LETZTE FRAGE / VORLETZTE ANTWORT 5

Fast vergessen. Noch eine letzte Aufgabe. Die Neue Aufgabe! Ja, die neue Aufgabe also. Wie war noch mal die Frage?
„Warum habe ich eigentlich Eltern?“
Seltsame Frage. Doch bedenken wir, es naht der Aufrechtgeher wichtigstes Fest. Überall auf den Tannenspitzen. Weia! Das Fest! Tja, was soll man auch klagenfragen, wenn die Kühlschränke gefühlt sind und so genügend Zeit für Langeweile vorhanden ist. Lassen Sie mich raten! Sie wären gerne ein freies Wesen? Ein glückliches Wesen? Ein von allem Unbill der Aufrechtgeherexistenz abgekoppeltes Wesen? Sie wären gern ein Anderer, kommen aber leider nicht dazu? Schon gar nicht in der Vorweihnachtszeit? Weil, ja, genau weil? Wegen denen? Richtig! So ist es! Die sind schuld! Die Erzeuger! Genau! Was tun? Werden Sie konsequent, kündigen Sie nachträglich Ihre Geburt, geben Sie Ihren Personalausweis ab und lassen Sie sich aus dem universellen Melderegister streichen. Vielleicht adoptiert Sie ein Reagenzglas. Ach, das wollen Sie nicht? Schade. Dann werden die nächsten Wochen und die Planung des Großen Festes sicher wieder die schwersten Ihres ganzen Lebens. Warum? Ich verrate Ihnen mal was! Was glauben Sie, warum wir Bären uns so gerne in den Winterschlaf begeben? Denken Sie mal drüber nach. Sonst? Viel Spaß beim Parkplatzsuchen und Elternverfluchen und im März bin ich wieder für Sie da, wenn Ihnen folgende existentielle Frage auf den vorösterlichen Nägeln brennen wird:
„Wann wird es endlich wieder richtig Sommer?“
WENN EIN SCHIFF IMMER NOCH NICHT DA IST, WIRD ES WOHL KOMMEN (MÜSSEN?)

Geduld ist ja bekanntermaßen nicht die Stärke des Gemeinen Aufrechtgehers. Warten ist Qual und jede Verzögerung wird persönlich genommen. Mächte! Verschwörung! Beweis! „Da muß doch noch was kommen! Da kommt noch was, paß auf! Das gibt es doch nicht! Wieso kommt denn da nix? Wieder mal typisch! Noch eine Minute und ich bin weg! Das ist doch nicht zu fassen! Mit unsereins kann man es ja machen!“ Wenn dann aber was kommt, was auch immer: „Bitte! Bitte! Ich hab’s kommen sehen. Ich hab’s doch gewußt. Das hat sich doch schon lange am Horizont abgezeichnet. Hab ich es nicht immer gesagt? Komm, hör doch auf!“ Wissend ungeduldiges Abwinken. Der Aufrechtgeher und das Meer seines kleinen Lebens. Archibald Mahler sieht nichts. Nebel vielleicht und Schemen. Er schaut weiter. Irgendwo dahinten ist Litauen. Soviel weiß er. Sehen kann man es nicht. Das heißt aber nicht, es ist nicht da. Da ist es gewiß. Und von dort soll was kommen. Sagt man. Ein Schiff. Vielleicht kommt auch nichts. Kein Schiff. Oder es ist schon da? Schon längst da? Unsichtbar ist es auf einen zugerast und taucht auf, von einer Sekunde auf die andere? Nichts mit Prophetie und darauf folgenden Applaus? Die Zukunft ist ein Unterseeboot und die Meeresoberfläche keine Autobahn? Das Meer blubbert vor sich hin. Oder so: da kam schon die ganze Zeit was, man war jedoch vor lauter Warterei so entnervt, daß man gar nicht sehen konnte, was da schon da war? Oder sogar so: man nicht nur nicht sehen konnte, sondern sogar nicht sehen wollte? „Jetzt ist zu spät. Jetzt will ich auch nicht mehr!“ Näselnd beleidigtes Abwinken. Der Aufrechtgeher und der Ozean der nicht erfüllten Erwartungen. Kann sein. Archibald Mahler, zugegebenermaßen heute auch etwas ungeduldig – Die Müdigkeit! Winterschlaf ante portas! – nimmt es sportlich und läßt das Meer Meer sein und so nur Oberfläche seiner selbst, projektionsfrei, erwartungslos. Vertritt er sich halt die Tatzen. Und was ist das bitte für eine riesige Stahlzigarre hier? Wo kommt das Monstrum denn her? Und wer hat es gesehen? Hat gesehen, wie es kam? Und ist das noch ein Schiff?
Unter den Wassern
Kein Grund. Blinde Flecken.
Die Möwen lachen.

EIN SCHIFF WIRD KOMMEN (VIELLEICHT)

Das Holz ward gestapelt, in die Zwiebel gebissen und eine Träne erzeugt, als der ehrenwerte Herr Ernst Albert um die Ecke bog und den Bären fragte, ob er denn, bevor er sich in den wohlverdienten und bitter notwendigen Winterschlaf verabschiedete, noch einmal das Meer sehen möge. Jenes Meer, auf welches er vor Jahresfrist voller Liebe und Hingabe geblickt hatte? Welche Frage!
„Kann man von hier aus Litauen sehen, Herr Albert?“
„Ich nicht, Du vielleicht schon!“
Herr Albert macht sich an die Arbeit und Archibald Mahlers Blicke durchmessen den dicken und feuchten Nebel. Kaum ein Aufrechtgeher am Ufer, die Ostsee unter eingeschlafenem Wind und eine Stille dick wie Vanillecreme. Selbst das Möwenpack hält die vorlauten Schnäbel. Und der Bär schickt das ganze, fast vergangene, so volle letzte Jahr raus aufs Meer und sieht, wie es sich auflöst in Tausende von klitzekleinen Erinnerungsstückchen, ein wenig vor sich hin glitzert, dann die Meeresoberfläche durchschlägt und versinkt.
“Das war kein schlechtes Jahr. Jetzt liegt es hinter mir. Nur noch das eine Schiff wird kommen. Wenn es kommt. Ich möchte es als Erster sehen!”
Und Archibald Mahler, Bär im Resümee, blickt hinaus auf die Ostsee und genießt den November und seine ohrenbeißende kalte Traurigkeit. Ein Schiff wird kommen. Wenn es dann kommt. Und er wird es sehen, der Mahler. Wenn es dann kommt. Geduld!
Über den Wassern
Kein Himmel. Alte Fragen.
Das Schiff kann kommen.

POST AUS LITAUEN / BERICHT

Lieber Herr Mahler!
Ist der Regen hier nässer als bei Ihnen oder ist es der Wind, welcher die Feuchtigkeit scheinbar unter die Haut drückt? Jedenfalls war ich selten so durchnäßt gewesen wie nach meinem kleinen Ausflug ins Memeldelta. Jetzt muß ich arbeiten. Zum einen, um mich wieder aufzuwärmen und Geständnis: pleite bin ich auch. Da war also dieser Fischer, der Fische fängt und sie dann räuchert. Machen hier viele. Schmeckt sehr lecker. Ihnen wahrscheinlich noch mehr als mir. Und es ist wahrhaft kalt in Litauen jetzt. In den Wäldern und an den Rändern des Haffs. Der Fischer hatte mir Arbeit. So stapele ich jetzt Holz, was heißt, es stapelt der Fischer und ich zähle die Reihen und die Spalten. Und dann wird errechnet, wie lange das reicht, das Holz. Für das Heizen und das Räuchern. Im Moment sind wir gerade bei Ende März. Aber der Fischer meint, sicher sei sicher und für bis Anfang Mai sollte sich schon was vorgestapelt haben. Langsam krieg ich Muskelschmerz. Und dann hat mir der Fischer erzählt, daß er im Winter auf das zugefrorene Haff raus fährt mit einem Schlitten und Löcher ins Eis hackt und dann dort draußen die meisten und leckersten Fische fängt. Würde ich ja gerne mal sehen. Wenn es nicht so verdammt kalt wäre im Wind. Und Sie schlafen ja immer im Winter. Ich muß wieder an die Arbeit. Bis bald!
Herzlichst Ihr treuer Herr von Lippstadt – Budnikowski
NACH DEN AUFGABEN DIE PFLICHT IV

Nachdem nun die Aufgaben aufgegeben, da erledigt, ist es an der Zeit sich frohen Mutes der Pflichten zu erinnern. Leib und Seele zusammenhalten, das Hirn nicht verrotten lassen, regelmäßig den Göttern danken und vor allem die Lager füllen! Man möchte ja nicht auf Kreditbasis den Winterschlaf antreten. Machen wir Holz. Beim Holzmachen empfiehlt es sich, Verse zu schmieden. Es erleichtert die Tätigkeit. Findet zumindest Archibald Mahler, Bär auf dem Weg in den Winterschlaf.
Spalt Keil berstend Holz
Tatzenarbeit Bärenstolz
Knistern Lohe Bärenfell
Worauf man liegt
Nur langsam sich der Raum erwärmt
Stapel Schichten feil
Zählen Ordnen weil
Winter kommt mit Macht gewiß
Heut’ in der Früh’
Die Kraft in meinen Muskeln schwärmt
Gestern Apfel doch
Hing an diesem Aste noch
Säge Beil Die Axt Sie fällt
Achtung Tatze weg
Am Himmel noch der Kranich lärmt
Streichholz Ster um Ster
Arm wird langsam ziemlich schwer
Letzte Rose frostgebeugt
Und die Zwiebel hier
Die schenk ich Dir
Falls Du weinen magst
NACH DEN AUFGABEN DIE PFLICHT III

Nachdem nun die Aufgaben aufgegeben, da erledigt, ist es an der Zeit sich frohen Mutes der Pflichten zu erinnern. Leib und Seele zusammenhalten, das Hirn nicht verrotten lassen, regelmäßig den Göttern danken und vor allem die Lager füllen! Man möchte ja nicht auf Kreditbasis den Winterschlaf antreten. Zählen wir die gesammelten Nüsse. Beim Zählen der gesammelten Nüsse empfiehlt es sich, Verse zu schmieden. Es erleichtert die Tätigkeit. Findet zumindest Archibald Mahler, Bär auf dem Weg in den Winterschlaf.
Nußkern! Eine Frage, Nußkern.
Ist es Furcht, die Deine Schale,
Ist es Angst, die jeden Zugang
Zu Deiner Frucht, der Nuß, zur Quale
Macht, wenn man nicht will den Zahn verlieren?
Ohn’ Gerät sich Finger bricht?
Nuß, oh Nuß, dann bleib doch liegen.
Schlaf Dich aus! Ich brech Dich nicht!
LETZTE FRAGE / VORLETZTE ANTWORT 4

Noch eine Aufgabe, eine vorletzte, oder vorvorletzte. Die Neue Aufgabe! Ja, die neue Aufgabe also. Wie war noch mal die Frage?
„Warum wird mein Fußballverein nie Meister?“
Schlechte Frage. Außerordentlich schlechte Frage. Was wollen Sie sagen, was wollen Sie klagen? Sie haben doch die perfekte Wahl getroffen. Sie haben sich offensichtlich einen Verein Ihres Herzens zugelegt, der Ihnen jeden Samstag, und meistens nicht unter der Woche, vor Augen führt, wie schlecht diese Welt ist. Und da Sie ja ganz fest davon überzeugt sind, daß diese Welt die schlechteste aller möglichen Welten ist, seien Sie froh. Geheimnisvolle Mächte, hypertone Wurstfabrikanten, das seit der Sekunde Ihrer Geburt gegen Sie verschworene Schicksal, die letzte Umbenennung Ihrer geliebten Kampfbahn und der rapide Verfall der Bierpreise nach oben hin, haben Sie es nicht schon immer kommen sehen? Genauso diese im Jahr 1891 vom diesem unfaßbar blinden rechten Läufer unterschätzte Flanke, die dem Verein Ihres genetisch wunden Herzens die einzige Vizemeisterschaft seit seinem Bestehen bescherte? Haben Sie gesehen, wie Ihr Lieblingsspieler so eben nach einem Eigentor das Vereinswappen auf seinem Trikot geküßt hat?
Kurz und gut, es liegt mir fern Ratschläge zu erteilen, aber was halten Sie davon, einfach mal drei Wochen lang den 1. FC Bayern München anzufeuern? Fakire bohren sich auch mal einen Fleischerhaken durch die eigenen Nasenwände. Ansonsten empfehle ich Ihnen den nächsten Wochenendworkshop von Frau Elvira Bühne. „Präpubertäre Prägung bei der Vereinswahl oder: Haben Sie samstags eigentlich nicht Kehrwoche?“ Aha, die neue Frage.
„Warum habe ich eigentlich Eltern?“
NACH DEN AUFGABEN DIE PFLICHT II

Nachdem nun die Aufgaben aufgegeben, da erledigt, ist es an der Zeit sich frohen Mutes der Pflichten zu erinnern. Leib und Seele zusammenhalten, das Hirn nicht verrotten lassen, regelmäßig den Göttern danken und vor allem die Lager füllen! Man möchte ja nicht auf Kreditbasis den Winterschlaf antreten. Zählen wir die gesammelten Äpfel. Beim Zählen der gesammelten Äpfel empfiehlt es sich, Verse zu schmieden. Es erleichtert die Tätigkeit. Findet zumindest Archibald Mahler, Bär auf dem Weg in den Winterschlaf.
Füllt die Lager, füllt die Speicher,
Kalter Wind fegt übers Land,
Hofft nicht auf die bess’ren Zeiten,
Dreht die Rücken an die Wand.
Alles was das Jahr erworben,
Unter Eurer Hand zerrinnt,
Schließt die Türen, schließt die Fenster,
Holt vom Hofe Hund und Kind.
Weh, wer vergaß den eitlen Rücken
Huldvoll Richtung Frucht zu beugen!
Erster Schnee liegt auf den Feldern.
Grabsteine. Die letzten Zeugen.
NACH DEN AUFGABEN DIE PFLICHT I

Nachdem nun die Aufgaben aufgegeben, da erledigt, ist es an der Zeit sich frohen Mutes der Pflichten zu erinnern. Leib und Seele zusammenhalten, das Hirn nicht verrotten lassen, regelmäßig den Göttern danken und vor allem die Lager füllen. Man möchte ja nicht auf Kreditbasis den Winterschlaf antreten. Sammeln wir ein paar Äpfel. Beim Sammeln von Äpfeln empfiehlt es sich, Verse zu schmieden. Es erleichtert die Tätigkeit. Findet zumindest Archibald Mahler, Bär auf dem Weg in den Winterschlaf.
Weit vom Stamm fällt nicht der Apfel.
Falls der Stamm sich nicht bewegt,
Fraglich bleibt es für den Baum doch,
Ob er Vaterschaftsgefühle hegt.
Stehen Bäume dicht auf Wiesen,
Greift ein Ast zum Nachbarsbaum,
Fällt der Apfel nah dem Fremdbaum,
Apfelfroh und merkt es kaum.
Nachtfrost bricht die Apfelschale
Und ins Freie dringt der Kern.
Ungebissen zu verrotten,
Dieses hat die Frucht nicht gern.
LETZTE FRAGE / VORLETZTE ANTWORT 3

„Herr Mahler, Herr Archibald Mahler! Unter Zuverlässigkeit stelle ICH mir etwas anderes vor! Ein Samstag ist kein Dienstag, Sie Honk!“ Da stand Frau Elvira Bühne und schwang den Schlüssel über dem Kopf, wie einst ein Ritter seinen Morgenstern. Der Bär schwieg schuldbewußt. Die “Neue Aufgabe”! Ja, die neue Aufgabe also. Wie war noch mal die Frage?
„Warum nimmt man mich eigentlich nicht wahr?“
Gute Frage. Aber wollen Sie das wirklich? Wollen Sie, daß jeder mitbekommt, wie faul Sie sind? Wie unehrlich, wie selbstsüchtig, wie oberflächlich, wie unzuverlässig, wie maßlos, wie selbstgerecht, wie eitel, wie nachtragend, wie halbgebildet, wie vorschnell, wie vorurteilsbeladen, wie rückwärtsgewandt, wie feige, wie verfressen, wie vergnügungssüchtig, wie durchschnittlich, wie unbegabt, wie spießig, wie verzichtbar, wie durchnummeriert, wie undankbar, wie normiert, wie abhängig, wie unselbstständig, wie ewig unzufrieden? Wollen Sie wirklich, daß jeder wahrnimmt, daß Sie ein ganz normaler Aufrechtgeher sind? Und wollen Sie wirklich wahrhaben, daß derjenige Aufrechtgeher, der Sie unbedingt wahrnehmen soll, folgendes ist: faul, unehrlich, selbstsüchtig, oberflächlich, unzuverlässig, maßlos, selbstgerecht, eitel, nachtragend, halbgebildet, vorschnell, vorurteilsbeladen, rückwärtsgewandt, feige, verfressen, vergnügungssüchtig, durchschnittlich, unbegabt, spießig, verzichtbar, durchnummeriert, undankbar, normiert, abhängig, unselbstständig und ewig unzufrieden? Wollen Sie das wirklich? Aber einen Vorteil hätte es jedoch, nicht wahrgenommen zu werden. Ginge die Welt unter, täte sie das eventuell ohne Sie. Wären Sie dann beleidigt?
Kurz und gut, es liegt mir fern Ratschläge zu erteilen, aber wenn Sie zum Beispiel vorhaben übers Wasser zu gehen, tun Sie es dann, wenn es niemand mitbekommt. Sie wissen ja was daraus erwachsen kann. Fragen Sie den Nazarener! Aha, die neue Frage.
„Warum wird mein Fußballverein nie Meister?“