Die Universität des Lebens bleibt Baustelle auf Dauer und das ist gut so! (Walden Five)
Montag, 19. Juli 2010 13:37
Am Ende eines heißen und fleißigen Sonntags, der nicht so heiß, aber dafür fleißiger als die vorherigen Tage war, stand Archibald endlich im Wald. Und da stand er nicht alleine. Archibald erblickte eine Anzahl grauer Betonkästen von gerade zu exquisiter Häßlichkeit, welche die Aufrechtgeher in den fernen Siebzigerjahren des letzten Jahrtausends in den lichten Wald am Rande der kleinen häßlichen Stadt gesetzt hatten, auf daß ihr Nachwuchs hier lernen und studieren möge. Der gern zitierte Zahn der Zeit und das ein oder andere Sparprogramm hatten hier ganze Arbeit geleistet. Bröckelnde Fassaden, marode Fenster, sich zersetzender Waschbeton, dazwischen grellbunt angepinselte Sitzecken, von den Wänden blätternde Plakate, verblaßte Parolen, vergessene Fahrräder! Zwischen den Prachtbauten Bauschutt. Man hatte begonnen das traurige Gelände aufzuräumen und die Kästen zu renovieren. Jetzt wo es Eintritt kostet, hier etwas zu lernen, vielleicht so eine Art Entgegenkommen an die Kundschaft. Von dem allem wußte der Bär natürlich nicht, und es interessierte ihn auch nicht, es sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Ein bißchen enttäuscht war er schon, Archibald Mahler, das erste Mal im Wald, und dann das. Gastlich sah es hier nicht aus, aber der Bär hatte sich rechtschaffen müde gelaufen und: HUNGRIG! „Gut,“ dachte er sich „wenn ich hier schon zwischen den Bildungsruinen zur Rast gezwungen werde, atme ich den Geist der Stätte ein und forsche. Und wenn die Herren Professoren in den Schwimmbädern oder Schweden weilen, nehme ich den Erkenntnisgewinn selber in die Pfote!“ Archibald setzte sich also auf einen der dekorativen Baustellenhügel und begann seine Versuchsreihe „Wie ein Bär den in eine Blechbüchse zwischengelagerten Thunfisch in Stücken aus seiner Gefangenschaft befreien kann, ohne die wertvolle Ware zu beschädigen oder gar sich selbst zu verletzten, unter der Voraussetzung einer schwerwiegenden körperlichen und geistigen Erschöpfung des Auftraggebers und Verfassers der Studie in Personalunion und dies am Tage des Herrn, an dem man eigentlich ruhen sollte, sogar als Bär auf Wanderschaft und in Mission!“ Uff!
Die Instrumente in den Pfoten, die Versuchsobjekte zu seinen Füßen, bereit einen ersten gezielten, kraftvollen Schlag auf die blechernen Fischkerker zu applizieren, hielt Archibald inne. In den Gebüschen und Sträuchern ringsherum raschelte und hoppelte es. Hasen, Wildkaninchen, was auch immer. War er schnell genug für eine kleine Hatz? „Prinzipiell schon! Heute abend scheint mir: eher nicht!“ Zugegeben, es mangelt dem bekennenden Hausbären auch etwas an Erfahrung in Sachen Jagd. Ein junger Zweibeiner fuhr seine Blechmilbe mit übermütiger Geschwindigkeit über das Gelände. Ein ebenfalls junges, mit dem Überqueren von Fahrwegen noch nicht so vertrautes Langohr konnte sich nicht in Sicherheit bringen. Die kleine Hasenseele stieg hinauf in den Sommerabendhimmel. Frau Adler nahm diese in Empfang. Ein Schar Rabenvögel nahm neben dem Überrolltem Platz und wetzte die Schnäbel. Frisches Aas! Und Archibald dachte: „Darf man das!“ Manchmal steht das, was man zum Überleben benötigt, auf keinem Lehrplan. Er schulterte die unberührten Büchsen und richtete sich auf, zu voller Größe. Etwas überrascht war er schon über das gewaltige Brummen, daß da plötzlich aus den Tiefen seiner Kehle dröhnte. Die Raben saßen wieder auf den Bäumen. Vampire Blues! Sie hätten nicht gedacht, daß in der Nähe der kleinen häßlichen Stadt noch Bären leben. Oder etwa wieder?
Thema: Walden | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth