Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Drei

engel05

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Ja, wo laufen sie denn?

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Extra muros ein paar Gehöfte, großzügige Stallungen, Koppeln, Weiden. Das ganze Land ringsherum scheint intensiv und fleißig bewirtschaftet. Man hört die Kühe – es ist Nachmittag – nach dem Melker rufen, der dieser Tage wohl eher ein Computer ist, vereinzelt wiehert ein Pferd nach Gesellschaft und über den Köpfen kreischen lüsternde Bussarde, Lenz unter den Schwingen. Seltsam jedoch, weit und breit keine Aufrechtgeher zu sehen. Die Gebäude gewiß bewohnt, besorgt, gepflegt, aufgeräumt, alles an seinem Platz. Doch kein Homo – na ja – sapiens. Lediglich die wachenden Hunde rennen auf die zwei Pilger los, kläffend bis an die Grenze ihres Grundstücks hetzen sie, verharren dort knurrend und / oder schwanzwedelnd lassen sie die Wanderer anstandslos ihres Weges ziehen. Man wollte lediglich gewarnt haben. Gläserne Stille.

Die Sonne hat inzwischen die letzten Regenwolken verscheucht unter gütiger Mithilfe eines lauen Windes. Doch die plötzliche Frühlingswärme nach einem Winter („Hä?“ Der Säzzer) überrascht immer wieder Leib und Geist von Mensch und Tier und so entschloß man sich zu einer kleinen Rast. Auf den durchweichten Feldern am Wegesrand lagen dutzende riesengroße Strohräder, gülden die strahlende Sonne spiegelnd. Mahler nahm Platz und ließ die Wärme in seinen Pelz eindringen. Ein Winter, zwar neben der Spur und fast schon Karikatur, aber ohne Winterschlaf und voller Misthäufen, das macht müde und so schlief er ein und es träumte ihn von der Kleinen häßlichen Stadt in Mittelhessen. Alle Geschäfte, die Kinos, der Musentempel, sogar die Buchläden waren geschlossen, die Straßen leer und eine himmlisch unheimliche Stille lag über dem ansonsten so sinnfrei hektischen Ort, und so überraschend klirrte die plötzliche Ruhe in ihm, daß er fürchterlich erschrak und erwachte. Es vibrierte in seinem Kopf als schlügen tausend Hummeln aufeinander ein und sogleich berichtete er dem Ehrenwerten Ernst Albert von seinen Nachtmahren, im dem Fall von seinen wilden Tagmahren.

„Tja, Freund, wohl so eine Art Wunschtraum des Ruhesuchenden. Dies sei es, was wir in den nächsten Tagen anstreben wollen, in uns, um uns und um uns herum. Ruhe und Frieden. Nur mit mir und mit sich selbst müssen Sie auskommen!“ So sprach der Ernst Albert. „Wenn es weiter nichts ist!“, dachte der Bär und schüttelte mit einem gewaltigen „Weia!“ den blödsinnigen Traum von sich ab. Ah, wie köstlich die Frühlingsluft den Rachen hinab in die geweiteten Lungen fiel. „Hier ist gut! Hier mag man verweilen!“ Dachte er auch noch.

Man brach auf Richtung Unterkunft und Ernst Albert, angeregt durch seines Bären wirren Traum, dozierte – was er ja gelegentlich gerne macht – über eine zutiefst erschöpfte Gesellschaft, die sich in ihren Hamsterrädern und Selbstbestätigungsritualen immer mehr und auswegsloser verliert, die unfähig ist innezuhalten, wie eine Blechbüchsenarmee den Berg hinunterrollt und trotzdem weiterhin fest daran glaubt, sich auf dem nie endenden Weg noch OBEN zu befinden. Und er rezitierte vor sich hin:

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Reiten, reiten, reiten durch den Tag, durch die

Nacht, durch den Tag.

Reiten, reiten, reiten.

Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht

So groß. Es gibt keine Berge mehr, kaum einen

Baum. Nichts wagt aufzustehen. Fremde Hütten

Hocken durstig an versumpften Brunnen. Nirgends

Ein Turm. Und immer das gleiche Bild. Man hat

Zwei Augen zuviel.

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„Das gefällt mir aber sehr gut! Ist das so eine Art Misthaufenlyrik?“, sagte und fragte Archibald Mahler.

„Rilke!“ antwortete Ernst Albert, auf einmal außerordentlich einsilbig.

Man erreichte die erste Pforte, säuberte die Schuhe in besagter Pfütze, eine Glocke schlug hell. Das und die Vesper riefen.

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Donnerstag, 19. März 2020 17:38
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