Beiträge vom 17. Juni 2010

Wer keine Heimat mehr hat, hatte mal eine Heimat!

Donnerstag, 17. Juni 2010 22:21

bodanrueck1Noch in der Mitte der Siebzigerjahre des vorherigen Jahrhunderts hatte der Begriff „Heimat“ reichlich Patina angesetzt und leuchtete im wesentlichen in den Farben Rudolf Prack und Braun. Ernst Albert und Konsorten wollten sich damit nicht abfinden. Die kleine reiche eingebildete Stadt liegt an der Spitze einer dicht bewaldeten Landzunge. Im Norden der Halbinsel fällt das Ufer steil ab in den von Gletschern ausgewaschenen Überlinger See. Im Süden dümpelt der flache Untersee. Dazwischen: Wälder, Wiesen, Obstbäume, Sümpfe, ein paar kleine Ortschaften, Gehöfte, Dorfgasthäuser und in der Mitte der Landzunge ein verwunschener See. Dieses Stück Land galt es zu erobern. Linksherum! Achternbusch und Bierbichler trugen die Fahne voran. „Ich bleib hier solange, bis die merken, daß es mich gibt! Prost!“ Auch ohne Kniebundhosen und rote Wadenstrümpfe Flora und Fauna die Ehre bezeugen. Durch die Wälder laufen ohne Ziel und Gesinnung. Zurückeroberung des Dialektes. Der Berg ruft auch den Unrasierten! Und auf Bänken mit grandioser Aussicht kifft es sich einfach besser als in versifften Wohngemeinschaftszimmern. Archibald blickte auf den verwunschenen See. Nur ein einziger Steg führt in den göttlichen Mindelsee. Ganz allein, der Steg und er! Ernst Albert sagte nichts. War auch nicht nötig. Wer hier einmal gesessen ist, der versteht!

bodanrueck2„Unser Britisch Kolumbien“ nannte man die Gegend hier oben. Wenn sie auf der Blumeninsel schon die Tulpen zählten, lag hier noch Schnee. Irgendwann hatte einer die Idee hier Bisons zu züchten. Und die Tiere auch zu schlachten und in der kleinen Gaststube am Rande des Geheges zu verwursten und  zu verzehren. Für Ernst Albert und die Markgrafenbande war es ein festes Ritual, sich den Gestank der durchfeierten Samstagnächte am Sonntagnachmittag hier oben aus den Klamotten zu laufen. Nachdem beim Frühstück aka Zähneputzen der feierliche Schwur geleistet worden war, den Rest des Lebens ohne die Einnahme von indischen Heilkräutern, ROTHHÄNDLE und dem unerreichten und mehrfach geseichten Ruppaner zu vollbringen, suchte man hier oben eine preisgekrönte KB – vulgo Kifferbank – auf und brachte das ermattete Gehirn wieder auf Betriebstemperatur. Den Körper stärkten anschließend Bisonwürste und etliche halbe Liter Gelbgetränk. Oder unten im Tal: der Schweinebraten im legendären Liggeringer Adler. Auf viereckigen Tellern serviert von der dicksten und freundlichsten „Frau Wirtschaft“ unter der badischen Sonne. „Ihr honnt schon lang nint Anständigs me gehabt, oderr? Wennt ihr Dünnele no Spätzle? Bierle no?“ „Ä Runde nemme mer noch!“ Die Käfer und Enten fuhren damals schließlich im Autopilotmodus nach Hause. Archibald betrachtete die wandelnden Riesensteaks mit hungrigem Interesse. Roh? Gesotten? Gebraten? Als Wurst? Das Kleine hinten links! Am Spieß! Alle halbe Stunde mit Met begießen! „Gefällt es Dir hier, Archibald?“ „Und wie!“ “Deshalb müssen wir jetzt gehen. Komm!“

bodanrueck3Ab und an verabredete sich die Markgrafenbande mit angrenzenden Freunden in der alten Ruine Bodman, zehn Laufminuten von den Bisons entfernt. Es galt der Dame „Lucy in the Sky with Diamonds“ die Referenz zu erweisen und die Nächte mit den Erscheinungen der erhitzten Jungmännerimagination – reale Damen waren damals eher selten geladen! – durchzutanzen. Das konnte sehr anstrengend werden. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie am besten sich selbst! Eines Morgens erwachten die Feierbiester aus ihrem Rausch. Unten der ewige See. Einer sagt: “Zuviel Idyll hier! Aufbruch tut not! Und klares Hirn.“ Es wird genickt. Zustimmung. Abschiede. Der Eine fuhr nach Kreta, erntete Tomaten und fand die Frau für den langen Rest seines Lebens. Ein Anderer ging nach Portugal, kaufte sich einen Esel und buk Brot. Einer flog über den großen Teich und lernte, wie man die Bretter, die die Welt bedeuten, ins rechte Licht setzt. Der kleine Lehrer unterrichtete fortan in Afrika und nahm ein junges Mädel mit. Noch einer emigrierte auf die Gemüseinsel und zeugte Kindlein. Der, der nach Graz zog, das Pianoforte zu studieren, war bald wieder da und stimmte die Klaviere, statt sie zu spielen. Einige blieben vor Ort und wurden nicht mehr gesehen. Wiederum andere verbrannten ihre Vergangenheit, gingen zum Barbier und rauchten fortan ihre Kontoauszüge. Gestorben wurde auch. Die Götter des Rausches fordern ihre Opfer. Ernst Albert brach auf, um den Beruf des Musentemplers zu erlernen. Und Archibald? Der schaut sich das alles an, denkt, was man als Bär so denkt und ist zufrieden, wenn der Chef zufrieden auf seinen See blickt und der Vergangenheit ein Kerzlein anzündet. Und findet durchaus, daß Gott der Herr, bei der Gestaltung dieser Gegend hier in großer Form gewesen sein muß. Film ab!

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Hinter Kaltbrunn und nahe Freudental kommt es zu einer Begegnung

Donnerstag, 17. Juni 2010 17:55

BegegnungWer mit Ernst Albert reist, der ist vor Überraschungen nicht gefeit. Archibald hat sich daran gewöhnt. Aber hier und heute. Sein Bärenherz pocht immer noch. Freude. Aufregung. Ein wenig Furcht. Das, was  da aus dem Gebüsch auf ihn zuraste. Der heiße Atem des Urvaters klebt jetzt noch an seinem Fell. Was für eine Stimme! Welche Kraft! Was eine Begegnung! Darüber hat Archibald vergessen, was er heute sonst noch alles erlebt hat, all die Geschichten, die er noch erzählen wollte. Jetzt muß er sich erst mal eine Büchse Thunfisch aufmachen (lassen). “Kann ich da ein bißchen Honig dazu haben und eine Karotte?” “Geht klar, Herr Mahler! Guten Appetit!”

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„Non scolae sed vitae discimus“ oder von Ernst Alberts Bildungspfaden

Donnerstag, 17. Juni 2010 0:59

Der letzte Fischer von der reichen Au war nett. Aber eine Lehrstelle hatte er nicht im Angebot. „I honn etz prinzipiell nix degegge, daß en Bär uff meim Boot hockt, aber hosch etz Du Abi gmacht?“ Archibald mußte verneinen. Ernst Albert tröstete. „Nicht traurig sein, kleiner Genosse. Erworbene Bildung und späterer Werdegang gehen nicht immer Hand in Hand. Umwege sind durchaus möglich. Das Erkennen von Talent ist eher selten eine Fähigkeit der Leichtgebücktgeher. Schaun wir mal!“ Und so schritten sie gemeinsam Ernst Alberts Bildungspfad durch die kleine reiche eingebildete Stadt ab.

schule1„Morgen! Setzen! Tafeln raus! Diktat!” So oder so ähnlich fing das alles an. Einschulung im Jahre Neunzehnhundertdreiundsechzig. Kein Spaß! Gewiß hatten die Lehrer Namen. Einer hieß Obermüller. Einer hieß Söll. Waren sie alt damals, oder sahen sie nur fürchterlich alt aus? Die Erinnerung an den letzten Krieg lastete schwer auf ihren Schultern. Und viele von ihnen hatten etwas in diesem Krieg verloren. Ein Auge, einen Arm, ein Bein, die Geduld, den Respekt vor ihren Zöglingen, die Fähigkeit zu lieben. In der Ecke stehen, Schläge mit dem Rohrstock auf die Handinnenflächen, Nachsitzen, Strafarbeiten: alltägliche Verziehungsmittelchen. Einmal in der Woche gab es einen halben Liter Milch und nach den Sommerferien wurde erwartet, daß man seine Geranie preiswürdig zum Blühen gebracht hatte. In der Pause prügelte man sich wegen geklauter Köllnflockenbilder und wenn man sich zu Hause beklagte, wurde der Satz: „Dann wehr Dich halt!“ gerne auch mal mit einer kleinen Ohrfeige dekoriert. Der Schulweg führte durch eine Schrebergartenkolonie. Die Kirschen aus Nachbars Garten schmeckten lecker. Wenn man schnell wegrennen konnte. Keine Narben. Jede Zeit hat ihre Unwägbarkeiten.

schule2Die folgende Zeit war jene, die den sogenannten Arbeiterkindern den Zugang zur höheren Bildung ermöglichen sollte. Die erste Große Koalition. Plisch und Plum! Willy ante portas! Latein! Agricola puellam ad cenam expectat! Sagen des klassischen Altertums! Mondlandung! Aus Cassius Clay wird Muhammad Ali! Der Wecker klingelt morgens um vier! Haare wachsen mit Bedeutung, sogar in tiefster Provinz! Dann geht es schnell. Vater kann nicht mehr und die Welt ist Feind! Schülerzeitung! Versammlungen! SMV! Stufensprecher! Machine Gun! Vietnam! Südafrika! Chile! Wo liegt das bitte? Hier, vor der Haustür, auf dem Schulhof! Macht kaputt, aber nicht was Euch kaputt macht, sondern einfach so! Oder Euch selbst! Die Lehrer hatten Namen. Der gütige Lins mit der Vokabelbeule. Der eitle Göpfrich. Der aufrechte Reichrath. Der verpeilte Brüstle. Der wehrlose Krucker aka die „Sandale“. „Zimpel“ Zimmermann, der geographische Leuchturm. Berger, der fummelnde Zeichenlehrer. Und der kleine große Generalist -“Ist Ihnen Georg Elser ein Begriff? Lesen Sie Hesse besser nicht!”- und Kommunikator Lehn. „Lassen sie uns heute über die Berechtigung des Tyrannenmordes sprechen! Und, meine Herren, über den Widerspruch zwischen Ihren großen Worten und Ihrer Angst, von der Sie keine Ahnung haben können! Über Jamben und den Daktylus informieren Sie sich bitte selbstständig!” Die Lehranstalt war Herrn Alexander von Humboldt gewidmet. Keine Narben. Ganz im Gegenteil. Irgendwann rutschte der Notenschnitt in den Keller. Ursache? Auch das Zusatzstudium an der Lebensuniversität auf der anderen Seite der Straße.

schule3“Costa del Sol” war der Name des Tempels. Der erste Billardtisch. Stierkampfplakate an den Wänden. Die Einführung des Schwänzens. „Ruppaner Bier: unerreicht! Zwei gsoffe, drei geseicht!“ Die Lehrer hießen nun Pepe, Emilio, Andres und Tonio. Unser Lernziel: una hara oder una ganja! Halbe oder Kleines! Tortilla! Gambas! Boquerones! Fisseplatte! „Des Zeugs hier, des kann doch kei Sau fresse.“ Alle tun es aber! Grundlagen schaffen! Und es ist billig! Drei Ebenen hatte das Kellerlokal! Jede Ebene hatte einen eigenen Stammtisch! Unten DKP, SDAJ und MSB Spartacus am großen runden Tisch. Eine Ebene höher die neuen Sekten und der Eleve Ernst Albert: KBW, KPD/ML. Und der eine kleine Tisch ganz oben im Eck: die KPD/AO. Beschimpfungen fliegen hin und her. „Revisionist! Spalter! Trotzkist! Volksfeind! Säckel! Du schuldescht mir noch ä Halbe!“ Nach dem dritten bis sechsten Bier: „Die Holländer, wosch, die honnt halt me Spielkultur, aber mir honnt de Müller. So einfach isch des! Pepe kumm, etz mach mal die Kischte an!“ Pepe steht auf. Zwei Minuten bis zum Anpfiff. Rechts oben auf dem Regalbrett der altehrwürdige Fernsehapparat. Eine karierte Decke schützt ihn vor dem Rauch der allgegenwärtigen ROTHHÄNDLE. Diese zwei Minuten benötigt das Gerät, um warm zu werden. Rudi Michels Begrüßungsworte retten den kleinen, stolzen Spanier vor der Steinigung. Weniger ungeduldige Naturen hatten die zwei Minuten genutzt. Man stand vor der Türe und prüfte die Qualität der unlängst in der kleinen, damals noch armen, aber auch schon sehr eingebildeten Stadt, eingetroffenen indischen Heilkräuter. „Du, Lugi? Hosch Du noch ä Busfahrkärtle für en Filter!“ Tief einatmen! “Roll another one!” Anpfiff! Weltmeister! Dann zurück über die Straße. Die paar Monate schaffen wir auch noch, gell! Genau! Abitur bestanden! Schnitt: Drei zu Null! Archibald hatte aufmerksam gelauscht. Er war erleichtert. Irgendwas geht immer! Fortsetzung folgt!

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