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Archibald schläft dem Süden entgegen, hört seltsame Worte und zweifelt

Sonntag, 11. April 2010 15:56

zugfahrtDa sind schon ganz andere eingeschlafen, wenn die Räder gleichmäßig über die Schienen rollen, draußen vor dem Fenster die Welt vorbeigespult wird und sich Anspannung und Aufregung in wohltuende Ermattung verwandeln. Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz und bis gestern stationärer Mittelhesse und darüber nicht unglücklich, hatte es sich in einer von Ernst Alberts Reisetaschen bequem gemacht und schlief wohlgemut dem Süden entgegen. Der Süden! Dahin also ging die erste größere Reise des Bären, wobei Süden als Reiseziel und Beschreibung nun nicht wirklich konkret ist, geschweige denn „die alte Heimat“, von der Ernst Albert gesprochen hatte. Aber Archibald hatte beschlossen sich keine weitergehenden Gedanken zu machen, einen rollenden Zug hält kein Bär auf, und wenn, setzt er sich massiven Protesten der Mitreisenden aus. Daran hatte er kein Interesse und außerdem spürte er, sogar im Schlaf, daß es mit jedem Kilometer Fahrt ein klein wenig wärmer wurde und das ist für jeden Bären ein kräftiges Argument. Roll on.

Ernst Albert wachte über den Schlaf des reisenden Bärenviechs und blickte aus dem Fenster. Irgendwohin zurückzukehren stimmte ihn, wie immer, etwas melancholisch. Sein mobiles Kommunikationsteil bimmelte, ein alter Freund aus dem Süden rief an. Ernst Albert nahm das Gespräch an.

Archibald erwachte, da er neben sich einen Menschen sprechen hörte und große Zweifel stiegen in ihm auf. Wurde er vielleicht doch entführt, von einem seltsamen, ihm völlig fremden Wesen? Sicherlich, neben des Bären provisorischer Schlafstatt saß Ernst Albert und sprach in sein mobiles Dingsdabumsda. Das war nicht Besonderes. Doch was und wie er sprach! Archibald vernahm Worte aus dem Munde seines Herrn und Beschützers, die er so noch nie vernommen hatte, er hörte eine ihm völlig fremde Sprache, einen völlig fremden Klang. Es war ihm, als kämen all die Worte, die aus dem Munde dieses Menschen, der Ernst Albert immer noch sehr ähnlich sah, aber überhaupt nicht so klang, aus viel tieferen Körperregionen, als dies für gewöhnlich der Fall war, wenn dieser Aufrechtgeher da sprach. Diese neue Sprache stieg aus den tiefsten Tiefen des menschlichen Halses hervor, verschiedenartige Vokale verschmolzen ineinander und die sie sonst trennenden Konsonanten wurden von mahlenden Zähnen zu einem Brei weichgekaut. Archibald war entsetzt. Hatte Ernst Albert jemals so mit Eva Pelagia gesprochen? Nein, symbadisch klang das nicht in den Ohren des Bären.

Ernst Albert beendete das Gespräch. Seltsam, sobald er mit alten Freunden sprach, verfiel er nach kürzester Zeit in den Dialekt seiner Jugend. Der ersten Heimat entflieh man wohl nie. Er mußte lachen, als er das überraschte Gesicht seines Bären sah. „Tja, mein Lieber, daran mußt Du Dich die nächsten Wochen gewöhnen. Das geht noch weitaus schlimmer.“ Und würde Archibald seinen Reiseleiter nicht über alles lieben und verehren, er wäre nach dem Satz, der ihm dann lachend serviert wurde, aus dem fahrenden Zug gesprungen und zu Fuß zurück nach Mittelhessen. So lautete jener Satz: „Schell Dü it an seller Schelle, selli Schelle schellet it, schellescht  Dü an seller Schelle, selli Schelle schellt.“ Der Vorhang zu und alle Fragen offen.

Thema: Im Heckerland | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth