Beiträge vom März, 2012

Post aus Kibris / Im einstigen Akanthou

Samstag, 31. März 2012 13:08

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- Posta restante für den Bären, falls er dann erwacht -

Merhaba Mahler!

Manchmal tut man ein paar Schritte und reist in untergegangene Zeit. Ich war den Berg hinter Tatlisu hinaufgelaufen. Von unten vom Dach aus, konnte ich sie sehen, die kleine orthodoxe Kirche, am Waldrand da oben. Ich stieg den Berg hinauf, begegnete einem Schäfer, die Lämmer schnupperten an mir und mähten mich an und dann stand ich plötzlich in Akanthou. Bis Mitte der Siebziger Jahre hieß Tatlisu noch Akanthou. Das ist griechisch. Damals explodierte der Jahrzehnte lang schwelende Konflikt. Im Süden lynchten sie die Türken, im Norden marschierte Ankara ein, man vertrieb die Griechen, besetzte ihre Häuser und schändete ihre Kirchen und Friedhöfe. Auch wenn ich nicht Tag und Nacht fromme Blicke nach oben schicke, aber in einer geschändeten Kirche zu stehen: sehr seltsam. Ich mußte beten. Tatlisu heißt übersetzt: süßes Wasser. Doch manche Träne und die Zitronen auf Zypern aka Kibris bleiben immer noch – wie es einst Lawrence Durrell beschrieb – bitter, gelegentlich sogar sehr bitter. Ich stieg hinab und wieder sang der Muezzin. Fünfmal am Tag tut er dies, das Gebet echoet von den Bergen und ich hielt jedes Mal inne und dachte darüber nach, was ich gerade tat. Diesmal atmete ich schwerer als sonst. Weia die Welt! Bis morgen grüßt Sie

Ihr trotzdem hocherfreuter Lippstadt – Budnikowski

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Post aus Kibris / Ein Abend in Tatlisu

Freitag, 30. März 2012 18:37

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- Posta restante für den Bären, falls er dann erwacht -

Merhaba Mahler!

Dem Urlauber an sich liegt der Sonnenuntergang besonders am Herzen. Vielleicht weil er ihn in seiner Funktion als Zuhausewesen ansonsten selten registriert. Also saß ich auf dem Dach. Die Sonne machte sich nahe Kyrenia aka Girne aka Kyrenia und wieder zurück ins Meer. (Falls Sie die politischen Anspielungen nicht verstehen, davon mehr die nächsten Tage!) Vor meinem Auge und vor der mal wieder dramatisch untergehenden Sonne spannten sich Wäscheleinen. Sie spannten sich und taten so als seien sie die Linien eines Notenheftes inklusive Notenschlüssel. Nur anders herum. Nicht von links gen rechts weisend in Sachen zu verfolgender Melodie, sondern eben von rechts gen links. Dann war die Sonne weg und es ertönte der Gesang des Muezzin. Aber das ist schon wieder eine eigene Postkarte wert. Die Welt ist ja voller Lieder, die es noch zu singen gäbe. Tamam! Bis morgen grüßt Sie mit einem herzlichen “Esenkal”

Ihr hocherfreuter Lippstadt – Budnikowski

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Post aus Kibris / Ein Morgen in Tatlisu

Donnerstag, 29. März 2012 23:21

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- Posta restante für den Bären, falls er dann erwacht -

Merhaba Mahler!

Es war finster, als ich ankam. Sehr finster. Man konnte etwas riechen, jedoch eher ahnend. Vorne im Wagen hatte man die ganze Fahrt über gesprochen. Türkisch. Englisch. Deutsch. Babylonische Brocken. Ich schwieg und blickte aus dem Fenster. Schatten. Bäume? Wir fuhren bergauf. Ich war müde vom Fliegen und eine neue Zeitzone gab mir den Rest. Ein einfaches Zimmer, das Dach hatte den Winter über gehalten, man war erleichtert. Schlaf, aufgeregt noch, aber dem Tode nah und tief. Dann wachte ich auf, stieg auf das Dach und blickte und sah, was ich sah und dachte, wie gut es ist, im Finsteren anzukommen und dann zu sehen. Man stelle sich vor, man trifft auf etwas im gleißenden Lichte und dann wird es finster. Nur so ein Gedanke. Jetzt stehe ich hier und schaue hinab und versuche das Atmen nicht zu vergessen. Bis morgen grüßt Sie mit einem herzlichen “Esenkal”

Ihr hocherfreuter Lippstadt – Budnikowski

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Frühling findet woanders statt, der Bär nickt ein

Samstag, 17. März 2012 11:07

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(Und folgendes sprach der Hase, als er aufgeregt auf dem Waldboden herumtrippelte, wie einst Muhammad Ali durch den Boxring.)

„Dort wo sich die Kontinente treffen, dort am Goldenen Horn und übers Meer auf die Insel der Aphrodite, Herr Mahler, ich bin ja so aufgeregt, dort unten, wo der Frühling schon die Olivenbäume streichelt und der Gebetsausrufer von Türmen plärrt, dort unten wird mein Fuß gar bald, wo er noch nie gewesen, bin ich aufgeregt, ich lasse Sie ungern alleine, aber es läßt sich nicht verhindern, was sagen Sie, sagen sie doch was! Ach was! Ich muß. Bis in so etwa zwei Wochen. Konstantinopel, ich komme!“

(Und weg war er. Dem Bären ist es recht. Ganz so wach ist er tatsächlich noch nicht. Da kommt ihm die Höhle in diesem Baumstamm ganz recht. Morgen wird es regnen und kühl sein. Da kann man gerne noch ein Ründchen nachschlafen. Pssst!)

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Die alte Zwiebel hat keine Schatzkarte

Mittwoch, 14. März 2012 11:07

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(Zartes Grün im Schutze einer kleinen Fichte. Gewiß ist nichts. Man arbeitet an der Erinnerung.)

„Und Sie sind sich sicher?“

„Nein!“

„Aber, Herr Mahler.“

„Sicher, Sie haben recht. Aber sicher bin ich mir leider nicht!“

„Darf ich Sie zitieren?“

„Wenn Sie die Notwendigkeit verspüren!“

„Was tun?“

„Tja!“

„Aber aus denen hier, da kann schon noch was werden!“

„Gewiß, nur was. Ich habe etliche Gedankenzwiebeln im Boden versenkt, bevor ich mich niederlegte. Aber ich habe keinen Plan gemacht.“

„Auch keine Schatzkarte? Oder so ähnlich?“

„Manchmal bereue ich es. Verschwendung, ach, Verschwendung.“

„Der kommt schon wieder.“

„Wer?“

„Der Gedanke, Herr Mahler!“

„Ach so. Ja. Natürlich.“

„Gewiß!“

„Ich bin schrecklich müde!“

„Trifft sich gut!“

„Wie?“

„Übermorgen!“

„Aha!“

(Der Bär gähnt. Einige Ringeltauben erschrecken darob und verlassen ihren Ruheast. Der Hase trippelt auf dem Waldboden herum, wie einst Muhammad Ali durch den Ring. Aufbruchstimmung ante portas. Des Bären müdes Auge erblickt etwas, was es erfreut. Sehr!)

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Das alte Laub ist älter als die alte Zwiebel

Dienstag, 13. März 2012 18:47

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(Weiterhin Wald. Temperaturen kurz vor oder doch schon zweistellig. Am Beginn der Szene ein kurzes Gespräch.)

„Unter dem Laub, da liegt die alte Zwiebel!“

„Senken Sie die gereckte Faust, Herr von Lippstadt-Budnikowski!“

„Herr Mahler, Sie interpretieren schon wieder! Ich dachte pragmatisch! Verfügen Sie über einen Laubrechen?“

„Fragen wir doch da hinten mal nach!“

(Die Waldarbeiterhütte auf Rädern war leider verwaist. Es ist März. Da muß das Umhauen der Bäume ein Ende haben. Manche halten sich dran. Der Rest nicht. Schade! Bald wird gebalzt und dann gebrütet.)

„Wäre das ein Beruf für Sie, Herr Mahler? Holzfäller?“

„Gelegentlich schon.“

„Was hindert Sie?“

„Ich schlafe von November bis März. Den Wald müssen andere aufräumen.“

„Jetzt sind die aber weg.“

„Tja!“

„Und was ist mit dem ganzen alten Laub?“

„Noch wärmt es die Köpfe der alten Zwiebel. Aber ich gestehe, wir haben uns verirrt.“

„Gleich beim ersten Ausflug?“

„Scheint so. Was tun?“

„Jetzt haben Sie die Faust gereckt, Herr Mahler!“

„Ganz schön spitzfindig! Da! Da hinten!“

„Wo?“

„Da hinten! Da!

„Tatsächlich!“

(Man erhebt sich. Läuft los. Inzwischen tatsächlich zweistellig. Die Temperaturen.)

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Auf der Suche nach dem Kopf der alten Zwiebel

Montag, 12. März 2012 19:28

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(Man hat sich also erhoben. Ist ein paar Schritte gegangen. Nun sitzt man im Wald. Im Hinterhof blüht die rote Tulpe einsam. Das macht ihr nichts. Im Wald hat Herr von Lippstadt-Budnikowski eine Frage.)

„Und Sie glauben, hier war es gewesen, Herr Mahler?“

„Möglich!“

„Meinen Sie nicht auch, daß hier alles gleich aussieht oder ganz anders. Man findet sich gar nicht mehr zurecht.“

„So ganz ohne Blätter ist auch mir der Wald ein Rätsel. Die Schlaferei im Winter hat ihren tieferen Sinn, lieber Herr von Lippstadt-Budnikowski.“

„Was ist dem Bäumchen, auf dem wir hier sitzen, geschehen? Aufrechtgeher? Wi…“

„Psst!“

„Wie?“

„Kein Wort über diese Wesen im Jahre Zwozwölf!“

„Gibt es Gründe?“

„Diese Wesen beziehen jeden wahllos ins Ungefähre gelassenen Pups auf sich. Also stellt der Bär das Pupsen ein. Was wollten Sie noch sagen? Wi..?“

„Der Wind? War er es?“

„Vom Wind wird öfters zu sprechen sein. Aber lassen Sie uns Ausschau halten!“

„Nach dem Kopf der alten Zwiebel?“

„Nach dem Kopf der alten Zwiebel!“

„Dieses alte Laub überall. Nicht einfach!“

„Nicht einfach! Gott sei Dank!“

(Vier Augen streifen über den Waldboden, über Lichtungen, am Wegesrand entlang, hinaus aufs Feld, auf die sonnenbeschienene Trockenwiese dort unten neben der Pferdekoppel und wieder zurück. Sie entdecken kein Schneeglöckchen.)

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Aussem Fenster gelehnt nachem Spieltach 25

Sonntag, 11. März 2012 20:38

bvb_hoffnung2012

Ich sach mal so: wat mir nich inne Birne will, iss dat die Herrschaften aus Nordösterreich nich inne Lage sind, sich mal ordentlich freuen tun zu können. Da gewinnen se mal mit acht zu null gegen die inne Agonie verfallene Retortenkombo des Herren Hopp oder Topp – dat Eigentor dat zähl ich mit, woll – und: keine Spur von Freude. Nee, da muß gleich die Euphorie ran. Da muß ich vor warnen. Wennse dat Seil unter eine zu große Spannung setzt zwischen die Pole Euphorie un Jammertal inclusive Medienverfluchung und Schuldges(t)ammel, musse dich nich wundern, wenn die Reißgefahr sekündlich steigen tut. Inne medizinische Fachsprache kannse dat dat manisch – depressive Pöhlergen nennen tun. Wollt ich nur mal als Bemerkung inne Räume senden. Und bin mich am freuen über ein gepflecht herausgestolpertes Unentschieden. Die einen müssen, und die anderen können wollen. So iss dat woll.

Zu einem anderen thematischen Bereich. Wer dat Kuschelbettchen Erste Pöhlerliga inne nächste Saisong von außen betrachten darf? Aerstens mal der Traditionsverein aus dem Land der Fischköppe. Bisse schon genuch bestraft mit einem Trainer, der in sich angeblich dat nordösterreichische Siegergen am herumtragen iss. Jetzt sacht der auch noch, dat der Paolo Guerilla nur vonnem Rasen geschickt wird, weil seine Füsigjonomie gewisse Vernarbungen aufweisen tut. Ja lüch ich denn? Ab inne Pöhlerliga zwo. Tut sich der Club mit den braunen Hemden freuen. Folgen darf dat nächste Ligarhinozeros, der Lieblingsclub vom ehemaligen Ex-Kanzlerkandidatendarsteller Kleiner Könich Kurtchen Beck. Eigene Spielers von Dummglatzen bespucken lassen? Sach ich mal so: drei Jahre lang Ehrenrunde durche israelische Liga, mit den Dummglatzen als Balljungen und innem Fritze-Walter-Gedächtnistempel spielt bis Zwovierzehn Maccabbi Tel Aviv. Shalom, ihr Esel. Und bitte all ihr Götter der Pöhlerei, die Nervtruppe aus der Stadt mit dem Dom und dem lecker „Blutwooschhätzkölschemädchehöhnerdriss“ sofort inne Verbandsliga. Wir fassen uns kurz und zusammen, werter Leser: Overath. Wilde Horde. Kackbeutel. Finke. Prinzenrolle vor- un rückwärts. Nowakomix. Stale sollet backen. Lokale Prinz- äh – Printmedien. Schnell, schneller, Express. Dat iss ausreichend fürre Verbannung bis inne nächste Pöhlergeneration.

So, getz hätte ich mich ja beinahe inne Form von Aufregerei hineinversetzt. Dat lassen wir mal schön bleiben und ruhen uns nich auffem Fünfpunktekisselchen aus. Wie sacht man da unten beim Wurstfabrikanten? Verbaselt iss schnell? Solln se mal! Und nich vergessen:

Rollt die Kirsche übern Acker

Iss dat nur ein Kinderspiel

Liecht die Pille auf der Linie

Bleibe ruhig, bleibe wacker,

schalt Dich aus, wennet zuviel.

Ergebenst grüßt (auch den unteren Teil der Tabellarien) Euren Lütten Stan

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Der ganze Text will noch kein Ganzes sein

Freitag, 9. März 2012 22:27

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„…hatte ich vergessen, wie es sich anhört, wenn das Herz in wacher Brust wieder ordentlich arbeitet.“

(Das wäre dann der zweite Teil des gestrigen, abgebrochenen Bärensatzes. Kurz vor dem Ende der zweiten Woche des Bären im Jahre  Zwozwölf. Kurz vor dem Ende der ersten Woche im Hinterhof. Der Hase atmet aus und wieder ein und– wen wundert es – ergreift das Wort.)

„Herr Mahler, die Woche endet frühlingshaft, mein Herz ist leichter als am Montag noch und ohne mich Ihnen als Ihr Eckermann aufdrängen zu wollen, erlauben Sie mir zusammenzufassen, was Sie dieses Jahr nun schon geäußert. Als Ganzes.

Ach was! Die Wochenenden Ihnen, Herr von und zu Lippstadt-Budnikowski! Ich sehe rot! Ja soll ich denn lügen? Es war die Tulipa, und nicht die Osterglocke. So rot, so fein! Da seh ich die Tulpe, so rot, so fein und höre wieder das Blut durch meine Adern rauschen. Fast hatte ich vergessen, wie es sich anhört, wenn das Herz in wacher Brust wieder ordentlich arbeitet.

Nun gut, es steht mir nicht zu hier die Wurzeln eines literarisch wertvollen Wortjahrganges zu erschnüffeln, mich freut heute jegliche Bewegung. Wohin, dies sei mir Pusteblume! Das Wochenende nun sei mein – Hömma! – und wo werden wir uns wiedersehen?“

„Am Kopf der alten Zwiebel!“

„Am Kopf der alten Zwiebel?“

„Am Kopf der alten Zwiebel! Und nun noch ein Viertelstündchen Schlaf!“

(Was ein Bär verspricht, das hält er. Psst!)

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Wenn es im Hinterhof in den Adern rauscht

Donnerstag, 8. März 2012 19:37

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(Die Nacht hat man im ersten Stock verbracht. Nur nichts übertreiben. Und der Heizkörper ist ein Freund. Jetzt wieder unten im Hinterhof. Wolke da. Wolke weg. Wind kalt. Strahlen warm. Hin und her und rauf und runter mit der Quecksilbersäule. Pelzwärmen. Bibbern. Pelzwärmen. Bibbern. Sonst Schweigen. Währt aber nicht lange, wo des Hasen Pfote wippt. Hören wir rein.)

„Herr Archibald Mahler, Sie können sich nicht vorstellen, wie froh ich über Ihr gestriges Wort und welche Geröllawinen die Hänge meines bangen Herzens hinabrauschten, als ich sie vernahm. Puuh, Herr Bär und Doppeluff! Sie nehmen wieder wahr, und teilnehmen tun Sie auch am Geschehen namens Welt. Von meinen finsteren Befürchtungen möchte ich nun schweigen und entbiete einen erleichterten Gruß. (Pause im Redefluß. Kleine Pause.) Verzeihen Sie, wenn es zuviel, so bin ich Begleiter Ihres Schweigens, Genosse gar und halt die Klappe, bevor ich mich in wilder Euphorie verdichte und verquassele. Wolke hinweg da oben!“

(Die Wolke gehorcht. Sonnenstrahl. Bärenbewegung. Bärenwort.)

„Da seh ich die Tulpe, so rot, so fein und höre wieder das Blut durch meine Adern rauschen. Fast….“

(Der Bär schwankt etwas. Ein Hauch von Atemnot. War ihm dies eben alles zu viel? Mangelt es noch an Kräften und Säften? Der Hase hält die Luft an. Auch mal schön.)

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