Beiträge vom 11. November 2011

VON DER SCHWINGENDEN SULTANINE UND DEM SINGENDEN STEINBRUCH

Freitag, 11. November 2011 10:52

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Herr Karl Ehrenfeld, der Honorige nebst Gattin und Herr Ernst Albert sind schon oben in der Nemmbercher Bleibe. Der Bär hat darum gebeten, noch etwas in der historischen Briefkastenanlage des Gebäudes verweilen zu dürfen. Nachsinnen möchte er über das Gehörte und Gesehene. Außerdem hält Archibald Mahler Ausschau nach einem komfortablen und standesgemäßen Örtchen in Sachen Winterschlaf. Konzentration! Also hatte Herr Zimmermann, der Ewige, gesungen. Zuerst jedoch ein ebenfalls älterer Herr, Kopf einer Musiktruppe, deren größter Hit vor mehr als dreißig Jahren „Wir sind die schwingenden Sultaninen“ war. Die Halle war voll, übervoll, überheizt und stickig. Die Musik? Harmloses Geklimpere aus dem Biosupermarkt! So würde es Herr Ernst Albert ausdrücken. Archibald Mahler fand es schlichtweg langweilig und vertrat sich derweilen vor der Halle die Tatzen. Da war er nicht alleine. Man ließ den Bären am Tucherbier nippen. Oder Ducher? Basst scho! Umbaupause. Black. Der Alte und seine Musikantentruppe entern die Bühne. Licht. Die ersten zwei Minuten des ersten Liedes atmen mehr Kraft, Freude, Spiellust und Spontanität als der gesamte Set des Vorgängers. Der darf aber bei den ersten vier Liedern Gitarre spielen, was er sogar kann. Warum tut er es dann nicht? Dann ist er weg. Und dann geht es noch mal richtig los. Zwar nur ganze zehn Liedlein lang, aber dafür laut, dreckig, grinsend, tänzelnd, bösartig, liebevoll, bis zu drei Gitarren schrammeln gleichzeitig, das elektrische Piano quietscht und über allem diese Stimme, die klingt, als sei sie ihr eigner Steinbruch, diese Stimme, die das ganze Leben eines Aufrechtgehers nimmt, zerpflückt, mit den Versatzstücken gurgelt, diese ausspuckt, ausbellt und wieder zusammensetzt, um sie im nächsten Moment den Zuhörern wieder vor die Füße und Ohren zu knallen. Friß oder leb! Und ja, einige Aufrechtgeher flüchten. Wahrscheinlich müssen sie noch in einen Biosupermarkt. Archibald Mahler hatte sich einen wunderbaren Platz erobert, einen Stehplatz, denn wie bei der Pöhlerei gilt beim Rock’n’Roll: Sitzen iss fürn Arsch. Er stand an der Seite der in die Halle hineinragenden Bühne, zwanzig Meter vielleicht entfernt vom, und Aug in Aug mit dem Sing- und Tanzmann. Der hat natürlich anderes zu tun als einem entzückten Bären zuzuwinken, aber gegrinst hat er schon, der Herr Zimmermann. Den ganzen Abend lang, von dem Moment an, als er sich den Leopardenfellhut aufsetzte, alles vorbei war für die traurige Maid, weil die Dinge sich geändert hatten am Mississippi, und, sei ehrlich zu mir, er dermaßen in der Traurigkeit gefangen war, daß alle Dämme brachen, er in die Straße der Verwüstung einbog, um seine Reise auf dem Highway 61 fortzusetzen, wo der Mann mit dem langen schwarzen Mantel auf ihn wartete und der Donner von den Gipfeln der Berge ins Tal rollte, bis ein balladesker dünner Mann den Raum betrat, nicht begriff was hier geschah, daraufhin den Wachturm bestieg und sich selbst in der Ferne davon rollen sah, heimatlos, wie ein Stein. Dann war Schluß. Kurze Verbeugung. Ab. Black. Es war großartig und Archibald war glücklich. Das war besonders. Fanden die Herren Ehrenfeld und Albert auch. Die müssen es ja wissen. Die haben den Meister schon oft genug gesehen und gehört. So sinnt der Bär nach, in einem Briefkasten in Nemmberch, als ihm einfällt, was er vergaß. Weia! Frau Elvira Bühne wartet auf ihn. Die vorletzte Antwort auf die letzte Frage! Die leeren Vorratskammern! Der Winterschlaf! Er stürzt hinaus in die freie Luft und ein Radfahrer kommt vorbei. Es hätt’ ja auch eine Trambahn sein können, aber nein, ein Radfahrer war’s. Er winkt und fragt den Pedaleur, ob er ihn denn ein Stück des Weges mitnehmen könne. Richtung Mittelhessen. Man hält an.

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Thema: Robert Zimmermann, Unterwegs mit Herrn Albert | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth