Beitrags-Archiv für die Kategory 'Anregende Buchstaben'

Mahler diktierte, während er Brief erhielt, hörte nicht zu, konnte aber nachlesen und antwortete

Dienstag, 8. Dezember 2015 8:36

brief2

Geschätzter Budnikowski,

Sie teilen mir mit, sie werden Marmeladenbrote anbeten. Ich äußere Verständnis angesichts der Unvernunft. Sicher befinden Sie sich auf dem Trotzweg, aber wer wandelt dorten nicht. Also verständnisreich genickt und die Bitte, das Marmeladenbrot nicht an nahe Wände zu nageln. Es tropft. Zu den Sätzen zu setzen noch wäre, daß ich auf einem Buch sitze. Einem Buchbergwerkbuch. Vollendet, abgeschlossen kaum. Das Monstrum, man hatte es Herr Ernst Albert als Dank für eine Musentempelei geschenkt. Schon der Titel. Also das mit der Depression verstehe ich ja mit einer Pöterhälfte, aber was ist raff? Möglicherweise gelingt es mir – nach erfolgter Lektüre – Parrallellenn (das Wort hat fast so viele Esse wie Misisipi) zu den Marmeladenbroten herzustellen. Oder schreibt man Marmaladenbrote? Nein. Das wären Berge in Südtirol. (Wo ich noch nie war!) Also, über achthundert Seiten wären zu durchfräsen. Herr Albert hat keine rechte Zeit, so schaue ich vorher und rein mal. Das Register gestaltet sich versprechend. Ich beginne mit meinen Initialen. Nur so. Apachen, Apfelsaft, Appolonius von Tyana, Apostel, Apotheose, Apusie, Are You Growing Tired Of My Love, Aristoteles, Arnemann Sepp, Arrabal Fernando, Artaud Antonin, Askese, Asklepios Klinik, Ata und Atom Heart Mother und dann May Karl, Mc Cartney Linda, Mc Cartney Paul, Meine Welt, Meinhof Ulrike, Meins Holger, Meister Eckhardt, Melancholie, Melencolia sowie Menschensohn siehe Jesus. Natürlich ist dies bestenfalls Kostpröbelchen in kleinster Dose. Jesses maria! Für Gespräch mit Ihrer Hochwertigkeit sehe ich so Zeitmangel nahen. Ich hoffe auf ein Wiedersehen auf blubbernder Heizung – wenn die Welt noch atmen darf – im Frühjahr dann, also wenn Winter sein wird. Endspiel iss immer. Es ist spät geworden, so longines.

Mit Gruß und Wink

Archibald Mahler

Thema: Anregende Buchstaben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Unter grauer Blume Glückwunsch bunt und leise

Sonntag, 24. Mai 2015 20:41

blumen2

Sie hatten Blumen mitgebracht. Diese waren einst bunt gewesen. Dann stellte Budnikowski eine Frage. Mahler antwortete. Man sprach in fremden Zungen. Budnikowski war in die Rolle des Herrschers geschlüpft, also mußte Mahler den Alchimisten geben. So steht es im Buch. Dort duzen sich Herrscher und Alchimist. Budnikowski und Mahler aber sind eigentlich überzeugte Siezer. Eine Macke vielleicht, aber so tun sie eben. Man spricht leiser in jener Art. Nun steht es aber anders im Buch. Budnikowski beginnend demnach mit den Worten des Herrschers.

„Mir ist zu Ohren gekommen, du hättest da gewisse Fähigkeiten.“

„Hm, ich nicht, aber ich weiß, wen du meinst.“

„Du bist nicht der Alchimist?“

„Nein, aber ich seh ihn gelegentlich, wenn er mit seinen Taschen und Flaschen hier vorbeikommt. Wir unterhalten uns manchmal.“

„Und was sagt er?“

„Nichts Besonderes. Aber ich sehe ihn manchmal seltsame Zeichen machen. Ich sag nichts dazu. Ich seh es mir nur an.

„Was macht er denn?“

„Manchmal was ganz Kleines, manchmal was ganz Großes.“

„Zum Beispiel?“

„Na ja, einmal habe ich ihn Feuer an Eis halten sehen. Das war spannend. Der ganze Laden ist weggeschmolzen.“

„Du warst dabei?“

„Mittendrin. Ich habe mich nicht vom Fleck gerührt, um ihn nicht in seiner Kunst zu stören. Die anderen sind fast alle rausgerannt, aber ich war da und hab zugeschaut.

„Und was geschah dann?“

„Eh ich mich verseh, schlittern wir auf Eis. Er hat mir auch andere sachen gezeigt, aber das sag ich nicht.

„Warum nicht?“

„Ich will, daß er wiederkommt und mir noch mehr zeigt.“

„Ich frage ja nur, weil ich mir ein klein wenig Sorgen um das Reich mache.“

„Wieso?“

„Alle gehen pleite, und weil ich doch Herrscher bin, finde ich, ich muß sie da raushauen.“

„Ich kann ja mal mit ihm reden. Was brauchst du denn, Gold oder Gewitter?“

„Irgendwas, womit man Schulden bezahlen kann.“

„Bei wem hast du denn Schulden?“

„Gewissen Unsichtbaren. Genau weiß es keiner.“

„Wie bist du denn in so eine miese Lage geraten?“

„Ich habe sie geerbt.“

„Na ja, ich will sehen, was ich tun kann, aber wie gesagt, ich bin nicht er.“

„Ich wäre dir sehr verbunden.“

Mahler und Budnikowski riechen an den Blumen, welche sie mitgebracht haben. Das sind sie dem Darsteller des Alchimisten schuldig. Er hat heute Geburtstag. Der Darsteller des Herrschers ist verstorben. Er hatte einen Bart und eine Brille und dichtete Geheul. Das Buch in dem auf Seite 61 obige Worte stehen ist ein Logbuch. Dann singt der Alte. Mahler und Budnikowski hören zu und es wird Nacht und wieder Tag. Jetzt könnten sie aufstehen und gehen. Aber sie bleiben noch etwas unter den Blumen sitzen, denn der Alchimist und der Herrscher singen den Gratulanten noch ein Ständchen. Wenn man sich halt schon so lang’ kennt.

Thema: Anregende Buchstaben, Robert Zimmermann | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Mit den Augen des befreundeten Fremd / Fünf

Freitag, 22. Mai 2015 21:36

fenster5

Alle reden vom Wettern, Budnikowski aber blickt weiter. Es besteht immer die Möglichkeit ein Gemeines Blutströpfchen zu erspähen, eine Gammaeule, einen Admiral. Eventuell und gerade heute fällt ein Mönchs – Kotkäfer, eine Blattschneiderbiene oder gar ein Trauerrosenkäfer ins Auge. Malt sich da ein Pinselkäfer ins Bild? Die Möglichkeit besteht. Jedoch besteht ebenfalls die Möglichkeit, daß alles Getier heute streikt und die Leinwand vor des Betrachters Auge öd und leer. Diese Möglichkeit besteht durchaus. Dann mag der Blick schweifen gen Innerei. Das tut der Mahler eben, wobei die Innerei in diesem Fall kein seelisches oder anderweitiges Gekröse darstellt, sondern den Raum hinter dem Fenster, durch welches Budnikowski hinausblickt. In diesem Raum, am anderen Ende des Raums, unter dem gegenüberliegenden Fenster zum Hinterhof hin, da steht ein Schreibtisch. Es ist der Schreibtisch des Herrn Ernst Albert. Auf dem Schreibtisch liegt ein aufgeschlagenes Buch. Mahler räuspert sich. Budnikowski erschrickt, kippt nach vorn und berührt die Fensterscheibe. Leichtes Scheppern. Vibration.

„Aua und verdammt! Mahler, elender! Jetzt ist der Pinselkäfer verschreckt davon.“

„Oh! Verzeihen Sie bitte! Aber dieses Gedicht da!“

„Ich weiß! ‘Krulls!’ Das Gedicht von Herrn Robert Schindel in diesen aufgeschlagenen Buch auf Ernst Alberts Schreibtisch. Ich kann es aufsagen, wenn gewünscht.“

„Haben Sie auch hinten Augen?“

„Das nicht, aber Sie haben mich gebeten für Sie zu schauen und ich pflege die mir gestellten Aufgaben ernst zu nehmen. Also hören Sie:

Krulls

1

Manche werfen zu viel ihrer Wörter

Aus der Seelengehirnfalte raus in den Schlund

Ohne fünf Texte ist der Tag gar nicht fertig

Stehn am Muskel und schleudern

Das Echo des Eignen auf den Marktplatz

Stapeln die Empfindlichkeit hoch die überwächst

Das genickgerechte Schauen. Durchfall

Des Wortdirigats und Winde. Sonnen

Fallen aufs Wortwerk, die Schatten im Ton

2

Nichtmal im Ton, die Wortscheißerei

Lässt zurück das lautlose widerristliche Harren

Zu viel schreiben viele. Die Krulls. Zu wenig

Noch mehr

Das war’s.“

„Weia! Und wer sind wir?“

„Tja, wenn ich das wüßte. Wir finden es aber raus!“

„Eine Idee, Herr Budnikowski?“

„Wir verabschieden uns und lassen nur mehr schauen.“

„Für uns?“

„Quatsch! Auf uns!“

„Na dann!“

„Darf ich jetzt weiter blicken! Der Pinselkäfer tunkt sich eben in den Farbtopf!“

„Gerne!“

„Danke, Herr Mahler.“

(Fortsetzung folgt)

Thema: Anregende Buchstaben, Das Fremd, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Ein dritter Brief an den Ehrenwerten Hr. Albert, der aber lediglich eine Postkarte ist mit Bildern

Dienstag, 14. April 2015 13:24

stromschnelle

Sehr geehrter Herr Ernst Albert,

immer iss was und dann ist wieder einer einfach weg. Schneller rauscht ein neuerlicher Abschied an Dir vorbei als ein nicht gefangener Lachs an der Stromschnelle. Deshalb die versprochene Geschichte über Fritz und Peter später. Der, der gegangen ist, hat mal getrommelt: „Man kann eine Geschichte in der Mitte beginnen und vorwärts wie rückwärts kühn ausschreitend Verwirrung stiften.“ Ich denke so mache ich das auch mit meinen Briefen, die ich noch an Sie zu verfassen gedenke und es tun werde. Kurz also nur ein Gedicht mit Schnäuzer zum Angucken für Sie und für alle anderen Abschiedsträumer.

Bis dahin mit allerherzlichstem Bärengruß. Und nicht vergessen: „Im Krebsgang den Fortschritt messen“ werden wir.

Ihr Herr Archibald Mahler

Thema: Anregende Buchstaben, Letzte Fragen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

PoesieSlambum revisited / Steputat S. 85 & 168

Montag, 2. März 2015 18:29

poe04

(Und im Tal schwollen die Bäche an und oben am Hang nahm der frisch gefallene Schnee sich Zeit, um zu verschwinden. Den Herren ward kalt geworden beim Sinnen über das jetzt auch nicht mehr nur taufrische Jahr. Kalt am Pelz, aber auch kalt in den Innereien. Im Hirn erst recht. So blieb der Schnee auf den Freiluftpoeten liegen. In kleinen Dosen zwar, jedoch sicht – und nachweisbar. Dieses sei aber nicht Grund – wie es der Alte aus HH – Langenhorn gerne wiederholt – die Pflichten, und dieses in Gelassenheit, zu erfüllen. Muß man deshalb die „Selbstbetrachtungen“ des Marc Aurel lesen? Warum nicht? Wenn es dem Alten geholfen hat. Erst jedoch der Reim.)

„Budnikowski, ich funktioniere heute nur eingeschränkt. Gehen Sie bitte voran!“

„ABC, die Katze lief im Schnee!“

„Wie meinen? Kinderreime?”

„Warum nicht! Herr Zimmermann tut es auch ab und an! Statt Malen nach Zahlen: Reimen nach Ziffern!“

„Werden Sie jetzt Kabbalist? Oder Hells Angel? Wißmar ist ja nicht weit. 81? 161? 2121, oder was?“

„Nee. Addieren der Ziffern der Reihenfolge der Buchstaben im ABC. Zum Beispiel Schneefall ist gleich fünfundachtzig.“

„Ach so! Sehr schön! (A.M. denkt nach. Ordentlich lange. Er hat die Rechenstunden auch meistens am Bach beim Lachse fangen absolviert. Bis dreizehn kann er zählen. Mehr geht nicht rein in den Wanst pro Tag. Aber dann:) Einhundertachtundsechzig!“

„Was ist das denn?“

„Severin Freund!“

„Sehr gut! Der Schnee der letzten Woche! Springen wir!“

Am Hang der eig’nen Nichtigkeit

Lebenslang nur Lobgesang

Wiege Dich nicht in Sicherheit

Schon schläft und schnarcht der Schaffensdrang

Sonnt sich in Selbstgefälligkeit

Der Pflichten Liste ellenlang

Jenseits aller Parteilichkeit

Ein halbwegs aufgerichtet’ Gang

Auch auf dem Weg zur Örtlichkeit

`S ist von Belang nur Stetigkeit

Ansonsten saust der Bumerang

Und donnert Dir direktemang

Ans Hirn Oh Überheblichkeit

Da hilft auch keine Trunkenheit

Ein Hoch auf die Vergänglichkeit

Aus tausend Kehlen Abgesang

Verriegelt ist der Notausgang

Und dies schon lang Seit seinerzeit

Am Hang der eig’nen Nichtigkeit

(budnikowski UND mahler  °2015)


(Die Sonne zeigt Wirkung. Ist ja auch schon März. Mittlerweile. Und die Reime wärmen von innen her. Aber die Pöter zumindest bleiben kalt. Ziele werden gerne erlitten. Dann ruft jemand nach Archibald Mahler. Archibald Mahler steht auf und geht.)

Thema: Anregende Buchstaben, PoesieSlambum | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

A. Mahler macht sich selbstständig / Ankommen, um zu gehen und der Teppich nicht zum Gebet

Donnerstag, 5. Februar 2015 15:09

kiel27

Es war seine Nase, die Archibald Mahler weckte. Vertrauter Geruch. Ernst Albert? Es zieht. Die Türe eines Hotelzimmers steht offen. Mahlers Blick fällt auf den nächtlichen Zettel. „571. Herr E. Albert!“ Auf der offenen Türe steht? Erraten. Der Bär fasst sich an den Kopp. Der ist noch nicht ganz in den Tag eingetreten. „Ich Dummbatz aber auch!“ Man hätte eine gemütliche Nacht im und nicht vor dem Zimmer verbringen können. Wobei, nach einer Premierenfeier gibt der Herr Albert im Schlaf meist fürchterliche Geräusche von sich. Archibald Mahler huscht in das Zimmer. Leer. Fast. Was er sieht, lässt ihn erbeben. Nun ja, das ist doch etwas übertrieben. Er staunt. Da sitzen also der Anderbär vom Feldberg, der Schatten seiner selbst und Herr Archibald Mahler in persona pelzis ursorum und betrachten sich gegenseitig. Wer war aber zuerst da? Wer ist überhaupt wer? Sind alle nur einer? Oder ist keiner, der der er sein könnte, wollte oder ist? War Mahler gar die ganze Zeit hier oben in Kiel gewesen, während er noch dachte zu reisen? Träumt er schon oder ist er noch wach oder andersrum? Der Bär, der nicht da war und trotzdem schon da ist. Immer schon war? Es noch werden muß, um zu sein? Das Buch? Diese Geschichte wollte er doch erzählen. Gemeinsam mit Herrn Albert. Für den Musentempel. Jetzt fällt es ihm ein. Er muß nach Hause. Mittelhessen. Sofort.

Man muß anmerken, daß der Herr Archibald Mahler sich noch immer im Zustand der Mittellosigkeit befindet, er eigentlich auf der Flucht und er sich zudem – hinten rum – in ein Hotel rein geschlichen hat. Und das in einer Zeit, wo das Reiche die Zäune immer höher zieht. Gefahr. Dann liegt da dieser Teppich. Es ist ein Original – Gebetsteppich. Der reisende Muselmane hat so was im Koffer. Erschrecken! Ist der Herr Albert jetzt ein Konvertit geworden? Weia! Aber hat man nicht schon in alten Geschichten gelesen, daß ein solcher Teppich manchmal ein Fluggerät sein kann? Einen Versuch ist das immer wert. Mahler nimmt Platz. Wie startet man so ein Ding? Gibt es einen Anlasser? Muß man einen Teppich volltanken? Und wenn, wo? Hat das Teil noch TÜV und wo ist die Plakette? Welcher Flugschein ist gültig und wer erteilt die Starterlaubnis? Da gibt es doch diese Zaubersprüche. „Allah ist groß, Allah ist mächtig ohne Hut!“ Nichts. „Mekka, Mokka, Magenbitter!“ Nichts. „Heil’ger Vorwerk, Deine Gnad’ ich erbitt’!“ Nichts. „Je suis Archibald!“ Der Teppich hebt ab. Und die Winde wehen von Nord gen Süden. Gute Reise, Bär! Wir warten!

kiel28

Thema: Anregende Buchstaben, Aufbrüche 2015, Kieloben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

A. Mahler macht sich selbstständig / Zumutung

Freitag, 30. Januar 2015 22:09

kiel20

„Moin Mahler, ich muß Sie leider verlassen. Schnellstens!“

„Warum? Und schade ist das auch. Warum nun?“

„Sie erinnern sich an unsere Schandtaten? Die Flucht?

„Verdrängt!“

„Das Blaulicht macht mir Angst! Schland vergisst nur eigene Schuld, niemals fremde!“

„Dann schnell weg!“

„Folgendes: ‘Es gibt eine tschetschenische Spruchweisheit: Spät geölte Gefühle weisen abgestandenes Wasser ab, und beide vermodern zu Erinnerungsjauche.’ Ich weiß, es ist aus allen Zusammenhängen gerissen, aber bedenkenswert.“

„Budnikowski, ich folge Ihnen gerne, jedoch gerade sind Sie sehr forsch im Tempo des Hirnens!“

„Ok. Eine Neuentdeckung. Rudolf Walther. Die erste.

„Aha! Heino und Nervsack Broder und Lena und das dicke Tenniskind in wenigen Absätzen gemeinsam verwurstet. Chapeau!“

„Und das noch: ‘Der Gesinnungstest, der da gefordert wird, hat Tradition im “Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten”, wie der Philosoph Ulrich Sonnemann (1912-1993) in einer Essaysammlung schon 1963 anmerkte. Zumutbar ist nach der neudeutschen Tugendlehre, dass der Angeklagte seine Unschuld und nicht der Kläger dessen Schuld belegen muss; zumutbar ist auch, dass sich der seines Glaubens Bestohlene für Taten entschuldigen soll, die Diebe im Namen seines missbrauchten Glaubens begingen. Der Geschlagene soll niederknien und öffentlich um Verzeihung und Vergebung bitten bei der in “pan-deutscher Gemeinsamkeit” (Sonnemann) nach Sündenböcken jagenden Koalition der guten, willigen und rechtgläubigen Abendland-Unionisten.’ Auch nett, aber aktueller.“

„Sie springen durch die Felder des Denkens, wie ich es nicht könnte mit meiner dicken Denkplautze und dem den Winterschlaf vermissenden Hirn! Der Walther jedoch mich interessiert! Aber die Zusammenhänge? Und wer ist dieser Sonnemann?“

„Das Buch ist geordert und liegt in Mittelhessen bald. Ich muß also heim. Und auch die Pelagia braucht meine Gesellschaft!“

„Und das Zitat?“

„Walther, die zweite!

„Wie reisen Sie gen Heimat?“

„Auf dem Rücken meines Pferdes!“

„Und ich im Schneegewitter verharrend in Einsamkeit, nicht wissend, wo das Hotel? Ist das nicht eine Zumutung?“

„Wollten Sie nicht selbstständig werden? Halten Sie die Augen auf! Man hat Ihnen in dieser Stadt schon ein Denkmal errichtet!“

„Hase, Du hast doch einen am Löffel. Hau ab!“

„Mahler: Seni seviyorum!“

„Budnikowski: Ben de seni seviyorum!“

„Bis bald!“

„Ich schicke Ihnen baldigst eine Postkarte! Und Sie mir bitte das Buch von diesem Sonnemann!“

„Das lesen wir gemeinsam zu Hause! Tschüß!

kiel21

Thema: Anregende Buchstaben, Aufbrüche 2015, Kieloben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

A. Mahler macht sich selbstständig / Befreiung

Dienstag, 27. Januar 2015 18:00

kiel14

Dieses Boot kannte er doch. Kleiner zwar und von Zigarettenqualm umweht und nicht vom feuchtkalten Westsüdwest. Damals als er mit Herrn Albert hier oben so manche Kaschemme besucht hatte, da stand das Boot auf einem der Tresen, an den Zapfhahn angekettet und mit oben einem Schlitz drin. Vor wenigen Minuten noch schaukelte das Boot – und jetzt ordentlich viel größer – über die Förde Richtung Möltenort und fischte einen durchfrorenen weiß – gelblichen Hasen, der auf dem Rücken einer Robbe durch die kalten Fluten ritt, aus dem Wasser. Der Schiffsführer und erste Retter, der den am Ufer von Holtenau entschlossen und wild Richtung Ostufer gestikulierenden Archibald Mahler an Bord genommen hatte, stoppte die Maschine, belohnte die Helferrobbe mit einem Sixpack Heringe. Und Mahler so wie Budnikowski wurden an Land gesetzt, nicht ohne sie mit den notwendig üblichen Belehrungen und Warnungen zu versehen. Besser ist das.

Die Langeweile sei es gewesen, die den Kuno von Lippstadt – Budnikowski diese nicht ungefährliche Reise antreten ließ. Mahler flüstert dem heftig nachbibbernden Gefährten eine Geschichte ins Ohr, genauer gesagt einen Essay. Den Essay aus  seinem liebsten Nachttischbuch, aus dem ihn der Herr Albert in letzter Zeit öfters vorgelesen hatte, wenn die Nächte mal wieder wacher waren, als sie sein sollten.

Eine Reise in die Langeweile

Robert Musil in ‘Grigia’: „Es gibt im Leben eine Zeit, wo es sich auffallend verlangsamt, als zögere es weiterzugehen oder wollte seine Richtung ändern. Es mag sein, daß einem in dieser Zeit leichter ein Unglück zustößt.“

Ja. Ein Jahr ist so kurz, und eine Stunde kann sehr viel länger sein. Wie in der Schule die Physikstunden nie enden wollten und die Turnstunden mit den hellweißen Bällen beim Volleyball so schnell wegflogen. Aber nicht nur für das einzelne Leben gilt das, sondern auch für eine ganze Gesellschaft. Die große Leere wird panisch mit großer Aktivität – Reisen, Sektierertum, Radikalisierung – gefüllt.

Musil schrieb seinen Satz im Rückblick auf den Ersten Weltkrieg und in der Ahnung eines kommenden. Ich erinnere mich an die Bilder vom Kriegsausbruch: Rowdies, die endlich ihre Langeweile loszuwerden glaubten, indem sie auf andere trampelten.

Wichtig wäre es, mit der Langeweile im eigenen und im kollektiven Leben umgehen zu lernen, die scheinbare oder wirkliche Bewegungslosigkeit nicht mit erfundenen Aktivitäten und Betriebsamkeit vollzustopfen. Einmal nicht zu reisen, sondern die Landschaft vor dem Fenster oder die Landschaft des eigenen Lebens auf sich zukommen zu lassen

(Ilse Aichinger)

Und während der Bär in ein Gegenüberohr wisperte, der Hase nickend zuhörte und beide ordentlich Hunger bekamen, dachte Mahler darüber nach, ob er nicht eben mit sich selbst spräche. Möglich ist das. Dann lief man los und entdeckte im Hafen von Möltenort den alten Kahn.

„Budnikowski, lassen sie uns den Bauch dieses Kahns betreten und nachsinnen!“

„Gerne folge ich Ihnen, Mahler. Und des weiteren denke ich, daß am heutigen Tage das ganze Schländle die Arbeit niederlegen und nachsinnen sollte!“

„Gewiß! Und das auch noch die nächsten siebzig Jahre!“

„Sagen wir hundertsiebzig! Und zwar bei vollem Lohnverzicht!“

„Auch dies schadet nicht!“

kiel15

Thema: Anregende Buchstaben, Aufbrüche 2015, Kieloben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

A. Mahler macht sich selbstständig / Aufräumen

Dienstag, 20. Januar 2015 18:39

kiel08

Da sitzt Archibald Mahler am Rande des Kleinen Kiel. Er will aufräumen. Im Gedankenschrank. Das junge Jahr trägt schon jetzt schreckliche Augenringe. Müll türmt sich auf schlammiger Wiese. Zeigefinger strecken sich in die Luft und bohren sich mit wachsender Freunde oder Ratlosigkeit in die Augen der Gegenüber. Aufgeräumt werden sollte. Erst der Gedankenschrank. Die Welt wird warten. Mahler hört, wie man im hiesigen Radio ein altes Gedicht verliest. Bedenkenswert!

Kriegslied

‘s ist Krieg! ‘s ist Krieg!

O Gottes Engel wehre,

Und rede Du darein!

‘s ist leider Krieg –

und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen

Und blutig, bleich und blaß,

Die Geister der Erschlagenen zu mir kämen,

Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,

Verstümmelt und halb tot

Im Staub sich vor mir wälzten und mir fluchten

In ihrer Todesnot?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,

So glücklich vor dem Krieg,

Nun alle elend, alle arme Leute,

Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten

Freund, Freund und Feind ins Grab

Versammelten und mir zu Ehren krähten

Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?

Die könnten mich nicht freun!

‘s ist leider Krieg – und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein!

(Matthias Claudius)

Derweilen sendet Kuno von Lippstadt – Budnikowski eine Botschaft mit der Post.

Kuno

Thema: Anregende Buchstaben, Aufbrüche 2015 | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

A. Mahler macht sich selbstständig / Versuch 4

Samstag, 10. Januar 2015 19:45

kiel04

Das Photo da oben. Die letzten 72 Stunden auch. Als hätte Archibald Mahler einen Plan gehabt. Das Photo aber war schon geschossen gewesen. Geschossen? Geschossen! Das Photo da oben wurde geschossen. Geschossen schon vor mindestens zweihundert Stunden. Geschossen, als man begann vor 72 Stunden 72 Stunden lang zu schießen, zu schießen und zu schießen. Der Schuß des Photos war nicht geplant, er erfolgte vor – schon gesagt – vor mindestens zweihundert Stunden. Die Schüsse der letzten zweiundsiebzig Stunden waren sicherlich geplanter und wann die Stunde ihrer Geburt? Wann? Mein Gott! Seit Oh Jahwe, Oh Buddha, Oh Allah und Oh Hanuman, du Gott aller Affen! Die Tempel, ach, die elenden Tempel! Was war noch der PLAN des Herrn Archibald Mahler gewesen?

Archibald Mahler ist ein Bär und Solitär und kein Aufrechtgeher und demnach muß er jetzt keinen Kommentar abgeben. Er will lediglich nach Kiel die Tage. Das gibt es Ratsherrn – Pils. Und Fischbrötchen. Er will da hoch, obwohl es stürmt, Bäume umfallen und die Züge nicht fahren. Fähren schon gar nicht. Und die See da „kocht“ ab Stärke 11. Die Welt kocht eh und seit 72 Stunden mal wieder ganz besonders hoch. Also kein Kommentar. Nur ein Gedanke, bevor der Bär, der sich von Kugeln nichts anhaben lassen will, einen nächsten Aufbruch wagen mag, will und muß. Ach so, fast vergessen: das Photo. Wegen dem Buch hier. Jetzt beim dritten Betrachten: Wie schwer das Buch auf dem Schoß des Bären lastet!! Weia!!

Zurück zum Gedanken! Was ist die Plage? Die Dauerbeleidigten? “Ich bin das Opfer. Für immer und ewig!” Eventuell. Der ewig zu kurz Gekommene, wie er meint? Oh, trauriger Determinismus. Ist eventuell nicht die Religion der große Stolperstein, sondern das Geschlecht? Der dauerbeleidigte Mann gar? Die Ehre? Vielleicht! Mahler denkt nur mal und mahler nach. Die Wut rammt das Messer in die Brust des Gegenüber. Der Haß schießt in den Rücken. Vielleicht ist es so. Archibald Mahler aber will keine Antwort. Wo gibt es die auch zu kaufen, wohlfeil und so gelungen – geklungen, um damit auch noch Geld zu verdienen? Seine kleine Sehnsucht erbittet Schweigen. Ante Portas jedoch rauschen die Kaskaden der Experten durch den Äther, die Bächlein der Expertenbezweifler antworten. Archibald Mahler würde jetzt gerne einen Bleistift in die Luft halten. In Paris. Aber er ist nur ein kleiner Tastaturbär. Sonst nichts. Doch er wird bald aufbrechen. Heute nicht. Morgen gewiß. Was soll man tun? Der Beginn der Reise verzögert sich ein drittes Mal. Und solange spricht Herr Archibald Mahler ein kleines Mantra vor sich hin: „Allah ist groß. Allah ist mächtig. Ohne Hut ist er ein Meter sechzig. Und nicht nur der.“ Und denkt dann, daß Charlie Brown, der seinen Kopf trauernd in seine Hände stützt, eine gute, angenehm angemessene Antwort ist. Eine erste.

Thema: Anregende Buchstaben, Aufbrüche 2015, De re publica | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth