Beitrags-Archiv für die Kategory 'De re publica'

WASTELANDS ODER VON TÄGLICHEN BAUSTELLEN DES MORALISCHEN / FÜNF

Sonntag, 11. September 2011 16:23

moral05

Heute ist Sonntag. Schwülwarm. Sommernachhall fast schon wütend und grell. Schweres Gewitter. Heute ist nicht irgendein Sonntag. Sagen die Aufrechtgeher. Manche Aufrechtgeher. Archibald Mahler, Bär vom Hegeltümpel, ist nachdenklich. Er spürt, heut’ ist er nicht so allein beim Denken. Die Aufrechtgeher denken heute auch, nach denken sie und gedenken tun sie. Manche Aufrechtgeher. Sie gedenken, weil ein besonderer Tag, der damals vor zehn Jahren. Die Welt verändert sei mit diesem Tag. Falsch! Denkt der Bär! Natürlich nicht das Nachgedenken, wenn es sich nicht in der gräßlich eitlen, verständlich dummen, aber leider opferverhöhnenden Frage „Wo war ICH damals?“ erschöpft. J. F. Kennedy ist tot, das dritte Tor war keines, die britische Prinzessin blieb im Tunnel stecken und Woodstock im Schlamm. Alle Aufrechtgeher waren einstens dabei und Kevin mal wieder allein zu Hause. Weia und nochmals: falsch! Es gibt ein paar Protagonisten und übrig bleiben ganz viele Statisten. So ist das. Zurück zum besonderen Tag. Archibald Mahler denkt noch mal nach. Die Welt hat sich verändert? Das geht doch gar nicht. Weil sie ist, wie sie ist, geschieht, was geschieht. Wenn man keine Zeit oder Lust hat hinzuschauen, kann man doch nicht behaupten, da wäre etwas vom Himmel gefallen. Oder? Ohnmacht gärt, Wut gärt, Wahnsinn gärt. Leise vor sich hin. Gelegentlich blubbern Vorzeichen an die Oberfläche. Wie der Schlamm, auf den der Bär blickt. War nicht zu sehen, aber immer da. Manche Aufrechtgeher wußten es, manche Aufrechtgeher sprachen davon, der Rest mußte leider shoppen gehen oder einfach nur versuchen zu überleben und solang man selber nicht im Schlamm steckt ist das mit dem Hinschauen oder gar Zuhören eine etwas komplexere Angelegenheit. „Mein Gott! Was für ein Gewitter!“ Denkt sich der Bär. Und dann denkt er, daß, wäre er jetzt ein Aufrechtgeher, er darüber nachdenken müßte, warum dieses Gewitter so heftig ist. Weil Tag und Nacht die Lichter brennen? Weil die Kassen, die nicht klingeln, suizidgefährdet sind? Weil die eine Welt und das eine Denken nur das Denken einiger und nicht das der einen Welt ist? Wie geht es eigentlich Herrn Busch? „Wir werden sie finden. Und wir werden sie bestrafen!“ Weia! Sie pusten sich gegenseitig in die Luft – Auge um Auge, Zahn um Zahn, Kassenbrille um Kassenbrille, Gebiß um Gebiß, Gebetsbuch um Gebetsbuch – und dann legen sie Teddybären auf die Gedenkstätten ihrer Toten. Archibald Mahler beschließt sich niemals als Opfergabe mißbrauchen zu lassen. Man hat ja noch was vor! Heute ist Sonntag. Heute stinkt der Schlamm. Heute wird gestorben. Heute ist weiterhin ein guter Tag. Für den Bären am Hegeltümpel. Glück gehabt!

Thema: De re publica, Wastelands | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

ERDNUESSE, ERDNÜSSE, ERDNUEßE, ERDNÜßE UND VOM FASTENBRECHEN

Freitag, 1. April 2011 16:46

gruen2

(Herr von Lippstadt – Budnikowski aka der Lütte Stan ist froh, daß ab heute Abend wieder die Liga pöhlt, wo es um was geht und nicht nur freundschaftlich und gesamtdeutsch übers Gruene oder das Grüne getrabt wird. Also hat er sich vom Acker gemacht. A. M. bleibt alleine zurück und schaut konzentriert in eine Schüssel voller Arachis hypogaea. Er bemerkt nicht, daß ihm beim Denken zugehört wird.)

„Liebe Eßdinger da unten in der Schüssel. Wahrscheinlich ist dies das erste Mal in Eurem kurzen Leben, daß Euch ein Bär, der zudem Hunger hat, persönlich anspricht. Ich könnte mir vorstellen, Ihr liegt da Schale an Schale und bereitet Euch auf Eurer Ende vor, habt Euch wahrscheinlich schon längst mit diesem Ende abgefunden, da Ihr keine Aufrechtgeher seid, die, wären sie eine Aschantinuß, eventuell die Behauptung aufstellen könnten, eine Aschantinuß diene nicht dem Verzehr, sondern sei in erster Linie ein Dekorationsgegenstand. Was natürlich absurd ist. Aber ich möchte Euch oder auch Ihnen – falls dies angemessener erscheint – nicht verschweigen, daß mir heute so einiges durchs Bärenhirn geht. Noch vor wenigen Tagen wäre diese Schüssel schon längst geleert. Doch nun, da alle oder zumindest viele Aufrechtgeher um mich herum der Welt und so auch mir kundtun, sie hätten erkannt, daß es so nicht weiter gehe und es gäbe Zäsuren und Einsichten und jetzt aber Hallo, will ich auch nicht unreflektiert meine Zähne in Ihre oder Eure Schale bohren. Wobei natürlich bekannt sein dürfte, wenn ich Euch fresse, dann mit allem Drum und Dran. Jedenfalls geht es um das Verzichten. Also das Verzichten geht mir durch das Hirn. Nicht über das Denken denke ich nach und daß man darauf verzichtet. Das Tun ist es. Also daß man zum Beispiel auch mal zum Reformhaus läuft und nicht mit dem Porsche Cayenne hinfährt oder sein Mobiltelefon an den Dynamo vom Fahrrad anschließt oder jetzt die nächsten zwei Monate wartet bis es wirklich Erdbeeren gibt oder solche Sachen. Erkenntnisse. Ich möchte Teil einer Bewegung sein. Ich möchte nicht mehr ein einsamer, grübelnder Bär sein, ich möchte schwimmen mit dem Strome gleichgesinnter und fest entschlossener Aufrechtgeher – vielleicht nenne ich sie dann auch nicht mehr Aufrechtgeher, sondern eventuell Mitwesen, Co-atmer, Denkgenossen oder einfach nur: Die Familie! (Meine Welt? Deine Welt? Unsere Welt!) – und noch ein letztes Nachhaken, Ihr geehrten Eßdinger. So sagt mir doch, äße ich Euch nicht heute zum Beispiel, hätte ich dann soviel Verzicht geübt, daß ich Euch dann morgen? Vielleicht?“

(In der Schale unter Archibald Mahlers empfindlicher Nase macht sich Unruhe breit. Die Arachiae reiben ihren Schalen aneinander und murren vernehmlich. Auch sie denken nach. Und auch das kann man hören.)

„Liebe Bärennase, da oben über uns. Wahrscheinlich ist dies das erste Mal in Deinem Leben, daß Dich eine Gruppe von Kamerunnüssen, auf die Du zudem einen monströsen Appetit hast, persönlich anspricht. Eine Frage nur: Willst Du jetzt einen auf Aufrechtgeher machen? Willst Du jetzt vielleicht sogar noch darüber nachdenken, wie man uns präzise zu benennen habe? Erdnuesse, Erdnüsse, Erdnueße oder Erdnüße? Um vor aller Welt Dein feines und politisch exaktes und der jeweiligen Situation angepaßtes Gedenke zu feiern? Es wird Dir nicht gelingen. Man frißt uns. Und zwar gerne! Dies ist unsere Bestimmung. Unsere Laufzeiten sind nicht verlängerbar. Und ob Du oder Sie – falls dies angemessener erscheint – uns heute oder morgen frißt, dies ist uns so was von Potzrembel die Waldfee, daß Du das gar nicht glauben kannst. Also nicht vergessen: wenn der Aufrechtgeher in sich geht, dann denkst Du besser: APRIL, APRIL und des weiteren sagst Du Dir selbst: Guten Appetit! Leerer Magen denkt nicht gern! Hau rein, Alter!“

(Archibald Mahler, fast ein Fastenbär, riecht an einem Spanischen Nüssli. Köstlich! Er streichelt über die Schale: Es knistert. Vermehrter Speichelfluß! Und führe mich nicht in Versuchung! Wenn nicht ich, dann doch der! Malmende Zähne! Wohlgeruch! Ein Bär ist auch nur ein Aufrechtgeher! Vielleicht wählt er das nächste Mal wieder die Gelbe Partei. Dann muß man sich wenigstens keine Gedanken über Um- und Esslaute machen. Oder etwa doch? Sein Mobiltelefon klingelt. Ein Aufrechtgeher ist empört. Der Bär pfeift sich einen. Zeit in die Wälder zurückzukehren.)

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ES GRUENT SO GRUEN UND WARUM DER LENZ EIN HEUCHLER IST!

Mittwoch, 30. März 2011 17:17

gruen1

„Herr Mahler? Wieder zurück?“

„Gewiß, Herr Thomas Adam Holtby! Oder jetzt doch Herr Kuno Ramon Kloppios?

„Ach, Herr Mahler. Nennen Sie mich wie gehabt! Launen waren dies. Das Hoch und das Runter. Tabellenstände. Damit verknüpfte Hoffnung! Erlösung gar?“

„Schürfen Sie nicht zu tief, Herr von Lippstadt – Budnikowski!“

„Mag sein. Noch sieben Spieltage. Reden wir nicht von den Nerven. Und Sie? Die Wälder? Die Wiesen?“

„Es gruent so gruen!“

„Weshalb diese althergebrachte Sprechweise? Gruen?

„Ist dies nicht die Stimmung, die den Buerger Aufrechtgeher seit Sonntagabend euphorisiert?“

„Ein Grund zur Miesepetrigkeit, mein Herr?“

„Keinesfalls. Durchaus Freude.“

„Doch das große Mahlersche ABER, nicht wahr? Sie haben noch keine einzige Nuß zu sich genommen.“

„Es ist nicht die Schuld der Nuesse! Es sind die Heuchler.“

„Wo? Wer? Alle? Die Aufrechtgeher?“

„Lassen Sie es mich so sagen, auch der Lenz ist ein Luegenbeutel. Kommt her, schwellt die Brust, blaest warm durch das Gebein und behauptet: Jetzt wird es. Behauptet sogar: Jetzt wird es nicht nur, sondern jetzt wird es richtig gut. Es soll Aufrechtgeher geben, die daraufhin ihre Wintermaentel in den Altkleidercontainer werfen. Oder gar behaupten, sie haetten noch nie in ihrem ganzen Leben ueberhaupt einen Wintermantel besessen.“

„Na ja, man freut sich halt! Oder geht mit der Zeit.“

„Zu frueh! Zu frueh! Zu spaet! Zu spaet!“

„Aber es verändert sich doch etwas!“

„Gewiß, vielleicht, man mag es hoffen. Doch warten wir auf den Tag, an dem man die Türe oeffnet und den wichtigsten Gast zum Festmahl bittet.“

„Und der wäre!“

„Meister Verzicht!“

„Deshalb noch keine einzige Nuß?“

„Irgendwer muß ja anfangen!“

„Ich habe damit, Herr Mahler, kein Problem. Die Nuß ist mir fremd. Läge hier die Karotte, sie würden diese nicht mehr sehen!“

„Herr von Lippstadt – Budnikowski, darf ich eine Frage stellen?“

„Sie? Das ist ja das Neueste!“

„Man lernt. Also: wenn Sie zwei Menschen vor dem Verhungern retten koennten durch einen Verzicht, wuerden Sie das tun?“

„Logo!“

„Um jeden Preis?“

„Selbstredend!“

„Also: der BVB wird nur Dritter und Meister wird wie immer der Verein aus dem Sueden.“

„Hömma, Du Wahnsinnsei, hat da draußen auffe Waldexpedition von Ihre Hochwertichkeit ein tollwütiger Fuchs seine Zähne hineingebohrt in Ihren Bärenpöter und so die Hirnmasse inne bedenkliche Ausnahmesituation befördert? Wat is datt denn für eine moralische Verquickerei von zwei Themenblöcken, die sowenig miteinander zu tun haben wie Gelsenkirchen – Nord und dat gegenwärtige Team der Freude? Ja lüch ich denn?“

„Das, bester Freund, ist – und ich befuerchte es selber – das wahre Wesen des Verzichts. Das unmoeglich Erscheinende. Das den Bauchnabel Transzendendierende. Im Übrigen habe ich einen immensen Hunger.“

„Ich schaue weg!“

„Sie wissen, wie sehr ich Erdnüsse liebe!“

(Wir verlassen die zwei Herrschaften, bevor wir Zeuge einer der weiteren Billionen Inkonsequenzen im Leben eines jeden Aufrecht – oder Gebücktgehers werden. Und weil die Wahrhaftigkeit uns heute umweht wie die lauen Winde des Herrn Lenz: Den Anstoß zum Nachhirnen über die Heuchelei gab Herr Johan Schloemann, der einen wunderbaren Artikel im Feuilleton der heutigen SZ  – by the way: Auch er hat sich gefreut über den Sonntagabend! – mit folgenden Worten beendete: „Behaupte nur keiner, das neue grüne Bürgertum sei der Sieg einer neuen Aufrichtigkeit!“ Vor dem Reformhaus vis-a-vis parkt ein Porsche Cayenne.)

Thema: De re publica | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

EINIGKEIT UND RECHT UND FEHLT WAS?

Sonntag, 3. Oktober 2010 19:10

diezwei

„Wie geht es Ihnen da drüben, Herr von Lippstadt-Budnikowski?“

„Ich verstehe Sie nicht!“

„Wie es Ihnen da drüben geht, Herr von Lippstadt-Budnikowski?“

„Ich verstehe Sie nicht!“

„Nun ja, so weit weg sind Sie nun auch wieder nicht!“

„Als ob es darum ginge, lieber Herr Mahler!“

„Klären Sie mich auf!“

„Zu spät. Oswald Kolle ist tot!“

„Der heutige Tag ist kein Scherz!“

„Manche empfinden dies aber so!

„Sie etwa auch?“

„Nein! Keineswegs! Es ist nur eine Frage der Ansprache!“

„Habe ich etwas verpaßt?“

„Davon wäre auszugehen!“

„Auweia! Habe ich vielleicht zu tief im eigenen Nabel gepult?“

„Auch!“

„Helfen Sie mir! Bitte!“

„Achtzig Prozent der Bürger des alten Westens schafften es im Laufe der letzten zwanzig Jahre nicht, dem Osten einen Besuch abzustatten.“

„Uff! Der Gegenwert!“

„Über neunzig Prozent der Einwohner des alten Ostens waren schon drüben im Besserwesten. Der Rest wohnt eh dort.“

„Und was hat dies mit Ihnen zu tun?“

„Nichts!“

„Und?“

„Es geht ums Hinhören!“

„Potzrembel und elendige Unaufmerksamkeit! Vergebung, bester Herr Thomas Adam Holtby, darum bitte ich Sie! Vergebung!“

„Machen Sie keine große Sache daraus! Jedoch, wer sich einen neuen Namen zugelegt hat, möchte auch mit diesem angesprochen werden!“

„Sie denken, ich habe noch einmal die Kurve gekriegt, bester Herr Thomas Adam Holtby?“

„Spät, doch nicht zu spät.“

„Uff! Sie sehen mich erleichtert! Feiern wir?“

„Wer singt die gemeinsame Hymne?“

„Diejenigen, welche sich damit brüsten!“

„Nicht wir, denke ich mal!“

„Also feiern wir nicht?“

„Wir denken weiterhin nach!“

„Und schauen?“

„Und schauen hin!“

„Da sind wir uns ja einig! Und sonst?“

„Der BVB führt mit zwei zu null!“

Thema: De re publica | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Man läuft nicht alleine, wenn man schaut wie der Fluß vorbeifließt (Prolog)

Mittwoch, 26. Mai 2010 16:27

never_walk_alone

Es entspann sich folgendes Gespräch am heutigen Frühstückstisch in Mittelhessen:

„Ist eine Frage erlaubt, Herr von Lippstadt-Budnikowski zu Datteln?“

„Selbstredend, Herr Mahler!“

„Was lesen Sie?“

„Wie lesen Sie!“

„Wie?“

„Wie! Eben! Danke der notwendigen Nachfrage! Antwort ist, ich lese mit den Ohren.“

“Sehr interessant!“

„Sie?“

„Wir können uns auch duzen.“

„Zu früh, zu schnell. Sie lesen wie?“

„Mit der Nase! Buchstabenriechen. Nie gehört?“

„Eher nicht. Schon lange?“

„Seit Aschermittwoch. Gelegentlich. Sonst wird geschaut!“

„Aha! Und was lesen Sie jetzt oder eben Ihre, die Nase, Herr Mahler?“

„Flut. Ölpest. Sturmtief. Sinkende Schneefallgrenze. Bouffier statt Koch. Merkel in Arabien. Westerwelle ohne Halt. Sauropoden werden in Mittelhessen von Kindern unerzogener Mütter geentert.“

„Ermüdend, finden Sie nicht?“

„Gewiß. Sie anderthalben lesen?“

„Sport in Südtirol.“

„Ist Präzision möglich, Herr von Lippstadt-Budnikowski zu Datteln?“

„Hören Sie zu: ‚Damit sind wir genug gestraft, denn wir fahren nicht zur WM, um nur ein paar Spiele zu machen, aber wir müssen mit Verletzungen umgehen können, das ist ein bißchen dünn, doch mehrere Optionen sind da, weil WIR sind als Trainerteam für Gedanken-Strategien bekannt und WIR haben einen Plan, bei dem die Oberschenkel manchmal heftig brannten und einen freien Nachmittag genossen, weil WIR wissen, jeder Tag ist wichtig und gleich wieder hundert Prozent geht nicht, auch gibt es wenige Spieler, die das Erlebnis haben, eine WM spielen zu dürfen. Christian war dicht davor bei der Chancenverwertung und WIR müssen wir uns erheblich verbessern.’ Soweit wurde zitiert.“

„Reinhold Merkel? Angela Meßmer?“

„Nein, die besuchen lediglich das Trainingslager und halten erheiternde Vorträge. Der Freiburger mit dem Schal hat es verbrochen und sein Hansi, der Flickschuster.“

„Ojemine, wage ich zu bemerken. Möchten Sie einen musikalischen Beitrag zu unserem Gespräch beitragen?“

„Tautologie!“

„Trotzdem!“

“Gerne.“

„Danke!“

“Ihr Beitrag?“

“Der Situation geschuldet: jener!”

“Aha! Schreibt man dieses Lied nicht dem Herrn Zimmermann zu?”

“Oho! Gescheit, der Herr. Ein Art Nachklapp! Vorgestern! Sie wissen!”

“Verziehen!”

“Die zweite Frage, wenn erlaubt: Sie sind vorbereitet auf den morgigen Tag?“

„Gewiß!“

„Ich verschweige meine Nervosität nicht.“

„Das habe ich auch nicht getan.“

„Kritik zu üben, wäre mir fremd.“

„Aber?“

„Wo ihre dialektische Einfärbung geblieben ist, darüber darf ich mich doch wundern?“

„Haben Sie noch nie eine Rolle gespielt?“

„Wer hat das letzte Wort?“

„Mein Name ist…“

„Sagen Sie es bitte nicht!“

(Zwei Mobiltelefone klingeln. Van Gaal ruft an und Beckett auch. Zu früh. Zu früh. Einen Tag zu früh.)

“Ich hatte etwas vergessen!”

“Herr von Lippstadt-Budnikowski zu Datteln, man hört zu!”

“Junior Podolski hat zwei Hütten vorbereitet gegen den FC Südtirol.”

“Sie wiederum wissen, was Herr Littbarski – Prinz von Köllen dunnemal – sprach, als einstens 1990 Herr Kohl gratulierend auf ihn zu schwankte in Rom?”

“Nein!”

“Er sprach: Da kommt ein Berg auf mich zu!”

“Und dann?”

“Versteckte er sich hinter Auge. Der Berg entdeckte ihn nicht!”

(Die Mobiltelefone stellen ihr Klingeln ein.)

Thema: De re publica, Hömma, wat ich grad am Denken bin, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Von angefressenen Lachsen, dem Trend zum Viertschnitzel und nachts vor dem Kühlschrank

Montag, 17. Mai 2010 12:40

kuehlschrank

Dann dachte Archibald: Vielleicht ist es ja auch so. Der Aufrechtgeher hat Hunger. Er kauft ein Schnitzel. Es würde auch ein halbes Schnitzel reichen, aber man weiß ja nie. Gestern hatte er zwar schon ein Schnitzel gehabt, müßte eigentlich für die Woche reichen. Vor gar nicht so langer Zeit verzehrte der durchschnittliche Zweibeiner vor Ort am Sonntag sein Schnitzelchen, basta. Aber, das soll nicht bekrittelt werden. Vielleicht hat die Aufrechtgeherheit eine genetische Veränderung heimgesucht, die notwendig macht, daß Fünfzigjährige jetzt Baseballkappen auf dem Kopf haben müssen, daß man seit einiger Zeit Kaffee nur noch im Gehen trinken kann, ständig mittels eines ominösen “Knopf im Ohr” Musik hören muß und eben jeden Tag ein Schnitzel braucht. Obwohl Schweine und Rinder für Bären nicht unbedingt zu einer schützenswerten Gattung gehören, muß kurz eingeworfen werden, daß selbst die fettesten Bären sich gelegentlich wochenlang nur von Beeren und Blättern ernähren. Gut, jetzt hat also der Aufrechtgeher Schnitzel, aber nicht nur das auf dem Teller, im Kühlschrank wartet noch ein Sicherheitsschnitzel – weiß man was passiert? – und neben dem Teller liegt das mobile Kommunikationsgerät, mit dem man jederzeit bei der Mama anrufen kann, ob sie nicht vielleicht noch ein Schnitzel bereit halten kann, falls, denn man weiß ja nie und sicher ist sicher und der Nachbar guckt auch schon so gierig durchs Fenster. Da beschleicht den Aufrechtgeher das Gefühl, ob es nicht höchste Zeit sei, ein viertes Schnitzel zu erwerben, um es in der Tiefkühltruhe, für alle Fälle – sicher ist sicher und man weiß ja nie. Ein schneller Biß ins Schnitzel auf dem Teller, er steht auf und während der Angstschweiß seine Stirne glänzen läßt, macht er sich auf den Weg in eine Kaufbude. Unterwegs denkt er darüber nach, ob man nicht vielleicht doch Schnitzelderivate erweben sollte, die könne man im Notfall in ein fünftes Schnitzel umwandeln oder gar Anteile an einer Schweinefarm dafür erwerben. Oder? Währenddessen wird das Schnitzel auf dem Teller kalt, verrottet und der arme Aufrechtgeher spürt einen gewaltigen Hunger seine Gedärme peinigen.

Archibald war eigeschlafen, was dann geschieht, wenn seine Nachdenkerei unermüdlich um die absurden Angewohnheiten der Aufrechtgeher zu kreisen beginnt und weder Ausweg noch Erhellung am Horizont zu erkennen sind. Und er träumte von einem Fluß im fernen Alaska, an einem der Tage, an denen die Lachse zurückkehren, um zu laichen und dann zu sterben und alle Bären sich dort sammeln, um ein dionysisches Mahl zu feiern. Und er träumte wie die dicksten Grizzlys am Ufer des Flußes faul auf dem Rücken lagen, einen Knopf im Ohr, ihren Tatzen wippten zu einem entnervenden wummernden Rhythmus, ab und zu fischten sie einen Lachs aus dem Fluß, bissen ein Stückchen aus dem Fisch heraus und warfen das angefressene Flossentier angewidert zurück ins Wasser. Der Fluß färbte sich rot. Am Waldrand warteten ein paar ausgehungerte Schwarzbären, Baseballkappen mit Liebeserklärungen an die Grizzlys auf dem Kopf, in der Hoffnung, ein kleines Stückchen, gerne auch toten und verstümmelten Fisch, zu ergattern. Ab und zu stand einer der Obergrizzlys auf, tobte und brüllte und drohte in Richtung der hungrigen entfernten Verwandten, um dann in den Fluß zu urinieren. Das entspannt. Der Fluß veränderte seine Farbe, unmerklich. Er wurde braun und brauner. Die Grizzlys lachten blöde, drehten die Musik in ihren Ohren lauter und schlürften Kaffee mit Lachsgeschmack, gehend. Der Fluß trat über die Ufer und spülte stinkendes und schimmelndes Lachsaas an Land. Die Sonne brannte vom Himmel. Es stank. Es war heiß. Geier lachten. Und handelten.

Archibald begann zu schwitzen. Er wußte nicht, ob er noch schlief oder schon wachte, als er in der Küche stand, verzweifelt versuchte, die Kühlschranktüre zu öffnen und Ernst Alberts Hand sich vorsichtig auf seine linke Schulter legte. „Was machst Du denn da, Archibald?“ „Ich suche das vierte Schnitzel!“ “Und warum, wenn ich fragen darf?” „Ich will es wieder zurückbringen. Wir brauchen das nicht.“ „Ich verstehe Dich nicht!“ „Es soll wieder Frieden sein in Alaska und die Schwarzbären sollen auch was abkriegen.“ „Archibald, wir haben zur Zeit noch nicht mal ein Schnitzel im Kühlschrank und Du solltest mal Denkpause machen. Pack Deine Sachen, wir fahren in den Osten. Dort besuchen wir den Geheimrat und trinken mit ihm eine Kanne Köstritzer!“

Archibald erwachte. Ganz langsam. Er befand sich auf dem Weg zum Bahnhof der kleinen häßlichen Stadt.

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„Meh wie ä Schnitzel am Tag kannsch eh it fresse!“, sagte einst am See Herr H. Maier

Samstag, 15. Mai 2010 12:19

daemmerung

Einerseits: „Da habe ich mir ja etwas an die Backe geklebt!“ und andererseits – ungewohnt salopp – „Gefickt eingeschädelt!“. Das war es, was Archibald dachte, als er im Warmen saß und beschloß das Fenster erst wieder zu öffnen, wenn Herr Lenz Zwanzig Celsiusgrade in die Luft geblasen hatte. Das Einerseits, das war seine Expedition “Angstmuzak“, ein etwas größeres Vorhaben, wie ihm gerade schwante, das Andererseits war die Tatsache, daß er den Lütten Stan überzeugen konnte, jetzt wo die Kugelhysterie wieder aus allen Ritzen zu kriechen begann, sich zu outen und die Sache mit der Balltretkunst zu übernehmen. Dies schenkte seinem Auftrag etwas mehr Zeit und damit verbunden – so jedenfalls hoffte der Denkbär – auch Tiefe. „Doch die Kälte und die intensiven Angstschweißwolken da draußen hatten ihn etwas niedergeschlagen gemacht. Was solle solch eine Expedition überhaupt? Für wen war sie gedacht? Um einen Bärengott zu erheitern? Führte er Selbstgespräche? Was war das Ziel? Selbsterkenntnis oder Selbstzweck? Es gab Momente, da erschien es ihm maßlos, dem allem, was gedacht und gesagt war und noch gesagt und gedacht werden wird, noch mehr hinzuzufügen, es sei denn, man könnte tatsächlich Erleuchtung versprechen. Für sich. Für einen anderen.“ (Schön sich bei Frau Schmidt für die Anregung bedanken! Gelle, der Setzer.) „Natürlich! Danke Frau Schmidt! Seite 83.“ Ernst Albert hatte Eva Pelagia heute morgen vorgelesen und das feine Bärenohr hatte es vernommen und Glöckchen in ihm bimmelten los. Diese Glöckchen hatte auch der Alte von Bergedorf vernommen. Mit aufmunternder Strenge nickte er Archibald Mahler, dem Expeditionsreisenden vom Brandplatz, zu und dieser machte sich an die Arbeit. Versprochen ist versprochen.

Und so blickte durch ein anderes Fenster hinaus in die Welt, das heißt, er blickte nicht, er roch sich hinaus in die Welt, seine Nase beugte sich über Ernst Alberts gesammelte Zeitungen, saugte die Buchstaben und Geschichten ein, begutachtete sie, durchleuchtete sie, verwarf vieles und legte, was wertvoll, erhellend und erheiternd schien, in den Gedankenschrank zur späteren genauen Betrachtung, oder nur so, weil ein bißchen was für den langen Winterschlaf  zu sammeln – irgendwann steht der wieder ins Haus – ist nicht dumm. Und das war einiges, was Archibald da aus den Papieren der letzten Tage entgegen schwappte. Alles verstand er nicht. Wie auch? Bären waren bis jetzt noch nicht dazu gezwungen, sich ökonomischen oder finanzpolitischen Überlegungen hinzugeben. Doch beim Einsortieren hatte er das Gefühl, es lediglich mit zwei Arten von Zweibeinern zu tun zu haben, die sich da äußerten. Da waren einmal die Apokalyptiker, die Marktschreier und Krakeeler, die Anhänger Kassandras, die mit wuchtigem Pinselstrich Menetekel nach Menetekel an die Wände malten. Ihr Gezeter zielte offensichtlich nicht auf die Hirne ihrer zuhörenden Mitzweibeiner, sondern wendete sich an die kleinen und fiesen Ängste, die Ängste vor Verlust und Niedergang, an den Neid, an die Eifersucht, an all das unreflektierte Gewürm, was durch die Adern eines jeden Aufrechtgehers fließt. Archibald verstand das nicht. Wenn man nicht weiß, was tun, ist es dann nicht besser zu schweigen und nachzudenken, als rumzupoltern und die, die versuchen nachzudenken, permanent zu stören? Aber die zweite Art erschien ihm fast noch bedrohlicher, diese ganze Bande der Aussitzer, Beschwichtiger, Hinausschieber, Kreditnehmer, Schuldenmacher, Achselzucker, Raushalter, welche mit ihren heruntergezogenen Mundwinkeln und hochgezogenen Augenbrauen es schon immer gewußt haben. Jene, die nur mit den Einen reden wollen, wenn diese wiederum nicht mit den Anderen reden. Die, welche darauf warten, daß irgendwer den Mut hat etwas zu entscheiden, um dann auf den Zug der Entscheidung aufzuspringen oder, bei Nichtgefallen – das heißt bei der Notwendigkeit des eigenen Verzichts – zur Partei der Krakeeler und Radauvögel überzuwechseln. Schon seltsam! Archibald dachte darüber nach, ob es Zweibeiner gibt, die auch bedenken, daß die Welt, auf die Archibald schaut, auch Archibalds Welt ist, selbstredend im Nanogrammbereich, aber immerhin. Dann roch er etwas, was ihn beruhigte. Aus dem Papierberg sprach die Stimme des Alten von Bergedorf. Er hat mal wieder Zeit gefunden. Er meinte nichts anderes, als daß, wenn Zeiten sich ändern, selbstverschuldet oder nicht, nur eines hilft: Ruhe bewahren und Arbeiten. Warum ist das aber anscheinend so schwer? Archibalds Ehrgeiz war angestachelt. Die Expedition wird fortgesetzt. Das wußte er nun. Und er ahnte, daß diese ganze Angstsuppe irgendwas zu haben mußte mit dem einem Schnitzel am Tag, von dem Ernst Albert heute morgen beim Frühstück seiner besten Eva Pelagia erzählt hatte.

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„Ich finde das nicht in Ordnung, den Leuten Angst zu machen.“, sagte der Alte aus Bergedorf

Dienstag, 11. Mai 2010 15:30

schmidt_neu

Natürlich wußte Archibald nicht, daß der Alte aus Bergedorf (Präzise bleiben! Schon seit langem aus Langenhorn! Euer Setzer) letzten Freitag diese Worte gesprochen hatte, als man ihm wieder mal einen Preis verliehen hatte, und er rauchend und im Rollstuhl sitzend die Glückwünsche entgegengenommen hatte, wahrscheinlich aus den Händen inzwischen auch erwachsener Zweibeiner, die ihn zu Zeiten ihrer Jugend noch ob seiner „Sekundärtugenden“ verspottet hatten. Zeiten ändern sich und nun hängt man an den Lippen des alten Nordlichts, als tropfe da der Honig der erlösenden Antworten auf alle brennenden Fragen der Aufrechtgeher herab. Aber diese Postkarte, die Ernst Albert über seinen Schreibtisch gehängt hatte – natürlich ein Geschenk der feinfühligen Eva Pelagia – diese Postkarte, die ein gemaltes Portrait des Alten zeigte, mochte Archibald sehr. Was sah Archibald? Ein grauhaariger Mann, sein Blick offen und konzentriert, schaut hinaus in die Welt und scheint dort etwas zu suchen oder er denkt nach. Umgeben ist der Mann von tanzenden, schreienden und tobenden Gestalten. Diese scheinen verletzt, in wilder Panik und aus allen Wunden blutend. Hinter dem rechten Ellenbogen des Mannes liegt gar ein Totenkopf. Dies alles scheint den Grauhaarigen nicht davon abzuhalten weiterhin konzentriert und gelassen in die Welt zu schauen und nachzudenken, was zu tun ist und was zu lassen. Auch die Tatsache, daß sein Schlips aussieht wie ein Wasserfall aus Blut, so als habe ihm ein unbekannter Feind ein Messer in die Kehle gerammt, irritiert ihn offensichtlich nicht.

Ernst Albert war einer derjenigen gewesen, die den Vorgänger des Alten aus Bergedorf verehrt hatten – jenen trinkenden, Frauen taumeln machenden, Männer die Zähne fletschen lassenden, im großen und richtigen Moment das Knie beugenden Aufrechten, den knarrenden, mitreißenden und hadernden Redner, den alle beim Vornamen nannten, damals. Seinen Nachfolger, ihn mochte man nicht. Kalt, rechthaberisch, nordisch, utopiefrei sei er. „Wenn Sie Visionen haben, gehen Sie besser zum Arzt!“ Das hatte er gesagt. Das mochte man nicht hören in den Goldenen Tagen. Da fuhr man lieber nach Bonn und hatte öffentlich Angst. Da das Ende der Welt angeblich bevorstand, machten Hunderttausende mit. Willy sprach, alles toste und tobte und Helmut allein zu Hause. Damals. Wieder und wieder ändern sich die Zeiten. Und dann hatte Helmut Recht bekommen. Und Willy ist tot. So ist das manchmal. Lange hatte Ernst Albert gebraucht, um die Begriffe Pflicht und Vernunft in seinen Wortschatz wohlwollend zu integrieren. Und viel später hat ihm der Alte aus Bergedorf sogar etwas zum Geburtstag geschenkt. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Also betrachtete Archibald Mahler, genesener Bär vom Brandplatz, die Postkarte und er ahnte und seine feine Nase bestätigte ihm dies: wenn er jemals Ordnung in seinen Gedankenschrank bringen wollte, eines darf ihn nicht lenken: und das ist die Angst. Das Leben ist ein anstrengendes Leben und eine blutige Krawatte hat man sich schnell geholt, aber das ist noch lange kein Grund sich Angst einjagen zu lassen, von denen, die Spaß daran haben, die Angst zu verbreiten. Und die Postkarte sprach: „The woods are lovely, dark and deep / but i have promises to keep / and miles to go before i sleep / and miles to go before i sleep.” Eigentlich sind die Worte von Robert Frost geschrieben. Warum sie aus der Karte sprechen? Weil der Alte aus Bergedorf sie mag, diese Worte. Und Archibald auch.

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A 45 gegen Frankfurt, Deutscher Fußballmeier und warum das die Gesundung fördert

Sonntag, 9. Mai 2010 20:15

schlußkonferenzNach dem Eingriff ist man schlauer. Nach der Wahl auch. Und erst recht am letzten Spieltag. Davor ist viel Lärm. Aber das ist nunmal die Art der Aufrechtgeher, mit dem kurzem Hemd den langen Wind zu machen, davor, egal um was es sich auch handelt. Prognosen, Spekulationen, dick geschnürte Angstpakete und mahnende Zeigefinger. Archibald jedoch hatte keinen Grund zu klagen, jetzt da alles vorüber. Der Eingriff war nur noch Erinnerung, Eva Pelagias sorgende Hände hatten sauber gearbeitet und wat mutt, dat mutt eben. Die Nachversorgung war zu seiner Zufriedenheit bestellt. Honig fürs Interne, außen Franzbranntwein, Talismänner für die Seele und – das war neu – die sagenumwobene Schlußkonferenz.

Ernst Albert war seit längerer Zeit dazu übergegangen, die Balltretkunst nicht mehr im Bilderapparat zu betrachten, sondern meist im Wortegerät zu hören. Dies hatte weniger mit der Qualität des gezeigten Sports zu tun, sondern mit den Begleitpersonen. Die Betrachtung der Posch-, Beck- und bald auch noch Klinsmänner bereiteten ihm einfach nur körperliche und seelische Pein. Und noch springt – Heiliger Günter Koch verhindere dies! – der Hörfunkberichtererstatter nicht auf das Spielfeld, um den abspielbereiten Balltreter zu fragen, warum er den Paß nach rechts spielen wolle und nicht nach links und ob er wirklich nach Mailand oder Spanien wechsle.

Ernst Albert hatte Archibald erlaubt, auf dem Wortegerät zu sitzen und zu lauschen. Gut, der Bär schob manchmal gelbe Tennisbälle mit dem geheimen Fieberthermometerhalter hin und her, wenn Ernst Albert und Eva Pelagia außer Haus, aber als einen der etwa zwanzig Millionen Balltretkunstnationalspielleiter würde er sich nicht bezeichnen und wer da gegen wen rannte, das war ihm bärig wurst. Jedoch machte es einen Riesenspaß dem Stimmengewirr zu lauschen, dem Umgeschalte von Spielort zu Spielort, den aufgeregten Hinweisen darauf, daß jetzt hier und dort ein Ball ins Netz gekugelt worden war oder ein Schweinepriester das Feld verlassen muß. Die Sprecher waren ganz heiser vor Aufregung und selbst als alles gegessen und erledigt, wie erwartet, sagte einer von ihnen: „Wir unterbrechen für eine Verkehrsmeldung: Auf der A 45 gegen Frankfurt liegen Gegenstände auf der Fahrbahn.“ Und der andere sagte: „Beim neuen Deutschen Fußballmeier ist noch kein Bier verschüttet worden.“ Und das hatte Archibald tatsächlich gehört, weil es genau so gesagt wurde. Das gefiel ihm, weil es doof war, er darüber lachen konnte, es keine Bedeutung hatte und so etwas die Gesundung fördert. Manchmal ist es einfach. Alles. Fast alles. „Zurück nach München.“ „Nach Berlin.“ „Sag ich doch.“

