AUF MEINEM BALKON IN DER WIEHRE 12

wiehre05

„Herr Mahler?“

„Hier!“

„Wo? Ich sehe nichts!“

„Das ist ja wohl das zentrale Problem der Aufrechtgeher. Erst wird die Nacht weltweit abgeschafft und wenn es dann doch mal irgendwo dunkel wird, sieht man nichts mehr. Vielleicht wäre es ratsam mal die eine oder andere Nacht auf alle künstliche Helligkeit zu verzichten, die durch Quellen gespeist wird, vor denen ihr Herren und Damen Aufrechtgeher soviel Angst habt seit einigen Wochen. Einfach mal konsequent abschalten, was man so gerne abschalten würde, wenn man könnte. Und alle stinkenden Blechmilben in deren Tanks fossile Säfte gluckern, die man von bösen Männern aus Nordafrika gekauft hat, die bleiben einfach stehen. Und ihr Scheinwerferlicht zerschneidet nicht mehr hupend und baßvibrierend die Dunkelheit und die Stille, die die Götter einst dem hellen Getriebe der Tage entgegengesetzt hatten. Einfach mal ausprobieren. Weniger Geglänze bitte. Vom Schweigen ganz zu schweigen. Und auch die funkelnden Bilderapparate der kleinen Permanentsprechgeräte besinnen sich darauf, daß sie Energien von unvorstellbarem Ausmaß in sich aufsaugen. Tags und in der Zeit, die früher mal eine Nacht war. Herr, gib mir düsteres Schweigen. Bitte! Mehr Finsternis vor dem Auge verhindert vielleicht die Entstehung der Finsternis in den Eingeweiden und Denkapparaten. Denk ich mal so. Hier draußen. Ach, um Ihre Frage zu beantworten, lieber Herr Albert und Chef, ich sitze unbeleuchtet auf dem Balkon. Und bitte, kippen Sie doch die Schalter in ihrem Zimmer hinter meinen Balkon in die Ausposition. Soeben sah ich noch die Sterne funkeln. Das hat mir gefallen. Ich will da weitergucken. Und so widerspreche ich gerne dem lieben Herrn Geheimrat und bitte um mehr Dunkelheit. Um das Licht zu sehen. Geht das?“

„Oh verzeihen Sie, mein Freund!“

„Nichts für ungut. Was macht Mittelhessen!“

„Das erzähle ich Ihnen, wenn das Kunstlicht gelöscht!“

„Danke!“

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Montag, 2. Mai 2011 22:33
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