Besser ans Fenster, denkt Archibald

archi_fenster2Das ist so eine Sache mit dem Eis und den Bergen und den Schlitten. Da war Ernst Albert schon längst im Bett, als Archibald sich immer noch die Augen viereckig schaute mit Eis und Bergen und Schlitten und dann noch mehr Zeugs mit Eis und Bergen, aber auch ohne Schlitten. Da war zum Beispiel  eine Frau, die ist mit langen Brettern an den Füßen und vier gebrochenen Rippen und – was immer das sein mag, dachte sich Archibald – einem Lungenfellriss  in die Wälder gerannt, tiefer und tiefer, ist dann wieder rausgekommen und umgefallen und konnte gar nicht mehr laufen. Weder mit Brettern, noch mit den eigenen Beinen. Und sprechen konnte sie auch nicht mehr. Und dann war da eine Rinne voll mit Eis und da rasten Stahlzigarren runter, mit Menschen drin und dann fielen die Stahlzigarren um und die Menschen lagen darunter und mußten rausgezogen werden. Woraufhin der Mann im Bilderapparat, der immer zwischen den Filmen mit Eis und Bergen und Schlitten sprach, sagte, da dürfe man nicht drüber reden oder schimpfen, weil alles gut sei und ein Fahrfehler. Fahrfehler, dachte Archibald, wenn man sein Bein verliert, ist das auch ein Fahrfehler? Und am Schluß hat dann einer, der wohl keinen Fahrfehler gemacht hat, ein Stück Metall umgehängt bekommen, und weil alle ein Foto vom ihm machen wollten mit dem Metallstück um seinen Hals, hat er reingebissen in das Metallstück und ein Zahn ist ihm abgebrochen. Seltsam, seltsam.  Archibald spürte auf seiner Bärenstirn ein massives Bärengrübeln wachsen. Wer noch nie ein Bein verloren hat, macht offenbar gerne seltsame Dinge, sagte er leise vor sich hin und merkte gar nicht, daß er gerade dabei war das Sprechen der Menschen zu beginnen. Aber davon später.

Besser ans Fenster, dachte nun Archibald und räumte das rote Sofa vor dem Bilderapparat, nicht ohne vorher die Erdnüsse, die Ernst Albert dort hatte liegen lassen, aufzuessen. Bären dürfen das. Für die ordentliche Beseitigung von Lebensmittelresten ist seit jeher der Mensch zuständig, nicht der Bär. In der ursprünglichen Heimat der Bären ist dies sogar ein Gesetz.

Nun denn, wollen wir heute kein Gescheitbär sein, murmelte Archibald und nahm wieder Platz auf seiner Fensterbank, um nachzudenken. Zum Beispiel darüber, wie das jetzt genau vorgegangen ist, damals, als sein abbes Bein wieder anoperiert wurde. Da sah er jenseits der Fensterscheibe, daß dort wo vor wenigen Stunden noch der Schnee geglitzert hatte, nun alles voller grüner und brauner Pfützen war. Und überall  lagen Zigarettenkippen und Konfettireste und Hundekackhaufen. Und dann sah er, wie auf der anderen Straßenseite ein Kind aus der Haustüre kam, und hinter dem Kind eine Frau. Und die Frau hat dem Kind eine Tasche hinterher getragen. Daß dies die Tasche von dem Kind war, konnte Archibald sehen, denn auf der Tasche waren lauter bunte und verkleidete Bären – igitt – und sie war rosa. Und so eine Tasche, dies weiß sogar ein Bär in Mittelhessen, besitzt kein erwachsener Mensch. Und warum die Mama dem Kind die Tasche trägt, die doch ganz klein und leicht und leider potthäßlich war, hat Archibald nicht verstanden. Darüber ist er eingeschlafen. Und ihm träumte, daß er morgen die Geschichte erzählen würde, wie sein abbes Bein anoperiert wurde. Ganz sicher!

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Freitag, 19. Februar 2010 12:55
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