Thema: Archibalds Geschichte, De re publica, Öffentliche Leibesübungen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wie Archibald am Fluß saß und den Türmen der Gier seinen Allerwertesten zeigte

Dienstag, 4. Mai 2010 17:30

frankfurt1Archibald konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, daß Ernst Albert gerade dabei war, sich zum Bärenversteher zu mausern. Hatte er den Bären noch bei der Hinreise ohne Rücksicht auf die reiseungeübte Bärenseele in einem gewaltigen Rutsch in den Süden exportiert, legte man nun auf der Heimreise einen  Zwischenstopp ein. Sicherlich auch der Tatsache geschuldet, daß die gestrigen Abschiedsfeierlichkeiten bei Herrn Albert Spuren hinterlassen hatten. Und frische Luft soll ja bei gewissen Zuständen Wunder wirken. Oder ein im Freien genossenes KB. Man setzte sich an das Ufer des großen Flusses, der wenige Meter vom Bahnhof entfernt, die Ganz Große Stadt durchschnitt. Und Archibald sah: dort wo in der alten Stadt, die sie gerade verlassen hatten, ein wunderschöner Kirchturm die Dächer überragte, waren es hier die Kathedralen eines ganz anderen Betvereins. Es waren die Türme der Gier, die weithin sichtbaren Botschafter der Glaubengemeinschaft ‚Kräfte des Freien Marktes / Unbegrenztes Wachstum und Peanuts im Arsch des Herrn so gern’. Archibald fand diese Türme recht häßlich, Ernst Albert machten sie jedes Mal, wenn er sie sah, wütend. Ursprünglich gegründet, das Ersparte der Aufrechtgeher zu verwalten und zu beschützen oder sinnstiftend zu verleihen, waren die Obermuftis der Glaubenskongregationen inzwischen dazu übergegangen, das was man Ihnen anvertraut hatte, mit großer Freude zu verzocken, indem man sogenanntes schnelles Geld machen wollte, das Ganze aber dann im großen Stile in den Sand setzte.  Und dann hob ein lautes Krakeelen an, diejenigen, welche das verzockte Ersparte verloren hatten, mögen nun bitte den Schaden begleichen, sonst ginge alles komplett den Bach herunter und zwei Euro würde man auch gerne beisteuern zum rettenden Paket. Aber jetzt müsse man erst mal vom Acker, Mann, ins Ferienvillachen, sich von dem ganzen Stress erholen. Ernst Albert hätte kotzen können. Man steuerte ein Büdchen an. Ein netter Aufrechtgeher aus dem fernen Pandschab verkaufte ihnen ein KB.

frankfurt2Das KB, obwohl recht früh am Tage, mundete und linderte Gliederschmerz und Herzenswut. In Ansätzen, doch nicht völlig. „Mein lieber Archibald. Das Bier von hier, das den gestrigen Abend kontert, trägt den Namen Henninger. Schmecken tut es nicht wirklich, aber: when you in Rome, do as the Romans do. Und außerdem, ich trinke und gedenke. Denn jedes Jahr im Lenz gibt es hier ein Radrennen rund um die Brauerei, die diese Plörre in Flaschen zapft. Und, das mußt Du Dir mal reintun, was früher ‚Rund um den Henninger Turm’ hieß, heißt nun ‚Rund um den Finanzplatz Eschborn Frankfurt’. Sponsoring nennt man das. Wie groß müssen deren Köpfe sein, daß da soviel Scheiße hineinpaßt? ‚Rund um den Finanzplatz Eschborn Frankfurt’ Oweia! Oder wie Du gerne bemerkst: Potzrembel aber auch!“ Wenn Ernst Albert verkatert ist, ist seine Weltwut grenzenlos. Archibald ließ ihn gewähren und lieh sich einen Schluck des KB namens ‚Rund um den Finanzplatz Eschborn Frankfurt’. Macht Geld eigentlich besoffen? Offensichtlich mehr als Alkohol. Ein Ausflugsschiff fuhr vorbei. Er war benannt nach dem größten Sohn der Ganz Großen Stadt, ein manischer Vielschreiber, veritabler Trinker, Geheimrat in Thüringen und Liebhaber der Grünen Soße seiner Mama. Das beruhigte ungemein. „Laß uns die Seite wechseln, Genosse! Hier sind wir falsch!“ “Falsch?” “Falsch, so wahr ich lebe!”

frankfurt3Sie hatten auf einem Eisernen Steg den Fluß gequert und streckten nun den Türmen der Gier ihren Allerwertesten entgegen. Was sie nun sahen, war weitaus erfreulicher. Auf der gegenüberliegenden Seite reihte sich ein Museum an das andere. Man erblickte ein Plakat. In der schönsten und größten der Ausstellungshallen werden seit einigen Tagen Bilder eines Herrn Ernst Kirchner gezeigt, ein erklärter Lieblingsmaler von Ernst Albert, der daraufhin bemerkte, dies wäre doch ein schöner Ausflug, den er der besten Eva Pelagia schenken könnte, als Ausgleich für seine lange Abwesenheit. Ob er wohl mitkommen könne, fragte Archibald. Das werde man dann sehen, war die Antwort. Im Bahnhof scharrten die Züge mit den Hufen. Heimwärts nun! KB Nummer Zwo folgte sogleich!

Thema: De re publica, Im Heckerland, Öffentliche Leibesübungen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth