Beiträge vom Februar, 2018

Anleihen. Ansinnen. Anleid(t)ungen. Drei.

Dienstag, 27. Februar 2018 11:41

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Alle reden vom Wetter, Mahler will beim Einsteigen aussteigen

Wenn der Wind – auch noch von vorn – bläst, ist es ratsam den Mund geschlossen zu halten. Dazu raten nicht nur Bärengroßmütter auf Kamschakta oder in Wyoming. Vor den versiegelten Lippen herrscht weiterhin Wetter. Dies ist nicht ungewöhnlich. Sollte bär meinen. Doch vernehmt das Gezwitscher der hysterischen Aufrechtgeher. Aus jeder Schneeflocke machen sie ein Skandalon, jeder heftigere Ausschlag der Thermometer endet in atemlosen Superlativen oder Medaillenspiegeln und dabei merkt seine Zweibeinigkeit meist nicht, daß die steigenden Weltenwasser ihm schon bis zum Hals stehen. Möge er sich doch an die Lokomotiven erinnern, die vor etlichen Dekaden, in Zeiten versunkener Pünktlichkeit und mützentragender Bahnhofvorsteher, gelobten vom Wetter zu schweigen und zu tun, was zu tun ist. Schnee schippen, Sonnenschirme aufspannen, Regentonnen leeren, Weichen enteisen, Reisende ans Ziel bringen. Heute jedoch, der scharfe Ost warf immer noch seine Eismesser nach den zwei Reisenden, verbarg sich die erhoffte Lok wohl und feil in irgendeinem Schuppen, statt für Bewegung zu sorgen. Wahrscheinlich quasselte sie mit dem Tender. Falls es so etwas noch gibt. Auf der windschattigen Westseite abgestellter Waggons, auf einer Insel, unweit der See, wurde gewartet, als der Bär anhob zu sprechen.

„Wir sprechen überhaupt viel zu viel. Wir sollten weniger sprechen und mehr zeichnen. Ich meinerseits möchte mir das Reden ganz abgewöhnen und mich wie die organische Natur in lauter Zeichnungen ausdrücken. Jener Feigenbaum, diese kleine Schlange, der Kokon, der dort vor dem Fenster liegt und seine Zukunft ruhig erwartet, all das sind inhaltsschwere Zeichen; ja, wer nur ihre Bedeutung recht zu entziffern vermöchte, der würde alles Geschriebene und alles Gesprochene bald zu entbehren imstande sein! Je mehr ich darüber nachdenke, es ist etwas so Unnützes, so Müßiges, ich möchte fast sagen Geckenhaftes im Reden, daß man vor dem stummen Ernste der Natur und ihrem Schweigen erschrickt, sobald man sich ihr vor einer einsamen Felsenwand oder in der Einöde eines altes Berges gesammelt entgegenstellt!“

„Von Ihnen, Meister Mahler?“

„Nein, vom ehrenwerten Geheimrat. Sie erinnern?

„Gewiß, aber Goethe, diese geschwätzige Elster und das große Schweigen?“

„Ist auch gelesen und geliehen. Hier: Schauen wir den Elstern zu, die in Paaren um die Plätze in den Kronen der Pappeln im Park kämpfen. Sehen wir dem Mann zu, der über den Parkplatz läuft und die Tür seines silbernen Autos aufschließt. Sehen wir, wie sich die Äste, gespickt mit jungen Blättern, leicht im Wind wiegen. Die Kinder, die im Hof des Kindergartens lärmend umherrennen. Die Wolken, die nach Süden gleiten und ihre Schatten auf die Hochhäuser werfen, auf die Wälder und die verwaisten Bergweiden. Eine Frau, die ihren Kinderwagen schiebt und ihre Lippen schürzt und dem kleinen Wesen vor sich etwas erzählt. Und dann noch: Betrachten wir die Meeresstille.

Schönes Buch. Und wenn wir irgendwann fertig geschaut haben? Oder neugierig sind. Oder ungeduldig.“

„Warten Sie, lieber Budnikowski.“

Der Bär lehnt sich in den Wind und blättert um. In seinem Kopp.

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(text / fotos: christian lugerth)

Thema: Anregende Buchstaben, Ansinnungen 2018 | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Anleihen. Ansinnen. Anleid(t)ungen. Zwei.

Mittwoch, 21. Februar 2018 16:40

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Den Plan machen, keine Pläne zu erstellen

Der Wind pfiff. Kalt, waagrecht, klar, atemlos, schneidend. Den zwei Reisenden schien es, als würfe ein schlechtgelaunter Wetterkoch ohne Unterlaß seine Lieblingsmesser nach ihnen. Es roch nach Schnee. Und nach Salz. Nach Schlick. Die Möwen schwiegen und gingen zu Fuß. Eine Bärennase reckte sich nach oben. Man hatte unter Mühe und Geschnaufe den alten Güterwaggon erklettert und sich einen – in Maßen – komfortablen Sitzplatz ergattert. Da war ein Gleis, aber wo stand der Bahnhof? Ein zartes Gefühl von Abgestelltseins schlich sich in die Herzen der sehenden Passagiere, doch der unermüdliche Luftbeweger blies Bewegung in die Hirne. Fuhr man schon oder bewegte sich nur die Welt drumrum?

„Das Jahr beginnt bewegt. Ist es nicht, Herr Mahler?“

„Wie man’s nimmt. Diesem Waggon fehlt noch die Lokomotive.“

„Dreht die Welt sich eigentlicher schneller, wenn es so pfeift?“

„Man könnte es meinen, lieber Herr Budnikowski. Der Ohrenabrieb ist ein gewaltiger!“

„Ihre Nase hebt sich verdächtig. Wohin riechen Sie?“

„Die geliebte See, sie scheint mir nicht allzu fern!“

„Meine Löffel sind gespitzt doch unter dem Rauschen des Windes vernehme ich kein zweites Rauschen denn meine noch winterlich müden Gedanken. Nebenbei, mir ist nach Nahrung!“

„Lassen Sie sich nicht bremsen! Ich justiere derweilen meinen Kompaß.“

„Können Sie, Freund Mahler, riechen, was dies Jahr auf uns zuweht?“

„Ach, da ich kein Aufrechtgeher, ist die Zukunft mir schnuppe. Lassen sie uns Augenblicke sammeln und gelegentlich danach schnuppern, wo wir herkommen. Das was da über bleibt, ist belastbarer!“

„Nun denn, so verspeise ich meine Winterschlafbegleitmöhre. Soll ja gut für die Augen sein.“

„Sehen Sie!“

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(text / fotos: christian lugerth)

Thema: Ansinnungen 2018 | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Anleihen. Ansinnen. Anleid(t)ungen. Eins.

Montag, 19. Februar 2018 19:57

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Vom Winterschlaf hinter offener Tür

Manche Türen stehen stets offen. „Hier raus, bitte und gerne!“ Ist aber nicht für jeden so sichtbar. Andere sind schon längst rausmarschiert. Kriegt nicht jeder der Jeden mit. Gelegentlich selbst die nicht, welche eine dieser Türen schon hinter sich geschlossen hatten. Wer noch im Zimmer zu verharren scheint, steigt vielleicht schon dem nächsten Hügel den Rücken hinab. Einfach ist es jedoch selten aus einer alten und hübschen Geschichte auszusteigen. Beschädigt eine Flucht nun die Geschichte oder den Davoneilenden? Oft ist man einfach zu müde, um zu bleiben. So ging es den beiden Reisenden. Glücklicherweise stand da die kleine Tafel in den Wiesen. „Exit!“ Da haben die Inselbewohner zur Zeit auch viel Spaß mit. Muß man halt lernen. Und plötzlich griff Winterschlaf nach Herrn Mahler.  Budnikowski schloß sich dem Bären an. Durch die offene Türe wehte ein Gedicht.

Winterschlaf

Indem man sich zum Winter wendet,

Hat es der Dichter schwer,

Der Sommer ist geendet,

Und eine Blume wächst nicht mehr.

Was soll man da besingen?

Die meisten Requisiten sind vereist.

Man muß schon in die eigene Seele dringen

Jedoch, da hapert’s meist.

Man sitzt besorgt auf seinem Hintern.

Man sinnt und sitzt sich seine Hose durch,

Da hilft das eben nichts, da muß man eben überwintern

Wie Frosch und Lurch.

(Klabund, 1890-1928)


Wer sich auf einer nicht endenden Reise befindet, muß damit rechnen auf einem Bahnsteig aufzuwachen. „An Gleis West, einsteigen bitte, wir rechnen fest mit einer Abfahrt.“ Gähnen. Sich strecken. Budnikowski hat schon wieder Hunger. Gut, isst das erste Mal in diesem Jahr. Dem Bären macht der Anstieg noch zu schaffen.

„Mensch Hase. Was rast er so hinauf!“

„Bär, Ihr Motto für 2018?“

„Faced with a choice, do both!“

“Uff! Gut, daß wir des Englischen mighty sind. Heißt Exit eigentlich raus oder rein?“

„Sehen Sie meine vorherige Bemerkung!“

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(text / fotos: christian lugerth)

Thema: Ansinnungen 2018 | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth