Beiträge vom Oktober, 2015

In fernen Zonen / Der Heimkehrer bleibt blind

Sonntag, 25. Oktober 2015 9:52

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Immer wieder hatte ich meine weinende Pfote auf die Schulter des Ehrenwerten Herrn Archibald Mahler gelegt. Nein. Immer und immer noch ruhte die Pfote, feucht im Augenwinkel, auf der Schulter des Großen Häuptlings des untergegangenen Stammes der Kamschakta – Bear, dem Legendenberankten, dem Liederumtosten, dem Wehmutsriesen namens Kleines Abbes Bein. Aber der Zweitakter rollte vorwärts unbeirrt und das verräterische Grinsen im Antlitz des Bären gab mir keinen Anlaß eine Vollbremsung, eine Umkehr oder wenigstens eine besinnende Rast zu erhoffen. Wenn blubbernde Heizungsrohre und der bevorstehende Winterschlaf rufen, ist die Abenteuerlust oder ein herzschwerer Erinnerbedarf eines Feldhopplers dem Bären nicht mal ein Nicken des zur Kenntnis genommen Habens wert. Doch der gescheite Hase baut vor und haste nich gesehn nahm ich ein oder zwei Scheibchen der Magischen Pilze zu mir, die man mir zum Abschied in der Pulqueria in mein Jutebeutelchen gesteckt hatte. So lebet ihr weiterhin in den Gefilden der strukturierten Vermessenheit und glaubt den Ziffern eurer dahin rasenden Wecker, ich weile zwischen den Zeiten, Zeilen und Farben. Der Siegtreffer wird vor dem Ausgleich geschossen und der Fehler wird gemacht am Ende des Buches. Meine Augen verschließen sich vor den Bildschirmen und Straßenlaternen, in blinder Ruhe blinzeln sie entgegen einem inneren Lichte. Langsam reite ich die Welle zu Ende, die Larve des Old Schmetterpfote pellt sich von meiner Haut, es kitzelt und alsbald liege ich zusammengerollt in den Federn meines nächsten Ichs. Spektren durchpulsen mich und in frisch erworbener Blindheit vertraue ich dem Gasfuß des Herrn Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz, wieder mal befindlich auf einer seiner vielen ziellosen Heimfahrten. Und ohne eine Klage werde ich in den Körper schlüpfen, der – wann auch immer dies sein wird – neben dem Bären auf einer in Betrieb genommenen Heizung sitzen wird. Vielleicht werden wir Schach spielen. Vielleicht werden wir sterben. Wir werden zu tun haben. Das ist gewiß. Ausnahmsweise pfeift eben der Bär ein feines Lied, denn streng genommen ist dies mein Brevier. Dabei übersieht er eine rote Ampel. Blöd!

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Thema: Archibalds Geschichte, Aufbrüche 2015, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Das versteinerte Gebet / Mescal und Heimreise

Dienstag, 13. Oktober 2015 18:53

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Gerne würde ich an dieser Stelle berichten von letzten Worten, die Kleines Abbes Bein, der edle Häuptling der Kamschatka – Bear, uns hinterlassen, gerne würde ich singen ein Lied, dessen weiche Melodien und dessen trostgebende Worte uns über die Täler der Unbill und Großen Traurigkeit hinweghülfen, gerne stünde ich an einer Wegkreuzung und blickte mit festem Auge auf das aufgestellte Schild und wüßte sogleich wohin ein zweifelsfreier Schritt uns führen wird. Doch mein Gefährte hatte nichts hinterlassen zum Abschied als Gruß und frommen Wunsch. Er war gegangen um seiner selbst willen. Kein weißer Bart baumelte von den Himmeln hinab, keine biblischen Strahlen fingerzeigten das Licht vor meine taumelnden Füße und Manitou hatte das Gebäude unseres Mißvergnügens schon längst verlassen. Die Götter nun unsichtbar geworden und wir hatten es gewollt.

Unten im Tale schrie Tinseltown von sich selbst ergriffen, die Rücken der Schafe krümmten sich in freiwilliger Verzückung und Fäuste trommelten auf die eigene Brust. Trockener Husten pfiff durch die durchstochenen Lippen. „Oh Tinseltown, sei gebenedeit und leg uns an die Uniformen, wir singen steinernes Gebet.“ Mir war kalt so ohne den Gefährten an meiner ängstlichen Seite und ich sah uns blicken hinab ins Tal, wie wir es in diesem langen Sommer es so oft getan, doch kein Rad in der Nähe meiner zitternden Pfote, welches zurückzudrehen griffbereit. Schwitzend, fluchend und greinend wie ein armes, verhärmtes, altes Weib, welches die Söhne übers Meer geschickt, auf daß jene dort im Schatten der Tempel des Ewigen Klimperns ein paar erbärmliche Unzen verdienen mögen, um ihr einstens zwischen den fensterlosen Trümmern der Heimat ein halbwegs würdevolles Begräbnis bezahlen zu können, taumelte ich voran ohne Ziel. Ein klebriges Gespinst wuchs vor meine Augen. Erblindete ich? Ich fiel mehr, als daß ich eintrat in jene schummrige Pulqueria. Ich hob den Arm und sogleich ergoß sich die milchig – schäumende Flüssigkeit in meinen Leib, sickerte durch die Wände meiner Adern und da ich spürte, daß dieses Stöffche zu schwach, verlangte ich nach einem doppelstöckigen Mescal, schluckte und zerbiß den Wurm. Das Licht schwand. Warmer schwarzer Wind küßte meine Ohren, meine Füße tanzten durch das Sägemehl, welches den Kneipenboden bedeckte und ein Blume stach mir in die Nase. Ach, wie frohgemut hatte ich sie einstens gerochen. Wo weilst Du, oh Schöner Tag? Das Gurgeln, welches sich meiner pulsierenden, nach mehr verlangenden Kehle entrang, mir schien, ich konnte es sehen, als ein starker Arm von hinten mich umfasste. Meine Stimme schwand und man sprach mit mir.

„Budnikowski, der Herbst ist da. Morgen soll es sogar schneien. Also, auf den Bergen, sagt man. Wir müssen das Tal verlassen. Steig ein. Suchen wir einen Heizkörper!“

„Aber was ist mit Tinseltown? Was ist mit dem Tal? Oh Häuptling und Gefährte, mir ist gar nicht gut.“

„Kommt der Lenz, gehen wir wieder raus! Jetzt hoch mit dem elenden Pöter!“

„Mahler? Sind Sie’s?“

Das Letzte, was ich vernahm, bevor ich in einen tiefen Schlaf fiel, war das Klackern eines alten Zweitakters. Roch ich Benzin?

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Thema: Archibalds Geschichte, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

In den Abendbergen / Hohes Wasser

Samstag, 3. Oktober 2015 10:28

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Und so habe ich auf all meinen Reisen der Klagen so viele vernommen und – die Götter mögen mir vergeben – auch der Klagen zu viele ausgesprochen. Viele Flüsse querte ich, manches Ufer fand mich als ungeduldig Wartenden und der Strom eilte dahin und nahm keine Notiz von mir. Kleines Abbes Bein und ich blickten auf das unergründliche Wasser und es schien uns die Zeit gekommen, tatenlos zu bleiben. Wir sprachen nichts. Jenseits lag Tinseltown, dort drehten sich die Glücksräder in rasendem Tempo, hart und haltlos schlugen die Silberkugeln in den rotierenden Scheiben und taumelten in das Fach, welches ihnen der Zufall zuwies. An den Spieltischen grabschten von sich selbst Besoffene nach den Jetons und heulten sich gegenseitig kurzfristigen Triumph in die angstverzerrten Gesichter. „Ich habe es doch schon immer gesagt! Ich wußte es! Ja! Ich! Ja! Nein! Rache!”, so hallte es hinüber und schlug gegen unsere Stirn. Wir waren angekommen vor dem Ziel. Der Abend tropfte vom Himmel, die Sterne blickten ungerührt und eine Entscheidung war gefallen. Man mußte sie nicht treffen. Sie hatte gelauert. Wir würden zurückkehren. Kleines Abbes Bein blickte in meine Richtung, sein Blick war klar, doch voller Trauer. Ich wußte, was er sagen würde.

Wir flüchten jeden Tag und haben doch kein Ziel! Trotzdem eilen wir weiter, alleine, oft in Gesellschaft. Das ist die heilsame Täuschung, welche die Götter uns schenkten. Doch sowie der Verband die Wunde nicht nur schützt vor Staub und Getier, entzieht er auch die Verletzung schamvoll den neugierigen Blicken. Den letzten Fluß zu queren jedoch, bleibt die Aufgabe, die wir allein zu erfüllen haben. Mein Herz hatte seine alte Schwere wieder gefunden hier am Ufer, bang pulste Gewißheit in mir. Die Zeit war gekommen. Mein Tomahawk flog in die Fluten und versank. Ein Reisender muß wissen, wenn das steigende Wasser außer Kontrolle gerät. Die Behauptung, in solchen Momenten läge noch das Heft des Handelns auf dem Schreibpult seines kurzen Lebens, ist Chimäre. Ich griff nach der Pfote meines treuen Gefährten und Blutsbruders. Dann erhoben wir uns.

Der Blick schweifte weit und weh. Wir hatten Platz genommen am westlichen Abhang der Abendberge. Unten im Tal erhellten die kreischenden Lichter von Tinseltown die zertrampelte Ebene. Der Damm knarzte, wölbte sich und machte sich bereit zu brechen. Die Flut scharrte mit den Hufen. Leere Blätter harrten darauf, einem letzten Heldengesang traurige Heimat zu geben. Ich spürte wie der Geist von Häuptling Kleines Abbes Bein zum Aufbruch blies. Zwar wußte ich, wir würden zurückkehren, wenn die Flut sich verlaufen haben würde, doch was würden wir dann vorfinden? Wohin hätte uns ein gnadenloses Schicksal in ferner Zeit dann gespült? Und ich ahnte, was mein Gefährte antworten würde.

„Mein Bruder, Kleines Abbes Bein wird nun aufbrechen. Er kann dem Rufen nicht länger standhalten. Er wird sich von der Vermessenheit zu wissen verabschieden und dorthin wandern, wo die Wasser zur Ruhe finden.“

Drunten im Tal machte sich Tinseltown daran seinen Untergang zu feiern. Die einarmigen Banditen ruderten und warfen klingelnd erbärmlichen Zoll in hochgehaltene Plastikeimer. Mir schien, dieses Reich ging nicht unter mit stolzer Brust und verbeultem Harnisch, dieses Reich erstickte an seiner verzweifelt egomanen Larmoyanz. Ich sah den Großen Häuptling des ausgelöschten Stammes der Kamschatka – Bear seine Tatze heben zum Gruß. Eitelkeit wäre es von einem letzten zu sprechen oder zu singen.

„Die Götter haben uns das Geschenk der Freiheit gemacht. Es ist ein großer Fehler, dieses Gut zu nutzen, als sei es von Unendlichkeit. Old Schmetterpfote mag nun alleine wandern! Leb wohl!“

Und ich saß in erwachter Einsamkeit. Räder drehten, Maschinen schnauften, Bildschirme flackerten. Für wen? Ich griff nach meiner Kladde und suchte meinen Füllfederhalter.

(Eine Fortsetzung noch folgt)

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Thema: Archibalds Geschichte, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth