Mit gebührendem Abstand betrachtet / Vier

Donnerstag, 23. April 2020 17:46

abstand04.1

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Individualität? Das kann doch weg, oder?

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Da gab es diesen Anruf gestern. Wegen vorgestern und den Äußerungen über Abstand und Abstandswerkzeuge und Einhaltung von Regeln vor der Haustür. Nein, nicht ein Ordnungsamt hat sich gemeldet oder anders Behördliches, nee, ganz im Gegenteil: empörte Individualität. Das seien doch auf dem Foto eindeutig mehr als als vierzig Zentimeter, ob das Bedeutung habe in Zeiten ungebremster Einschränkung der Freiheitsrechte der Individualität, ob man mit seinen demonstrativen einmetersechzig (vierfacher Wert! Vierfach!!) irgendwie sein Guthasentum raushängen lassen wolle, warum man auch noch die Mutter der Nation wohlwollend zitiere in Sachen Orgien der Ungeduld und überhaupt als kritischer Bärengeist, man sei enttäuscht und stehe kurz vor einem rechtlichen Schritt! Wie meinen? Absurd? Keineswegs, selbst von den Leserbriefseiten eher gescheiter Printmedien springen einem immer öfters heftig beleidigte Egos entgegen ob des erlittenen Kontrollverlusts. Wie auch immer, bevor die Vorbemerkung den restlichen Text überflutet, zurück zu Mahler und Budnikowski, die daraufhin beschlossen hatten auf die geplante Spezifizierung der Bezeichnung „Aufrechtgeher“ zu verzichten. Ein Aufrechtgeher ist ein Aufrechtgeher ist ein Aufrechtgeher und man blickt von außen auf deren die Tage verwirrend verwirrte Welt. Also … ähem … bereit … also wir könnten dann  … Dings. Sie wissen schon!

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„Mit gebührendem Abstand betrachtet, teurer Mahler, die Individualität, das kann doch weg. Brauchen wir das noch? Was wäre Ihre Meinung?“

„Da liegen Sie im Prinzip vollkommen richtig, Freund Budnikowski, wobei ich über Einwände als Bär und Solitär natürlich qua Amt noch nachzusinnen habe. Man ist ja in dieser Causa recht unerfahren. Also das Ich kann weg. Oder?“

„Ich sach mal so, wenn so ein Ich ständig rumfordern tut, beleidigt lärmt bei noch vollem Kühlschrank und vor allem das mit der Selbstopterminierung, oder wie das heißt. Als ob die Aufrechtgeher keine biologische Wesen sind.“

„Sag ich doch: Atmen, Fressen, Pupsen und Verdauen. Die zeitweise Rückkehr zur Natur ist schmerzhaft, Freund Lampe. Und dann auch noch Geduld, wo die Supermarktregale im Winter voller Erdbeeren sind. Es ist immer die eigene lange Nase, an der die Erwartungshaltungen hängen. Muß man manchmal hinlangen!“

„Sieht man die Erwartungen an der Nase eigentlich, wenn man in den Spiegel guckt, Meister Mahler!“

„Seltsamerweise nicht, also die meisten!“

„Komisch, sollte man vielleicht so Spiegel erfinden, die das auch zeigen! Also was so an der Nase klebt.“

„Ich befürchte bei den Aufrechtgehers – also denen die es sich leisten können – kursieren meist Spiegel, die sagen: Noch bist Du nüscht genügend ichig, aber wenn du jetzt ganz viel Selbstoptimistierung machst, bis die Aufrechtgehers neben dir schlechter aussehen, dann ist es gut.“

„Ich glaube, daß meine ich mit der Individualität. Und das kann doch weg, wenn man vernünftig werden möchte. Oder?“

„Das wird wehtun, so manchem. Aber allein mir fehlt der Glaube. So eine Pandemie ist eben nicht der große Gleichmacher, sondern ein Raumteiler, ein fieser. Noch!“

„Mahler, der war gut!“

„Ja, ja, man muß gelegentlich schlaubären. War aber entliehen von fremder Feder und dann variert!“

„Genehmigt. Viele Hirne, ein Hirn, wenn es weiterhilft!“

„Eben! Und sonst, Freund Budnikowski?“

„Seltsam finde ich, daß so viele Individualitäten vor allem nach der Freiheit rufen, sich in gräßlichen Massen aufzulösen zu dürfen. Pöhlerei. Schunkelorgien. Rauschkauf. Stoßstange an Stoßstange stehen. Handtuch an Handtuch die Haut verbrennen lassen. Eimer erst austrinken, dann voll … dingsen. Sie wissen!“

„Den Bärengöttern sei Dank, weiß ich es nicht. Offensichtlich findet dieses überzivilisierte Ich erst zu seiner Grandiosität in der Auflösung in der Masse. Was das Virus freut!“

„Mahler, Sie werden mir unheimlich!“

„Freund Budnikowski, mir ist unheimlich! Man sagt, daß Kriege und Seuchen das Gute im Aufrechtgeher verstärken, aber auch das Schlechte befördern!“

„Cogito, ego dumm! Haben Sie für heute eine gute Nachricht?“

„Wenn man heute Benzin kauft, kriegt man noch Benzin dazu geschenkt!“

„Herr Archibald Mahler!“

„Herr Kuno Budnikowski!“

„Ich danke für das Gespräch!“

„Der Dank liegt bei mir!“

„Da drüben liegen zwei Reifen!“

„Dann bleiben wir hier sitzen!“

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abstand04.2

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Mit gebührendem Abstand betrachtet / Drei

Dienstag, 21. April 2020 21:55

abstand03.1

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Normalität? Das kann doch weg, oder?

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Das mit dem Regelwerk wegen Sicherheit und Vermeidung ging flott. Aufrechtgehers zwei Meter geteilt durch die eigene Winzigkeit plus Solidäritätszuschlag und zwei Zentimeter freiwillige Einsicht. Macht vierzig Zentimeter, stets überprüfbar per mitgeschlepptem Überwachungswerkzeug. Sollte für Archibald Mahler und Kuno Budnikowski eigentlich reichen, da sie auch noch in einem gemeinsamen Haushalt leben. Freiwillige Zusatzverpflichtung wäre sich nicht gegenseitig ins Wort fallen und Vermeidung allzu feuchter Aussprache. Verstöße werden mit zehn Minuten Aufenthalt in der Fußgängerzone der Kleinen häßlichen Stadt in Mittelhessen sanktioniert. Müßte als Abschreckung ausreichen. Die Rahmenbedingungen für ein gesittetes, der Sache angemessenes Räsonieren waren also … ähem … bereit … also wir könnten dann … Dings. Sie wissen schon!

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„Mit gebührendem Abstand betrachtet, teurer Budnikowski, die Normalität, das kann weg. Brauchen wir das noch? Was wäre Ihre Meinung?“

„Da liegen Sie im Prinzip vollkommen richtig, Freund Mahler, wobei ich über Einwände noch nachsinne. Man ist ja in dieser Causa recht unerfahren. Also so vor sich hin und normal leben, kann weg. Oder?“

„Na ja, reden wir vom Atmen, Fressen, Pupsen und Verdauen, diese Normalität mag angehen, jedoch diese Sehnsucht kann weg!“

„Sie meinen das Normale, was jetzt so normal toll gewesen sei, wenn man nach hinten guckt und dann soll es auch vor uns liegen!“

„So ähnlich! Also jene Normalität, der man nachtrauert. diese Chimäre, die akut in den etwas verwirrten Köppen etlicher Aufrechtgeher herumschwirrt!“

„Kämmen wir da nicht das geschorene Schaf mit dem gleichen Besen, oder wie sagt man noch?“

„Sie meinen, ob wir die Schafe nicht zu einfach kämmen, bevor wir sie scheren. Mag sein, doch sind es Aufrechtgeherschafe, geschieht es ihnen recht, verlangen doch gerade jene, denen normalerweise Differenzierung fern wie die Hemden der Konkurrenz, meist auf Grund der eigenen Interessenlage, vom Gegenüber höchst differenzierte  Betrachtung.“

„Ach Mahler, dies ist mir bekannt, selbst es nicht begriffen habend, der andere soll es durchdringen, sonst ist er Schuld! In dem Zusammenhang schlage ich aber uns vor beim Gebrauch des Begriffes „Aufrechtgeher“ etwas präziser vorzugehen. Da ist ein bißchen viel Gießkanne bei Ihnen im Spiel! Wir pauschalisieren!“

„Mit Vergnügen tu ich es, bester Budnikowski. Wo Unachtsamkeit das Zepter schwingt und Verzicht als eine Art Vorhölle betrachtet wird, brummt der Bär!“

„Aber für manche, vielleicht sogar etliche, so mein Einwurf, ist es eine Vorhölle!“

„Sie haben vollkommen recht, nur sind dies nicht die, welche am lautesten und öffentlich leiden!“

(Kuno Budnikowski ereilt ein unangekündigter, heftiger Lachanfall. Archibald Mahler blickt streng, aber noch nicht maßregelnd.)

„Hier, Meister Lampe, was reißt ihn vom Hocker ?“

„Ich habe eine etymologische Eingebung. In Maßen! Sich einen hinter die Binde gießen! Stellen Sie sich das vor: hunderttausend Maskenträger auf dem Oktoberfest!“

„Na ja, wir waren schon besser!“

„Ich dachte wegen Humor und so in schweren Zeiten. Verzeihe er! Was wäre eine vorläufige Conclusio, Herr Denkbär?“

„Sie können nicht zur Normalität zurückkehren, die Herren und Damen Aufrechtgeher, denn die sogenannte Normalität war von Anfang an das Problem!“

„Also sich trauen zu entsorgen!“

„Und ein kräftiges Ciao hinterher rufen, dieser Normalität von vorgestern!“

„Das Morgen sitzt man heute aus und nicht gestern!“

„Budnikowski, der war gut!“

„Ja, ja, ja, ich bin ja sonst nicht der Hellste!“

„Verzeihung, der letzte Gedanke heute ist ihnen!“

„Finden Sie nicht auch den Himmel der letzten Wochen von ungewöhnlicher, gar unverschämter Bläue? Ist dies korrekte Wahrnehmung oder schon Verzerrung des gestressten Hirnes! So eine Art zynischer Trost!“

„Oder der Trotz hyperaktiver Synapsen! Der gute Hoffnungsschimmer Lenz!“

„Verzeihen Sie, aber als Möhrenfachmann mein Einwand: Acker oder Gemüsebeet möchte ich die Tage nicht sein!“

„Na ja, Wald aber auch nicht! So trocken kann ich gar nicht pupsen!“

„Jetzt noch was positives zum heutigen Schluß!“

„Die Bahn war in den letzten Wochen so pünktlich wie seit Jahren nicht mehr!“

„Herr Archibald Mahler!“

„Herr Kuno Budnikowski!“

„Ich danke für das Gespräch!“

„Der Dank liegt bei mir!“

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(Man kichert leise vor sich hin. Und denkt sich: avrio entaxi!)

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abstand03.2

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Mit gebührendem Abstand betrachtet / Zwei

Montag, 20. April 2020 16:33

abstand_gundi

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Zurück in die Zukunft

oder

Nochmal Gundi besuchen

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Nein, es war keine Abstandfestlegungsdiskussionsorgie welche Archibald Mahler und Kuno Budnikowski im Wald stehen bzw sitzen ließ und sie so dazu bewog, heute nicht über die Zeit nach der Zeit zu räsonieren, sondern es war der Ehrenwerte Herr Ernst Albert, der die SCHULD trägt, daß das so ist wie es ist heute. Ja, der ist SCHULD. (Bis jetzt hat man den ganzen Krempel ja erstaunlich gelassen und ohne Schuldzuweisungen gewuppt. Dies scheint sich so langsam zu drehen. Bitte auch darüber räsonieren. Mit distanzierter Faust: der Säzzer) Halt, SCHULD trägt ein alter Freund des E.A., hat der nämlich geschrieben, er habe im Wald am Rande der Kleinen häßlichen Stadt in Mittelhessen Gundermann gefunden und zwar den richtigen Gundermann, da der alte Gundermann, der letztes Jahr auf der Bühne stand, um den Westen an den Osten zu erinnern, ein falscher Gundermann gewesen war, also die Heilpflanze namens Gundermann (Glechoma hederacea), die als Requisit im Stück des Ehrenwerten Ernst Albert mitwirkte war falsch, irgendein anderes Kraut war das gewesen und der Gundermann jetzt da draußen im Wald, der sei der Echte und Wahre und in Blüte.

Also rauf auf das Fahrrad, in den frühen morgendlichen Wald, vorbei an langen Schlangen vor den Bäckereien. Mahler und Budnikowski, heute wieder  Hoy und Woj, sind gerne dabei. So entfleucht man den Pflichten, auch wenn diese selbstauferlegt sind. Und der Ehrenwerte E.A. ist auch lieber im Wald als in seinem sorgenvollen Musentempelhirn zu Gange. Ein hübsches Pflänzchen ist das, der wahre Gundermann, so viel kleiner als das dicke Ding auf der Bühne, der falsche  Gundermann. Stop, bevor wir hier herum metaphern und blöde Schlüsse ziehen, hören wir mal rein, was Hoy und Woj aka Mahler und Budnikowski, da sie zwischen den Blümchen sich an den letzten Sommer erinnern, so zu sagen haben.

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„Meister Hoy, haben Sie die ganzen Aufrechtgeherschlangen gesehen? Ist das die tätige Erinnerung an den Osten?“

„Vielleicht, so ein bisserl. Vor allem, wenn man dann endlich drin ist und das Verlangte ist ausverkauft, werter Pijasel Hoj.“

„Dann sollen die mal schön sich erinnern üben!“

„Schwer, wenn man zwanghaft immer nur nach vorne stiert!“

„Eben. Das sind aber viele kleine Gundis hier!“

„Ich glaube es stehen genau schöne Blumen um den Baum herum!“

„Ach ja, das sagt ihr Freund, der nicht da war. Blumen riechen statt sie zu zählen.“

„Genau, Blumen sind schöner, als sie achtunddreißig sind!“

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So haben die zwei Blumenriecher gerade noch die Kurve gekriegt, bevor sie in die Räsoniererei eingebogen wären, wo der Morgen im Wald heute doch so schön friedlich und unbeschwert ist. Morgen dann geht es richtig los. Versprochen. Oder übermorgen ganz gewiß. Hundertpro. Aber Schweigen im Wald ist auch ganz schön. Und nicht vergessen ein paar Gundermänner auszugraben. Für später mal.

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Mit gebührendem Abstand betrachtet / Eins

Freitag, 17. April 2020 19:53

abstand01

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Morgen ist auch noch ein Tag

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Viele machen sich viele Gedanken. Etliche natürlich weniger. „Ich will meine alte Welt zurück! Sofort!“ Das sprechen sie dann. Lieber nicht, denken daraufhin die, welche sich Gedanken machen darüber, was könnte sein danach, wohl wissend aber auch, daß man jederzeit gefeit sein sollte vor Überraschungen, da jene das einzige sind von Bestand und worauf Verlaß.

Nein, Archibald Mahler und der Gefährte Kuno Budnikowski – nun wieder vereint – sind nicht nochmal nach Hoyerswerda gereist, obwohl sie sich dort sehr wohl gefühlt hatten im letzten Sommer und auch wenn obige Photographie Erinnerungen wachrufen mag. Man sitzt vor den Resten einer aufgegebenen, vom Zahn der Zeitläufte langsam abgenagten Fabrik am Rande der Kleinen häßlichen Stadt in Mittelhessen. Des Bären Rückkehr aus Engelthal und klösterlicher Innenschau liegt fünf Wochen zurück. Einiges an erworbener Ruhe und Seelenfrieden konnte in den Alltag hinüber gerettet werden, was allerdings so schwer nicht war, steppte und steppt doch draußen vor der Tür dieser Tage  nicht gerade der sprichwörtliche Bär.

Dem tatsächlichen Bär ist das nur recht, denkt er doch lieber vor sich hin und da ist die Neue Stille förderlich. Also sitzen Mahler und Budnikowski vor den Hinterlassenschaften eines schon erfolgten Umbruchs und gemeinsam wollen sie über die aus ihrer Sicht vielleicht notwendigen Konsequenzen aus dem sich anbahnenden Umbruch – wenn er als solcher akzeptiert wird – nachsinnen und auch dummes Zeugs quatschen. Mit gebührendem Abstand selbstredend. Zollstock, Maßband und eine große Schachtel voller Erinnerungen, alter Befürchtungen, spekulativer Menetekeleien, zaghaften Erkenntnissen und frommen Wünschen führen die beiden mit sich. Aber heut’ noch nicht. Das Regelwerk in Sachen Abstand gilt es auszuhandeln. Morgen ist auch noch ein Tag.

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Siga, siga!

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abstand02

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Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Hoffnung stets

Sonntag, 12. April 2020 4:14

engel33

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Fürchtet Euch nicht vor blühenden Mandelzweigen

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Morgensonne über einem österlichen Hinterhof in der Kleinen häßlichen Stadt in Mittelhessen. Stille. Mahler hat Budnikowski das Schweigen schmackhaft gemacht. Keine Angst, nicht für immer und ewig, aber dafür öfters. Budnikowski hat Mahler zum Dank ein Gedicht geschenkt. Hat ein jüdischer Schriftsteller im Jahre 1942 verfaßt. Budnikowski meint und da ist er – wir wollen ja nicht angeben mit fremder Lorbeere – in diesen Tagen auch nicht allein, es sei angemessen und schön. Mahler freut sich darüber und schweigt.

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Das Zeichen

Freunde, daß der Mandelzweig

Wieder blüht und treibt,

Ist das nicht ein Fingerzeig,

Daß die Liebe bleibt?

Daß das Leben weiter ging,

Soviel Blut auch schreit,

Achtet dieses nicht gering,

In der trübsten Zeit.

Tausende zerstampft der Krieg,

Eine Welt vergeht.

Doch des Lebens Blütensieg

Leicht im Winde weht.

Freunde, daß der Mandelzweig

Sich in Blüten wiegt,

Bleibe uns ein Fingerzeig,

Wie das Leben siegt.

(Schalom Ben-Chorin)

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„Mahler, wir müssen noch Frohe Ostern sagen! Also, falls wer guckt!“

„Genau, Budnikowski.. Sagen wir Frohe Ostern, wenn wer guckt und man ist allein gar nicht so allein wie in den Massen!“

„Na ja, Sie waren ja schon immer der Solitärität zugeneigt!“

„Zwei Buchstaben ausgetauscht und wir nähern uns dem Gebot der Stunde!“

„Ah, das Osterpreisrätsel! Was gibt es zu gewinnen!“

„Der Herr ist auferstanden!“

„Quatsch, wenn ich den Bären korrigieren darf. Der liegt noch oben und schläft.“

„Häretiker. So sagt man an Ostern. Der Eine: ‚Der Herr ist auferstanden.’ Die Antwort sei: ‚Er ist wahrhaftig auferstanden.’ Ich beginne also: Der Herr ist auferstanden!’“

„Wenn es der Wahrheitsfindung dient: ‚Er ist wahrhaftig auferstanden!’ Zufrieden?“

„Wissen Sie, es schadet nicht, dies so zu sagen. Eher im Gegenteil. Fürchte Dich nicht!“

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engel34

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Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Fünfzehn

Samstag, 11. April 2020 22:05

engel31

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„Eloi, Eloi! Lama sabachthani!”

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Kurpark Bad Salzhausen bei Nidda. Ein paar Runden gedreht. Lesesaal. Einer liest. Raus. Leere Wege. Gradierwerk. Zwei Handwerker. Weiter. Solequelle. Lithiumquelle. Trinken. Weiter. Man bleibt alleine. Stille. Schließlich die Trinkkuranlage mit kleinem Konzertsaal. Leere Stühle. Verwaist. Der Klavierdeckel abgeschlossen. Archibald Mahler schaukelt auf einer Absperrkette. Komplett aufrechtgeherfreie Räume, welche auch auf absehbare Zeit aufrechtgeherfrei bleiben werden, der Bär hat nicht so viele Einwände. Da bärt ihm … ähem … schwant – soweit dies Bären  möglich – ihm etwas. Dem Ehrenwerten Ernst Albert ist es derweil schlecht geworden und dies nicht vom reichlich genossenen Heilwasser. Blaß schaut er aus seinem eigentlich gut erholten Antlitz auf die leere Bühne.

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„Weia, lieber hochgeehrter Ernst Albert! Da war ich wohl etwas unsensibel!“

„Ach, mein Guter, mach Dir kein Kopp. Von den Mühen der Musentempelei wissen eh die wenigsten. Doch das hier, so ohne Zuschauer, das riecht nach Zwangsverrentung.“

„Und das wird dauern?“

„Quarantäne kommt vom lateinischen quadraginta sprich vierzig. Vierzig Tage lang wurden in Zeiten der Pest Reisende und Schiffe von allen anderen ferngehalten. Die Fastenzeit dauert übrigens ebenso vierzig Tage.“

„Also ist an Ostern alles vorbei!“

„Eher nicht! Und schon gar nicht für mein Gewerbe und die Musikanten. Aber ohne Publikum sind wir These und tote Idee.“

„Ich will jetzt nicht schlaubären, aber kommt Quarantäne nicht auch von kontumaz, was da bedeutet Trotz oder Unbeugsamkeit? So nannten die Österreicher den Wegschluß mal!“

„Da möge Gott für sorgen, daß Rückgrat und Seele unbeugsam den Widrigkeiten trotzen!“

„Ich will jetzt ganz schnell nach Hause!“

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Nachdenkliche Rückfahrt. Ein Schweigen, welches knirscht. Zuhause angekommen ein kurze und liebevolle Begrüßung. Das mit dem Reden geht noch nicht so locker von der Zunge, zumindest beim Ehrenwerten Musentempler. Er muß noch eine Runde drehen, draußen an der übervollen Lahn. Bis solche Fluten sich verlaufen haben, dies wird dauern, davon ist auszugehen und so spuckt er dreimal von der Brücke, auf der er das tobende Wasser überquert. Ein vorläufig letztes TOITOITOI. Gut in Engelthal gewesen zu sein. Als hätte man etwas geahnt. Die Stille halten und stillehalten die nächsten Wochen. Und gewiß kein Katastrophentagebuch schreiben, weder gefragt, noch ungefragt. Eitle Befindlichkeitseinträge ins virtuelle Poesiealbum sind nicht Aufgabe und Herausforderung dieser Tage. Man sollte das Ganze nicht aus dem Blick verlieren. Danke, lieber F.C. Delius. Dann trottet er nach Hause. Es gibt zu tun.

Archibald Mahler sitzt auf dem roten Sofa und zeigt dem Gefährten Kuno Budnikowski die Fotos, die in den letzten Tagen geschossen wurden. Die wunderbare Frau Pelagia bereitet ein Abendbrot.

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„Bär, ich wußte gar nicht, daß Du den Fotoapparat bedienen kannst!“

„Na ja, so helle bin ich schon. Und der Budnikowski hat mir geholfen mit den kleineren Pfoten!“

„Genehmigt. Da liegen ja ein paar schöne Geschichten rum!“

„Müssen wir jetzt Tagebuch machen?“

„Gott bewahre! Lediglich berichten von der Zeit davor.“

„Das ist gut. Und jetzt habe ich Hunger!“

„Weißt Du, was ich eben auf den Weg nach Hause aufgeschnappt habe?“

„Sagen Sie!“

„Da sagt doch einer zu einer: ’Letzten Monat, als die Welt noch in Ordnung war!’ Wo lebt der?“

„Die normale Hybris der egomanen Aufrechtgeher! Weia!“

„So ist das wohl. Jetzt habe ich auch Hunger!“

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engel32

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Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Vierzehn

Freitag, 10. April 2020 20:43

engel29

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Solange der Krug zum Brunnen geht, zieht der Kelch nicht vorüber

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Heute blicken wir – am Karfreitag des Jahres 2020, der ein Karfreitag ist, wie ihn große Teile der Welt so noch nicht erlebt haben – zurück auf den Freitag vor vier Wochen, welcher ein dreizehnter war. Weder Archibald Mahler noch der Ehrenwerte Ernst Albert neigen zu irgendwelchen Spielarten des Aberglaubens, jedoch im Blick zurück – will man es unbedingt – grüßt das ein oder andere Zeichen. Vor allem, wenn man eine ganze Zeit lang schweigend in sich oder zum Himmel geblickt hat.

Trotz des Verzichts auf übermäßige Eile und inklusive nachdenklichem Zwischenstopp auf der Bank über dem Misthaufen war noch ausreichend Zeit bis zur Abfahrt des Zuges einen Blick auf die überflutete Aue bei Altenstadt – Höchst (anvisierter Haltepunkt der Bummelbahn) zu werfen. Ein Flüßchen von bestenfalls zwei Metern Breite hatte einen kilometerlangen See zustande gebracht. Einsam saß ein Storchenpaar auf seinem Pfahl mit Plattform im Nest, zu zweit und mit Gelege und blickte etwas verwirrt in die Fluten zu seinen Füßen. Ob da mal ein Frosch vorbei schwimmt? Oder sollte man besser auf Ente umschulen? Der Zug jedenfalls wurde erreicht. Für einen Freitagnachmittag recht leer.

Umsteigen Richtung Kleine häßliche Stadt in Mittelhessen mußte man in Glauburg – Stockheim. Längerer Aufenthalt. Wie auf der Hinfahrt wurde die Zeit genutzt in einer nahen Supermarktkettenbäckerei Kaffee zu trinken und Zeitung zu lesen. Und siehe das Land – bis unlängst milde und erhaben über die Nachbarn lächelnd – war dabei sich auf den Kopf zu stellen. Was vor etwas mehr als einer Woche, als man in Engelthal ankam, noch achselzuckend oder ungläubig bis hochnäsig als kleine Irritation betrachtet wurde – auch die zwei Pilger machen sich von dieser Sichtweise nicht frei – nun wuchs es sich aus zu einer Flut. Dieser Kelch zog nicht vorüber und war auch nicht bestechlich. Die ausgerufenen Parolen lauteten: Bleibt in Euren Nestern, mit oder ohne Gelege. Die Frösche sind vergiftet.

Als man wieder auf dem Bahnsteig stand fiel auf, daß die Bahnhofsuhr stehengeblieben war. Sechs Uhr? Morgens? Es fängt alles erst an. Oder sechs Uhr Abends? Dunkelheit ante portas? Bereitet Euch auf einen langen Schlaf vor. Eine seltsame, nicht unangenehme Stille machte sich breit. Die Furcht hielt sich noch bedeckt. Die wenigen Menschen, denen man begegnete, blickten ungläubig.

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„Tja, Herr Ernst Albert. Das kommt davon, wenn man über eine Woche lang keine Zeitung anfaßt!“

„Wir hätten es auch nicht aufgehalten, indem wir davon gelesen hätten!“

„Aber Stille konnten wir doch üben die Tage.“

„Und mit sich selber sein wohl auch. Und um Hilfe bitten vielleicht.“

„Was machen wir jetzt?“

„Noch einen Spaziergang ohne Auflagen!“

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engel30

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Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Dreizehn

Dienstag, 7. April 2020 21:28

engel27

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Es fährt kein Zug ins Irgendwo und der ewige Misthaufen duftet

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„Man muß den Zug nicht nehmen. Muß man den Zug nehmen, den man nehmen sollte? Ist es entscheidend, ob ein Zug irgendwo hin fährt oder ob er weg fährt? Wer fällt die Entscheidung? Ein jeder Zug fährt ab, also von irgendwo weg. Muß er ja, um irgendwo hin zu gelangen. Also gibt es keine Nur–Hin – bzw keine Nur–Weg–Züge. Demnach existieren vorrangig Beides- oder Sowohl-als-auch–Züge. Wenn man genauer hinschauen mag, sind dann die Hin–Züge Sollzüge und Weg–Züge Wollenszüge? Oder umgekehrt? Es wird immer was aufgegeben – nicht nur Gepäck – bei einem HIN und gerne was gewonnen dann. Aber wer sagt, daß im Wegfahren überhaupt ein größerer Gewinn verborgen liegt? Was geht verlustig? Also – stop mal – schlußfolgert man nun der Weg–Zug ist eher der Sollzug, der Hin-Zug der Wollenszug? Soll man das so wollen? Oder? Ich weiß nicht!“ Dachte Archibald Mahler in der Reisetasche des Ehrenwerten Ernst Albert und dies recht laut. Und unruhig.

Man muß auch nicht, bedrückt einen etwas, damit das Gegenüber eins zu eins – wie es so nett im Küchenschypsologielatein heißt – „konfrontieren“. Da ist manchmal eine ausschweifende Kummerumgehungsstrasse nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Grundvoraussetzung der, die oder das Gegenüber verfügt über ein Mindestmaß an Emphatie und man kennt sich. Ein bisserl zumindest. Länger ist besser. Also schüttelt der Ehrenwerte Ernst Albert wohlwollend den Kopp angesichts der doch etwas wirren Gedankenwolke, die zwischen den Zacken des Reißverschlusses seiner Reisetasche hervorquillt. Er steuert die nächste Bank an, eben jene auf der man am Tag der Anreise das erste Mal die Turmspitze des Klosters erblickt hatte. Leider durfte man die Kirche in der letzten Woche nicht betreten, sie wurde renoviert, aber auf Postkarten konnte  man eine sehr schöne Orgel und ein beeindruckendes Kirchenschiff bewundern. Der Bär wurde aus der Tasche befreit, da dem Taschenträger klar war, den kleinen Gefährten bedrückt etwas oder sagen wir, etwas treibt ihn um, und zwar heftig.

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„Bär, Butter bei die Lachse! Was ist los?“

„Sehr geehrter Ehrenwerter Herr Albert! Keine fünfzehn Minuten haben wir die Klosterpforte hinter uns gelassen und schon brechen Sie das Schweigen und befleißigen sich eines – na ja – mir etwas fragwürdig anmutenden Jargons!“

„Verzeihung, mein lieber Archibald Mahler. Gut: was drückt aufs Gemüt, was treibt um? Du hast so laut und wild gedacht, daß die Vögel verwirrt ihr Gepiepse und Gesinge eingestellt haben, um Dir folgen zu können. Kurz und knapp: Möchtest Du die Züge verpassen, um hier zu bleiben?“

„Ja. Nein, das nicht… Äh! Na ja!“

„Ja was nun? Wir sollten und wollten den Zug schon kriegen, den wir anvisiert hatten!“

„Aber, also, da vorne, am Weg, der Misthaufen. Der ist immer noch da und wir wollen doch so lange, bis der nicht mehr …“

„Mein Bester, den Misthaufen können nicht mal tausend Benediktinerinnen wegbeten. Und darum geht es auch nicht. Gehen wir an dem Ding vorbei und schnuppern, ob er inzwischen nach Veilchen duftet! Oder frischen Brot!“

„Jetzt sind Sie genau wirr im Kopp wie ich. Das mit den Veilchen ist Blödsinn. Und so ein Brot wollen Sie bestimmt nicht essen!“

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Aufbruch und Beschleunigung des Schrittes, dezent nur, das Wandertempo weiterhin gemach. Man passierte den Misthaufen. Nach Veilchen duftete er nun wirklich nicht, die Frühlingssonne ließ den Haufen dampfen und sein olfaktorisches Alleinstellungsmerkmal wehte den zwei Pilger in die Nase, jedoch Archibald Mahler, ausgestattet mit einer feinen und vorausschauenden Bärennase vermeinte, nein, war sich sicher frisches Brot zu riechen, gebacken aus dem Weizen oder Roggen oder Dinkel, der bald auf dem mit Mist durcheggten Feldern ringsumher geerntet werden würde. Und dann roch er noch Maisfladen, Sonnenblumen, blühenden Klee und Haferbrei mit Honig.

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„Herr Ernst Albert?“

„Ja?“

„Ich verstehe! Die letzte Woche! Ich begreife ein bißchen was!“

„Ich hoffentlich auch!“

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engel28


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Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Zwölf

Montag, 6. April 2020 10:31

engel25a

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Das Nichtvorhandene und was durchaus sein könnte

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Der Bär saß am letzten, dem Abreisetag, noch mal im Engelthaler Forst. In Blumen. Er mußte an den großartigen Bären, der nicht da war denken, jener aus dem gleichnamigen Bilderbuch von Oren Lavie, als er den Reflex unterdrückte, die Schneeglöckchen, die ihn umgaben, zu zählen. „Es ist besser, Blumen zu riechen, als sie zu zählen. Blumen sind schöner, als sie 38 sind.“ Dieser Gedanke machte ihn froh in der Morgensonne und er sortierte ihn in seinen Gedankenschrank ein und fügte für sich hinzu: „Heute bin ich ein glücklicher Bär. Danke schön aber auch.“

Der vorletzte Tag war schnell vergangen. Archibald Mahler hatte einen Brief geschrieben. Der Ehrenwerte Ernst Albert hatte Laudes, Eucharistie, None, Vesper und Komplet besucht, beobachtend, fremd, sich jedoch nicht fremd fühlend, sondern willkommen, aber nicht bedrängt. Manche Worte hat er mitgemurmelt, manches war ihm seltsam, erschreckte ihn, mal weil es fürchterlich fern, mal weil es erstaunlich nah. Und sonst schwieg er mit Freude. Ein Psalmwort blieb ihm den ganzen Tag über im Kopf und er dachte es laut vor sich hin, als er den Brief seines Bären zum Briefkasten draußen vor dem Klostertor trug. Man möge, lauteten die Worte, nie vergessen, daß des Menschen Tage wie Gras seien, und daß man, wenn der Wind über das Gras gegangen, nicht mehr wisse, wo man einst gestanden, wo die Stätte des eigenen Wirkens gewesen war. Und ihm kam der letzte Sommer in HOYWOY in den Sinn, als er auf der Terasse der dortigen Pension Mark vom Gras sang, welches immer wieder wächst, wild und hoch und grün, bis die Sensen ohne Haß ihre Kreise zieh’n, dieses tröstende Hoffnungslied des Gundermann, den mit jungen dreiundvierzig Jahren der mortem suspectam ereilt hatte. Dies die Botschaft der Psalmworte:  man möge nie vergessen, vorausschauend und gläubig, sich über den eigenen hysterischen Tellerrand erhebend, daß des Sensenmannes vornehmste Eigenschaft ist, unerwartet zu ernten. Wie sagt man in der Gegend, in welcher er aufgewachsen war?

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„Mr hodz it leicht, aber leicht hodz ein!“

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Ein kalter Wind hatte in der Nacht den Himmel gehoben, die niedrig dahinziehenden, nassen Wolken verjagt, die Sterne heller denn je funkeln lassen. Der Ernst Albert saß auf der Bank am Waldesrand, Archibald Mahler in den Schneeglöckchen. Man blickte hinab ins Tal. Überflutete Auen, ein Nahverkehrszug Richtung Heimat rauschte vorbei, vereinzelt Autos auf der Bundesstrasse da unten im Tal. Ein Hauch von Angst hatte die zwei Gelegenheitspilger ergriffen, mußte man nun doch diese stille, freundliche Insel verlassen und wieder hinaus ins Meer der Hektik, des Gelärmes und der Geschafftelhuberei. Was aber würde man mitnehmen von der Insel, was würde Bestand haben?

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„Herr Ernst Albert? Wir müssen gleich, gell!“

„Scheint so! Ein, zwei Minütchen noch!“

„Und was nehmen wir mit von hier?“

„Ein Glas Erdbeermarmelade mit grünen Pfeffer und eine Seife, die nach Zitronengras riecht. Beides aus dem Klosterladen und beides für die Wunderbare Pelagia!“ (Ja, ja lieber Säzzer! Wird auch bald erklärt!)

„Und sonst noch?“

„Tja, das werden wir sehen, was wir in den Alltag rüber zu tragen vermögen. Was da weiter atmen mag!“

„In ein paar Tagen baut man nicht den ganzen Tempel, geschweige denn inklusive Bärleuchtung!“

„So ist es! Nicht zu schnell nach dem Erhabenen greifen! Das Gewöhnliche suchen, nicht die Sensation! Wer das Gefühl hat, endlich wieder etwas freier atmen zu können, soll nicht so tun, als habe er eben das Atmen erfunden!“

„Gestern haben Sie mir eine schöne Gute Nacht – Geschichte vorgelesen von diesem portugiesischen Buchhalter!“

„Der gute alte Fernando Pessoa! Das Buch der Unruhe!

„Ich wurde aber ganz ruhig und mußte, um einzuschlafen, keine Blumen mehr zählen. Vor allem der letzte Satz.“

„Ich schlafe, wenn ich vom Nichtvorhandenen träumte; ich erwache, wenn ich von dem träume, was durchaus sein könnte.“

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Dann schulterte der Ehrenwerte die Tasche inklusive Archibald Mahler. Man ging, wie so oft die letzten, guten Tage am Gekreuzigten vorbei. Man hielt inne, beugte das Haupt, nicht so tief und lange, wie die Schwestern in Engelthal dies tagtäglich, Jahr um Jahr tun, aber immerhin. Man kann sich auch mit kurzem Arm bekreuzigen.

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engel26

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Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Elf

Freitag, 3. April 2020 23:31

engel23

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Sehr geehrter Freund Herr Kuno Budnikowski von und zu Datteln!

Verzeihen Sie die etwas förmliche Anrede, aber ich schweige dieser Tage zumeist und so schreibe ich Ihnen, um etwas zu sagen zu können ohne zu reden und dies will ich gewissenhaft tun. So ein Kloster ist ein freundlicher Ort und so eine Stille sollten Sie mal hören. Die Schwestern hier sind vom Orden der Benediktiner. Ich glaube, die haben die strengsten Regeln aller Klöster. Braucht man wohl, wenn man sein ganzes Leben zusammen verbringen muß. Hier will man das. Müssen Sie sich vorstellen, man kommt hierher, weiß, wird man aufgenommen, man verläßt den Ort nie mehr und, wenn es soweit ist, stirbt man hier. In Frieden. Vielleicht daher die Freundlichkeit. Ich erlebe hier Dinge, die mir neu sind oder ich habe sie vergessen gehabt und es ist nicht einfach diese zu erklären. Da bleibt nur Überschwenglichkeit oder Schweigen. Gut ist auch, die Tage vergehen ohne Fernsehen, Radio, Mobilfunkapparate und noch nicht mal Zeitung. Man könnte das haben, wenn man wollte, das ist Bestandteil der Freundlichkeit, aber der Ehrenwerte E. A. und ich wir lassen das mal. Sonst bräuchten wir auch nicht hier zu sein. Dadurch sind die Uhren zeigerlos und wir wissen nicht, was geschieht draußen in der Welt vor den Klostermauern  und sonst sind wir meist im Wald unterwegs. Manchmal, erzählt der Ehrenwerte E. A.,  läge die FAZ vom Vortag neben dem Altpapier. Er schaue aber dran vorbei. Außerdem regnet es jeden Tag und das Tal unten steht schon unter Wasser. Jetzt läuten die Glocken zum Komplet. Da will ich auch mit dem Stift schweigen. Morgen bringt der E. A. den Brief zum Briefkasten links neben der Klosterpforte. Für mich hängt der zu hoch.

Gott mit Ihnen und bis bald!

Ihr Archibald Mahler, Bär die Tage in Engelthal

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engel24

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