Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Zwei

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Hinter Mauern in Freiheit

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Und so standen sie vor diesem schönen alten Haus. Mehrfach geteilte Fenster, umrahmt von grünen, altehrwürdigen Fensterläden, ein Giebeldach, welches auf den Gebäude zu sitzen schien wie ein kecker Hut. Es hatte aufgehört zu regnen, und obwohl noch alles triefte, tropfte, klamme Luft vor sich hin nieselte, der Himmel so tief hing, daß man Woyzecks Nagel hätte hineinschlagen können, eine  stille Freundlichkeit konnte man dem Bau nicht absprechen. Dennoch zögerten die zwei Pilger einzutreten. Eine Woche hinter Mauern? Doch was hilft alles Zaudern!

Die Pforte, die erste Pforte wohlgemerkt war durchschritten. Linkerhand eine große Pfütze, die verlehmten Schuhe darin oberflächlich zu reinigen. Die zweite Pforte, hinter der sich ein getäfelter Vorraum befand. Wenige Schritte, eine schwere Eichentüre, Pforte drei und eine Klingel! Man öffnete. Wies an. „Hier die Schlüssel. Sie können kommen und gehen, wie und wann Sie wollen, sind aber herzlich eingeladen unseren Tagesablauf zu teilen!“ „Hier werden Sie sitzen während der Mahlzeiten!“ „Da wäre die Teeküche! Schreiben Sie auf, was Sie entnehmen!“ „In unserem Salon finden Sie eine Leihbibliothek.“ Und es gab sogar einen Fahrstuhl. In diesem ehrwürdigen Gebäude. In solch einem Komplex. „Sie sind hier frei zu tun, was Ihnen gut tut! Herzlich willkommen!“ Ein Faltblatt mit Regeln wurde überreicht. Grundtenor: Rücksicht nehmen und Aufmerksamkeit.

Zwei Stockwerk höher, unterm Dach das Zimmer. Klar, einfach, zweckdienlich eingerichtet, wie man so sagt. Bett, Tisch, Stuhl, Schrank, sogar Dusche. Sauber ist gar kein Ausdruck. Archibald Mahler hat Platz genommen auf dem Fensterbrett, Ernst Albert packt die Reisetasche aus. Man schweigt, dem Ort angemessen. Beiden ist als wäre beim Betreten des Geländes eine Türe hinter ihnen zugefallen, die Misthäufen aller Art den Zutritt verwehrt.

Der Bär blickt aus dem Fenster. Was sieht er? Einen Garten. Gewächshäuser. Unterkünfte der hier Beschäftigten. Alte Bäume. Die Mauer, die das ganze Areal umfaßt. Dahinter Pferdekoppeln plus ihre Bewohner. Bis über die Hufe im Morast stehen sie, aber heiter Heu kauend. Streuobstwiesen. Felder mit Wintergetreide. Ein Hügel. Der Waldrand und darüber der Himmel, der sich anschickt aufzureißen. Scheue Sonnenstrahlen wischen über Mahlers Nase. Er blinzelt. Er  muß niesen. „Gesundheit! Gehen wir raus, Herr Bär?“ So ward’s getan.

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Dienstag, 17. März 2020 18:37
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