Beitrags-Archiv für die Kategory 'Kieloben'

SOMETHING IS HAPPENING AND ARCHIBALD MAHLER KNOWS WHAT IT IS

Samstag, 6. November 2010 11:21

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Es ging blitzschnell und das, was geschah, war von beeindruckender Kraft. Ungebremst fegte der Sturm über das große Wasser. Gottlob ein auflandiger Wind, sonst hätten die ungekannten Kräfte Archibald gepackt und auf die offene See hinaus geblasen. Mit aller Bärenkraft hielt er sich an dem alten Baumstamm fest, den die Aufrechtgeher der Küste vor langer, langer Zeit ins Wasser gerammt hatten, um daran ihre Boote und Schiffe festzumachen. Einen Wind von solcher Wucht kannte er nicht. Sicher, auch in Mittelhessen entwurzelt gelegentlich der entfesselte Atem des Aiolos einen Baum oder zwei. Aber hier oben kommt der Sturm unvermittelt und mächtig. Kein Grollen, kein Rauschen von Blättern, kein Klappern von Dachziegeln oder Antennen kündigt ihn an. Plötzlich ist er da und dann heißt es sich festhalten oder, wie Archibald Mahler, Bär im Wind, dies tat, indem er seine Tatzen fest in einen Riß in den Baumstamm, auf den er geklettert war, klemmte. Ein bißchen mulmig war ihm schon, aber das mußte man gesehen und gespürt haben, wie die Himmelsmächte an einem herumreißen und -zerren. Und diese Finsternis am Horizont, durchschossen von den Fingern des Belenus, dem Gott des Lichtes und der Heilung. Grandios! Ein Schauspiel ganz nach des Bären Geschmack.

Aber der Sturm sandte auch eine Botschaft, eine erste Botschaft des kalten Knaben Iwan Heribert Wintersen, der ungeduldig darauf wartete den werten Freiherr Gottfried von Herbst zu beerben. Archibald drehte sich um und siehe da, wo gestern noch buntes Blatt die Bäume im milden Lichte glitzern ließ, nur noch kahles Astwerk. Es war höchste Zeit, einen warmen und sicheren Platz aufzusuchen. Und davor vielleicht noch etwas zu sich zu nehmen.

War dort hinten am Strand von Strande nicht ein Lokal gewesen? Ein Fischlokal? Rochen die Mülltonnen an der verborgenen Rückseite des Hauses nicht verlockend nach Fischresten? Er machte sich auf den Weg. Lecker und nahrhaft! Und dann erblickte er ihn, den perfekten Ort, den Winterschlafthron, dieses Ding. Blau – weiß gestreift, überdacht, kuschelig, sicher! „Ein bißchen Schutz ist immer gut!“ Und Archibald saß erst mal Probe.

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EIN TANZ MIT DEM VERGEHENDEN JAHR

Donnerstag, 4. November 2010 13:17

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Hatte ihn wer gerufen? Der Bär stand auf, rutschte von seinem Felsen herab. Da, von dort vorne hatte jemand seinen Namen gerufen. Er ging den Strand entlang. Und was er nun erblickte, gefiel ihm sehr. „Magisch!“ Das dachte er. Nun vernahm er die Stimme ganz deutlich und nah. Sie sprach: „Moin, moin!“ Und: „Schön, daß Du zu meiner kleinen Geburtstagfeier gekommen bist!“ Archibald blickte um sich. Niemand zu sehen. Zumindest kein Aufrechtgeher, dem man diese Stimme zuordnen könnte. Lediglich ein ganze Reihe kleiner Steinmännlein. Von wegen lediglich. „Das ist bestimmt der geheime Garten eines Zauberers. Und die Steinmännlein sind seine Zauberlehrlinge und die haben Blödsinn gemacht und dann hat der Zauberer sie zur Strafe versteinert.“ Und dann hörte er Musik. Und die Stimme sprach: „Zwar habe ich heute Geburtstag, aber Du, weil Du von so weit hergekommen bist, Du darfst Dir heute etwas wünschen.“ „Darf ich kurz nachdenken, Herr Unbekannt?“

Und Archibald hatte sich gewünscht zu diesem Lied tanzen zu dürfen und der Herr Unbekannt möge doch, so lange dieses schöne Lied läuft, die versteinerten Zauberlehrlinge lebendig machen, auf daß sie mittanzten und er nicht so alleine wäre. Und Archibald Mahler begann sich im Kreis zu drehen wie ein alter Derwisch und Sufimeister und die Steinmännchen drehten sich mit ihm. Und sie fragten den Bären, was er dieses Jahr denn so alles erlebt habe. Und der Bär dachte nach und schon begann das ganze vergangene Weltschaujahr mitzutanzen, mit ihm und um ihn herum. Und es war ein großes Hallo und Grüß Gott und Ach gucke mal und der Bär staunte, was dieses Jahr, das auf einer mittelhessischen Fensterbank begonnen hatte und sich nun im Garten eines Magiers am Strand von Strande seinem Ende zu neigte, so alles mit sich geführt hatte. Da war er an der Lahn gesessen und hat von Meister Basho das genaue  Hinschauen gelernt. Da hat er Tage in einer Höhle im Wald zugebracht und eine Thunfischdose nicht aufbekommen. Da hat der den magischen Robert Zimmermann tanzen und singen gesehen. Da hat er mit seinem Kumpan, dem ehrenwerten Herrn von Lippstadt – Budnikowski, die Bretter, die die Welt bedeuten erobert und sich auf der anderen Seite der Straße, in Ernst Alberts Musentempel, in die Frau mit dem Rollator verliebt. Da hat er gedacht, bis das Bärenhirn qualmte und manchmal auch was rausgefunden. Da hat er unten im Heckerland zweimal Geburtstag gefeiert, erst mit Eva Pelagia und dann mit Ernst Albert und das Paradekissen wurde auch besessen. Da ist er auf den Spuren des Geheimrats in Ernst Albert Vergangenheit eingetaucht. Da saß er auf der Motorhaube seines geliebten Simca und hat so einiges an Zweibeinerdummheit kennenlernen dürfen. Da hat er sich aufgeregt, über die Dummheit und die Aufrechtgeher. Da hat er mit dem Lütten Stan die Großen Pöhlerei Festspiele besprochen. Da hat er rausgefunden, wer er eigentlich ist und sich seinen Namen zugelegt. Da hat er das Buchstabenriechen erlernt und neue Welten kennengelernt. Und jetzt ist er hier.

Dann war das Lied verklungen. Die Steinmännchen blickten hinaus auf Meer. Von dort näherte sich eine gewaltige Finsternis. „Au Backe und Potzrembel die Waldfee! Höchste Zeit aber auch!“

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ARCHIBALD SCHAUT AUF SEINEN RÜCKEN

Donnerstag, 4. November 2010 11:55

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Das war ihm zuerst gar nicht aufgefallen. Die Faszination überwog. Soviel Wasser. Kilometer, Meilen, Seemeilen schauen und schauen. Und er ganz alleine am Strand von Strande. Kein Teich, kein Tümpel, kein träge dahinkriechendes Flüßlein, kein Vergleich. Nichts gegen Mittelhessen, aber das hier ermöglichte eine gediegene Wassermeditation auf einem ganz anderen Level. Dann schaute Archibald Mahler, Strandbär, etwas genauer hin. Und sieh einer an: das Wasser war rund. Seltsam! Die Teiche und Tümpel und Fließgewässer da unten in Mittelhessen sind alle gerade. Also die Linie am Horizont, wobei sie da gar nicht hinreichen, bis an den Horizont. Nein, genauer, die Oberfläche, die ist gerade. Normalerweise und in Mittelhessen. Muß ja auch sein, sonst läuft der Tümpel aus, auf die Wiese oder in die Straßen der Stadt. Und das wäre doof. Aber hier, hier oben im Norden, hier ist das Meer rund. Also der Horizont, der hier nur noch aus Wasser besteht, ist gekrümmt und das kann man ganz genau sehen, wenn das Bärenauge von rechts nach links und wieder zurück schweift. Das Wasser ist rund.

Und er sah noch etwas. Wenn sich ganz weit draußen ein Schiff näherte, sah man zuerst den Rauch, dann einen Schornstein, dann die Brücke des Kapitän und ganz zum Schluß Bug und Rumpf und also den ganzen Pott. Es sah aus, als gäbe es ganz dort hinten, wo das Wasser aufhört, eine Art Aufzug, der die Schiffe aus einer Unterwassertiefgarage über den Horizont hebt und dann aufs Wasser setzt. Und dann nehmen sie Fahrt auf. Richtung Archibalds Strand. Und wenn die Schiffe von der Förde her kommen und Richtung offenes Meer fahren? Dann sind sie plötzlich weg. Also Stück für Stück. Und zuletzt der Rauch. Wie vom Himmel gefallen. Plumps!

Dies galt es genauer zu erforschen. Archibald erklomm den höchsten Stein, den der Strand zu bieten hatte. Großartig. Noch mehr Wasser. Noch mehr Blick. Gewaltige Meditationstiefe. Aber kein Ende abzusehen. Kein Ende des Wassers. Es bleibt weiter rund. Rechts, links und auch nach hinten hin. Nur vorne, das Ufer, an das die Wellen schlagen, das ist gerade. Zumindest von hier aus gesehen. Und so konzentrierte sich der Bär und schickte einen gewaltigen Blick hinaus auf das unendliche Wasser. Und der Blick sauste los. Und Archibald schaute hinterher und hinterher und hinterher. Und als es Abend ward, da erblickte Archibald seinen eigenen Rücken. Am Strand von Strande. Und so hatte er gelernt, daß die Erde rund ist. Und Caspar David Friedrich hätte ihn gerne gemalt, den Bären. Hier auf seinem Steine sitzend und Blicke sendend. Wenn er denn noch gelebt hätte.

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DIE BADEWANNE NAMENS FANTASIE (V)

Mittwoch, 3. November 2010 12:40

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Vor der Höhle am Fuße des Großen Pitcairn tobte der fürchterliche Kampf zweier Männer, zwei Männer, die sich um alle ihre vage Hoffnung betrogen sahen. In der Höhle war es kühl und düster. Von draußen drang das Geräusch berstender Knochen herein, fern, unwirklich. Archibald Hawkins starrte in die leere Schatztruhe, die Aufregungen und Mühen der Seereise, des zermürbenden Aufstiegs und die Enttäuschung hatten ihn müde gemacht. Seine Beziehung zur Welt ward komplette Gleichgültigkeit. „Sollen sie doch alle machen. Ich lege mich jetzt in diese Kiste. Basta.“ Gesagt und getan. Also lag er da mit bleischweren Gliedern und nicht minder schwerem Hirn und dachte noch, daß jetzt der Schatz, den er zu finden hoffte, er letztendlich wohl selber sein würde. Was da heißt: nur er selbst: Archibald Hawkins. Doch bevor er sich all zu sehr in den Labyrinthen der Philosophie verirrte, schlief er erstmal ein. Besser so!

Der nächste Tag näherte sich schon der Mittagsstunde, als Archibald Hawkins, der nun selbst sein eigener Schatz war, erwachte. Er kroch aus der Kiste mit brummendem Schädel und trat vor die Höhle. Unerträgliche Hitze und der süßliche Gestank frisch vergossenen Blutes schlugen ihm entgegen. Und da lagen Ahab Fletcher und Long John Larsen und über ihnen schwebten die weißen Raben. Um sie herum lag verstreut das was gestern noch das Skelett des Mick „The Gulliver“ Finn gewesen war. Die zwei Kampfhähne hatten sich im Laufe einer langen durchkämpften Nacht – Rumble in der Jungle! – mit den Knochen ihres alten Feind und Kameraden gegenseitig die Schädel eingeschlagen. Archibald Hawkins fühlte sich recht alleine. Er blickte in die Luft. Die riesigen weißen Raben starteten die ersten Scheinangriffe, denn ihre Tafel war reichlich gedeckt. Und Hawkins hatte seine Lektion in Sachen Pietät gelernt. Stein auf Stein häufte er auf die sterblichen Überreste seiner alten Weggefährten. Dann sprach er ein Gebet, in der Hoffnung, daß auch über die verderbteste Seele ein gütiges Wesen seine Hand halten möge. Und ging hinunter zum Strand. Schweren Schrittes und feuchten Auges.

Dort wo gestern noch die ‚Hispaniola’ drei Seeleute ausgebootet hatte, lag still und glitzernd die südliche See. Ein Schwarm fliegender Fische durchstieß die Wasseroberfläche und eine Haiflosse zog ruhig ihre Bahn. Und sonst: Leere! Vanitas! „Potzrembel und lüch ich denn, beim heiligen Klabautermann! Das riecht verdammt nach einsamer Insel.“ Und weil er viel zu erschöpft war, um sich jetzt großartig aufzuregen, fing er an darüber nachzudenken, welche drei Dinge er auf diese einsame Insel gerne mitgenommen hätte, wenn man ihn denn vorher gefragt hätte. Und bevor er eine vernünftige Antwort darauf fand, sah er am anderen Ende des Strandes einen fast nackten, dunkelhäutigen Mann. Seine aufgeregten Armbewegungen und Sprünge deutete Hawkins als die Bitte, sich nähern zu dürfen. Archibald spürte zwar wie der Angstschweiß ihm den Rücken hinunter lief, doch in seiner jetzigen Situation: Was sollte er tun? Er winkte den Schwarzen heran. Der stellte sich als ein Herr Mittwoch vor, weil ja heute Mittwoch war. Und er sagte dies zu Archibald:

„Archibald? Bald geht es wieder nach Hause. Ein paar Tage noch! Hast Du noch einen Wunsch!“ Ernst Albert hatte sich vorsichtig seinem kleinen Seebären genähert, der andächtig und fasziniert auf die Ostsee hinter Strande starrte. „Ach laß mich einfach ein paar Tage – Du hast ja viel zu tun – hier draußen am Meer. Da ist soviel Wasser zu gucken und vor dem Winterschlaf muß ich ja auch noch mein Hirn etwas leeren! OK?“ „Dein Wunsch sei mir Befehl! Bis die Tage und: das Wasser ist schon verdammt kalt! Aufpassen!“ Ernst Albert überreichte dem Bären noch seinen letzten Apfel und machte sich davon. Und Archibald Mahler, am Strand von Strande, war es wohl und er dachte, daß er die Geschichte von Archibald Hawkins und seinem treuen Diener Mittwoch auf noch erzählen müßte. Aber wohl erst nach dem Winterschlaf.

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DIE BADEWANNE NAMENS FANTASIE (IV)

Dienstag, 2. November 2010 12:53

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Archibald Hawkins saß an den Riemen und pullte das Beiboot der ‚Hispaniola’ mit kräftigen Zügen Richtung die Insel mit zwei Bergen. Mit im Boot saßen Ahab Fletcher und Long John Larsen und würdigten sich keines Blickes und das muß man erstmal hinkriegen auf knappen anderthalb Quadratmetern. Käptn Stevenson hatte das Triumvirat losgeschickt die Insel mit den zwei Bergen namens Kleiner Pitcairn und Großer Pitcairn zu erkunden, denn es bestand der hinreichende Verdacht, daß die Insel auf der Schatzkarte und die Insel, an dessen Strand drei verwahrloste Gestalten ein kleines Boot an den Strand zogen, ein und dieselbe war. Hinter dem Palmengürtel, der den schwarz funkelnden Strand aus Vulkanasche säumte, ging es steil bergan. Man vermutete die auf der Karte verzeichnete Höhle am Fuße des Großen Pitcairn, etwa 500 Höhenmeter über der ruhig dahindümpelnden Südsee. Es war heiß. Kein Lüftchen regte sich. Die Höhle ist dagegen eine Kühlkammer. Ein qualvoller Aufstieg.

Larson hatte es als Erster bemerkt, das Skelett, welches vor dem Eingang der Höhle lehnte und ein beschriebenes Stück Schiffsplanke um den Hals hängen hatte. Archibald Hawkins, der Einzige der schwitzenden Dreierbande, der lesen konnte, tat seine Pflicht! „High, Ihr Dumpfbacken. Schon mal was vom Panamakanal gehört? Ihr seid so blöd wie ein Stück Eselssalami. Hahaha! Herzlichst Euer Captain Keith ‚T for Teague’ Bligh“. Und dann sahen sie die zwei Ringe, die an der rechten Hand des Skelettes steckten. Auf dem einen war eingraviert:„SATIS“, auf dem anderen: „FACTION“. Und da wußten sie, daß es sich um die fein säuberlich abgenagten Reste des Mick „The Gulliver“ Finn handelte. Unergründliche Strömungen und wilde Winde hatten das Skelett vor den Bug der ‚Magic Bus’, den Viermaster des Captain Bligh, gespült. Und da ein ordentlicher Bösewicht sich solch einen Spaß nicht entgehen läßt, haben sie Finn, beziehungsweise was von ihm übrig war, vor die Schatzhöhle gesetzt. Und anschließend hundertausend altbritische Pfund in kleinen Münzen eingetütet und weggeschleppt.

Und dann brach ein fürchterlicher Streit los zwischen Larsen und Fletcher. Larsen warf den Steuermann vor, wer nicht mal „Seefahrt heute“ abonniert habe, sich dann aber als Steuermann engagieren lasse, obwohl er ein vollendeter Dumpfbeutel ist, weil er nicht mal weiß, daß letzten Monat der Panamakanal eröffnet wurde, gehöre den Haien zum Frühstück serviert. Und Fletcher antwortete, daß wenn der Herr Schiffskoch, der erstmal einen anständigen Labskaus in den Topf hauen soll, bevor er in Sachen Reiseplanung sein zahnloses Maul aufreißt, so oberschlau sei, dann hätte er, als man vor Recife lag, kurz mal ein Wort sagen können, und dann hätte man den Kurs auf Nordnordwest geändert und wäre eben mal, wahrscheinlich vor Bligh und seinem Sauhaufen, durch den neuen Kanal geschippert. Und ansonsten könne er sich sein Holzbein sonstwohin stecken. Ein Wort ergab das andere und bald flogen in beherzter Seemännermanier die Fäuste.

Archibald Hawkins hatte sich in die Höhle verdrückt. Er mochte keine Keilereien, kein Gebrülle, keine Skelette, es war heiß und außerdem, wenn man schon hier ist, sollte man auch mal schauen nach dem Schatz. Und so stand er vor einer alten wurmstichigen Holzkiste, der Deckel war hochgeklappt und Archibald blickte ins Nichts. „Bei allen Klabautermännern und Potzrembel das Holzbein! Das Ding ist ja leer. Leer wie der Bauch einer geenterten Barke.“

Ernst Albert und Archibald Mahler, der Seebär in Ausbildung, standen vor dem Fischmarkt in Wellingdorf. Und schauten kurz mal rein. Und die alte Backsteinhalle war riesig. Aber doch recht leer. In einer Ecke verkaufte man Würste und Fleischkonserven. Wo war das, was die Aufschrift an der Außenwand versprach? Wo waren die Fischberge? Und da sprach der Bär: „Bei allen Klabautermännern und Potzrembel das Holzbein! Das Ding ist ja leer. Leer wie der Bauch einer geenterten Barke.“ Und Ernst Albert wunderte sich, woher der Herr Bär die ganzen nautischen Ausdrücke hatte und er erzählte ihm, daß es in den Meeren in Sachen Fischen sehr oft genau so leer aussehe, weil die meisten Aufrechtgeher leider nicht in der Lage seien mit den ihnen anvertrauten Schätzen – in dem Fall den Fischen und anderem Meeresgetier – einigermaßen verantwortungsvoll umzugehen. Weil sie halt heute alles zu Geld machen müssen, und das Morgen geht ihnen am gierigen und dummen Pöter vorbei. Aber ein – nein, zwei – Fischbrötchen gab es dann doch noch. Auf dem kleinen Markt, hinter der großen Halle.

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DIE BADEWANNE NAMENS FANTASIE (III)

Montag, 1. November 2010 10:55

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Und dann schwebte er über das Wasser dahin. Zumindest kam das Archibald so vor. Die Luft war lau und milde, als habe Herr Lenz das Zepter wieder übernommen. Alle Lebenssäfte kochten und pulsierten in ihm und sein Bärenhirn arbeitete auf Hochtouren. Fünfzehn bis zwanzig Minuten sollte die Querung der Förde lediglich dauern, aber für den Anfang und gleich bei der ersten Bootsfahrt solche Bedingungen, da wollte der angehende Seebär nicht unnötig rummoppern. Und er dachte, wie er so auf das unter ihm durchrauschende Wasser schaute, daß, wenn man eine Geschichte begonnen hat zu erzählen, man sie vielleicht auf zu Ende oder zumindest weiter erzählen sollte. Wir schalten also zurück in die Badewanne der Fantasie:

Da stand er auf den Planken, die Augen verbunden, die Armen auf den Rücken gefesselt: der Kartendieb Mick „The Gulliver“ Finn. Archibald Hawkins beherzter Aufschrei hatte Long John Larsen unter Deck gerufen, und der alte Schiffskoch hatte den Dieb mit einem gezielten Tritt seines Holzbeins schachmatt gesetzt. Das Urteil der Crew war schnell gesprochen. Das sich unrechtmäßige Aneignen von Schatzkarten wird – und da darf der Delinquent wählen – mit Kielholen oder mit Wettschwimmen mit Haifischen belohnt. Finn wählte die zweite Variante. Warum? Larsen hatte einen Eimer Schafsblut über Bord gegossen und so die Raubfische angelockt. Haiflossen durchschnitten die Wasseroberfläche rund um die ‚Hispaniola’. „Los, spring endlich, Du Schweinepriester!“ „Ihr könnt mich alle mal!“ Und er sprang. Das Wasser schäumte. Plötzlich ein fürchterlicher Schrei und wie auf ein geheimes Kommando ließen die Haie von Finn ab und tauchten unter. Doch wo war Finn? Die See schwieg.

Man hatte festgestellt, daß die ‚Hispaniola’ nun keinen Steuermann mehr besaß. Ahab Flechter, ehemaliger Intimfeind von Larsen und eigentlich Maschinist auf einem der ersten Dampfer, die die Weltmeere kreuzten, hatte seinen letzten Job verloren, weil er im Vollrausch die beweglichen Teile der ihm anvertrauten Maschine mit Teer statt mit Öl bestrichen hatte. Eimer sehen ja alle gleich aus und schwarze Flüssigkeit? Naja! Also hatte er auf der `Hispaniola’ angeheuert. Als eine Art Mädchen für alles. Planken schrubben. Segel flicken. Nachtwache halten. Und dem ewig schlecht gelaunten Captain Leif Roald Stevenson, der sich fast nie an Deck zeigte, sein Rumglas regelmäßig nachzufüllen und ihm bei der Gelegenheit einen schlüpfrigen Witz zu erzählen. „Ahab, Du Mißgeburt!“ „Mein Kapitän?“ „Ab sofort bis Du mein Steuermann. Abtreten, Du versoffene Blindschleiche!“ „Aye, aye, Käptn!“

Es gibt ja Naturtalente, Aufrechtgeher oder andere Wesen, die eine noch nie getätigte Aufgabe übernehmen müssen und plötzlich und unerwartet auf völlig ungewohntem Gebiet Großes leisten. Ahab Flechter war ein solches Talent. Selbstredend war der Inhalt der Schatzkarte des kleinen Archibald Hawkins inzwischen Thema Numero Eins bei der gesamten verlotterten Crew der ‚Hispaniola’. Tag und auch des Nachts lagen die gierigen und glasigen Augen von Käptn Stevenson auf dem bemalten Stück Bärenhaut, welcher er in seinen Gewahrsam genommen hatte. Angeblich um weitere Streitereien an Bord zu verhindern. Wer es glaubt. Denn Stevenson wußte ganz genau, warum er Fletcher zum Steuermann gemacht hatte. Und hast Du nicht gesehen lagen Kap Hoorn und die röhrenden Fünfziger hinter ihnen, ein einziges Rahsegel hatte der fürchterliche Sturm zerfetzt und sie steuerten gen Norden, Richtung Südsee. Hawkins saß oben im Krähennest. Und dies eigentlich seit Wochen. Er hatte noch keinen Kürbis an die Rübe gekriegt, einmal hatte ein riesiger Albatroß ihm auf den Schädel gekackt, aber ansonsten blickte er unermüdlich und voller Freude auf das große unendliche Wasser und wartete, wartete darauf rufen zu dürfen: „Land in Sicht.“ Und siehe da, quatsch, höre da. Hawkins rief so laut er konnte.

Archibald hatte aufgepaßt. Wellingdorf näherte sich. „Land in Sicht! Ernst Albert! Land in Sicht!“„Richtig, Archibald. Da vorne müssen wir aussteigen. Da am Ende der Schwentine.“ Ein paar Schritte gegangen und da stand er: der Tempel.

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DIE BADEWANNE NAMENS FANTASIE (II)

Freitag, 29. Oktober 2010 19:48

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Das erlebte Archibald Mahler, als er die Badewanne seiner Fantasie durchsegelte:

Jack London war ein Trinker. London war aber nicht nur Trinker, er war auch der Neffe des berüchtigten Captain Keith „T for Teague“ Bligh, dem unumschränkten Herrscher über alles, was im Hafen von Portsmouth ein – oder auslief.

Archibald Hawkins war kein Trinker. Archibald Hawkins, Schiffsjunge in spe, hatte unlängst auf der „Hispaniola“ für seine erste Fahrt angeheuert. Heute abend saß er im „Goldenen Haifisch“ in Begleitung seines zukünftigen Lehrherrn, dem einbeinigen Schiffskoch Long John Larsen. Man feierte den Abschied von der Heimat und Klein – Hawkins kam nicht umhin sich seinen ersten doppelten Gin zur Brust nehmen zu müssen. „Auf alle Heiligen Klabautermänner und die Hintern, die uns auf der anderen Seite des Ozeans erwarten. Und leert die Fässer, bevor sie vergammeldansken!“, rief Mick „The Gulliver“ Finn, der Steuermann, in die verräucherte Taverne hinein, nahm den zukünftigen Schiffsjunge in den Schwitzkasten und unter dem brüllenden Gelächter der versammelten Crew flößte er ihm einen zweiten Gin ein, diesmal einen vierfachen. Die Welt drehte sich so schnell wie nie zu vor.

Archibald Hawkins stand vor der Türe des „Goldenen Haifisch“, die neblige Novemberluft nahm ihm den Atem, zwischen seinen Schenkeln und in der Tiefe seines Magen drängte so manches nach außen und auf der anderen Seite der schmalen Straße wankten die Hafenmole, ein paar Poller, ein Lagerschuppen, eine dunkle Ecke, alle Erleichterung verheißend. Von rechts raste umgebremst heran der Zweispänner des volltrunkenen Jack London. Er hatte die Kontrolle über seine überhitzten Schindmähren verloren. Das rechte Bein des Archibald Hawkins, welches gerade den Straßenrand betreten hatte, kollidierte mit dem schlingernden Gefährt, trennte sich auf Grund des Aufpralls vom Leib des armen Schiffsjungen in spe und blieb auf der anderen Seite der Hafenpromenade neben einem Poller liegen. Vor der Türe des „Goldenen Haifisch“ lag der restliche Archibald. In seiner rechten Pfote hielt er, heldenhaft umkrampft, ein bemaltes Stück Bärenhaut, welches im Moment des unglücklichen Zusammenstoßes aus den Händen des Trunkenbolds Jack London durch die neblige Luft direkt in die Arme des unschuldigen Unfallopfers geflogen war. Die zwei Schindmähren und ihre Fracht lagen aber im Hafenbecken. Dies war die Stunde von Orca, dem Killerwal. Irgendwo in weiter Ferne lachte Käptn Ahab.

Long John Larsen war Schiffskoch, doch einstens war er Schiffsarzt gewesen. Allerdings hatte er, nachdem ihm bei einer ordentlichen Kneipenschlägerei der jähzornige Maschinist Sir Francis “Freitag” Fletcher ein rostiges Messer in den Oberschenkel gerammt hatte, versucht sein eigenes Bein zu amputieren. Was ihm auch gelang. Aber ein einbeiniger Schiffsarzt? Wenn es so richtig stürmt? Den Kartoffeln macht das nichts, wenn das Messer mal wegen mangelnder Standfestigkeit woanders hinschneidet als geplant. So wurde Long John Larsen, weil er von der See nicht lassen konnte, Schiffskoch. Und nun saß er im nebligen Hafen von Portsmouth auf einem Poller und nähte einem kleinen Bären, der sich in den Kopf gesetzt hatte, Schiffsjunge zu werden, sein abbes Bein an. Manchmal gibt einem das Leben die Chance etwas wiedergutzumachen. „Komm, mein Junge! Schnell an Bord! Dort im Hafenbecken treiben die abgenagten Knochen des Neffen Jack! Die Rache des Captain Bligh wird fürchterlich sein! Nichts wie weg! Leinen los!“ In weiter Ferne wünschte Columbus Glück.

Sieben lange Tage war man nun schon auf See. Madeira. Kapverden. Recife. Das Bein hielt. Man nannte ihn den Hinkebär. Das war ihm egal. Und ihm war auch nicht mehr jeden Morgen schlecht vom Auf und Ab der Wellen. Archibald Hawkins lernte die Freuden eines Lebens als Schiffsjunge kennen. Wanten hoch und Stagen runter. Rahsegel gerefft. Rahsegel geborgen. Deck geschrubbt. Nacht bewacht. Kartoffeln geschält und dann mit bloßer Hand zu Kartoffelpüree verarbeitet. Telefonbücher zerrissen. Feuerchen damit gemacht. Rauf ins Krähennest, Ausguck gehalten. Warten bis man einen Kürbis an die Rübe kriegt, dann runterklettern, Kürbis kleinhacken, Suppe mit machen, Kartoffelpüree dazu servieren. Zwei Stunden Schlaf. Klock zwei: Wanten wieder hoch. In der Ferne nur Ferne.

In Archibalds Koje, unter Gideons Bibel, die er als Kopfkissen benutzte, lag fein säuberlich gefaltet das Stück Bärenhaut, welches ihm Long John Larsen nach der Anoperation aus der Pfote klamüsert hatte. Das Stück Haut vor von oben bis unten bemalt mit Pfeilen, Wegen, Abkürzungen, angedeuteten Bergen, Flüssen, Wäldern und allerlei Heimlichkeiten. Was das alles bedeutete? Archibald war es gleich. Die Erinnerung daran überlebt zu haben: dies reichte ihm.

Ein fürchterlicher Sturm erwischte sie etwa drei Kilometer hinter dem Bermudadreieck. „Alle Mann an Bord.“ Alle? Mick „The Gulliver“ Finn stand vor des Schiffsjungen Koje. Er hielt die lang ersehnte Schatzkarte in seinen klebrigen Händen. (to be continued…perhaps)

Ernst Albert hatte Archibald alleine denken lassen. Er war etwas am Ufer hin und her geschritten und hatte sich Worte für die kommende Musentempelarbeit im Heckerland ins Hirn geklebt. Er war etwas überrascht, als er bei seiner Rückkehr den Bären in den Wanten eines kleinen Einmasters hängen sah. Der Bär war fürchterlich aufgeregt. „Die gehört mir! Verdammt noch mal. Das ist meine Schatzkarte.“ Das rief er immer wieder. „Hey Seebär in spe, mach mal langsam. Das Nordlicht hat es nicht so mit emotionalen Ausbrüchen in der Öffentlichkeit! Ich hab hier noch zu tun!“ Ernst Albert holte ihn zurück an Land. Der Bär kam zu sich. „Ich glaube, jetzt kann ich auch auf einem richtigen Schiff fahren!“ „Na dann man tau, Maat Mahler!“

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DIE BADEWANNE NAMENS FANTASIE (I)

Freitag, 29. Oktober 2010 16:02

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Die Suche nach dem ersten Schritt benötigte einige Schritte mehr, immer am linken Rand der Förde entlang, stadtauswärts. Und da lag es. Festgezurrt, vertaut an einem Baum, den die Aufrechtgeher ins Wasser gehauen hatten: ein Haus, das auf dem Wasser lag. Aber kein solches Stahlmonstrum wie die tutenden Häuser von gestern. Dieses Haus war aus Holz. Es hatte keine Ecken, keine Kanten. Es war ein mildes und friedliches Schwimmhaus. Und es hieß “Hispaniola”. Und diese Farben! Oben – ein Seebär würde sagen: die Planken – war es wunderbar grün angemalt wie eine Wiese. Unten – der Seebär spricht hier vom Schiffsrumpf – war es rot angestrichen wie sein alter Freund SIMCA. Und in der Mitte des kleinen schwimmenden Holzhauses stand ein hoher Baum und an diesem Baum hingen unzählige miteinander verknotete und verwobene Taue und Seile. Ein undurchschaubarer Wirrwarr, der im heute recht warmen Wind vor sich hin klickerte und klackerte. Und das gefiel Archibald sehr. Und wo er gestern so gar nicht begreifen konnte, daß ein gigantischer Haufen Stahl nicht auf der Stelle versinkt und sein restliches Dasein auf dem Meeresgrund fristen muß, dachte er daß – So kann man das sagen! – Holz schwimmen kann. Nicht so gewandt wie ein Bär – wenn er will – aber immerhin. Aber wo ist jetzt hier der erste Schritt?

„Sieht so der erste Schritt aus?“ „Denke ja, Käptn Mahler!“ „Warum?“ Und Ernst Albert erzählte. Davon daß er als Junge lange bevor er das erste Mal mit einem richtigen Schiffe auf einem richtigen Meer fuhr, alle Meere dieser Welt hundert- und tausendmal durchquert und durchsegelt hatte. Und davon daß er dabei immer fachkundige Begleitung gehabt habe. Und die fachkundige Begleitung habe Jack London und Magellan und Vasco da Gama und Gulliver und James Cook und Huck Finn und Captain Ahab und Wolf Larsen und Humphrey von Weyden und Sven Hedin und Alexander von Humboldt und Robinson Crusoe und Daniel Dafoe und Captain Bligh und Fletcher Christian und Leif Erickson und Sir Francis Drake und Amerigo Vespucci und Roald Amundsen und Vitus Bering und Thor Heyerdahl und Friedrich Gerstäcker geheißen. „Und Käptn Teague!“ „Nein, Archibald, den gab es damals noch nicht! Aber Du hast recht: The trick is: It’s in yourself!“ Und so wollte Archibald Mahler, angehender Weltenumsegler wissen, wie und wo Herr Ernst Albert so rumgesegelt sei. Und der sagte: „In der Badewanne der Fantasie!“

„Und was findet man, da drüben, auf der anderen Seite der Badewanne?“ Das fragte der Bär, nachdem er eine ganze Weile nachgedacht hatte. „Tempel, versunkene Inseln, verwunschene Städte, Flüße ohne Wiederkehr, Tahiti, Pitcairn, El Dorado, Shangri La, die Reeperbahn, Portsmouth, den Hafen von Amsterdam und Schätze!“ Da wollte der Bär wissen, was für Schätze, und wie man die findet, und ob man die behalten könne, und ob man dann reich sei und alles gut ist und überhaupt. Und Ernst Albert sagte nur: „Mal so, mal so! Und wer den Schatz für sich allein beansprucht, der stirbt meistens, bevor Du das Buch zugeschlagen hast!“ Und Ernst Albert erzählte nun dem Bären  – natürlich eine Kurzfassung – die alte Geschichte von Captain Flints Schatz, von Jim Hawkins und Long John Silver, von Israel Hands, dem Blinden Pew, von der seltsamen Begegnung mit Ben Gunn, dem wegweisenden Skelett und wie das alles enden kann. Und Archibald summten die gespannten Ohren vor Freude und er lichtete den Anker, setzte Segel und nahm Fahrt auf. Da draußen, auf der Badewanne Fantasie. “Siebzehn Mann auf des Toten Mannes Kiste, hohohoooooo und die Buttel voll Rum.”

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DER SOHN DES ZIMMERMANNS WAR SEEMANN UND LIEF ÜBERS WASSER

Donnerstag, 28. Oktober 2010 13:10

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Das Laufen über das Wasser. Davon hatte Archibald schon in der Höhle von Ernst Albert und der heute sehr vermißten Eva Pelagia gehört. Das kannte er aus einem Lied des alten Mannes mit der so tiefen Stimme, daß es Archibald immer das Fell vibrieren ließ vor tiefer Freude, wenn der sang. Und in diesem Lied wird darüber berichtet daß „der Sohn des Zimmermanns Seemann war, als er übers Wasser lief und sehr lange Zeit zugebracht hat von seinem einsamen hölzernen Turm Welt zu schauen und als er sich sicher war, daß nur ertrinkende Männer ihn wirklich wahrnehmen können, soll er gesagt haben, daß alle Männer Seeleute sein werden, bis die See sie wieder hergäbe und befreie.“ Und jetzt fragen Sie nicht, woher ein Bär des Englischen so mächtig ist, daß er einen Cohensong simultan übersetzen kann. Er kann das. Just dig it! Und wenn er sich ein bißchen konzentrieren würde – aber dazu hat er wenige Tage vor dem Winterschlaf überhaupt keine Lust – könnte er das Lied sogar auf Spanisch singen. Si claro!

Gut, ein Aufrechtgeher mag aus pädagogischen und sinnstiftenden Gründen gerne mal übers Wasser laufen, das mag ja wohl angehen, aber daß tutende Häuser, tutende Häuser, die größer sind als die meisten nichttutenden Häuser, die Archibald kannte, und dann auch noch die weißen Raben magisch anzogen, daß diese tutenden Häuser übers Wasser laufen und gleiten können, wo die doch so riesig sind. „Ja glaub ich das wohl! Potzrembel und heiliger Klabautermann!“ Und – jetzt war der Bär vollkommen geplättet – ihren riesigen Bauch auch noch mit hunderten von stinkenden Blechmilben und bestimmt tausend und mehr Aufrechtgehern füllten samt deren dicken und rollenden Reisekartons. Und dann immer noch nicht untergingen und fröhlich und gelassen auf dem Wasser vor sich hinschaukelten. Sachen gibt das. Der Bär war fasziniert. Und er roch die Ferne. Und er roch die Heimat seiner Urväter, dort auf der anderen Seite des vielen Wassers. Nordwyoming und Kamschatka, die Kodiakinseln und die dichten Wälder rechts hinter Fairbanks. „Nehmt mich mit!“ Aber da kam dann schon wieder so ein Kerl mit orange – gestreifter Weste und guckte nordisch indifferent. Ist das jetzt unfreundlich oder schon Euphorie?

Aber dann wurde es Käptn Archibald Mahler doch etwas mulmig bei der Vorstellung, er wäre Passagier – und höchstwahrscheinlich ein blinder – auf so einem monströsen Pott. Da wäre dann doch zuviel Gewusel und Aufrechtgehergezappel. “Nee, lass mal stecken hier!” Die Tatsache, daß Archibald Mahler, eher Wasserbeschauer als Wasserbegeher, bisher nur an diversen Ufern gesessen war, mal ganz außen vor gelassen. Und so packte Herrn Albert, der aus gänzlich anderen und dienstlichen Gründen seit Tagen ein Lied des Herrn Cohen vor sich her summte, seinen kleinen Genossen und sprach die pädagogisch wertvollen Worte: „Auch eine Weltumseglung fängt in der Badewanne an!“ Das verstand Archibald nicht wirklich, aber er machte sich mit seinem Chef zusammen auf die Suche nach dem ersten Schritt. Und rief einfach erst mal: „Ahoi!“ Kann ja nicht schaden. Hier oben.

Thema: Kieloben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

FISCHBRÖTCHEN UND TUTENDE HÄUSER

Mittwoch, 27. Oktober 2010 22:12

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Und dann regnet das und der Wind bläst von vorne und ein gnadenloses Grau frißt alle Farben auf und weil das so ist, ist das so und dann ist das auch gut so! Man ist ja nicht aus Z.U.C.K.E.R.! Auch wenn der Pöter trieft und das Fell sich anfühlt wie ein nasses Badehandtuch. Wie sagen die Aufrechtgeher im Norden? „Schietwetter!“ Das sagen sie dann. Ein netter Wesenszug ist das wohl, wenn das Unvermeidliche mit einem schönen Namen garniert wird. Aber Archibald ging es gut. Sehr gut sogar. Ernst Albert hatte sein Versprechen gehalten. Heute und nicht morgen und schon gar nicht – nach guter alter Aufrechtgeherart! – erst übermorgen oder gar nicht. Da kann das auch mal abnieseln bis zum Fellerweichen. Der Bär atmete tief ein, was da zwischen seinen Schenkeln auf den Verzehr harrte und sprach: „Ladies and Gentleman! Would you please welcome: My first FISCHBRÖTCHEN!“ Der Rest ißt Schweigen!

Und dann sprach Archibald mit sich selbst und also mit der Welt. „Was man auf so ein Fischbrötchen alles drauflegen kann. Ich konzentriere mich jetzt mal. Und das kann man da alles drauflegen. Doppelpunkt.“ Und Archibald Mahler konzentrierte sich. Und zählte auf, was man da so drauflegen kann. Doppelpunkt. „Also zum Beispiel: Makrele, Forelle, Butterfisch, Bücklingsfilet, Makrelenfilet, Räucheraal. Den aber erst ab Donnerstag. Heute aber schon Stremellachs, Heilbutt, Fleckmakrele. Immer im Angebot sind Bismarckhering, Matjeshering, Kräuterhering, Brathering und Sherryhering. Sonst noch und manchmal auch nicht hätte man Bückling, Fischfrikadelle, Krabben und Seelachsschnitzel. Au Backe! Ernst Albert?“ „Yes, Bär?“ „Wir dürfen hier erst wech, wenn wir alle Fischbrötchen einmal probiert haben! Iss das gebongt?“ „Geht klar, Käptn Schlaubär!“ Archibald wollte sich noch mehr konzentrieren, falls dies zwei Wochen vor Antritt des Winterschlafes überhaupt geht und nachdenken, was man sonst noch alles auf ein Fischbrötchen draufpacken kann. Da waren aber die weißen Raben vor.

Sind das vielleicht Nervbrocken? Da wendet man mal das Bärenauge kurz hinwech vom Mahl der Wahl – Brathering war es im übrigen! – und schon schielt das Möwenauge rüber und die Meute startet flatternd und kreischend einen Scheinangriff. Nun gut, ab und zu wedelt der ehrenwerte Herr Ernst Albert mit dem langen Arme und sorgt für Ruhe, aber die fettesten dieser weißen Raben wiegen sicherlich zweimal soviel wie Archibald Mahler inklusive sein schon so gut wie verzehrtes Bratheringsbrötchen und da darf man schon mal nervös werden. „Kann man hier bitte mal in aller Bärenruhe fressen und verdauen? Potzrembel und die Waldfee aber auch bitte schön! Geht doch selber fischen, ihr Luftguidos!“ Doch Rettung naht. Ein Geräusch. Ein Ton, ein Dröhnen, welches die ganze Stadt durchbebt, tief, vibrierend, vom Wasser her kommend. Und dann dreht Archibald sich um. Ein Haus! Ein riesiges blauweißes Haus. Mit runden Fenstern. Ein Haus, das tuten kann. Und noch viel mehr kann dieses Haus. Sogar die weißen Raben suchen das Weite. Und dann fliegen sie dem riesigen Haus mit der Tute hinterher. Richtung mehr. „Ja lüch ich denn?“ Das fragte sich der Bär. Und noch Meer.

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