Beiträge vom Mai, 2017

Im Wind / Keine Fragen / Keine Antwort / Wind

Montag, 8. Mai 2017 17:39

PlanetWaves05

Als mir Beine gewachsen waren griff mir der Wind unters Herz

Schritt für Schritt begann ich mich durch die Kleine Häßliche Stadt zu arbeiten

Weil ich nicht mehr lag zerrissen herum war sie eine Andere

Geworden regennaß Spuren suchend der Bär auf dem Weg nach oben

Begierig einsaugend Buchstaben um diese wieder in nächste Winkel zu kotzen

Mannigfaltig die Schmerzen voller Geister Phantome das Weh und Weia

Wie unter Wasser immer wieder Träume vom Erwachen und Ertrinken

Die Lungenflügel quetschen sich zusammen schwere Brust der Atemstoß lautlos

Der Kopf schießt durch die Oberfläche Atemstoß und ein  leiser Schrei geseufzt

In Taschen Koffern Tüten begann ich zu reisen getragen geschleppt

Man setzte mich auf Steine Bänke Bordsteinkanten Zäune

In Wälder Wiesen Mülltonnen auf Schrottautos Schwäne in Weinstöcke

Auf Goethes Schoß an Schillers Denkmal thronend auf Hölderlins Grab

In Ilmenau Weimar Innsbruck Konstanz Freiburg Tübingen

Schaute ich auf Tümpel Bächle Teiche Seen Flüße Wasser

Dort wo am Hörnle Land endet oder beginnt

Blickte ich auf vier Länder hörte unzählige Sprachen und

Sah Berge glitzern im Föhn

Blickte hinter Kaltbrunn in die wässrigen Augen eines Bären

Lernte auf der Insel Reichenau erfolgslos das Geschäft der Fischerei

Badisches Babylon und Tage später rasend der Inn zu meinen Füßen

Klammerte ich mich ans Geländer des schwankenden Stegs

Und betete daß Ernst Albert heute mit Vernunft

Das Fell geschüttelt von Wind und verschlammt der Pöter kalt

Im Hotelzimmer tanzten Nagelbürsten und schlechtes Gewissen

In Dornbirn kalter Junimond feucht draußen ich und drinnen sang Bob Dylan

Tage später geschüttelt von Fieber und Frost in vertrauter Höhle

Neben mir der geheimnisvolle Fieberthermometerhalter hielt besorgte Wache

In der Küche schimpft die Pelagia und Albert trunken kichert

Im Wahn phantasiert herbei die Weinberge des Tunibergs in wilden Farben

Und ich singe vom Mädchen am Firmament das glitzert wie ein Diamant oh John

Spargel spießte meine wirren Gedanken auf und ich Kratzete mich am Pöter

Gesundet mit dem neuen Gefährten in den Wäldern

Walden revisited am Fuße des Schiffenbergs

Und feierte meine Einsamkeit welche angenehmer zu zweit

Und schrieb Bemerkungen in den Wind dergestalt

Daß im Freund immer auch der Feind zu respektieren sei

Man nähere sich dem Freund doch niemals laufe man zu ihm über

Und ich begann langsam die eigenen Worte zu finden

In Brombeerbüschen getöteten Lachsen nächtlichen Himmeln und Honigtöpfen

In der Kleinen Häßlichen Stadt in Mittelhessen

Auf beiden Beinen aufrecht

Stehend

Thema: Planetenwellen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Lebenserhaltenden Moment an das Leben zurück

Freitag, 5. Mai 2017 16:26

PlanetWaves04

Mahler versucht sich zu erinnern.

Die Frau? Sie hielt sich nicht die Ohren zu. Aber lange Geschichten, die ihr Kerle erzählen wollten, das kannte sie zur Genüge. Sie hatte einen Vater und einen Bruder und Schwestern auf der Suche. Das reicht erstmal. Die Frau stellte eine Frage. Wie denn bitte der einbeinige Bär da hinaus wolle in die von ihm zu besingende Welt? Auf Krücken, Bärenkrücken? Hüpfend Mitleid erheischend? Verspottet in Pfützen liegend? Verlacht vom Bordstein gekippt? Außerhalb des eigenen Gleichgewichts? Archibald Mahler pustete sich zustimmend etwas Staub vom Silberrücken. Wäre er ein Jungbär, wohl wissend, daß er gar nicht weiß, wie alt er tatsächlich, also wäre dann, dann hätte er gemurmelt: „Da geht noch was!“ Möglicherweise hat er sogar tatsächlich etwas derartiges gemurmelt. Dann mußte die Frau gehen. Sie sagte, sie habe auf einem Familiengeburtstag noch geheimdienstliche Verpflichtungen  zu erfüllen. Archibald Mahler bekniete den eben doch noch und wieder einsamen Mann diese Frau baldigst wieder zu kontaktieren, auch auf die Gefahr hin, jetzt die Mafia im Nest sitzen zu haben. Die Frau war erstmal weg und der Ehrenwerte Ernst Albert und Archibald Mahler legten sich schlafen. Wenn die Nacht nicht existierte, schenkt man sich den folgenden Tag. Und lüften könnte man auch mal wieder. Später! Eine Woche verstrich. Hysterische Hitze, Fahnengesichter, Zettel im Socken des Torhüters, Argentinien heult, hitzige Hysterie, Italien spielt nicht mit, Ballack weint. Euphorie in Stuttgart. Die Frau steht vor Mahler. Nadel und Faden in der Hand…..

Mahler legt das Buch zur Seite. Er erinnert sich. Jedoch der Eingriff und die Tage danach bleiben beharrlich im Schatten. Das Abbe Bein war dran. Ist dran. Bleibt dran. Vor dem Fenster bläst ein Wind. Hoffentlich von Süden. Ein neues Gedicht.

Thema: Planetenwellen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

In diesem gestohlenen Moment mein Leben

Mittwoch, 3. Mai 2017 9:26

PlanetWaves03

Der Brandplatz liegt zu Füßen eines alten Schlosses

Am südlichen Ende wachsen hinter rostigen Gittern Gingko und Rhododendren

Ich wurde da gefunden, mein Abbes Bein lag neben mir

Zusammengenäht wurde ich an den Rändern des Thüringer Waldes

Liegengelassen dort in Sonneberg als Mauern fielen

Aufgenommen von einem verlassenen Mann tief im Osten

Gepflegt und gehegt und aufgebaut zwischen alten Büchern

Später eingepackt und gereist ohne Fahrkarte nach Mittelhessen

Über mich tobte ein versöhnungsloser Streit hinweg und ich lag zerrissen eine ganze Nacht, falls ich mich erinnere

In der Frühe umrundete meine Reste kreischend die Müllabfuhr

Gießen ist ein Drecksloch schon immer gewesen

Gießen wurde erbaut in einer sumpfigen Mulde, faulig stinkende Abwasserkanäle sind seine Adern

Gießen ist die hohle Mittelmäßigkeit in allem, wie ein Dichter die Stadt preist und kein Friede in den Hütten

Gießen besitzt einen Musentempel, das Dönerdreieck, Suppenwürfel und  Minderwertigkeitskomplexe

Es ist ungeheuer schwer das die Siedlung durchfließende Gewässer zu finden, jedoch es existiert

An den Ufern der Lahn stehen Menschen von Freundlichkeit wie auch in etlichen Häusern und Straßen spricht man miteinander

Ich lag auf dem Brandplatz, entzwei, wurde aufgehoben, geschleppt in eine Kneipe, später in eine Wohnung getragen

Unter einem kleinen Tisch saß ich neben dem Bett eines einsamen Mannes

Mein Abbes Bein lehnte an meinem Torso und die Wartezeit staubte mich ein, der Silberrücken unfreiwillig

Über traurige Tage hinüber und viele laute Nächte lang hörte ich Lieder, immer wieder, immer wieder und neu

Ich hörte den Sänger näseln, krächzen, raunen, zwirbeln tausend Reime über und von der Welt

Von Geistern, und der Liebe, und der Einsamkeit, und dem Tod, den Vergeblichkeiten

Düster, laut, krakelig, fremd und so nah, Gesänge von den ewigen alten Zeiten im Jetzt, welches eben

Zigarettenrauch rötete meine Augen

Gelegentlich saß ich auf dem Tisch, neben mir ein kleiner Band, dicht beschrieben mit Haikus

Ich lernte an den Buchstaben zu riechen und die Buchstaben begannen zu sprechen

Ich hieß sie willkommen

In meinen Träumen ritt ich hungrig und einbeinig auf einem mit Preiselbeeren gefüllten Lachs den Honigfluß hinauf bis zur Quelle

Ich plante dort den Staub von meinem Fell zu waschen, mein verlassenes Herz niederzulegen und Lieder voller Haikus zu krächzen

In jenem heißen Sommer, als sich die Menschen Fahnen ins Gesicht malten, führte der einsame Mann, der neben meinem Tisch schlief, eine Frau nach Hause

Als die Frau mich erblickte, fragte sie den bald nicht mehr einsamen Mann nach meiner Geschichte …

Thema: Planetenwellen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Den Planeten einordnen oder ihn liegenlassen

Montag, 1. Mai 2017 17:16

PlanetWaves02

… und liest, riecht, schnuppert Buchstaben. Ein Langgedicht ist das. Dies Wissen hat Archibald Mahler eingesogen, obwohl er das Schlaumeiernachwort noch gar nicht erreicht hatte. Andererseits benötigt auch ein Bär Schlaumeiernachworte, um dann noch schlaumeierhafter so zu tun, als sei man selber auf keinem Fall ein selbiger Vogel. Mahler ist – wenn überhaupt – Schlaubär und denkt an seine alte Erfindung namens Gedankenschrank und es fährt durch das müde Geraffel der Gedanke, ob man fortan vielleicht mehr liegen lasse, einfach rum. Und doch schiebt sich ihm ein Vorwort vor die eigene Nase. Vorsichtig vor sich hin und her. Vorworte mag ja überhaupt niemand hören. Die sind ja noch schlaumeierhaftender. Am trockenen Gaumen klebend. Da nage man lieber an der eigenen Kralle. Man hat ja zu tun. Archibald Mahler überlegt, ob er heraus zum ersten Mai, jetzt da er wach ist. Aber kaum gelingt es ihm aus sich selber herauszublicken. Es regnet. Endlich? Oder schon seit Wochen? Woher soll er dies wissen? Den Titel des langen Gedichts mag er. Bedingt. Original? „My Life in a Stolen Moment“. Übersetzt? „Mein Leben in einem gestohlenen Moment“. Gut, sein geborgtes Leben lebend, hat er sich immer noch nicht entschieden, woher er in sein Leben trat. Wyoming oder Kamschatka? Also ist er sich seiner Muttersprache nicht gewiß und ob er englisch? Und muß man als Übersetzer nicht etwa dem Satz nach Moment ein „erzählt“ anhängen? Es gar nicht hinschreiben, eventuell aber denken? Scheint sinnfällig. Oder das Leben ist – moment – nur gestohlen? Was ist die Aufgabe? Erstmal ausgiebiges Frühstück. Erledigt. Dann die Faust erheben? Ach, Regen und Kälte. Kurz mal raus aus dem Fell? Ab morgen Reime finden. Ernst Albert bindet sich derweil die Schuhriemen. Erstaunlich grün ist es vor dem Fenster. Als habe man nichts verpaßt. Archibald Mahler stiehlt sich einen Moment und fügt ihn seinem wiedererwachten Leben hinzu. Die Türe schließt sich. Ohne ihn. Bär bleibt im Trockenen. Es war einmal in Brandplatz …

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