Beitrags-Archiv für die Kategory 'Die Reise ins Tal'

Durch das Land der Droghebaren / Alter Schrei

Donnerstag, 2. Juli 2015 12:37

tal09

Ich griff ins Leere. Der Schatten, der uns atemnehmend in Finsternis gehüllt hatte, war weiter gezogen. Der Schrei, welcher für Sekunden alles Leben im Tal hatte einfrieren lassen, klang noch als besitzergreifendes Echo von den Basalttreppen zurück, welche sich am Nordende des Tales auftürmten. Mein Ohren richteten sich auf, durchmaßen die Stille, schritten ab die Raster, sondierten das wieder einsetzende Leben und meine Nase sog ein die verbliebenen Miasmen einer Bedrohung. Jedoch der Gefährte, er war entschwunden.

Nie hatte ich behauptet ein Held zu sein. Zwar habe ich mir in den letzten Monaten bei meinen ungezählten Abenteuern die grünen Hörner erst blutig – und dann abgestoßen, doch dies hat nicht zur Folge, daß mir nun alle Angst fremd. Tief im Herzen des Hasen, mag er auch mit einer noch so wirkungsmächtigen Schmetterpfote ausgerüstet sein, schlägt jenes Herz, welches durchaus von sprichwörtlicher Natur. Und also löst das Auftauchen eines Milans und vor allem dessen Mark und Läufe durchdringender Schrei bei einem meiner Art nichts anderes aus als einen lebensbejahenden Fluchtreflex. Möge ein in Drachenblut gebadeter Recke den Kampf mit diesem Ungetüm aufnehmen, Old Schmetterpfote aber zieht sich zurück und sucht und findet ein Loch. Und so pfiff ich ein Lied, was zu jener Zeit, da ich dieses Abenteuer durchstand, noch nicht geschrieben war, doch wer behauptet, es sei unmöglich verschiedene Zeittunnel gleichzeitig zu durcheilen, der irrt. In anderen Zusammenhängen wird es mir eine große Freude sein zu diesem Thema einige Bonmots des großen Prarie – und Wiesenphilosophen ‘Klecker Peter’ an die werten Leser weiterzugeben. Doch erst möge Manitou dieses rotschwänzige Flugobjekt von meinem Radarschirm verschwinden lassen. “Hugh”, um meinen Bruder Kleines Abbes Bein zu zitieren.

Ein Westmann weicht keiner Auseinandersetzung aus, doch weiß er die unnötigen Kämpfe zu meiden und hat gelernt – wenn auch unter Schmerzen und des öfteren von den Göttern ermahnt – den rechten Zeitpunkt zu erspüren, an dem es angebracht ist den Ring zu betreten. Mein belöffelter Gefährte ist schlau, den er weiß, sich einem rotschwänzigen Milan mit leerem Magen entgegen zu stellen, ist nichts anderes als Dummheit. So ergriff er rechtzeitig das Hasenpanier und lochte ein, wo ich ihn nach einer kurzen Zeit des Suchens fand, wohlgemut und pfeifend, wie es seine Art ist. Ich hielt derweilen die Wacht, welche Old Schmetterpfote vor wenigen Stunden gehalten hatte, meine wirren Träume beschützend. Zwar versuchte ich meiner verantwortungsvollen Aufgabe, das Tal nach lauernden Gefahren abzuschnüffeln, nachzukommen, doch mein Geist reiste und dicht wie kanadischer Ahornsirup über frisch gebackene Pfannkuchen (eines meiner ersten und endgültigen Leibgerichte, mag ich hier gestehen!) legte sich Erinnerung über das Tal. Der Schrei des Raubvogels ward zum eigenen Schrei geworden, zu jenem das Bewusstsein stehlenden Schrei, den ich damals ausgestoßen hatte, da Kinky Claude, randvoll mit Feuerwasser und maßloser Gier, nach mir gegriffen hatte. Die Achtundvierzigste Minute war Vergangenheit, die Helden waren weitergezogen, ich lag wieder auf staubigem Boden und war so in diese Geschichte hinein geworfen, als eine Faust nach meinem linken Bein griff, es umklammerte und zog. Der faulige Hauch eines zerstörten Magens wehte mir in die feine Nase und ein unendlicher Schmerz ließ es damals um mich herum finster werden. Bald jedoch kehrte ich zurück ins Jetzt und spürte, wie meine Narbe begann zu pochen und als der letzte Schrei des Milans an den Wänden des Tales verhallt war, wußte ich: ER ist hier, ER ist nahe. Vor meinem Auge färbte sich das Tal rot. Hugh!

(Fortsetzung folgt)

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In den Schluchten des Gestern / Das Vermächtnis

Freitag, 19. Juni 2015 11:43

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„Forrester schmort in der Hölle. Manitou gewähre keine Gnade!“ Doch Kleines Abbes Bein weiß, daß eines vielleicht gar nicht so fernen Tages auch für ihn die Glocken von Santa Fe läuten mögen und so fasste er den Fluch, der eben seinen erwachenden Zähnen zu entfleuchen drohte, beim Schwanz und packte diesen in eine seiner linken Herzkammern, wo die nicht freigelassenen Flüche und die zahllosen Gesänge von den Jammertälern lagern. Sollte er nach seinem Ableben in der Garküche von Teufels Großmutter landen, er wird den Zurückgehaltenen Auslauf gewähren, doch noch setzt er seine Hoffnung auch auf den Gott der Bleichgesichter, der – so lautet manche Schrift – manchmal ein gnädiger Gott sein kann und so dem Dahinscheidenden den Weg in friedliche ewige Jagdgründe ebnen mag. „Welch ein Milde und Schönheit atmet dieses Tal. Hier mag eine reine Seele ihre Ruhe finden! Beim Großen Manitou!“ Gierig zog er nun die warme Luft durch seine erwachte Nase und diese roch keine Gefahr, friedlich strömte der Odem in seine Lungen, doch etwas in ihm wußte, daß das Vermächtnis, die Erzählung vom sagenhaften Goldschatz der Kamschatka – Bear, so manchem Geist keine Ruhe lässt und deshalb der Frieden dieses Tales stets ein brüchiger ist. Kinky Claude hatte die Feuerwalze überlebt, denn die rechte Hand hatte sich erhoben den Dolch zu führen, der im Rücken des Bandenbosses stecken blieb, die rechte Hand entzündete das Streichholz an der Sohle eines staubigen Stiefels und die Lunte fraß sich in Richtung Tod und Verdeben.

„Mein Bruder, verzeiht er seinem treuen Gefährten Old Schmetterpfote? Mein linker Arm hatte sich selbstständig gemacht.“

„Kleines Abbes Bein hatte die GRAUE WOLKE erblickt. Dann wurde er ins Reich der Träume gesandt. Sein Herz ist nun ruhiger.”

„Riecht mein Bruder etwas, was er nicht riechen mag?“

„Rein ist die Luft wie das Gewissen eines aus dem Winterschlaf erwachten Bären, doch mein Herz weiß, warum es unruhig schlägt. Das Vermächtnis ist ein Gift, daß die Hirne und Herzen vieler Bleichgesichter zerstört! Es ist noch nicht überstanden!“

Geschwätzigkeit ist wahrlich kein Merkmal derjenigen, die seit ungezählten Jahren die Prärien, Gebirge und Schluchten des Westen durchstreifen – nun der Leser mag vermuten, daß es sich bei mir um eine Ausnahme handeln mag, wenn ich mich nicht irre, hihihi! – und so gibt es keinen besseren Ort, um ein Geheimnis zu bergen als das Herz des designierten Häuptlings der Kamschatka – Bear Kleines Abbes Bein. Hätte ich in diesem Moment das Verlangen gehabt, ihn zu irgendwas zu drängen, sinnloser wäre es gewesen als das Melken eines wütenden Bisonbullen. Wir hatten also unseren ersten Ausguck verlassen und hatten uns in einem jungen Ahorn, blattlos und gebrandmarkt noch von der grausamen Katastrophe, welche den Greystone – Canyon heimgesucht hatte, niedergelassen. Auch wenn an diesem Morgen sehr wenig auf eine neuerliche Katastrophe hindeutete, die Nase des Gefährten schwieg und auch mein unbestechliches Adlerauge erspähte keinen Anlaß zur Unruhe, ein erfahrener Westmann setzt sich nicht ohne Not auf den Präsentierteller. Das krakeelige Einfordern von Aufmerksamkeit und die geschwenkten Banner mögen den Trunkenbolden und den goldgeilen Schreihälsen vorbehalten bleiben. Und vergessen wir nicht, Kinky Claude lebt und er hält das Vermächtnis immer noch in seinen schmutzigen Krallen. Mir schauderte. Ich blickte hinüber zu meinem nachsinnenden Begleiter. Nur wo verbirgt sich diese Ausgeburt an Schamlosigkeit und Verachtung allen Lebens?

Hier verlassen wir unsere zwei Helden für wenige Sätze, um dem werten Leser das Geheimnis der Achtundvierzigsten Minute zu enthüllen. Er möge sich Zeit nehmen und bis zum besagten Moment dem Geschehen folgen oder – wir vermuten dies wird das Wahrscheinliche sein – seiner Ungeduld freien Ausritt gewähren und spulend das Warten überspringen. Dann wird er sehen, wo und wie unsere Geschichte begann. Wir geben dies preis, obwohl wir wissen, daß ein Geschichtenerzähler sich interessanter macht, wenn er die Quellen seiner Gedanken in ein ominöses Dunkel hüllt, aber in den Tagen da uns der Franzose und ewige Häuptling verlassen hat, scheint uns dies nicht angemessen. Kehren wir zurück in das entlaubte Ahorn am Rande des Tales.

Dort oben am Rande der Wand, die das Tal begrenzt, hatte er gestanden, der Bösewicht. Wir waren seinen Spuren, ich humpelnd und gestützt auf meinen Gefährten Old Schmetterpfote, von rasenden Schmerzen durchzuckt nach einer soeben überstandenen Notoperation, gefolgt. Und nicht genug, höhnisch lachend schwenkte das Scheusal den Federschmuck meines Vaters, des ruhmreichen Häuptling der Kamschatka – Bear, Großer Rollender Stein, den wir einst in diesem Tal begraben hatten, an seiner Seite meine liebreizende Schwester „Wilder Honig“, die große und unsterbliche Liebe meines Gefährten. So war es geschehen in jenen finsteren Tagen und wir wußten, die Grabhöhle ward geschändet und außerdem wußte Kinky Claude um das Vermächtnis der Kamschatka – Bear. Und immer noch kreist der Raubvogel über dem Tal. Dann bleibt er in der Luft stehen, rüttelt kurz und stürzt hinab. Ein gellender Schrei zerreißt die Stille des Tales.

(Fortsetzung folgt)

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Von El Paso nach Tinseltown / Der Schlag

Dienstag, 16. Juni 2015 20:19

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Nun, ohne hier mein Licht über Gebühr in die Sonne zu stellen, einer der gänzlich Unbelesenen bin ich sicher nicht, dennoch sei an dieser Stelle der Erzählung gestanden, daß die Vererbungslehre mir Mysterium ist und bleibt. Immer wieder betrachte ich – insbesondere nach einem erfolgreichen linken Haken – verwundert meine Schmetterpfote und frage mich welcher Gott oder welches Gen mir diese zum Geschenk gemacht hat. Heute jedoch, die Sonne begann gerade das Tal aufzuheizen und die Gesänge der Frösche nahmen an Lautstärke zu und verrieten eindeutige Absicht (Oh ja, ich gestehe, ein langer und einsamer Ritt lag hinter einem ehrenwerten Sproß der Familie von und zu Rammelsburg, wenn ich mich nicht irre, hihihi!), beschlichen mich heftige Schuldgefühle ob der Wucht, mit der diese Göttergabe den treuen und tapferen Gefährten, designierten Häuptling der Kamschakta – Bear und Träger des viel besungenen Namens Kleines Abbes Bein, vor meine platten Füße gelegt hatte. Doch vernehme, o Fremder, der du diese Worte vor deine Augen hältst, der wackere Braunpelz er ist nicht in die ewigen Jagdgründe eingegangen, nein er schläft nur, hängt im Ginster und atmet ruhig und regelmäßig. Leise entströmt Atem seiner wunderbaren feinen und intelligenten Nase und seid vergewissert, ihr Zweifler alle, der erste Traum, den meine Pfote ihm bescherte, es ist der erste nur in einer langen Reihe von Träumen, die zu träumen es für den Unermüdlichen höchste Zeit gewesen war, während ich, obwohl erschöpft und ermüdet wie nach meiner damaligen und bemerkenswerten Erstbesteigung des Monte Verita (ohne Karotte und ohne Seil und Haken) – ich werde diese nicht unwesentliche Episode aus meinem Leben als Weltenbewanderer bald in meinem Reisebericht „Lichte Höhe“ ausführlicher schildern – hinab blicke ins Tal, in dem das Leben sich rege zu tummeln beginnt und  die Wache halte.

Tinseltown ist, man möge mir meine vielleicht etwas harsche Ausdrucksweise verzeihen, ein mieses, stinkendes und korruptes Kaff, bewohnt von holzköpfigen Glücksrittern, dummdreisten Trunkenbolden und eiskalten Menschenschindern. Angelockt vom Versprechen auf schnellen und wohlfeilen Reichtum, nach kürzester Zeit durch billigsten Fusel von allem, falls überhaupt vorhandenen, Anstand in Gänze befreit und den letzten ehrlich erworbenen Dollar verloren an Zuhälter, Zocker und ungezählte Hübschlerinnen, versammelt sich in Tinseltown eine Mischpoke, die letztlich nur vereint ist durch die Abwesenheit jeglicher Moral und Gottesfurcht. Und in Tinseltown war es vor gar nicht langer Zeit geschehen, daß mich das letzte Mal ein derartiger Schlag getroffen hatte. Der ehrenwerte Old Schmetterpfote, damals noch ein Greenhorn, war in die Gewalt der Tinseltown terrorisierenden Forrester – Bande gefallen und ein altes Versprechen zwang mich meinen Rappen ‘Deadly Dust’ zu besteigen und in die Höhle des Löwen zu reiten, als mich dieser Schlag traf, der Schlag eines Gewehrkolben, der Schlag des mit Silbernägeln verzierten Kolben meiner Büchse ‘Rodriganda’. Doch von diesem, einem Kamschatka – Bear nicht zur Ehre gereichenden, hinterhältigen Niederschlag später, wenn die Engel mich wieder hinaus aus dem finsteren Labyrinth meiner derzeitigen Träume in das lichte Tal geleitet haben. Aber diese Stunde scheint noch fern und solange liege ich in einer stinkenden Whiskylache auf dem Boden des ‘Royal Flash’, dem einzigen und größten Saloon in Tinseltown, die weinende Kitty Belaire Johnson hält mein blutendes Haupt, das elektrische Klavier hämmert einen atemlosen Ragtime und die krächzende Lache von Kinky Claude, der buckligen und irren rechten Hand von Forrester stellt mir die bohrende Frage: „Warum? Warum nur liege ich hier?“

Für so manches gibt es keine Erklärung, mag man noch so tief in den Schubladen seiner Erfahrungen, in den Hosentaschen seiner Erinnerungen herumwühlen, doch mein heutiger Schlag ist nichts weiter als eine der vielen logischen und bedauernswerten Folgen der fatalen Achtundvierzigsten Minute. Ich hatte, damals noch ein blutiges Greenhorn, mich auf den Weg gemacht von El Paso nach Tinseltown, gewiß war ich aufgebrochen in der Hoffnung dort die Legende des Westens, den designierten Häuptling der Kamschatka – Bear Kleines Abbes Bein zu treffen, doch der Wahrheit die Ehre, ich verließ El Paso nicht ganz freiwillig, nein, ein Unschuldiger wurde damals mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt, weil er, der Unschuldige, damals noch ein Greenhorn und zeitweise auch ein rechtes Großmaul, seine zarten Pfoten über die Beine der legendären Dolores streichen ließ, jene Beine auf denen zu jener Zeit die widerlichen Pranken eines Sid ‘Vicious’ Forrester zu liegen pflegten. Und ich hatte von seltsamen Geschehnissen vernommen und dies dem Gefährten zu berichten, war meine Pflicht. Und hier beginne ich zu flüstern, wenn ich dem Leser mitteile, daß ich damals einen Schwur tat, daß falls jemals wieder die GRAUE WOLKE …, aber ach, verzeihe Leser, hier bricht mir meine Stimme. Heute morgen als mich des Bären zuckendes Bein traf, da erblickte ich in den Augen des Gefährten, o ihr Götter, die GRAUE WOLKE und erschrak darüber derart, daß mein Schlag notwendig ward. Manitu sei mein Zeuge! Und so saß ich und hielt Wacht, zu meinen Füßen der Freund in Morpheus’ Armen, leichter atmend. Ein Hauch von Ruhe glättete seine Stirn. Die GRAUE WOLKE schien ihren Griff zu lockern. Dann schlug ein Käuzchen. Ein mächtiger Habicht kreiste über dem Tal. Zeit den Ausguck zu verlassen und Deckung zu suchen. Ein Westmann spielt nicht mit dem, was ihm die Götter schenkten, seinem Leben. Das nächste Lied pfiff ich nicht, ich dachte es mir. In der Ferne ein elektrisches Klavier.

(Fortsetzung folgt)

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Durchs wilde Absurdistan / Der Mammon

Samstag, 13. Juni 2015 21:41

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Ich sei ein mißtrauischer, manchmal gar mürrischer Bär mag man mir gelegentlich vorhalten. Nun denn, nicht an allen Lagerfeuern klingen die Lauten hell und leicht. Der Blick, der über die weiten Prärien schweift, sich in tiefen Canyons verliert, durch dichtes Unterholz kriecht oder unstet durch die rapide und maßlos wuchernden Siedlungen der Bleichgesichter wandert, gebiert gar manche düstere Wolke und zerfurcht so die der Welt eigentlich freundlich zugewandte Stirn. Und so mäanderte mein wacher Blick, trotz strahlender Morgenhelle von brummender Düsternis umflort, durch dieses herrliche Tal, welches wir nach unserem langen und mühseligen Ritt mit der aufgehenden Sonne erreicht hatten. Der Ginster grüßte uns in voll erblühter Pracht und eine fast schon zärtliche Brise bewegte das frische Grün. Azurren spannte sich das Himmelszelt. Man mag sich kaum vorstellen, wie dieser Ort einst vor dem Auge des Betrachter geschunden darnieder lag, nachdem eine Feuerwalze damals hier ihr todbringendes Werk verrichtet hatte. Noch heute klingt die gespenstische Stille in meinen Ohren, obwohl meine letzten, wild bewegten Lebensjahre mir so manches Bild der Erinnerung entrissen haben und mein Herz sich immer und wieder scheut der Düsternis die Pforten der Wahrnehmung und des Verstehens zu öffnen. In manchen Lieder, die man an den Lagerfeuern, begleitet von alten, scheppernden Gitarren, singt, wird gar berichtet ich hätte die damalige Schlacht in tiefer Ohnmacht verschlafen. Ob dem so war, dies mag ich noch nicht niederschreiben. Doch eines ist gewiß – und ja, dies mag der geneigte Leser lange schon erraten haben – all das, was und wie auch immer es sich zugetragen hatte, es geschah des schnöden Mammon wegen. Und dies alles war nur möglich – dies zu betonen fordert mein aufrecht schlagendes Herz von mir – da sich an jenem Tage die Welt wieder einmal im Zustande schändlichster Gottvergessenheit befand. Und so ward begangen, was begangen wurde und nicht das Böse verhindert, wozu die Götter der Wälder und Prärien nie müde sind, aufzurufen. Doch länger soll meine Vorrede nicht währen, schreiten wir zum Beginn der Geschichte und wenden das Haupt gen El Paso. Ich drehte mich meinem Gefährten zu und äußerte meine Bitte. Und der Freund handelte.

Man nennt mich gelegentlich auch die „Ilse Werner der Prärie“. Nun mag ein unerfahrener Leser darin eine nicht hinnehmbare Kränkung erkennen, doch vernehme, o Greenhorn, das du den verzärtelten Hintern auf Fauteils und Seidenkissen dir pupswarm hältst, hier draußen zwischen Atem nehmenden Staubwolken und planlos stampedenden Rindsköpfen, zwischen zischenden Pfeilen der Huronen und krachenden Tomahawks der Dakota, einen zu starken, verbrannten Kaffee in der von Lasso zerfurchten Hand haltend, mit wund gerittenem Pöter und vor Sehnsucht brennendem Aug’ einsame Wache schiebend, nicht zu sprechen von einer im – leider notwendigen – Duell erlittenen, nacheiternden Schußwunde, tja, hier draußen sind die Sitten und Gebräuche rauher und mancher nett gemeinte Scherz mag da an den „zivilisierten“ Kaffeetafeln, vollgesogen mit verlogener Höflichkeit, als höchst insultierend aufgefasst werden. Verglichen mit dem Holze, aus man man hier draußen geschnitzt sein sollte, ist Mahagoni nichts mehr als Softeis. Also kam ich ohne weiteres Nachkarten sogleich der Bitte meines Blutsbruders Kleines Abbes Bein nach und pfiff das gewünschte Lied. Ja, El Paso! Und schon nach den ersten wohlbekannten Tönen spürte ich, obwohl Schmetterlinge unsere Häupter umtaumelten und die Frösche einen vielstimmigen Willkommens – Chor anstimmten, wie die GRAUE WOLKE nach dem Gefährten griff und, ja, so vernahm ich wie – meine musikalische Darbietung nicht störend, aber durchbrechend – ein leises Murmeln durch seine zusammengebissenen Zähne entwisch. „Oh du mein Schatz, verfluchter Schatz du, hätte man dein Geheimnis niemals mir anvertraut.“ Dies waren die geflüsterten, nein, die gezischten Worte, die ich vernahm an diesen strahlenden Morgen im Tal.

Es hat sich verändert das Tal, schien mir, doch nein, das ist falsch. Das Tal hat zu sich zurückgefunden. Gewiß es gibt Spuren, die keine Zeitläufte zu tilgen in der Lage sind, mögen noch so viel wohlwollende Jahre über die vernarbte Wunde hinweg gerauscht sein, doch am heutigen Morgen meinte ich feststellen zu können, daß sich vor meinen Augen etwas ausbreitete, was Frieden atmete, etwas was mich zu erinnern schien an schlafende Zeiten, an jene Zeit, die ich für immer und ewig untergegangen glaubte, ein Frieden, der mich führte zurück in jene glücklichen Tage, jene Tage vor der Achtundvierzigsten Minute. Und gleich begann mein rechtes Bein zu jucken. Die alte Narbe meldete sich wieder, zuckte und ich trat gegen das Knie meines Gefährten. Dieser brach sein Lied ab und es traf mich – unvorbereitet – der Blick von Old Schmetterpfote.

(Fortsetzung folgt)

tal03

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Durch die Wüsten / Das Tal I

Donnerstag, 11. Juni 2015 22:32

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Eine Nacht und einen Tag waren wir durchgeritten. Unsere Pöter waren platt wie jene der Horden Dschingis Khans, nachdem diese die Wüste Gobi gequert hatten und ein stechender Schmerz trieb uns rostige Nägel in unser Rückgrat. Das Fleisch unter unseren Sätteln war gar durch und durcher und begann allmählich zu riechen. Nun, aber wenn dich eine alte Geschichte ruft, eine alte Geschichte, die vielleicht zu deiner Geschichte werden mag, dann hast du diesem Ruf zu folgen und alles Wenn oder Aber löst sich in Rauch auf, wie das stinkende mit Fußnägeln versetzte Kraut, welches sich aus dem Kalumet eines Assisiboin in den Nachthimmel kräuselt. Bis an den Rand meines seit Tagen ungewaschenen Hals angefüllt mit schierer und aufrechter Freude über das Erreichen unseres ersten Ziels, blickte ich zu meinem Gefährten, den tapferen Grenzgänger und Pfadfinder Old Schmetterpfote hinüber, der müde wie Vasco da Gama nach einer dritten Weltumseglung im Sattel hing, aber dennoch mit unnachahmlicher Lässigkeit die Enden der Zügel in seiner linken Pfote hielt, die schon manchen Spitzbube vorübergehend, doch wirksam ins Reich der Träume gesandt hatte. Seine gespitzten Lippen pfiffen ein altes Lied. “Take me to the green valley!”

„Wenn einem Freund die Not im erschöpften Gesichte steht, ist es deine Aufgabe, früher aufzustehen als gewohnt.“ Ein wahres Wort, welches das Herz eines jeden aufrechten Abenteurers erbeben lässt. Als mich heute in der finster und wortlos durchrittenen Nacht immer wieder aufkommende Zweifel an meiner Nibelungentreue gegenüber meinen alten Weggefährten Kleines Abbes Bein, designierter Häuptling der Kamschatka – Bear und Titelgeber vieler Gesänge, die zwischen den sturmdurchtosten Prärien Hassonias und den sonnenverbrannten Canyons des Schwarzhains an unzähligen Lagerfeuern von Mund zu Ohr wandern, befielen, nachdem ich zum wiederholten Male von meinem Wallach Hattumörla herabsteigen mußte, um dessen leicht lahmenden rechten Vorderhuf mit einer Paste aus zerkauter Karotte, Brennesselpaste und zerbröseltem Knäckebrot einzureiben, fiel mir obiger Sinnspruch meines Großonkels Kunibert Ottokar von und zu Rammelburg op der Lüger mittenmang hinein ins hadernde Herz. Und hier gilt es – in aller Bescheidenheit natürlich – kurz zu erwähnen, daß es sich bei meinem Großonkel Kunibert Ottokar von und zu Rammelburg op der Lüger um jenen legendären Feldhasen handelt, welcher in grauer Vorzeit einen noch legendäreren Wettkampf gegen einen schurkischen und betrügerischen Igelclan verloren hatte (Oh, ungezählt die Seiten, welche mit der Wiedergabe dieser Mär beschrieben!), aber dennoch niemals die Löffel sinken ließ, nein ganz im Gegenteil seine Lehren aus dieser epochalen, die Seele peinigenden Niederlage zog und so ins ferne Mexiko auswanderte, um am Ende des vorvorigen Jahrhunderts in Acapulco eine Imbißbude zu eröffnen, die – legendärer bald als seine im alten, verstaubten und engstirnigen Europa erlittene Demütigung – die weltweit ersten mit zerkauter Karotte, Brennesselpaste und zerbröseltem Knäckebrot gefüllten Burritos feilbot. Und nicht zu vergessen den unglaublichen und vitalisierenden Kakteenblütentee „Maison Rammelburg“, der seine besondere Wirkung vor allem dann entfaltete, wenn man ihn durch die Borsten eines erlegten Igeltieres in sich hinein saugte. Doch davon heute berichten werden wir nicht, den es gilt fürderhand Zeugnis abzulegen von überwundenem Schmerz und dem Erreichen des ersten Zieles.

So lag es also vor uns in seiner unschuldigen Schönheit, einer Schönheit hinter der, wie wir bald erfahren werden, mancher wilde Schmerz verborgen schlummert, nur darauf wartend von unvorsichtiger Hand wieder geweckt zu werden: das Tal. Ich blinzelte in die Morgensonne und fragte meinen erschöpften Geist, ob meine Hand denn schon bereit sei, an der Firniß des sich mir darbietenden, herrlichen Bildes zu reiben und zu kratzen, ob ich bereit bin für die alte Geschichte, diese verschütt geglaubte Geschichte der Achtundvierzigsten Minute. Er war Zeit vom Roß hinabzusteigen, den nächsten Felsen zu erklimmen und sich einen Überblick zu verschaffen. So taten wir dies. Manitu, der Gerechte, sei unser Zeuge!

(Fortsetzung folgt)

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Thema: Archibalds Geschichte, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth