Beiträge vom August, 2020

Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 015

Dienstag, 25. August 2020 16:48

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Rollende Bank (wider und für das Vergessen)

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Jetzt sitze ich auf einer hochgeklappten Bank, die hoffentlich bald losrollt, ich Archibald Mahler, aber mein Namensgeber ist nicht zu greifen. Er ist wohl im Gebüsch. Mal kurz. Es ist noch heißer geworden und ich will nach Hause. Wo immer das auch sein mag. Andererseits habe ich viel damit zu tun, darüber nachzusinnen, ob ich vergessen will oder besser nicht vergessen sollte. Da war dieses Männchen, das gerne wutschnaubend wegen geringster Probleme in die Luft fuhr und dann von einem nikotinverkaufenden Grinseteufel im Königsmantel auf den Boden der eigenen Unzulänglichkeiten runtergeholt wurde, gleich darauf debil und glücklich grinste, um am nächsten Tag wegen eines krumm in die Wand geschlagenen Nagels wieder in die Luft zu fahren. Nun, das weiß ich nicht, das hat mir der mittagsbebierte Namensgeber erzählt und deshalb ist er jetzt im Gebüsch. Kurz und mal. Was ich aber im Moment gar nicht vergessen kann, neben diesem Männchen stand ein Abbild meiner Ahnen, groß und grob in Holz gehauen und so einem stand ich vor zwei Monaten im Erzgebirge gegenüber und machte mir so meine Gedanken drüber, wer und was und ob ich überhaupt und was so alles in einem Bären schlummern kann. Die Wut? Wut tut gut und braucht aber gelegentlich ein Nichtvergessen. Gibt es aber Wüte, die unnötig, Wüterei, die unbedingt ein Vergessen herbeibeten sollte? Mit meinem Namensgeber kann ich nicht darüber parlieren. Ich glaube und befürchte, der weiß zur Zeit gar nicht, was er sich merken und was er alles vergessen will. Da kommt er. Und sagt, ich müsse mich noch etwas gedulden, weil sein Zustand und die kleine Mopedmühle eben nicht zusammenpassen. Einen baldigen Aufbruch könne ich vergessen. Das vergesse ich ihm nie. Bei dieser Hitze. Dann holt er ein Buch aus dem Gepäckfach unter der hochgeklappten Bank, die schon längst hätte losrollen sollen, setzt sich in den Schatten und beginnt zu lesen und mir vor. „Es gibt nichts zu verstehen für die Leute, die nie weggegangen waren!“ Das merke ich mir. „Heute morgen habe ich auf meinem Riff gesessen, wenn es noch meins ist. Ein windiger Tag. Da muß man gar nicht auf die Idee kommen, irgendwohin zu wollen, weder nach Hause noch weg von zu Hause.“ Das muß ich mir merken und will es nicht vergessen. „Endlich wirst du vernünftig, mein Lieber, ruft Jan zu mir herüber. Er steht ein wenig abseits und pisst in den Straßengraben. Es ist unglaublich still hier draußen. Ich habe ein paar Kornblumen gepflückt. Mohn fehlt mir noch, auch wenn er sich in der Vase nicht hält. Jan kommt mir helfen. Er schnauft. Als er näher kommt, rieche ich seine Fahne. Auch ich habe eine, das muss so sein, auch wenn ich sie gerade nicht rieche.“ Jetzt vergesse ich, daß es heiß ist und ich nach Hause will. Ich höre zu und mein Namensgeber liest über den besten Freund des Geschichtenerzählers und der hat nur noch ein Bein und der Geschichtenerzähler, der wieder nach Hause gezogen ist, weil er nicht vergessen kann oder weil er vergessen will, fühlt sich schuldig, und ich denke an mein abbes Bein, welches die wunderbare Frau meines Namensgebers wieder an mich dran genäht hat, was ich nie vergessen kann und werde, aber könnte, weil sie es ja getan hat und Stunde um Stunde vergeht und das ist das beste aller Bücher, was mir je vorgelesen wurde. Vor allem heute, an diesem heißen Tag, hier oben in Britisch Kolumbien. Kann man ein Buch in vier Stunden weg lesen? Man kann, wenn es einerseits so gut ist und es einem zwischen die Augen seines gegenwärtigen Zustandes haut. Mit wuchtiger Faust. Weil man eben gerade darüber nachsinnt, was man vergessen mag und was besser nicht. Wenn ich mal reich bin oder wenn mir mein Namensgeber viel Geld leiht, schenke ich das Buch allen, die mir wichtig sind und die ich nicht vergessen will. Dann springt die rollende Bank an, stinkt und knattert, es ist schon dämmerig und wir fahren nach Hause. Wo und was das immer sein mag. Gut, daß ich mich nicht festhalten muß. Ich liege neben dem Buch im Gepäckfach und der kleine, aber eifrige Motor verbrennt mir schier den Pöter. Das ist mir egal. Manche Schmerzen vergisst man besser und schnell. Dann kann man sich wieder erinnern an das, was man nicht vergessen sollte. Das war ein schöner Tag. Bei den Bisons.

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Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 014

Freitag, 21. August 2020 16:45

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Bank ohne Gesäß

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Ich kann nicht Gedanken lesen. Auch wenn ich es oft behaupte. Mein Namensgeber kann das, weil er ein Genie ist. Natürlich ist das die nächste Lüge auf unserem Weg nach irgendwo. Also, das Genie, welches mein Namensgeber ist, schweigt. Er ist nicht hier und jetzt und bei mir, Archibald Mahler, dem Bären vom Brandplatz aus der Kleinen Häßlichen Stadt in Mitteldrögehessen, sondern wandert durch sein Gestern, verklärt, geklärt, vergessen, verdunkelt und doch vorhanden, glitzernd, greifbar und immer wieder neu. Er greift sich an seine Kappe. Er nimmt die Kappe ab. Er schaut seine Kappe an. Er grinst. Hat er an diesem Tag getan. Heute würde er seufzen. Als er aufbrach, um die Idyllichkeiten hinter sich zu lassen, schenkte man ihm einen Button. Er trägt in heute noch. Nicht mehr an der Brust, sondern am Kopp. Weil der mehr fühlt als das blöde, sentimentale, selbstsüchtige Herz. Sagt das Genie, das kein Genie ist, aber mein Patron und Namensgeber. Und dann kriegt er einen nicht enden wollenden Lachanfall, der mich, Archibald Mahler, Lügenbärbaron vom Bodenwald etwas verschreckt. Er erzählt, wie sie einst voller Mittagsbier und Mitternachtskräutern vor einem Kiosk eine damals BRDweite Kultfigur entwendet hatten und die Figur nicht nur entwendet, sondern ihr auch noch die markante Nase abgesägt hatten, um sie dann vor der Behausung des Namensgebers prominent sichtbar aufzustellen, den Nachbarn zur allgemeinen Freude. Und daß der Genosse mit dem er dies einst getan hatte, unser derzeitiger Gastgeber sei und wie er den Zufall liebe, mehr denn je und ohne Unterlaß. Auch wenn es eine Lüge wäre, die es nicht sei. Das habe ich ihm geglaubt, weil ich seine Augen so gut kenne wie meine eigenen. Wobei, schaue ich in den Spiegel, zweifele ich daran. Egal. Ich aber, Archibald Mahler, empöre mich. Jemanden die Nase absägen? Nachdem der schwankende Hintern die Bierbank verlassen hat? Um zu gehen? Die Heimat hinter sich und seinem Hintern zu lassen? Bierbankbefreit? „Warum denn gleich in die Luft gehen? Greife lieber zur HB!“ Das ist die Antwort und dann kugelt sich mein Namensgeber auf der Wiese Rum und Cognac und ruft: „HB! JAAA! Ha Be! Heimatbetrachtung! JAAAAA! Heimatbetrachtung! Ich glaub es nicht!“ Und ich, Archibald Mahler, denke, der hat doch echt einen an der Waffel. Ja, lüg ich denn!

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Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 013

Donnerstag, 20. August 2020 18:27

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Die Bierbank

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Ab jetzt lüge ich. Das darf man, wenn es zu heiß im Haupte. Selbiges bekopfe, also behaupte ich mit meinem Kopp mal, ich, Archibald Mahler der auf dem Bodanrück unterwegs ist und das nicht allein, jetzt einfach mal so. Sicher, es fällt mir schwer zu lügen, aber wo beginnt die Geschichte, hört die Wahrheit auf, die noch gar nicht angefangen hat eine Geschichte zu erzählen, lediglich eine Erinnerung behauptet und wie buchstabiert man eigentlich WHRAIEHT? Ich sitze auf einer Bierbank. Das wäre die Lüge gewesen. Habe nicht lange durchgehalten mit der Flunkerei. Ich sitze auf einem mehreren Bierbänken zugeteilten Biertisch und lehne mich an ein großes Gefäß vom „Gelben“. „Das Gelbe!“? Ja, das Gelbe, und jetzt muß mein Namensgeber – und ich wiederhole mich, der einst meine schwitzende Felligkeit benannte als Archibald Mahler damals – schmunzeln, weil er sich an etwas erinnert. Ob dies nun die WRHATIEH ist, woher soll ich das wissen? Ich als unschuldiger Zuhörer? Nun, er erzählt von einem alten Gefährten, das heißt von dessen Tochter, die immer sagte, wenn die Gefährten schon am frühen Tag sich an die Henkel klammerten: „Schon wieder das Gelbe!“ Aber das war auf einer Insel namens Kreta geschehen. Und da bin ich jetzt nicht. Aber später schon war ich dort auch. Damals aber war ich nicht dabei. Trotzdem weiß ich davon. Und auf Kreta gibt es keine Bisons! Und das ist die HAWRZHIE! Und was ist mit dem Minotaurus? Aber darum geht es hier doch gar nicht. Ich hatte Durst und mein Namensgeber trinkt gelb in der Mittagshitze. Weil ich keinen Fünferkäse erringen will mit meinen Schilderungen, mag man mich auch Meister Petz heißen, lehne ich mich mit heißem Rücken an kaltes Glas und das tut gut. Der Namensgeber redet mit dem Verkäufer und Besitzer der Bierbänke und – tische und man erinnert sich so, daß man vor Jahren – RÜHERF!! – sich schon etliche oder einige Male hier getroffen und mein Namensgeber spricht, wie immer wenn er im Heckerland weilt, diese seltsame Sprache, welche ich nur in Rudimenten verstehe, obwohl ich aus Kamschatka komme, was ja auch am Arsch der Welt liegt und mir Sprachvarianten nicht so fern sind. Verzeihung, jetzt habe ich schon wieder gelogen. Ist auch so ein Ding mit der WHRAEIHZ! Also: zur Sache. Sind die Bierbänke noch länger als die langen Bänke, weil man noch länger da sitzen bleiben kann? Kann ist gut, muß iss blöd! Habe ich das jetzt gesagt oder mein Namensgeber? Jetzt wird es laut. Zwei Busse aus der Schweiz haben sich den Schotterweg hier hoch gerattert und laden eine Horde Kinder aus. Hier oben? Kinder? Horden? Meinem Namensgeber klappt der Kiefer hinab. Wahrscheinlich denkt er HERFÜR! Es wird zum Aufbruch gepfiffen. Ich, Archibald Mahler begrüße dies, weil Bisonbratwürste lieber nicht um diese Tageszeit und in dieser Hitze. Und ich versuche mich zu erinnern. War ich schon mal hier gewesen? ÜRRHEF? Dann schaue ich in die Augen meines Gegenübers. Ja, Zeit iss aufzubrechen. Ab morgen werden wir weiter lügen, um uns der TIEHRHAW zu nähern. Sachte und verbissen.

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Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 012

Dienstag, 18. August 2020 18:19

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Die „kanadische“ Bank

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Viele Schritte waren es nicht, welche ich gehen mußte … (Pause) … Was für ein entsetzlicher, selbstvergessener Lügner bin ich! … Getragen wurde ich, getragen als einer, der gerne selber tragen würde, aber so müde ist, zu erschöpft, dies zu tun, getragen also vom Aufrechtgeher, der mich fand. Am Boden. Also auf der Gass` in der Kleinen Häßlichen Stadt, wo wir noch hausen. Mich fand er dort dazumal. Aber hier ist das dröge Mittelhessen kein Thema. Zurück an den glitzernden See. Da läuft man wenige, dieser Tage gewiß sehr erhitzte Schritte und ist in Kanada. Die Bank ist ein von virtuos geführter Kettensäge zur Sitzgelegenheit umgestalteter Baumstumpf. Dort sitze ich, Archibald Mahler unten am See und mein Namensgeber schwitzt mehr als ich, obwohl er ohne Fell. Aber mich ertragen … Verzeihung! … einfach nur tragen, dies muß er schon. Und dann erzählt er. Britisch Kolumbien nannten er und seine alten Gefährten vor vierzig und mehr Jahren, bevor sie aufbrachen hinaus aus den Idyllichkeiten in die auch nicht hübschere Welt, diese Gegend. Ein Wald wild wie ihr damals wirres Haar und da gab es auch einen Vater, der früher mal Bäume absägte. Oder dabei half. In Kanada! Wohin Britisch Kolumbien gehört. Sagte mir der noch mehr als ich schwitzende Träger. Das wollte ich jetzt nicht hören, weil ich schauen will. Mal nach Süden, mal nach Norden. Eben noch hatte ich eben gen Süden geblickt. Nun eben in die Gegenrichtung. Und? Nach Norden hin brach der Abgrund jäher und unvermittelbarer als gen Süden zur reichen Aue hin. Gen Nord der schmale – fast schon ein Fjord – drüber liegende See, tiefer, kälter – mancher tollkühne Taucher wurde da schon verschluckt am Fuße des Teufelstisches – Das habe ich, Archibald Mahler, Übertreiber im Namen der Geschichten, jetzt nicht erfunden! – und dieser Teufelstisch, unsichtbar lauernd weniger als dreißig Zentimeter unter der Wasseroberfläche gelegen, liegt zu Füßen einer wilden Schlucht, welche die Einheimischen oder die Römer nach der Jungfrau Maria benannt hatten. Das alles im Norden! Da unten! Auf der anderen Seite der reichen Auen! Was rede ich da! Ich sitze hier auf diesem zur Bank zurecht gesägten Baumstumpf und blicke nach Sipplingen rüber. (Wohlfeile Gescheitheit! Hat mir der Mann, dessen Gattin mir mein Bein drangenäht hat, eben erzählt.) Es ist wild und ich denke, daß meine Vorfahren in Wyoming oder Kamtschatka durch ähnliches Gestrüpp streiften und es wird immer heißer und der Träger und Namensgeber kritisiert mit vergangenheitsgewölbtem Flunsch, daß Waldarbeiter den Weg, den wir eben begangen und er mich dort entlang trug, vor bestenfalls zehn Jahren geschoben hatten – “FRÜHER!!!” – sagt er und gleichzeitig, wie sehr er dieses Wort nicht mehr hören möge – wäre man hier durchs Gestrüpp und so weiter. Mir, Archibald Mahler ist das so was von egal, ich schwitze, habe Durst, genieße die unfassbar freundlichen Ausblicke, jetzt gen Norden, nachher gen Süden, manchmal einfach nur in den Himmel rauf, haben einen BÄRENHUNGER und mir ist als müsse ich gleich mal so eines jener Felltiere anfallen, die ich vor einer Stunde sah, roch und Angst hatte vor ihnen. Sogleich sprechen meine Gene zu mir. Mein Urgroßvater ernährte sich, erzählen die mir, im Wesentlichen von Brombeeren, Lachsen und … BISONFLEISCH. „Hatten die Cree oder Dakota oder Kiowas gerne mal für uns liegen lassen! Auf der Prärie! Sei schneller als der Geier!“ Sprach der Uropabär. Und dann sagt mein Begleiter: „Mahler, wie wäre es mit einer Bisonbratwurst?“

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Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 011

Samstag, 15. August 2020 17:03

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Die hohe Bank

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Jetzt sitze ich auf einer hohen Bank und heiße immer noch Archibald Mahler. Ich sitze etwas mittiger als eben noch und es ist noch heißer geworden, obwohl wir noch lange nicht Mittag haben. Der, welcher mich mit meinem Namen versah, steht früh auf. Manchmal nicht, aber sonst immer. Davon auf dieser Bank, die eine hohe Bank ist, heute nichts. Es ist eine Beinebaumelbank (BBB). Ich, Archibald Mahler, der ich seit einigen Jahren wieder beide Beine fest am Leibe habe, baumele mit meinen Gehstumperln eh auf jeder Bank, aber die Aufrechtgeher bauen sich jetzt vermehrt hohe Bänke unter ihre Pöter, um auch mit den Beinen baumeln zu können. Das fördere die Rückkehr in die Vergangenheit. Weißt Du noch? Sorgenfrei baumelt das Kind. Sogar mein langbeiniger Namensgeber kann hier baumeln. Weiß er noch? Oh ja. Aber was? Solche gibt es, die zu wissen vorgeben, was geschah, weil sie es behaupten, andere waren dabei und können sich daran so gar nicht erinnern und manche schätzen die Arabesken und Kurven, die sich im Laufe eines sich langsam ablebenden Lebens an das ein oder andere Ereignis geheftet haben, wie die Kletten an Archibald Mahlers Fell. Also mein Fell. Der Mann, der Archibald Mahler taufte, stiefelt gern durch das Dickicht. Tat er schon immer, sagt er. Ich, Archibald Mahler will und kann das nicht überprüfen. Ich war nicht dabei. Heute aber ist er hier. Gestiefelt durch Dickicht. Und ich auch. Mit Kletten der Erinnerung am Fell. Und was ich – behaglich beinebaumelnd – vor mir erblicke, greift ans Herz. Welche Schönheit! Welches Idyll! Ein Auenland. Ein reiches Auenland! Eine reiche Au im See da unten. Am Horizont der Seerücken, bewohnt von den noch Reicheren, die die Au gerne besuchen, sie zu bereichern. Und das ist ein Geschenk der Götter. Am Abend des sechsten Tages hat Gott noch mal richtig Freude gehabt, Schönes zu schaffen. Hier und da unten. Das denk ich mal, das dies so war. Also mit Gott. Weil selber gebaut, ham die das sicher nicht. Egal. Schönheit ist schön. Beine baumeln lassen auch. Und mein Namensgeber erzählt eine Geschichte, wie er vor mehr als vier Jahrzehnten auf dieser Bank, die noch keine hohe war, am selben Platz aber stand als eine andere Bank und die Füße der Draufsitzer den Waldboden noch berührten, mussten, oder durften, wer weiß das schon, wie er also hier saß, dieses sah wieder und wieder, was das Herz berührte und trotzdem er und seine Gefährten – Nenne keine Namen, sie sind austauschbar im Sinne der Erzählung, der Fabel, der Sage, des heiligen und fürchterlichen Paradies Erinnerung! – sprachen – Wem das Zitat ins Brevier heften? – Ach, nenne keine Namen, sie sind austauschbar im Sinne der Erzählung, der Fabel, der Sage, des heiligen und fürchterlichen Paradies Erinnerung! – also einer sprach: „Was für ein fürchterliches Idyll! Hier muß man weg, wenn man nicht zu einer Bank werden will, nur noch glotzt und ach, so schmerzhaft auch immer es ist. Gehen wir.“ Was sie auch alle taten. Der Leichtsinn und der Mut der Jugend. Und auf dem Weg hinter der Bank, die an einem dezent jähen Abgrund platziert, näherte sich ein Traktor, etwa so alt wie mein Namensgeber, der sinnend auf die reichen Auen blickte, darüber nachsann, wo und wie er damals aufbrach, nun wieder hier saß, auf höherer Bank, nun beinebaumelnd, älter, geschwächter, ernüchtert, aber noch nicht am Ende, das manchmal winkte schon mit schiefem Grinsen. Und da die Traktorjugend mit Kühltasche sich scheu neben die hohe Bank stellte, in respektvollem Abstand, bot der Mann, der mich Archibald Mahler nannte einst – das gefiel mir erst nicht, dann doch – den Dreien die Bank an. Man wäre eh im Aufbruch. Wo ich doch eben erst angefangen hatte zu schauen auf die reichen Auen. Allerdings mußte sich die Jugend noch die Erzählung des alten Rundwanderers anhören, wie, was und wo so und ähnlich auf der Bank – damals ohne Beinebaumelei – gesprochen, gedacht oder gar entschieden wurde. Da lachten sie, ich sah freundliche Schüchternheit in ihren Augen und einer oder war es die eine, sagte: „Schon schön hier!“ Und: „Ich wollt hier nich weg!“ Wir aber mußten, weil ja die Bank freigegeben war. Es wurde noch heißer. Aber ich, Archibald Mahler, ließ mich tragen. So schaute ich weiter in die Bäume, sah den See glitzern, mal rechts, mal links vom Pfad und hörte zu bis zur nächsten Bank.

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Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 010

Donnerstag, 13. August 2020 16:27

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Die lange Bank

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Ich heiße Archibald Mahler und sitze auf einer langen Bank. Am linken Rand sitze ich und rechts von mir ist viel Platz. Die Bank ist frei. Es ist heiß. Dort, wo nichts liegt neben mir, mag und könnte ich einiges hinschieben. Einiges und viel. Was ich auf die lange Bank schiebe, benötigt eigentlich Bänke. Ich sitze aber nur auf dieser einen Bank heute und es wird immer heißer. Man hat mich hierher gefahren auf einem schwankenden, stinkenden, knatternden Gefährt. Eine Rundwanderung steht an. Ende oder Anfang? Das weißt ich nicht. Vielleicht werde ich es bald erfahren. Ich heiße Archibald Mahler, weil mich wer so benannt hat. Das ist lange her. Aber nicht so lange her, wie der, der mich einst benannte, einst oft auf dieser Bank saß. Und auf anderen Bänken. Mein Auftrag ist über Bänke nachzudenken. Denke ich. Rechts von mir ist ein stabiles Gatter. Dickes Holz duftet, wenn es heiß ist. Ein großes, gelassenes Tier blickt mich an. Hinter dem Gatter steht es und schüttelt langsam den größten Kopf, der mir jemals in meinem Leben untergekommen ist. Darüber bin ich froh. Über den Kopf, vor allem aber über das Gatter. Also winke ich frech durch das Gatter. Dem großen Tier ist das Wurst. Der, der mich auf die Bank gesetzt hat, auf die ich einiges hinschiebe in der heutigen Hitze, weil mir noch nichts eingefallen ist, sagt, das große Tier kann viele Geschichten erzählen. Vielleicht ist das große Tier die Geschichte. Struppig, gelassen und voller durchlebter Tage und Nächte und mit einem Auge, welches mir Löcher in mein Fell blickt. Die Zunge des großen Tieres hängt in der heißen Luft und tropft. Fallen mit der Bisonspucke Sätze der Erinnerung auf den braunen Rasen? Wir werden es rausfinden müssen. Der, welcher mich benannte und auf die lange Bank setzte und ich Archibald Mahler. Dann stehen wir auf und laufen los. Die nächste Bank wartet.

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