Beiträge vom 5. September 2012

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 19

Mittwoch, 5. September 2012 17:07

pol39

„Man hat kein anderes Material als seine Erinnerung.“

„Von Uwe Johnson? Richtig?“

„Korrekt, Budnikowski!“

„Und was hat Klaus – Jürgen Wussow gesagt?“

„Wahrscheinlich ‚Skalpell, Schere, Tupfer.’ Weshalb?“

„Kam auch in dieser Stadt zur Welt, Mahler!“

„Wenn man erst mal anfängt, sich zu erinnern! Weia die Waldfee!“

„Als würde man jemals damit aufhören!“

„Der ein oder andere bevorzugt die Amnesie!“

„Tut so, Mahler, tut so! Da können Sie sicher sein! Ich spreche aus Erfahrung!“

„Da haben Sie wohl recht! Sehen Sie das alte Rathaus! Im letzten Krieg von den Russen zerstört, als diese das Land befreiten von den doitschen Schweinepriestern, um Polen gleich danach wieder zu besetzen!“

„Wer hat das alte Rathaus wieder aufgebaut? Die hier verbliebenen Polen?“

„Polen schon, aber Polen, die in Litauen und an der Ostgrenze des Landes die neuen und nachrückenden Machthaber störten, also hierher verschickt wurden, nachdem die Westpommern – deutscher, polnischer oder gemischter Herkunft getötet, vertrieben oder geflohen waren. Der Parole Lebensraum Ost folgte der Fünfjahresplan Lebensraum West auf dem fliehenden Fuße!“

„Die etwas rudimentäre Architektur, die dieses Ding einfaßt, stört nicht wirklich! Oder, was sagen Sie?“

„Sie haben recht, seltsamerweise hat man versucht – Geldmangel hin und her – den Wiederaufbau zumindest von Grundriß und Höhe her an der zerbombten historischen  Bausubstanz auszurichten.“

„Weshalb seltsamerweise?“

„Der Architektur der Sieger mangelt es meist an Respekt.“

(Stille. Schweigen. Nachdenken.)

„Hier überlappt sich so einiges an Erinnerungen!“

„Ja, es fällt schwer, die alten Grenzen zu finden und zu begreifen, warum es sie überhaupt gab, jetzt wo sie weg sind.“

„Mahler, sie wollten sich noch an diesen Tag erinnern!“

„Ja, der 31. August. Lech Walesa. Das Danziger Abkommen. Ein nicht unwichtiger Tag, der die Mauern schon mal wanken ließ.“

„Jetzt las ich aber, das viele Polen Solidarnoc gar nicht mehr so dolle finden. Erinnern die sich auch nicht mehr?“

„Schwierig! Wenn Zeit sich dreht, gewinnen oder verlieren viele. Die wenigstens gehen durch die Geschichte gänzlich unbeleckt und immer siegreich!“

„Das sind die Schlimmsten!“

„Wahrscheinlich!“

„Und den fetten Yachthafen da unten am Haff, wer baut den?“

„Die Enkel oder Urenkel der ’45 Enteigneten!“

„Dürfen die das?“

„Die haben das Geld!“

„Schön ist die Marina aber nicht!“

„Die heilige Kuh Arbeitsplatz!“

„Und warum steht da, daß das mit europäischen Steuermitteln gefördert wird?“

„Weil die armen Kerle, die sich so ein dickes Boot kaufen, ja keine Steuern zahlen, deshalb muß man ihnen helfen!“

„Weia, Mahler, mentale Leerstände!“

„Wer sich nicht erinnern will! Da unten steht auch schon einiges leer!“

„Lassen Sie uns noch ein wenig in den Park! Mir ist schon ganz schummrig! Wenn man jetzt auch noch anfängt, sich an die Zukunft zu erinnern!“

„Danke für die Anregung! Budnikowski, sind wir heute Abend einfach nur noch Blüte! Mit unschuldigem Blick in die Abendsonne!“

„Aber morgen schauen wir wieder auf die See, Mahler!“

„Und warten auf den Sturm!“

„Shakespeare?“

pol40

Thema: In Polen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth