Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 015

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Rollende Bank (wider und für das Vergessen)

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Jetzt sitze ich auf einer hochgeklappten Bank, die hoffentlich bald losrollt, ich Archibald Mahler, aber mein Namensgeber ist nicht zu greifen. Er ist wohl im Gebüsch. Mal kurz. Es ist noch heißer geworden und ich will nach Hause. Wo immer das auch sein mag. Andererseits habe ich viel damit zu tun, darüber nachzusinnen, ob ich vergessen will oder besser nicht vergessen sollte. Da war dieses Männchen, das gerne wutschnaubend wegen geringster Probleme in die Luft fuhr und dann von einem nikotinverkaufenden Grinseteufel im Königsmantel auf den Boden der eigenen Unzulänglichkeiten runtergeholt wurde, gleich darauf debil und glücklich grinste, um am nächsten Tag wegen eines krumm in die Wand geschlagenen Nagels wieder in die Luft zu fahren. Nun, das weiß ich nicht, das hat mir der mittagsbebierte Namensgeber erzählt und deshalb ist er jetzt im Gebüsch. Kurz und mal. Was ich aber im Moment gar nicht vergessen kann, neben diesem Männchen stand ein Abbild meiner Ahnen, groß und grob in Holz gehauen und so einem stand ich vor zwei Monaten im Erzgebirge gegenüber und machte mir so meine Gedanken drüber, wer und was und ob ich überhaupt und was so alles in einem Bären schlummern kann. Die Wut? Wut tut gut und braucht aber gelegentlich ein Nichtvergessen. Gibt es aber Wüte, die unnötig, Wüterei, die unbedingt ein Vergessen herbeibeten sollte? Mit meinem Namensgeber kann ich nicht darüber parlieren. Ich glaube und befürchte, der weiß zur Zeit gar nicht, was er sich merken und was er alles vergessen will. Da kommt er. Und sagt, ich müsse mich noch etwas gedulden, weil sein Zustand und die kleine Mopedmühle eben nicht zusammenpassen. Einen baldigen Aufbruch könne ich vergessen. Das vergesse ich ihm nie. Bei dieser Hitze. Dann holt er ein Buch aus dem Gepäckfach unter der hochgeklappten Bank, die schon längst hätte losrollen sollen, setzt sich in den Schatten und beginnt zu lesen und mir vor. „Es gibt nichts zu verstehen für die Leute, die nie weggegangen waren!“ Das merke ich mir. „Heute morgen habe ich auf meinem Riff gesessen, wenn es noch meins ist. Ein windiger Tag. Da muß man gar nicht auf die Idee kommen, irgendwohin zu wollen, weder nach Hause noch weg von zu Hause.“ Das muß ich mir merken und will es nicht vergessen. „Endlich wirst du vernünftig, mein Lieber, ruft Jan zu mir herüber. Er steht ein wenig abseits und pisst in den Straßengraben. Es ist unglaublich still hier draußen. Ich habe ein paar Kornblumen gepflückt. Mohn fehlt mir noch, auch wenn er sich in der Vase nicht hält. Jan kommt mir helfen. Er schnauft. Als er näher kommt, rieche ich seine Fahne. Auch ich habe eine, das muss so sein, auch wenn ich sie gerade nicht rieche.“ Jetzt vergesse ich, daß es heiß ist und ich nach Hause will. Ich höre zu und mein Namensgeber liest über den besten Freund des Geschichtenerzählers und der hat nur noch ein Bein und der Geschichtenerzähler, der wieder nach Hause gezogen ist, weil er nicht vergessen kann oder weil er vergessen will, fühlt sich schuldig, und ich denke an mein abbes Bein, welches die wunderbare Frau meines Namensgebers wieder an mich dran genäht hat, was ich nie vergessen kann und werde, aber könnte, weil sie es ja getan hat und Stunde um Stunde vergeht und das ist das beste aller Bücher, was mir je vorgelesen wurde. Vor allem heute, an diesem heißen Tag, hier oben in Britisch Kolumbien. Kann man ein Buch in vier Stunden weg lesen? Man kann, wenn es einerseits so gut ist und es einem zwischen die Augen seines gegenwärtigen Zustandes haut. Mit wuchtiger Faust. Weil man eben gerade darüber nachsinnt, was man vergessen mag und was besser nicht. Wenn ich mal reich bin oder wenn mir mein Namensgeber viel Geld leiht, schenke ich das Buch allen, die mir wichtig sind und die ich nicht vergessen will. Dann springt die rollende Bank an, stinkt und knattert, es ist schon dämmerig und wir fahren nach Hause. Wo und was das immer sein mag. Gut, daß ich mich nicht festhalten muß. Ich liege neben dem Buch im Gepäckfach und der kleine, aber eifrige Motor verbrennt mir schier den Pöter. Das ist mir egal. Manche Schmerzen vergisst man besser und schnell. Dann kann man sich wieder erinnern an das, was man nicht vergessen sollte. Das war ein schöner Tag. Bei den Bisons.

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Dienstag, 25. August 2020 16:48
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