Beiträge vom November, 2015

Budnikowski schreibt dem Mahler einen Brief und beschließt Marmeladenbrote anzubeten

Sonntag, 22. November 2015 21:10

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Budnikowski hatte eine alte Schreibmaschine auf der Straße gefunden. Falsch. Er hat die Ehrenwerte Pelagia eine alte Schreibmaschine auf der Straße finden lassen. Falsch. Das hat die Ehrenwerte Pelagia wohl selber gemacht, also gefunden. Falsch? Falsch. Ein uns nicht näher bekanntes Wesen hat die alte Schreibmaschine der Pelagia zu dahineilenden Füßen an den Straßenrand gelegt und der blieb nichts anderes übrig als die alte Schreibmaschine zu finden. Falsch. Wäre sie da nicht lang gelaufen, dann hätte sie die alte Schreibmaschine gar nicht sehen können, dort am Straßenrande rechts. Falsch. Links. Falsch. Mittags. Falsch. Hätte, wäre und hätte man gewußt, hätte man die alte Schreibmaschine woanders deponiert. Falsch. Das ist doch ausgemachter Blödsinn. Falsch? Falsch. Das ist ausgedachter Blödsinn. Richtig. Nein. Nein! Falsch. Die Schreibmaschine war schon immer da gewesen und man hatte sie nicht bemerkt. Falsch. Erst wenn man etwas bemerkt, ist es auch vorhanden. Falsch! Man muß über das Bemerkte schreiben, dann erst existiert es. Falsch. Die Worte verbergen das wahre Wesen des Gegenstandes. Falsch. Der Schreiber verbirgt mit den Worten sich selbst. Falsch. Die Schreibmaschine kann doch nichts dafür. Falsch. Wer A sagt, muß sich auch aufs B tippen lassen. Falsch. Aber die Werte. Falsch. Unsere Werte. Falsch. Unser aller Wertekanon. Falsch. Schreibmaschinen singen nicht falsch. Falsch. Der Letzte knipst die Lichtgestalt aus. Falsch? Falsch. Budnikowski behauptet, er habe eine alte Schreibmaschine auf der Straße gefunden, die die Ehrenwerte Pelagia fast übersehen hätte, weil wenn etwas nicht existiert, kann man kein B tippen, geschweige denn über das Wesentliche schweigen. Leider falsch. Budnikowski hebt die linke Pfote, auf dem obigen Foto verdeckt. Da ist doch was verborgen. Falsch? Wir werden es wissen, wenn es zu spät gewesen sein wird. Falsch. Das ist die einfachste Übung, also falsch, aber richtig. Schreibt Budnikowski dem ihm einen Brief diktierenden Mahler einen Brief? Er tut es scheinbar. Falsch? Er kauft sich keine neue Karotte.

Hömma Mahler,

mir isset, als ob et angebracht wäre, dat ich ab morgen Marmeladenbrote anbeten tu.

Herzlichst

Ihren Budnikowski (Exbärte)

Thema: Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Vor dem Winter ein Endspiel auf der Heizung III

Dienstag, 17. November 2015 8:55

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Hätten die Fenster Läden, sie klapperten und rüttelten. Die Blätter drehen sich zu Boden, als fänden sie Gefallen daran zu vergehen. Die Heizung zischt, schweigt, zischt, schweigt. Im Dachgeschoß rumpeln Schritte. Der Bär freundlich.

Willst Du ein Stück?

Nein. Pause. Wovon?

Vom Zwieback. Ich habe die Hälfte davon verwahrt. Er betrachtet den Zwieback. Stolz. Drei Viertel. Für Dich. Da. Er reicht dem Hasen den Zwieback. Nein? Pause. Ist Dir nicht wohl?

Sei doch still! Pause. Sprich leiser! Pause. Wenn ich nur schlafen könnte. Ich würde vielleicht lieben. Ich bestiege den Blauen Berg. Blickte auf Weiten, Lichtes, könnte sehen… sehen… Himmel, Erde, Natur, nacktes Leben. Pause. Einfach. Pause. Es tropft, es tropft in meinem Kopf.  Pause. Es ist ein Herz, ein Herz in meinem Kopf.

Ah! Hat man gehört. Man läßt Herzen klopfen. Im Kopf. Ah!

Man sollte über so etwas nicht lachen.

Nichts ist komischer als das Unglück, zugegeben. Der Hase entrüstet.

Oh!

Doch, doch, es gibt nichts komischeres auf der Welt. Und wir lachen darüber, wir lachen darüber, aus vollem Herzen, am Anfang. Aber es ist immer dasselbe. Wie bei einem Witz. Anfangs noch lachen wir. Dann wird es wie immer. Der Witz wird zu oft erzählt. Pause. Willst Du Deinen Zwieback nicht?

Ich werde Dich verlassen.

Kannst Du mich vorher noch kratzen?

Nein. Pause. Wo?

Am Rücken.

Nein. Pause. Reib Dich an der Heizung. Oder an der Wand!

Weißt Du noch, wie wir lachten. Pause. Damals. Wir wären beinahe von der Heizung gefallen, so lachten wir.

Es war das Erdbeben.

Nein, es war der Witz. Pause. Hör ihn dir nochmal an. Erzählerton: Ein Engländer – er verzieht sein Gesicht, um einen englischen Bären nachzumachen. Es gelingt mit groben Zügen -, der dringend eine gestreifte Hose für die Silvesterfeier braucht, begibt sich zu einem Schneider, der seine Maße nimmt. Stimme des Schneiders. So klingt ansonsten der Hase: „So, das wäre geschafft, kommen Sie in vier Tagen wieder, dann ist sie fertig.“ Gut. Vier Tage später. Stimme des Schneiders: „Sorry, kommen Sie in acht Tagen wieder, der Hosenboden ist mißraten.“ Gut, macht nichts, der Hosenboden ist nicht so einfach. – Acht Tage später. Stimme des Schneiders: „Bedaure sehr, kommen Sie in zehn Tagen wieder, die Schrittnaht ist mißlungen.“ Gut, einverstanden, die Schrittnaht ist delikat. – Zehn Tage später. Stimme des Schneiders: „Tut mir leid, kommen Sie in vierzehn Tagen wieder, der Schlitz ist mißglückt.“ Gut, wenn’s denn sein muß, ein guter Schlitz muß sitzen. Pause. Stimme des Bären. Ich erzähle den Witz schlecht. Pause. Trübsinnig. Ich erzähle den Witz immer schlechter. Pause. Erzählerton: Kurzum, die Osterglocken blühen schon, und der Schneider verpatzt die Knopflöcher. Der Bär macht das Gesicht des englischen Bären, auch Kunde des Schneiders mit der Stimme des Hasen. Englisch entrüsteter Bär: „Goddam, Sir, nein, das ist wirklich unverschämt, so was! In sechs Tagen, hören Sie, in sechs Tagen hat Gott die Welt erschaffen. Ja, mein Herr, jawohl, mein Herr, sage und schreibe die W e l t! Und Sie, Sie schaffen es nicht mir in drei Monaten eine Hose zu nähen!“ Stimme des Schneiders, ebenfalls entrüstet: „Aber Mylord! Mylordschaft! Sehen Sie mal – verächtliche Geste, angeekelt – die Welt an… Pause … und sehen Sie da – selbstgefällige Geste, voller Stolz – meine H o s e!“

Pause. Der Hase starrt in den Morgen. Sein Körper krampft, er bricht in ein schrilles Lachen aus, schweigt, lehnt seinen Kopf an des Bären Schulter und lacht wieder los. Der Bär milde.

Ruhe!

Der Hase zuckt zusammen und hört auf zu lachen. Der Regen trommelt ohne Unterlaß gegen die Scheiben. Der Bär läßt das Buch sinken. Er ist müde. Es ist noch früh. Klebrige, lästige Dunkelheit. Klamm, gottgegeben. Der Bär erhebt sich.

Laß mich eine kleine Runde machen.

Thema: Endspiel | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Vor dem Winter ein Endspiel auf der Heizung II

Sonntag, 15. November 2015 17:31

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Der Tag hält sich in Grautönen. Glocken läuten. Vor dem Fenster pickt eine Amsel nach Wacholderbeeren. Dann fällt sie tot vom Baum. Der Hase.

Fühlst Du Dich in Deinem normalen Zustand?

Ich sagte doch, daß ich mich nicht beklage.

Ich fühle mich etwas komisch.

Keiner hat Dich gezwungen.

Es kann zu Ende gehen. Pause. Das ganze Leben dieselben Fragen, dieselben Antworten.

Wir werden uns erheben müssen. Wir könnten wieder von Zwieback leben. Anderthalb Zwieback pro Tag werden reichen. Pause. Ich werde nicht gehen können. Der Bär seufzt leise, kratzt sich am Rücken. Der Hase reckt den Kopf nach oben, spricht.

Haben wir schon Licht? Schaut nach links. Gleich springt der Kühlschrank an. Schaut nach rechts. Er wird leiser sein als letzten Sommer. Schaut nach oben. Ah. Schaut nach unten. Er beginnt zu zittern. Wirst Du mich verlassen?

Der Zwieback hat keine Beine.

Früher mochtest Du mich.

Früher.

Ah. Immerhin. Pause. Der Bär erhebt sich. Klettert von der Heizung. Durchschreitet einmal den Raum. An der gegenüberliegenden Wand bleibt er stehen und lehnt sich mit Stirn und Tatze an die Wand. Der Hase schrill.

Wo bist Du?

Hier.

Warum tötest Du mich nicht?

Ich weiß nicht, wie die Zwiebackdose zu öffnen ist. Pause. Vernehmbarer Atem. Drei Sekunden lang. Dann Stille. Später. Der Weg ist mir zu weit. Wir werden Fahrräder holen müssen. Oder Pferde. Pause. In der Küche lauert der Tod. Verfluchte Erzeuger. Keine Haltung. Keine Moral. Fressen. Fressen. Sie denken nur ans Fressen.

Ich will meine Karotte. Pause. Schrill. Wo ist der Brei? Schriller. Ich will meine Karotte als Brei. Pause. Es ist sinnlos.

Es gibt keine Natur mehr. Die Felder sind Sümpfe geworden. Plastikbeutel wehen in die Drahtzäune. Die Natur wird uns vergessen.

Du übertreibst. Wir atmen doch, wir verändern uns! Wir verlieren täglich Haare, Zähne, Zuversicht, unsere Frische, unseren Anstand, unsere Ideale. Der Bär schlägt seinen Schädel sanft gegen die Wand. Es klingelt an der Haustür. Schrecken. Der Bär dreht den Kopf.

Niemand auf der Welt hat je so verdreht gedacht wie wir.

Man tut was man kann.

Man hat Unrecht.

Du hältst Dich für gescheit, nicht?

Gescheitert! Der Bär horcht auf. Das Klingeln erlischt. Der Bär bläht seine Nüstern. Seufzt wieder. Als sei es die Welt!

Ja. Als sei es die Welt. Pause. Im Treppenhaus fällt die Türe ins Schloß.

Thema: Endspiel | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Vor dem Winter ein Endspiel auf der Heizung I

Donnerstag, 12. November 2015 7:17

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Innenraum mit Möbeln. Trübes Licht. Ein Heizkörper. Ein Hase und ein Bär. Auf einem Fensterbrett hinter ihnen Erinnerungsstücke. Tand. Der Hase lacht auf. Spricht.

Ende. Es ist zu Ende. Ein Körnchen kommt zum anderen. Eins nach dem anderen und eines Tages, plötzlich, ist es ein Haufen, ein kleiner Haufen, der unmögliche Haufen. Man kann nicht mehr schlafen. Man kann nicht mehr strafen. Ich schließe die Augen. Sie sind geschlossen. Man hat sie mir geschlossen. Vielleicht. Ich werde sie geschlossen halten. Mit Sicherheit. Ich betrachte von nun an meine Lider. Von innen. Zentimeter für Zentimeter. Dann warte ich. Bis man nach mir pfeift.

Der Hase verharrt regungslos. Der Bär gähnt. Er dreht die Heizung höher. Kratzt sich am Pöter. Erhebt die Stimme. Brummt.

Jetzt bin ich dran. Pause. Erneutes Gähnen. Ein beherzter Furz. Ich bin dran. Jetzt spiele ich. Ah. Heißes Eisen. Mein Fell dampft. Er seufzt. Der Hase bleibt regungslos. Man kann ihn nicht denken hören. Kann es ein Elend geben, das erhabener ist als meines? Möglicherweise. Früher. Auf rauhen Inseln. In Kamschatka. Hinter den Winden. Bei Wyoming. Pause. Ich kann mir denken, daß es viele sind, die leiden. Dreht die Heizung noch höher. Aber mein Leiden. Gibt es Gleichwertiges? Ich bin allein.

Die Luft ist unerträglich heiß. Wecke mich, wenn ich einschlafe. Er schlägt nach dem Bären. Wecke mich auf, sollte ich schlafen. Bring mich ins Bett. Der Winter lauert zwischen den heißen Metallrippen.

Wir haben doch eben erst Platz genommen!

Das ist kein Argument!

Ich kann nicht in jeder Minute etwas tun.

Dann blicke in meine Augen. Das Jucken ist unerträglich. Reiche mir ein Taschentuch. Die Suppe ist versalzen. Das Lied gefällt mir nicht. Meine Glieder knarzen. Die Zeiten sind ungeheuerlich!

Jetzt wird es mir zu bunt!

Der Bär greift ins Bild und kratzt sorgfältig die Farben aus den Furchen. Das Hase hält ein paar Noten in den Pfoten. Novemberwind pustet Wüstensand auf die Wunden des enteilenden Jahres. In der Ferne Furcht. Und Dresdner Stollen.

Thema: Endspiel | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth