Mit gebührendem Abstand betrachtet / Vier
Donnerstag, 23. April 2020 17:46
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Individualität? Das kann doch weg, oder?
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Da gab es diesen Anruf gestern. Wegen vorgestern und den Äußerungen über Abstand und Abstandswerkzeuge und Einhaltung von Regeln vor der Haustür. Nein, nicht ein Ordnungsamt hat sich gemeldet oder anders Behördliches, nee, ganz im Gegenteil: empörte Individualität. Das seien doch auf dem Foto eindeutig mehr als als vierzig Zentimeter, ob das Bedeutung habe in Zeiten ungebremster Einschränkung der Freiheitsrechte der Individualität, ob man mit seinen demonstrativen einmetersechzig (vierfacher Wert! Vierfach!!) irgendwie sein Guthasentum raushängen lassen wolle, warum man auch noch die Mutter der Nation wohlwollend zitiere in Sachen Orgien der Ungeduld und überhaupt als kritischer Bärengeist, man sei enttäuscht und stehe kurz vor einem rechtlichen Schritt! Wie meinen? Absurd? Keineswegs, selbst von den Leserbriefseiten eher gescheiter Printmedien springen einem immer öfters heftig beleidigte Egos entgegen ob des erlittenen Kontrollverlusts. Wie auch immer, bevor die Vorbemerkung den restlichen Text überflutet, zurück zu Mahler und Budnikowski, die daraufhin beschlossen hatten auf die geplante Spezifizierung der Bezeichnung „Aufrechtgeher“ zu verzichten. Ein Aufrechtgeher ist ein Aufrechtgeher ist ein Aufrechtgeher und man blickt von außen auf deren die Tage verwirrend verwirrte Welt. Also … ähem … bereit … also wir könnten dann … Dings. Sie wissen schon!
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„Mit gebührendem Abstand betrachtet, teurer Mahler, die Individualität, das kann doch weg. Brauchen wir das noch? Was wäre Ihre Meinung?“
„Da liegen Sie im Prinzip vollkommen richtig, Freund Budnikowski, wobei ich über Einwände als Bär und Solitär natürlich qua Amt noch nachzusinnen habe. Man ist ja in dieser Causa recht unerfahren. Also das Ich kann weg. Oder?“
„Ich sach mal so, wenn so ein Ich ständig rumfordern tut, beleidigt lärmt bei noch vollem Kühlschrank und vor allem das mit der Selbstopterminierung, oder wie das heißt. Als ob die Aufrechtgeher keine biologische Wesen sind.“
„Sag ich doch: Atmen, Fressen, Pupsen und Verdauen. Die zeitweise Rückkehr zur Natur ist schmerzhaft, Freund Lampe. Und dann auch noch Geduld, wo die Supermarktregale im Winter voller Erdbeeren sind. Es ist immer die eigene lange Nase, an der die Erwartungshaltungen hängen. Muß man manchmal hinlangen!“
„Sieht man die Erwartungen an der Nase eigentlich, wenn man in den Spiegel guckt, Meister Mahler!“
„Seltsamerweise nicht, also die meisten!“
„Komisch, sollte man vielleicht so Spiegel erfinden, die das auch zeigen! Also was so an der Nase klebt.“
„Ich befürchte bei den Aufrechtgehers – also denen die es sich leisten können – kursieren meist Spiegel, die sagen: Noch bist Du nüscht genügend ichig, aber wenn du jetzt ganz viel Selbstoptimistierung machst, bis die Aufrechtgehers neben dir schlechter aussehen, dann ist es gut.“
„Ich glaube, daß meine ich mit der Individualität. Und das kann doch weg, wenn man vernünftig werden möchte. Oder?“
„Das wird wehtun, so manchem. Aber allein mir fehlt der Glaube. So eine Pandemie ist eben nicht der große Gleichmacher, sondern ein Raumteiler, ein fieser. Noch!“
„Mahler, der war gut!“
„Ja, ja, man muß gelegentlich schlaubären. War aber entliehen von fremder Feder und dann variert!“
„Genehmigt. Viele Hirne, ein Hirn, wenn es weiterhilft!“
„Eben! Und sonst, Freund Budnikowski?“
„Seltsam finde ich, daß so viele Individualitäten vor allem nach der Freiheit rufen, sich in gräßlichen Massen aufzulösen zu dürfen. Pöhlerei. Schunkelorgien. Rauschkauf. Stoßstange an Stoßstange stehen. Handtuch an Handtuch die Haut verbrennen lassen. Eimer erst austrinken, dann voll … dingsen. Sie wissen!“
„Den Bärengöttern sei Dank, weiß ich es nicht. Offensichtlich findet dieses überzivilisierte Ich erst zu seiner Grandiosität in der Auflösung in der Masse. Was das Virus freut!“
„Mahler, Sie werden mir unheimlich!“
„Freund Budnikowski, mir ist unheimlich! Man sagt, daß Kriege und Seuchen das Gute im Aufrechtgeher verstärken, aber auch das Schlechte befördern!“
„Cogito, ego dumm! Haben Sie für heute eine gute Nachricht?“
„Wenn man heute Benzin kauft, kriegt man noch Benzin dazu geschenkt!“
„Herr Archibald Mahler!“
„Herr Kuno Budnikowski!“
„Ich danke für das Gespräch!“
„Der Dank liegt bei mir!“
„Da drüben liegen zwei Reifen!“
„Dann bleiben wir hier sitzen!“
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