Von El Paso nach Tinseltown / Der Schlag
Dienstag, 16. Juni 2015 20:19
Nun, ohne hier mein Licht über Gebühr in die Sonne zu stellen, einer der gänzlich Unbelesenen bin ich sicher nicht, dennoch sei an dieser Stelle der Erzählung gestanden, daß die Vererbungslehre mir Mysterium ist und bleibt. Immer wieder betrachte ich – insbesondere nach einem erfolgreichen linken Haken – verwundert meine Schmetterpfote und frage mich welcher Gott oder welches Gen mir diese zum Geschenk gemacht hat. Heute jedoch, die Sonne begann gerade das Tal aufzuheizen und die Gesänge der Frösche nahmen an Lautstärke zu und verrieten eindeutige Absicht (Oh ja, ich gestehe, ein langer und einsamer Ritt lag hinter einem ehrenwerten Sproß der Familie von und zu Rammelsburg, wenn ich mich nicht irre, hihihi!), beschlichen mich heftige Schuldgefühle ob der Wucht, mit der diese Göttergabe den treuen und tapferen Gefährten, designierten Häuptling der Kamschakta – Bear und Träger des viel besungenen Namens Kleines Abbes Bein, vor meine platten Füße gelegt hatte. Doch vernehme, o Fremder, der du diese Worte vor deine Augen hältst, der wackere Braunpelz er ist nicht in die ewigen Jagdgründe eingegangen, nein er schläft nur, hängt im Ginster und atmet ruhig und regelmäßig. Leise entströmt Atem seiner wunderbaren feinen und intelligenten Nase und seid vergewissert, ihr Zweifler alle, der erste Traum, den meine Pfote ihm bescherte, es ist der erste nur in einer langen Reihe von Träumen, die zu träumen es für den Unermüdlichen höchste Zeit gewesen war, während ich, obwohl erschöpft und ermüdet wie nach meiner damaligen und bemerkenswerten Erstbesteigung des Monte Verita (ohne Karotte und ohne Seil und Haken) – ich werde diese nicht unwesentliche Episode aus meinem Leben als Weltenbewanderer bald in meinem Reisebericht „Lichte Höhe“ ausführlicher schildern – hinab blicke ins Tal, in dem das Leben sich rege zu tummeln beginnt und die Wache halte.
Tinseltown ist, man möge mir meine vielleicht etwas harsche Ausdrucksweise verzeihen, ein mieses, stinkendes und korruptes Kaff, bewohnt von holzköpfigen Glücksrittern, dummdreisten Trunkenbolden und eiskalten Menschenschindern. Angelockt vom Versprechen auf schnellen und wohlfeilen Reichtum, nach kürzester Zeit durch billigsten Fusel von allem, falls überhaupt vorhandenen, Anstand in Gänze befreit und den letzten ehrlich erworbenen Dollar verloren an Zuhälter, Zocker und ungezählte Hübschlerinnen, versammelt sich in Tinseltown eine Mischpoke, die letztlich nur vereint ist durch die Abwesenheit jeglicher Moral und Gottesfurcht. Und in Tinseltown war es vor gar nicht langer Zeit geschehen, daß mich das letzte Mal ein derartiger Schlag getroffen hatte. Der ehrenwerte Old Schmetterpfote, damals noch ein Greenhorn, war in die Gewalt der Tinseltown terrorisierenden Forrester – Bande gefallen und ein altes Versprechen zwang mich meinen Rappen ‘Deadly Dust’ zu besteigen und in die Höhle des Löwen zu reiten, als mich dieser Schlag traf, der Schlag eines Gewehrkolben, der Schlag des mit Silbernägeln verzierten Kolben meiner Büchse ‘Rodriganda’. Doch von diesem, einem Kamschatka – Bear nicht zur Ehre gereichenden, hinterhältigen Niederschlag später, wenn die Engel mich wieder hinaus aus dem finsteren Labyrinth meiner derzeitigen Träume in das lichte Tal geleitet haben. Aber diese Stunde scheint noch fern und solange liege ich in einer stinkenden Whiskylache auf dem Boden des ‘Royal Flash’, dem einzigen und größten Saloon in Tinseltown, die weinende Kitty Belaire Johnson hält mein blutendes Haupt, das elektrische Klavier hämmert einen atemlosen Ragtime und die krächzende Lache von Kinky Claude, der buckligen und irren rechten Hand von Forrester stellt mir die bohrende Frage: „Warum? Warum nur liege ich hier?“
Für so manches gibt es keine Erklärung, mag man noch so tief in den Schubladen seiner Erfahrungen, in den Hosentaschen seiner Erinnerungen herumwühlen, doch mein heutiger Schlag ist nichts weiter als eine der vielen logischen und bedauernswerten Folgen der fatalen Achtundvierzigsten Minute. Ich hatte, damals noch ein blutiges Greenhorn, mich auf den Weg gemacht von El Paso nach Tinseltown, gewiß war ich aufgebrochen in der Hoffnung dort die Legende des Westens, den designierten Häuptling der Kamschatka – Bear Kleines Abbes Bein zu treffen, doch der Wahrheit die Ehre, ich verließ El Paso nicht ganz freiwillig, nein, ein Unschuldiger wurde damals mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt, weil er, der Unschuldige, damals noch ein Greenhorn und zeitweise auch ein rechtes Großmaul, seine zarten Pfoten über die Beine der legendären Dolores streichen ließ, jene Beine auf denen zu jener Zeit die widerlichen Pranken eines Sid ‘Vicious’ Forrester zu liegen pflegten. Und ich hatte von seltsamen Geschehnissen vernommen und dies dem Gefährten zu berichten, war meine Pflicht. Und hier beginne ich zu flüstern, wenn ich dem Leser mitteile, daß ich damals einen Schwur tat, daß falls jemals wieder die GRAUE WOLKE …, aber ach, verzeihe Leser, hier bricht mir meine Stimme. Heute morgen als mich des Bären zuckendes Bein traf, da erblickte ich in den Augen des Gefährten, o ihr Götter, die GRAUE WOLKE und erschrak darüber derart, daß mein Schlag notwendig ward. Manitu sei mein Zeuge! Und so saß ich und hielt Wacht, zu meinen Füßen der Freund in Morpheus’ Armen, leichter atmend. Ein Hauch von Ruhe glättete seine Stirn. Die GRAUE WOLKE schien ihren Griff zu lockern. Dann schlug ein Käuzchen. Ein mächtiger Habicht kreiste über dem Tal. Zeit den Ausguck zu verlassen und Deckung zu suchen. Ein Westmann spielt nicht mit dem, was ihm die Götter schenkten, seinem Leben. Das nächste Lied pfiff ich nicht, ich dachte es mir. In der Ferne ein elektrisches Klavier.
(Fortsetzung folgt)
Thema: Archibalds Geschichte, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth