Beiträge vom April, 2020

Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Elf

Freitag, 3. April 2020 23:31

engel23

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Sehr geehrter Freund Herr Kuno Budnikowski von und zu Datteln!

Verzeihen Sie die etwas förmliche Anrede, aber ich schweige dieser Tage zumeist und so schreibe ich Ihnen, um etwas zu sagen zu können ohne zu reden und dies will ich gewissenhaft tun. So ein Kloster ist ein freundlicher Ort und so eine Stille sollten Sie mal hören. Die Schwestern hier sind vom Orden der Benediktiner. Ich glaube, die haben die strengsten Regeln aller Klöster. Braucht man wohl, wenn man sein ganzes Leben zusammen verbringen muß. Hier will man das. Müssen Sie sich vorstellen, man kommt hierher, weiß, wird man aufgenommen, man verläßt den Ort nie mehr und, wenn es soweit ist, stirbt man hier. In Frieden. Vielleicht daher die Freundlichkeit. Ich erlebe hier Dinge, die mir neu sind oder ich habe sie vergessen gehabt und es ist nicht einfach diese zu erklären. Da bleibt nur Überschwenglichkeit oder Schweigen. Gut ist auch, die Tage vergehen ohne Fernsehen, Radio, Mobilfunkapparate und noch nicht mal Zeitung. Man könnte das haben, wenn man wollte, das ist Bestandteil der Freundlichkeit, aber der Ehrenwerte E. A. und ich wir lassen das mal. Sonst bräuchten wir auch nicht hier zu sein. Dadurch sind die Uhren zeigerlos und wir wissen nicht, was geschieht draußen in der Welt vor den Klostermauern  und sonst sind wir meist im Wald unterwegs. Manchmal, erzählt der Ehrenwerte E. A.,  läge die FAZ vom Vortag neben dem Altpapier. Er schaue aber dran vorbei. Außerdem regnet es jeden Tag und das Tal unten steht schon unter Wasser. Jetzt läuten die Glocken zum Komplet. Da will ich auch mit dem Stift schweigen. Morgen bringt der E. A. den Brief zum Briefkasten links neben der Klosterpforte. Für mich hängt der zu hoch.

Gott mit Ihnen und bis bald!

Ihr Archibald Mahler, Bär die Tage in Engelthal

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engel24

Thema: Vorletzte Fragen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Zehn

Freitag, 3. April 2020 10:49

engel21

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Von der Notwendigkeit, keinem Zufall und den Widersprüchen

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„Gott hat keine Religion!“ Dies habe ein Pfarrer mal zum kürzlich hier zitierten Imre Kertesz gesagt. „Weil Du mich gesehen hast, Thomas, glaubst Du! Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ Spricht in der Bibel Jesus Christus zu einem der Jünger. Und von Marcel Duchamp stammt das wunderbar verwirrende und Wahrheit transportierende Zitat: „Es gibt keine Lösung, denn es gibt kein Problem!“

Archibald Mahler, Bär tief im Wald nah dem Kloster Engelthal, fehlten die Worte. Zu denken hatte er nicht aufgehört, im Gegenteil im Kopp summte und brummte es wie tausend Hummeln auf Captagon. Dennoch, die tiefe Wortlosigkeit war ihm willkommen. Sie war ihm nicht Manko, Verlust, Beunruhigung, sondern erfüllend. Er ahnte eines Tages werde er in der Lage sein diese Wortlosigkeit zur Sprache zu bringen. Heute jedoch nie und nimmer. Wann dann, darauf verschwendete er keinen Gedanken. War eh kein Platz im Summ – und Brummschädel. Dieses Verstummen war kein plötzliches, beispielsweise auf Grund eines Schocks, Traumas oder zwecks Erfüllung eines Gelübdes. Diese Stummheit war ein solche, die jedem Sprechen vorausgeht, zumindest sollte, will das Sprechen von Bedeutung sein. Was also war geschehen?

Da war dieser alte Steinbruch. Da lagen diese großen, runden, bemoosten Felsen. Waren sie vor ewigen Zeiten den steilen Abhang hinuntergerollt? Hatte ein Riese, übermutig seine grenzenlosen Kräfte austestend, mit ihnen um sich geworfen? Bäume lagen kreuz und quer. Keine Vögel zu hören, eine vibrierende Stille. Einer dieser Orte in dessen Unheimlichkeit ein mancher sich plötzlich heimisch fühlt. So Archibald Mahler. Er hatte seine Wurzel noch nicht gekappt, sich bedingungslos dem Vorwärtshasten hingegeben. Was die Väter einst gesungen, auch wenn da mancher Mißton mitschwang, klang noch in seinen Ohren und – ja – in seinem Herzen. Manchmal. Den Vätern gegenüber ist man gerne ungerecht, muß gegen sie rebellieren, sie verleugnen, um eigene Leiden und Fehltritte zu rechtfertigen. Dann lausche man eben den Vorvätern, den auch die hatten Söhne, die vor den Vätern starben. Auch wenn dieser Ort schwieg, vordergründig, uralte Lieder rauschten in den Baumwipfeln. Zeilen jenseits der Erinnerung, doch irgendwo im Bären gesammelt, verrammelt meist, versammeln sie sich nun an diesem Ort zu einer Art Gebet. So wie die meisten Aufrechtgeher – selbst wenn sie ein Leben fern aller Transzendenz geführt haben – nicht ohne ein Zucken der Erinnerung am Gekreuzigten vorbeigehen können. Vor allem wenn die Nöte der Angst nach ihnen greifen.

Welcher Zufall hatte den Ehrenwerten Ernst Albert und so auch den Bären hierher geführt? Die Notwendigkeit war es, da der Zufall keine Erklärung für eine Tat  ist. Kommt es da nicht auf das gleiche heraus, von einer Notwendigkeit zu sprechen, welche die Schritte an diesen Ort gelenkt hat? Archibald Mahler wollte bleiben. Nicht Erkenntnis zu suchen, nur schweigen, hören, dasitzen, nichts wissen, atmen und sich ab und an am Pöter kratzen. Dies muß ein Bär selbst in Momenten größter Transzendenz einfach tun. Ansonsten gab es kein Problem zu bedenken, kein warum, weshalb, wohin, keine Beweisführung stand an, keine aufgeplusterte Erklärung, vollkommen lösungsunorientiert streiften die Blicke umher, lauschte das Ohr dem eigenen Atem und jene ewigen Dilemmata der Entscheidungsfindungen lösten sich auf wie Flatulenzen in der lauen Frühlingsluft.

Der Ehrenwerte Ernst Albert mutmaßte, daß es sich bei diesem besonderen Flecken um eine uralte Kultstätte handelte, haben die Kelten in dieser Gegend doch massig Spuren hinterlassen. Oder hier haben die drei Hexen einen hessischen Macbeth abgefangen und ihm sein Herz mit allerlei wohlfeilen Versprechungen verdreht. Vielleicht hat hier ein irischer Mönch den Germanen ihre heilige Eiche gefällt und den Eid abgelegt, liefe ihm in den nächsten Stunden ein Bär über den Weg, den er erlegen und verspeisen konnte, auf diesen Felsen ein Kloster zu errichten. Man muß dies nicht wissen, man mag widersprüchliche Vermutungen anstellen und daran glauben.

„Mahler, mein Bär! Wir müssen leider aufbrechen!“

„Meister Albert, ich sage nur, daß ich nun nichts mehr sage!“

„Gut! Hör zu! Morgen werde ich Dich alleine lassen. Ich will, da ich schon hier bin, morgen die Einladung der Schwestern annehmen, an all ihren Zusammenkünften im Refektorium teilzunehmen. Und sonst schweigen!“

Archibald Mahler nickte zustimmend. Endlich hält der auch mal die Klappe. Das paßte ihm in den Kram.

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engel22


Thema: Vorletzte Fragen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth