Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Sechs

engel13

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Tiefe Wege. Schweigende Fährten.

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Schweres Gerät, Traktoren, Harvester, Unimogs hatten die meisten Wege in Morast verwandelt. Abseits der Wege, manchmal auch darauf, lagen kreuz und quer etliche in den letzten zwei schrecklich trockenen Sommern geschwächte Bäume, welche einer der letzten Winterstürme zu Fall gebracht hatte. Abkürzungen querwaldein, zeitvespernde Umwege, Improvisation abseits der Pläne ohne die Orientierung zu verlieren, die Anforderung dieses Tages, die gerne angenommen wurde. Allüberall Spuren, Fährten, Hinterlassenschaften der Winterernte, Zeugnisse einer intensiven Bewirtschaftung des Forstes, aber auch notwendiger Aufräumarbeiten. Stämme, Stapel, numeriert, farblich gekennzeichnet, zum Abtransport bereit. Doch wo waren die dazugehörigen Aufrechtgeher? Woher kamen die Spuren? Wohin führten die Fährten? Einmal aus der Ferne der Schrei einer Motorsäge, die auf härteres Holz trifft. Sonst tiefe nieselnde Stille. Und – fast schon unnötig dies zu erwähnen – kein Wanderer, der in den letzten zwei Stunden den Weg der zwei Pilger gekreuzt hätte.

Ein Apfel reicht nur eine gewisse Zeit – wir reden nicht vom Apfel der Erkenntnis, in den man beißt, um nichts zu begreifen – nein von der letzten Rast, der letzten Energiezufuhr. Also hieß man diese geheimnisvolle Hütte am Wegesrand, dieses erste Zeugnis der Anwesenheit menschlichen Lebens, freudig willkommen. Das mitgenommene Käsebrötchen rief – wie schmeckt’s doch unter freiem Himmel, auch wenn er wolkenverhangen – und der Durst nach Gänsewein. Krambambuli!

Archibald Mahler war auf Anhieb fasziniert von dem maroden, offenbar aufgegebenen Häuschen. Er dachte darüber nach, ob man diese bescheidene Behausung zu einer Art Kloster für einen Eremitenbär in spiritueller Lehre umwidmen könne. Ein eigenes Stift, ein eigener noch zu gründender Orden. Die Archibaldenser? Oder die Brüderschaft der Waldmahler?

Der Ehrenwerte Ernst Albert hatte sich, weilst der Bär seine zukünftige Wirk- und Nachdenkstätte einer ersten Prüfung unterzog – ins Gebüsch verkrümelt sein Wasser abzuschlagen. Er rezitierte dabei einen einfachen Vierzeiler.

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Schilt nicht den Jäger

Der sonntags nicht zur Kirche geht.

Ein frommer Blick zum Himmel

Ist besser als ein falsch’ Gebet.

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Diese Worte waren eingebrannt gewesen in eine Holztafel, welche über einem Ecktisch in einem kleinen Cafe – eine Art Schlauch – hing. Das Cafe befand sich schräg gegenüber des Münsters Unserer lieben Frau in der Ansehnlichen Stadt am See, in welcher der Albert aufgewachsen war. Ab der Obersekunda besuchte er diesen Ort mit einigen Schulkameraden – es waren stets die selben Missetäter – immer dann, wenn sie dem Unterricht fernblieben, um – dies waren die Zeiten – gegen die Sinnleere desselben zu protestieren. Manchmal aber auch nur aus purer Faulheit, mangelnder Vorbereitung oder einer generellen Abneigung gegen die naturwissenschaftlichen Fächer. Jedenfalls verzehrte man dort Butterbrezeln oder – wenn es das Budget zuließ – ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte. (Beides von legendärer Qualität und im darauf folgenden Leben in dieser Qualität nie wieder genossen.) Dabei sprach man den Reim und machte sich seine Botschaft zu eigen.

Archibald Mahler hatte Stellung bezogen auf einem mobilen Hochsitz, der neben der windschiefen Hütte abgestellt worden war, goutierte von dort oben den Reim in Sachen Jagd und Gebet und sah sich schon als jagender Mönch oder betender Jäger, Narziß und Goldmund in einer Person, Welt und Himmel, wollte bleiben, in der festen Annahme GEFUNDEN zu haben. Zudem war er müde und überhaupt kein Freund von schlammigen Umleitungen. Doch er hatte – mal wieder – die Rechnung ohne die Umtriebigkeit seines Begleiters gemacht. „Es ist nicht der Ort, es ist die Wanderung, die uns begründet!“, vernahm er aus dem sich teilenden Gebüsch und da Mahler des Ernst Alberts Pilgerherz lauten Schlag sich nähern hörte und dieses auch – es sei eingestanden – liebte, fügte er sich ins Unvermeidliche. Allerdings unter der Bedingung, daß der Müsliriegel aus dem Wanderbeutel der seine ist. „Wen auch immer es trifft, daß er sein Haus verlasse!“ Sprach’s, sprang in den Beutel und begann zu kauen. Mmmmh!

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Montag, 23. März 2020 21:49
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