des Großen Festes sicher wieder die schwersten Ihres ganzen Lebens. Warum? Ich verrate Ihnen mal was! Was glauben Sie, warum wir Bären uns so gerne in den Winterschlaf begeben? Denken Sie mal drüber nach. Sonst? Viel Spaß beim Parkplatzsuchen und Elternverfluchen und im März bin ich wieder für Sie da, wenn Ihnen folgende existentielle Frage auf den vorösterlichen Nägeln brennen wird:

„Wann wird es endlich wieder richtig Sommer?“

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WENN EIN SCHIFF IMMER NOCH NICHT DA IST, WIRD ES WOHL KOMMEN (MÜSSEN?)

Dienstag, 22. November 2011 15:46

kiel03

Geduld ist ja bekanntermaßen nicht die Stärke des Gemeinen Aufrechtgehers. Warten ist Qual und jede Verzögerung wird persönlich genommen. Mächte! Verschwörung! Beweis! „Da muß doch noch was kommen! Da kommt noch was, paß auf! Das gibt es doch nicht! Wieso kommt denn da nix? Wieder mal typisch! Noch eine Minute und ich bin weg! Das ist doch nicht zu fassen! Mit unsereins kann man es ja machen!“ Wenn dann aber was kommt, was auch immer: „Bitte! Bitte! Ich hab’s kommen sehen. Ich hab’s doch gewußt. Das hat sich doch schon lange am Horizont abgezeichnet. Hab ich es nicht immer gesagt? Komm, hör doch auf!“ Wissend ungeduldiges Abwinken. Der Aufrechtgeher und das Meer seines kleinen Lebens. Archibald Mahler sieht nichts. Nebel vielleicht und Schemen. Er schaut weiter. Irgendwo dahinten ist Litauen. Soviel weiß er. Sehen kann man es nicht. Das heißt aber nicht, es ist nicht da. Da ist es gewiß. Und von dort soll was kommen. Sagt man. Ein Schiff. Vielleicht kommt auch nichts. Kein Schiff. Oder es ist schon da? Schon längst da? Unsichtbar ist es auf einen zugerast und taucht auf, von einer Sekunde auf die andere? Nichts mit Prophetie und darauf folgenden Applaus? Die Zukunft ist ein Unterseeboot und die Meeresoberfläche keine Autobahn? Das Meer blubbert vor sich hin. Oder so: da kam schon die ganze Zeit was, man war jedoch vor lauter Warterei so entnervt, daß man gar nicht sehen konnte, was da schon da war? Oder sogar so: man nicht nur nicht sehen konnte, sondern sogar nicht sehen wollte? „Jetzt ist zu spät. Jetzt will ich auch nicht mehr!“ Näselnd beleidigtes Abwinken. Der Aufrechtgeher und der Ozean der nicht erfüllten Erwartungen. Kann sein. Archibald Mahler, zugegebenermaßen heute auch etwas ungeduldig – Die Müdigkeit! Winterschlaf ante portas!  – nimmt es sportlich und läßt das Meer Meer sein und so nur Oberfläche seiner selbst, projektionsfrei, erwartungslos. Vertritt er sich halt die Tatzen. Und was ist das bitte für eine riesige Stahlzigarre hier? Wo kommt das Monstrum denn her? Und wer hat es gesehen? Hat gesehen, wie es kam? Und ist das noch ein Schiff?

Unter den Wassern

Kein Grund. Blinde Flecken.

Die Möwen lachen.

kiel04

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EIN SCHIFF WIRD KOMMEN (VIELLEICHT)

Montag, 21. November 2011 8:22

kiel01

Das Holz ward gestapelt, in die Zwiebel gebissen und eine Träne erzeugt, als der ehrenwerte Herr Ernst Albert um die Ecke bog und den Bären fragte, ob er denn, bevor er sich in den wohlverdienten und bitter notwendigen Winterschlaf verabschiedete, noch einmal das Meer sehen möge. Jenes Meer, auf welches er vor Jahresfrist voller Liebe und Hingabe geblickt hatte? Welche Frage!

„Kann man von hier aus Litauen sehen, Herr Albert?“

„Ich nicht, Du vielleicht schon!“

Herr Albert macht sich an die Arbeit und Archibald Mahlers Blicke durchmessen den dicken und feuchten Nebel. Kaum ein Aufrechtgeher am Ufer, die Ostsee unter eingeschlafenem Wind und eine Stille dick wie Vanillecreme. Selbst das Möwenpack hält die vorlauten Schnäbel. Und der Bär schickt das ganze, fast vergangene, so volle letzte Jahr raus aufs Meer und sieht, wie es sich auflöst in Tausende von klitzekleinen Erinnerungsstückchen, ein wenig vor sich hin glitzert, dann die Meeresoberfläche durchschlägt und versinkt.

“Das war kein schlechtes Jahr. Jetzt liegt es hinter mir. Nur noch das eine Schiff wird kommen. Wenn es kommt. Ich möchte es als Erster sehen!”

Und Archibald Mahler, Bär im Resümee, blickt hinaus auf die Ostsee und genießt den November und seine ohrenbeißende kalte Traurigkeit. Ein Schiff wird kommen. Wenn es dann kommt. Und er wird es sehen, der Mahler. Wenn es dann kommt. Geduld!

Über den Wassern

Kein Himmel. Alte Fragen.

Das Schiff kann kommen.

kiel02

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POST AUS LITAUEN / BERICHT

Samstag, 19. November 2011 11:17

lit13

Lieber Herr Mahler!

Ist der Regen hier nässer als bei Ihnen oder ist es der Wind, welcher die Feuchtigkeit scheinbar unter die Haut drückt? Jedenfalls war ich selten so durchnäßt gewesen wie nach meinem kleinen Ausflug ins Memeldelta. Jetzt muß ich arbeiten. Zum einen, um mich wieder aufzuwärmen und Geständnis: pleite bin ich auch. Da war also dieser Fischer, der Fische fängt und sie dann räuchert. Machen hier viele. Schmeckt sehr lecker. Ihnen wahrscheinlich noch mehr als mir. Und es ist wahrhaft kalt in Litauen jetzt. In den Wäldern und an den Rändern des Haffs. Der Fischer hatte mir Arbeit. So stapele ich jetzt Holz, was heißt, es stapelt der Fischer und ich zähle die Reihen und die Spalten. Und dann wird errechnet, wie lange das reicht, das Holz. Für das Heizen und das Räuchern. Im Moment sind wir gerade bei Ende März. Aber der Fischer meint, sicher sei sicher und für bis Anfang Mai sollte sich schon was vorgestapelt haben. Langsam krieg ich Muskelschmerz. Und dann hat mir der Fischer erzählt, daß er im Winter auf das zugefrorene Haff raus fährt mit einem Schlitten und Löcher ins Eis hackt und dann dort draußen die meisten und leckersten Fische fängt. Würde ich ja gerne mal sehen. Wenn es nicht so verdammt kalt wäre im Wind. Und Sie schlafen ja immer im Winter. Ich muß wieder an die Arbeit. Bis bald!

Herzlichst Ihr treuer Herr von Lippstadt – Budnikowski

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