Beitrags-Archiv für die Kategory 'De re publica'

Mahlers Brief, welcher durch puren Zufall so datiert wie hier zu lesen ist, aber trotzdem!

Donnerstag, 24. Dezember 2015 14:41

brief4

Lieber Budnikowski,

messen Sie dem Datum meiner Antwort auf Ihre Leberwurstfrage keine Bedeutung bei, es handelt sich lediglich um einen zufälligen Zusammenstoß diverser Assoziationsketten. Aber auch der Zustand, in dem der aktuelle Winter sich befindet, wäre zu erwähnen, denn ein jeglicher Versuch mich in den Winterschlaf fallen zu lassen endet in Unruhe, öffnet meine Augen und diese erblicken blühende Zweige. Japanische Zierkirsche. Nachtreibende Margariten. Weidenkätzchen. (Betreffs Ihrer Nebentätigkeit nur dies: das Ei ungefärbt belassen oder braten, bitte!) „Das Kind“, welches nun einen spanischen Namen trägt, ist wütend aus der Krippe geklettert und umtost mit der Wucht kreativer Zerstörung die Küsten und Gestade. Gezeitenströme verirren sich und Luftmassen fallen orientierungslos vom Himmel herab. Der Aufrechtgeher hat wieder Grund zu jammern. Selten dämmert ihm, daß Wesensmerkmal der vielbesungenen Freiheit es ist, nicht so viele Dinge zu tun, sondern dies zu unterlassen. Und so schreibe ich Ihnen zu, sollte Sie ein Anfall von transzendentaler Bedeutungshuberei überfallen:  das Leberwurstbrot an der Wand ist die rechte Wahl. Gerne auch gefasst oder gerahmt. Den Meisten ist das Rauschen vor den verspiegelten Fenstern der eigenen Imwaldität sowieso wurscht, wichtig ist die Erregung coram publico und daran herrscht wahrlich kein Mangel. Corizo corazon, Companero!

Kürzen wir ab und schließmuskeln, mein lieber Denkgenosse. Das letzte Jahr war laut und neigte zur geistigen Leere. Steigen wir also am heutigen Tag auf die Blauen Berge, blicken wir am heutigen Tag in die Himmel, suchen wir am heutigen Tag ein anmutiges Ritual. Vielleicht liegt es irgendwo im grünenden Gras. Neben einem Weihnachtsei!

Ach ja, kann man eigentlich auch die althergebrachte, moribunde Herzensbildung an die Wand nageln?

Das fragt sich und grüßt Sie – gelegentlich -  im Zustand schicksalbejahender Wunschlosigkeit!

Ihr Companero cordial Archibald Mahler, Comandante do Plaza de Fuegos

PS: Ihr neuestes Filmwerk gefällt mir! Oder sind Sie es gar nicht, sondern…

kuno_bowie

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Budnikowski antwortet und schreibt also an Mahler einen Brief auch über Leberwurstbrote

Donnerstag, 17. Dezember 2015 19:12

brief3

Besten Mahler,

dat iss die Sache so mit die Flecken. Da kannse noch so Vorsicht waltern lassen inne Planungsverfahren, wenn et troppt, isset passiert meist jenseits vonne Gewußtheit. Und dann iss klebrig. Getz zum Bleistift beie Marmeladenschnitten. Und obwohl ich schon höre des Sektierers Gemurre gellen, von wegen iss doch Unterschied obbe Flecken von Brombeer oder Aprikose oder Quitte oder iss Aprikose nur als Marillen anbetungswürdig und kannse bei Aprikose auch in Obergurgl dat Kreuz übere Brust und dat Gestirn kreuzigen tun, ich tu dat mal mit Schal generalisieren, und sach, dat et klebt, wennet klebt und dat persönliche Herkunftsorganigramm vonnem Fleck iss mich Jacke wie Putzlumpen. Wissense, dat öffentliche Anne-Wand-Pinnen iss schon die Crucification, so wie et ebenst die Tendenz geben tut in tägliche Verschärfung, dat die Öffnung vonne Hosenlätzen gewisse Heilsversprechen transportieren könnten soll und so ebenst die Freiheit gewahrt bleiben muß für jede triefende Nase auffe Erdboden. Dat mag der Bourgeois sich anne liberale Joppe heften tun, während der Citoyen auffe tägliche reflektorische Spazierrunde die weggeschmissenen Schnupftücher von seine Mitweltnutzer vonne Asphaltwegen klauben tut. Also geht mich fott mit die heilige Indufällität. Sachens, gittet nich auch eine Versicherung gegen Indivalität? Oder tu ich da watt verwechseln tun, Herr Mahler?

Grüßen Sie mich herzlichst von rechtswegen auch den Mops von Otto von Trottoir

Ihren Budni (Desiechnierter Ministersprecher für Glauben, Taube und Brotbeläge)

PS: Glauben Sie, dat Leberwurst vielleicht besser anne Brotscheiben haften tut, falls et mich mal nache Veröffentlichung von meine Tranzendentalien verlangen tut?

PS 2: Wünschen Sie sich wat von meine Wenigkeit fürret nahende Fest oder reicht et, wenn ich die Löffels stillhalten tu?

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Mit den Augen des befreundeten Fremd / Sechs

Montag, 8. Juni 2015 22:00

clo

Es hatte keinen Spaß mehr gemacht. Das Blicken. Das Schauen. Das Hinsehen müssen. Die Wiederholung. Der Alltag. Und Budnikowski schaute und erblickte in den letzten Tagen und Wochen so manches direkt vor dem ihm anvertrauten Fenster. Davon reden? Davon schweigen. Budnikowski weiß nur zu gut, gerne wird nicht der Täter, sondern der Berichterstatter angepinkelt. Mahler wiederum hielt sich an die Verabredungen. Er wartete, den Rücken von der Sonne beschienen, geduldig wie nie nun, auf einen eventuellen Bericht des Hasen. Dieser schwieg. Gelegentlich ein Mümmeln, ein knirschendes. Unverständnis, behaucht von gänzlich unhasigem Wüten. Irgendwann ist auch gut. Mahler kündigt also die Vereinbarung und dreht sich um. Aha! Das macht tatsächlich keinen Spaß mehr. Das mag auch Mahler nicht mehr sehen. Tagtäglich schon gar nicht. Mahler und Budnikowski wollten schon lange aufgebrochen sein. Die Kleine, immer häßlicher werdende Stadt in Mittelhessen hat sich auserzählt. Hier scheint man glücklich zu sein, wenn man dreitausend Picknickdecken aneinander gereiht hat und es an dem Tag nicht regnete. Weltrekord. Oh sanctae Simpeleien. Und jetzt auch noch das. Mahler beginnt zu weinen. Aus heiterem Himmel über Santa Fe. Doch schnell beißt er sich die Tränen weg. Indianer donn nit kriesche. Budnikowski versteht. Aus dem Tal der Toten grüßt der perfekte Dialog.

„Sie hat Dich geliebt!“

„Ich habe sie auch geliebt!“

„Wir sind nun allein, mein Bruder!“

Mahler, Häuptling der Bear und Old Budnikowski schauen ein letztes Mal aus ihrem alten Fenster. Gegenüber pinkelt ein Mitglied von Forresters Bande gegen die Wand. Eine kleine, dicke, bebrillte Frau in einem Papageienkostüm fährt auf ihrem Fahrrad knapp am Strahl vorbei. Sie kichert. Eine Windstoß hebt sie aus dem Sattel. Leere Billigbierbüchsen rollen über den Asphalt. In der Ferne das Pfeifen der Bieberlies. Dreimal schlägt das Käuzchen. Die zwei Sänger der einsamen Zweisamkeit erheben sich. Zeit zu gehen.

„Mahler, was hatte ‘Schöner Tag’ noch zur ‘Alten Schmetterhand’ gesagt, als sie ihn nach der Schlacht von Roswell im Pueblo der Apachen gesund pflegte?“

„Wer ein Unrecht nicht verhindert, ist genauso schuldig wie derjenige, der es begeht, sagt das Gesetz der Apachen!“

„Und wohin nun?“

„Erst in die untergehende Sonne und dann zum Greystone – Canyon. Dort hatte man mich damals gefunden!“

„Wie? Wer? Wo? Wann?“

„Sie, Old Budnihand! In der Achtundvierzigsten Minute!“

aufbruch

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Mit den Augen des befreundeten Fremd / Dank

Sonntag, 10. Mai 2015 11:37

feiertag

Satz mit x. Die Versuchsanordnung wurde nach dem ersten Treffen inne Tonne gekloppt. Ein Tadel eilt heran und erteilt sich den Laboranten. Die denken gar nicht daran schuldbewußt zu nicken. “Aber der vorgestrige Freitag war als fester erster Versuchstag gebucht und angekündigt.” So war der Vorwurf.  Gespannt lauschen wir dem Dialog von den Gründen.

„Mensch, Budnikowski, da haben wir ja gerade noch mal die Kurve gekriegt!“

„Den Göttern eines wie auch immer schmerzhaften Friedens sei Dank. Am 8. Mai zu arbeiten gehört sich wirklich nicht.“

„Das Antiquariat gegenüber hatte auch geschlossen letzten Freitag!“

„Der hat ja immer noch ein ‘Je suis Charlie’ – Plakat im Fenster hängen!“

„Solange sie es nicht einschmeißen!“

„Mahler, passen Sie auf, daß Sie wegen dieser Äußerung nicht beschimpft werden in den Netzen und Blöcken!“

„Ja, ich weiß. Schlimmer als ein Waffenhändler ist immer noch ein Intellektueller!“

„Tja, man mag es fast glauben, liest man die Ergüsse der ständig wachsenden Gemeinde der DasMußManDochMalSagen-Dürfer!“

„Wahrscheinlich haben die fürchterliche Angst im Main der veröffentlichen Meinung zu ertrinken und versuchen sich deshalb in manifesten Denkimitationen! Den Versuch einer Erklärung, die im Bereich einer Annäherung an (Teil)Wahrheiten stehen bleibt, zu ertragen und sich selbst als außen vor zu begreifen, ist nicht einfach. Her mit den Schuldigen!“

„Mama!“

„Gewagter Schlenker, lieber Budnikowski!“

„Ja, weil wir heute auch nicht arbeiten dürfen!“

„Haben Sie eigentlich eine Mutter!“

„Die Mär geht, man habe mich an einer Autobahnraststätte erstanden. Man kam von einer Pöhlerei.“

„Sie sind käuflich?“

„Wer ist das nicht, Herr Mahler! Und Ihre Frau Mama? Oder stammen Sie direkt von Matunus ab, der Sie auf die Erde sandte, nach den Aufrechtgehern zu sehen?“

„Ich bin ja kein katalanischer Fuchtelaugust in zu engen Hosen!“

„Hömma, dat Thema iss mein Brevier.  Desweiteren: Ihre Antwort fehlt noch, die auf den ersten Teil meiner Frage!“

„Meine wesentlichen Erinnerungen setzen erst nach dem abben Bein ein. Der Rest davor ist zu schwammig und jede Äußerung dazu wäre bloße Spekulation verbunden mit der Gefahr sich im Vorwurf zu verheddern. Aber ich gehe prinzipiell von der Existenz meiner Mutter aus. Und bei Ihnen?“

„Wollen Sie mich adoptieren, Herr Mahler?“

„Um mir dann ein Leben lang Vorhaltungen machen? Nein danke!“

„Nun gut. Wollen wir ein Lied anhören und aller Mütter dankend gedenken, auch wenn wir die unserigen noch suchen müssen?“

„Wissen Sie, mancher der, obwohl er eine wunderbare Mutter hat, sucht den Idealentwurf seiner Mutter auch ein Leben lang. Dummerweise haben aber Mütter auch Mütter. Und die Suche höret nimmer auf!“

„Tja, vergißt man gerne. Ähem, das Lied ist sehr kitschig und sehr alt! Nur als Warnung!“

„Wenn Erinnerungen damit verbunden sind, geht das schon in Ordnung! Drücken Sie auf die Taste!“

„Und wissen Sie was, Väter haben ja auch Väter!“

„Später! Los jetzt! Das Lied!“

(Man hört das Liedchen. Und gedenkt. Die Tulpen öffnen sich. Das Hase bleibt etwas unruhig. Sein Naturell.)

„Mahler?“

„Ja, was ist denn schon wieder?“

„Die Blumen sind schön!“

„Das sehe ich doch, Budnikowski.“

„Aber manchmal muß man es auch sagen.“

„Nervsack!“

„Los!“

„Ok! Die Blumen sind schön. Sehr schön sogar.“

„Geht doch! Danke!“

(Fortsetzung folgt.)

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A. Mahler macht sich selbstständig / Hoffnung

Donnerstag, 29. Januar 2015 20:29

kiel18

Oben im Krähennest unverdrossen der Mastmatrose schaut und unten im Bauch des schaukelnden Narrenschiffs zwei der Seefahrt eher Fremde im Bemühen den Mageninhalt zu bewahren bei sich. Eine Momentaufnahme. Gelegentlich ein Schlepper auf rahmengenähten Schuhen vorbei schleicht und einkassiert. Eine Behauptung. Die Richtung der Fahrt von Ost nach West. Eine Tatsache. Heute die meisten Fahrten von Süd nach Nord. Die Berichtigung. Über der Förde geht ein Schneegewitter nieder. Eine neue Tatsache. „Eine Klimaveränderung, die beweisbar, gibt es nicht. Periodisch auftretende Wetterphänomene sind das bestenfalls.“ Ach, halt doch einfach die Schnauze und melde Deinen SUV ab. Der Kahn stoppt, das Ufer ist nicht erreicht. „Da vorne, das Hotel. Man erwartet Euch.“ Danke auch und die letzten Meter durchwatet man die Förde. Das Hotel ist eine Bude. Geschlossen. Die zwei Reisenden halten ein Herz in die Luft. Sie hatten es – zufällig? – gefunden beim Erreichen des Weststrands. Gestern soll hier eine Demonstration stattgefunden haben. Elftausend Aufrechtgeherköpfe hoch. Man sang und begrüßte alle Fremden. Außer die natürlich, die .. ähem … wir haben auch nur zwei Zimmer und so. Echt sorry. Alle Rollläden unten. Das Herz hochhalten trotzdem. Theoretisch. Im Norden ist es auch nicht wärmer als im Süden. Und wie der Bär und der Hase so sitzen und hoffen auf Einlaß, ertönt in der Ferne ein Martinshorn und Blaulicht funzelt wichtig in den einbrechenden Abend. Klingt nicht nach Freundlichkeit. Besser man steht auf und macht sich fort. Nur wohin? Und wo – hier könnte ein weiser Fluch stehen, der erst Manhattan und dann Berlin erledigt – ist das versprochene Hotel, die Pension „Zur blühenden Landschaft“? Mahler und Budnikowski schauen sich an. Wer mutet wem was zu?

kiel19

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A. Mahler macht sich selbstständig / Verzichten

Mittwoch, 28. Januar 2015 20:32

kiel16

‘Fischbratkutter Elke’ ist kein Bandname, nicht der Titel des nächsten Roman des Herrn Archibald Mahler, kein vermeintlicher Steilpass für schwänzleschwingende Witzigkeit, sondern einfach nur eine Tatsache. Im Bauch des Kutters sitzen sie nun, die zwei der Förde entkommenen Herren. Lächelt da ein Weib? Lebt es gar? Mahler und Budnikowski ist Gegengeschlechtlichkeit fern. Fast! Die wunderbare Frau Pelagia existiert. Und wie! Kein Grund jedoch hier eine Homestory in die Welt hinaus zu sentimentalisieren. Die Beziehungsdramen, welche die Herren einst – das will doch keiner wissen. Oder? Später und gewiß vielleicht. Jetzt erst dies:

„Sagen Sie mal, Mahler und einen Dank für die letzten Stunden auch, jedoch: auf was könnten wir im Neuen Jahr alles verzichten?“

„Verzicht? Gut! Machen wir eine Liste!“

„Das wäre mein erster Verzicht: Alle Listen!“

„Tabellen auch?“

„Bitte!“

„Ihr Pöhlereiverzicht ist ernst gemeint, Herr Budnikowski?“

„Mehr denn je! Sie erinnern sich an meine letzte Auslassung? Lassen Sie mich – obwohl noch lange nicht in Rente – einmal den Rechthaber geben!“

„Und dann, Budnikowski, verzichten wir worauf?“

„Vor allem auf die unvermeidlichen Gegenpositionen!“

„Die Alternative?“

„Aikido! Die Energie des Angreifers aufsaugen, Schläge antizipieren, vorbeigleiten lassen und ins Leere laufen mögen sie!“

„Ich melde Zweifel an! Wegen der Wut!“

„Ok! Ab und an Gegenpositionierung ohne zurückzuweichen. Und unsere Gegner bleiben wie immer: alle potentiellen Schlußstrichzieher!“

„Genauer!“

„Gegen all diese Schlußstrichzieher zum Beispiel, die heute noch rumjammern, daß dieses Tor zu London im Jahre 66 nie und nie und nie und nimmer ein Tor war gewesen, was sie damals als schwer pubertierendes Wesen auf dem elterlichen Sofa mit Falkenauge sofort erkannt hatten, um dann auszuschwitzen im Chor: Laßt mich mit Birkenau in Ruhe, ihr Gutmenschen!“

„Gäbe es eine Steigerung?“

„Ewigpubertierende, welche meinen Ironie und den unvermeidlichen Braunauer in einen wie auch immer gearteten Zusammenhang schustern zu müssen! An Auschwitz muß halt leider jegliche Selbstsicherheit scheitern! ‘Heil Witzle’ ist einfach nur dämlich!“

„Jetzt ist aber Schluß!“

„Gewiß! Mahler, auf was wollen Sie verzichten?“

„Auf die Badewannen, die blubbernden Heizkörper und die fetten Teppichböden im Steigenberger!“

„Auf was wollen Sie nicht verzichten?“

„Auf die Badewannen, die blubbernden Heizkörper und die fetten Teppichböden im Steigenberger!“

„Dann sollten wir die Förde queren!“

„Hören Sie, Herr Hase, frisch gerettet sie sind und schon verbal extrem aktiv!“

„Auch dies schadet nicht! Da liegt ein Boot am Kai.“

„Budnikowski, dieses Boot spricht allen maritimen Sicherheitsvorschriften Hohn!“

„Dann schauen Sie sich mal die Dinger an, die tagtäglich das Mare nostrum queren! Und da sitzen mehr als nur wir zwei Nöhler drin!“

„Wissen Sie was, Budnikowski? Ich beginne Ihre Wut zu schätzen!“

„Wer lichtet den Anker?“

Der Wind frischt bös und böig auf aus Nordwest. Zwei Amateure der Seefahrt wollen von Ost nach West. Drücken wir die Daumen. Von Herzen und ohne Schiß.

kiel17

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A. Mahler macht sich selbstständig / Versuch 6

Samstag, 17. Januar 2015 21:39

kiel07

„Viele versprechen Berge und machen dann Maulwurfshügel.“ Griechisches Sprichwort. Ja und Ja und Danke schön! Der Bär schüttelt seiner inneren Stimme die mahnende Pfote! Archibald Mahler hatte den Plan gehabt. Gut, ein paar ordentliche Impulse, nicht wirklich überzeugend, jedoch drei bis vier vage Zielbeschreibungen. Eine Geschichte erzählen und der schnappatmigen Welt nicht mehr hinterher zu tappern. Und dann drehen wieder ein paar Idioten durch. Durchdrehen? Wenn es denn so einfach wäre. Hutu – Milizen drehten nicht durch. IS dreht nicht durch. Die Wachmannschaften in Birkenau drehten nicht durch. Charles Manson drehte nicht durch. Boko Haram dreht nicht durch. Männer, die ihre Töchter in Keller sperren, drehen nicht durch. Massenvergewaltiger im Kosovo und weltweit drehten nicht durch. Hoyerswerda drehte nicht durch. Geschweige denn Beate Zschäpe und Andreas Baader. Es ist die Dunkelheit. Ein nicht tot zu kriegender, aber gerne tötender Bestandteil aller. Aller. Leider. Die Hoffnung? Ein Volk, deren Großväter vor  anderthalb Menschenleben noch Gashähne aufdrehten, behauptet sich auf dem Wege zur nachhaltigen Erkenntnis zu befinden. Sicher? Dann mal vorwärts. Nicht einfach, aber man muß es sich einfach machen, sonst wird es schwer. Des Bären Hirn rotiert wütend bis plötzlich nach Tagen eines unendlichen Regensturms die Sonne aufgeht. Am Ende des Lichttunnels. Kiel?

„Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.“ Ja und Ja und Danke schön! Der Bär schüttelt seiner inneren Stimme die mahnende Pfote! Danke auch Sir George Orwell! We remember Big Pig Dschugaschwilli! Wer sagt aber wem was und wann und wo außer im so mutigen Sozialmedium? Zu Hause? Anne Arbeit? Auffe Straße? Inne Betten? In den Schulklassen? In den dunklen Ecken? In den Familien? Nachts? Wer wechselt als erster die Straßenseite? Der viel besungene Mut? Den Kopf ab zum Gebet? Den Hut ab vor dem Vereinsaustritt! Des Bären Hirn rotiert wütend bis plötzlich nach Tagen eines unendlichen Regensturms die Sonne aufgeht. Am Ende des Lichttunnels. Kiel?

Dem Archibald Mahler ist weiterhin wirr und so tastet er sich in Richtung eines Entschlusses. Deshalb. Die Geschichte vom Anderbär. Vom Feldberg. Vom Feldbär. Von der Reise der Bären nach sich selber. Deswegen wollte er in den nördlichen Wind. An die See. In seinem Gedankenschrank sieht es einfach übelst ungeordnet aus. Da muß der Mahler mal ran. Ab morgen wird aufgeräumt. Von der Förde aus. Aber davor lassen wir nochmal ein Motorrad durch die Wand knallen. Dann Kiel.

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A. Mahler macht sich selbstständig / Versuch 5

Dienstag, 13. Januar 2015 19:18

kiel06

Keine Garantie wenn Du mit dem Licht reist, daß Du nicht doch im Dunkeln landest. Der Tunnel am Ende des Lichts? Genau so wenig, wie eine gut gemeinte Geste nicht – kaum ist der geflickte Bleistift in die Luft gehalten – angezweifelt, zerredet, zerfleddert, mißbraucht wird. Das ist der Gang der Dinge, sollte aber niemanden davon abhalten, gelegentlich den Kopf zu senken und zu schweigen. Minuten nur vielleicht. Mehr geht eh nicht. Oder zumindest zu warten, bis der Sarg versenkt oder die Urne verbrannt. Bis man wieder schreit und zappelt: Ich! Ich! Ich! Das Talent zu hassen, ist nicht allen gegeben. Gott sei Dank. Nur welchem denn bitte?

Archibald Mahler rutschte den hellen Strahl entlang, sein Pöter brannte vor Hitze und Glück und während er Zeit und Raum durcheilte, drehte sich die Welt stoisch weiter, die Tellerränder, die letzten Sonntag in Paris einige Stunden lang etwas abgeflachter erschienen als gewöhnlich, wuchsen erneut in den Himmel und die Ahnungslosen wanderten wieder durch ihre alten Täler. Ei verbibbsch! Aber sie müssen es dürfen dürfen. Conditio sine qua non kein Volk. „Nu Fatti, nu sache mol? Was heestn das schon widder! Gonditor?“ „Nu Muddi, swird woorscheinlich wieder son Muselmanendioleggt sein! Egoal: Ich bin ooch dr Prinz Tschorles!“ „Wende meenst! Jetz aber fix heeme. De Fraunkirsche iss schon komplett finster!“

Und wie reist man nun durch Zeit und Raum? Für die Querung der einzelnen höherdimensionalen Räume nutzt man verschiedene Techniken: Mit Transitionen durchqueren man den fünfdimensionalen Hyperraum; dazu entmaterialisiert ein Raumschiff im Normalraum, springt in den Hyperraum und materialisiert an einem anderen Punkt im Normalraum, der viele Lichtjahre entfernt liegen kann. Höhere Reichweiten und geringeren Energieverbrauch bei gleichzeitig geringerer Belastung für Mensch und Maschine bietet der sogenannte Linearflug. Bei diesem entmaterialisiert das Raumschiff nicht vollständig aus dem Normalraum, sondern fliegt in einer Halbraumzone zwischen dem ein Normalraum und dem Hyperraum im Linearflug direkt mit Sicht auf das Ziel zu. Auf diese Weise werden auch die für den Hyperraum benötigten umständlichen Sprungberechnungen vermieden. Andere Antriebsformen für den intergalaktischen Flug wie das Dimetranstriebwerk ermöglichen Sprünge von Galaxienmittelpunkt zu Galaxienmittelpunkt. Oder so ähnlich. Aber es funktioniert und es geschieht, weil es geschah. Des Bären Raumgleiter sind seine Buchstaben und des Bären Hyperraum ist sein Leben.

Jetzt ist Archibald Mahler vorläufig angekommen. Nur wo? Ein Hauch von Wiedererkennen rührt ihn an. Das Erdreich hier ist vollgesaugt mit Himmelsnaß bis über die Grenze der Aufnahmefähigkeit hinaus. Eine Möwe schreit und die Fähre nach Oslo tutet. Also müßte es etwas vierzehn Glock geschlagen haben. Ein heftiger Wind greift nach den Wipfeln der vom Dauersturm gemüdeten Bäume und Herr Mahler schaut sich mal um. Aus einer Kneipe klingt ein vertrauter Sprech.

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Liberte! Egalite!! Fraternite!!! COURAGE!!!!!

Sonntag, 11. Januar 2015 20:52

kiel05

So kommt man nicht vom Fleck. Archibald Mahler sitzt heute den ganzen Tag vor dem Bilderapparat und guckt Paris. Und ist beeindruckt. Gar nicht mal von der Masse. Aber auch. Was bär sonst im Bilderapparat sieht, ist gerne mal Chimäre. Gelegentlich jedoch hat ein Ereignis die Kraft durch die Plexiglasscheibe hindurch in den Raum, durch die Haut in den Betrachter, durch die Pupillen in Herz und Hirn vorzudringen. Unten links auf der Plexiglasscheibe des Bilderapparates konnte man lesen drei Stunden lang: „Paris trauert“. Die Kameras jedoch fingen ein diese Millionen von Aufrechtgehern (im folgenden AG) aller Farben, Formen, Religionen und Atheismen, denen neben der Trauer ein positiv trotziges und mutiges Strahlen in den Gesichtern funkelte. Diese große historische Stadt besann sich auf stolz auf ihre Geschichte. Als so einiges begann. Liberte! Egalite! Fraternite! Und: COURAGE!!!! Einunddreißig Buchstaben voller Kraft und Archibald Mahler dachte, daß Bleistifte, die in die Luft gestreckt werden, eine der schönsten Gesten sei, welche die AG seit langem er – oder besser gefunden haben, zwischen all diesen Leichen der Zeichner, Schreiber, Juden, Putzfrauen und Polizisten in und um Paris. Außerdem wurde die Übertragung von zwei weiblichen AG moderiert. Das fand der Bär sehr angenehm. Siehe seine Einlassungen von gestern.

Trotzdem: Archibald Mahler kommt nicht vom Fleck. Er ist zwar voller Freude darüber, daß zumindest an diesem Tag das Wort, das Bild, die Kunst geehrt wird und (hoffentlich) begriffen wird als der Kern jeglicher Zivilisation. So ist es! Heute darf ein Bär auch mal ein pathetisches Schauern über seinen sonst eher mürrischen Pöter juckend gleiten lassen. Genehmigt! Dann hört Mahler, wie die Worte einer Frau aus dem Bilderapparat springen. Die Worte sprechen von der tiefen Trauer und davon, daß die Frau dennoch keiner Finsternis gestatten will auf ihr Leben in Paris und anderswo zuzugreifen. Lieber stehe sie auf und reise mit dem Licht. Weiter! Und vor allem ohne Angst! Und Bär Mahler denkt, wie weltmeisterlich souverän eine solche Haltung verglichen mit den rachegeil gefletschten Zähnen des Amerika vom September 2001 ist. Und so selbstbewußt locker, wie in den Tagen als Algerien Frankreich, in Gestalt des göttlichen Zidane, den so schrecklich nebensächlichen Pöhlereipokal helenefischerfrei überreichte.

Ab sofort denkt Archibald Mahler nicht mehr tiefer nach, blickt nach oben, begreift, daß nur die Freiheit das Licht sein kann und muß, setzt sich einen goldenen Helm auf und fährt los. Und nicht allein. Und weil er nicht blöd ist, weiß er, daß die drei Reisenden auf dem Bildchen zu seinen Pranken ihre Reise nicht überlebt haben. Und der Bär, dem (hoffentlich) die Kugeln nichts anhaben können, denkt sich, daß dies noch ein Grund mehr sei loszufahren. Wieder. Heute sowieso. Vive la France!

easyrider

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A. Mahler macht sich selbstständig / Versuch 4

Samstag, 10. Januar 2015 19:45

kiel04

Das Photo da oben. Die letzten 72 Stunden auch. Als hätte Archibald Mahler einen Plan gehabt. Das Photo aber war schon geschossen gewesen. Geschossen? Geschossen! Das Photo da oben wurde geschossen. Geschossen schon vor mindestens zweihundert Stunden. Geschossen, als man begann vor 72 Stunden 72 Stunden lang zu schießen, zu schießen und zu schießen. Der Schuß des Photos war nicht geplant, er erfolgte vor – schon gesagt – vor mindestens zweihundert Stunden. Die Schüsse der letzten zweiundsiebzig Stunden waren sicherlich geplanter und wann die Stunde ihrer Geburt? Wann? Mein Gott! Seit Oh Jahwe, Oh Buddha, Oh Allah und Oh Hanuman, du Gott aller Affen! Die Tempel, ach, die elenden Tempel! Was war noch der PLAN des Herrn Archibald Mahler gewesen?

Archibald Mahler ist ein Bär und Solitär und kein Aufrechtgeher und demnach muß er jetzt keinen Kommentar abgeben. Er will lediglich nach Kiel die Tage. Das gibt es Ratsherrn – Pils. Und Fischbrötchen. Er will da hoch, obwohl es stürmt, Bäume umfallen und die Züge nicht fahren. Fähren schon gar nicht. Und die See da „kocht“ ab Stärke 11. Die Welt kocht eh und seit 72 Stunden mal wieder ganz besonders hoch. Also kein Kommentar. Nur ein Gedanke, bevor der Bär, der sich von Kugeln nichts anhaben lassen will, einen nächsten Aufbruch wagen mag, will und muß. Ach so, fast vergessen: das Photo. Wegen dem Buch hier. Jetzt beim dritten Betrachten: Wie schwer das Buch auf dem Schoß des Bären lastet!! Weia!!

Zurück zum Gedanken! Was ist die Plage? Die Dauerbeleidigten? “Ich bin das Opfer. Für immer und ewig!” Eventuell. Der ewig zu kurz Gekommene, wie er meint? Oh, trauriger Determinismus. Ist eventuell nicht die Religion der große Stolperstein, sondern das Geschlecht? Der dauerbeleidigte Mann gar? Die Ehre? Vielleicht! Mahler denkt nur mal und mahler nach. Die Wut rammt das Messer in die Brust des Gegenüber. Der Haß schießt in den Rücken. Vielleicht ist es so. Archibald Mahler aber will keine Antwort. Wo gibt es die auch zu kaufen, wohlfeil und so gelungen – geklungen, um damit auch noch Geld zu verdienen? Seine kleine Sehnsucht erbittet Schweigen. Ante Portas jedoch rauschen die Kaskaden der Experten durch den Äther, die Bächlein der Expertenbezweifler antworten. Archibald Mahler würde jetzt gerne einen Bleistift in die Luft halten. In Paris. Aber er ist nur ein kleiner Tastaturbär. Sonst nichts. Doch er wird bald aufbrechen. Heute nicht. Morgen gewiß. Was soll man tun? Der Beginn der Reise verzögert sich ein drittes Mal. Und solange spricht Herr Archibald Mahler ein kleines Mantra vor sich hin: „Allah ist groß. Allah ist mächtig. Ohne Hut ist er ein Meter sechzig. Und nicht nur der.“ Und denkt dann, daß Charlie Brown, der seinen Kopf trauernd in seine Hände stützt, eine gute, angenehm angemessene Antwort ist. Eine erste.

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