Autorenarchiv

Von El Paso nach Tinseltown / Der Schlag

Dienstag, 16. Juni 2015 20:19

tal05

Nun, ohne hier mein Licht über Gebühr in die Sonne zu stellen, einer der gänzlich Unbelesenen bin ich sicher nicht, dennoch sei an dieser Stelle der Erzählung gestanden, daß die Vererbungslehre mir Mysterium ist und bleibt. Immer wieder betrachte ich – insbesondere nach einem erfolgreichen linken Haken – verwundert meine Schmetterpfote und frage mich welcher Gott oder welches Gen mir diese zum Geschenk gemacht hat. Heute jedoch, die Sonne begann gerade das Tal aufzuheizen und die Gesänge der Frösche nahmen an Lautstärke zu und verrieten eindeutige Absicht (Oh ja, ich gestehe, ein langer und einsamer Ritt lag hinter einem ehrenwerten Sproß der Familie von und zu Rammelsburg, wenn ich mich nicht irre, hihihi!), beschlichen mich heftige Schuldgefühle ob der Wucht, mit der diese Göttergabe den treuen und tapferen Gefährten, designierten Häuptling der Kamschakta – Bear und Träger des viel besungenen Namens Kleines Abbes Bein, vor meine platten Füße gelegt hatte. Doch vernehme, o Fremder, der du diese Worte vor deine Augen hältst, der wackere Braunpelz er ist nicht in die ewigen Jagdgründe eingegangen, nein er schläft nur, hängt im Ginster und atmet ruhig und regelmäßig. Leise entströmt Atem seiner wunderbaren feinen und intelligenten Nase und seid vergewissert, ihr Zweifler alle, der erste Traum, den meine Pfote ihm bescherte, es ist der erste nur in einer langen Reihe von Träumen, die zu träumen es für den Unermüdlichen höchste Zeit gewesen war, während ich, obwohl erschöpft und ermüdet wie nach meiner damaligen und bemerkenswerten Erstbesteigung des Monte Verita (ohne Karotte und ohne Seil und Haken) – ich werde diese nicht unwesentliche Episode aus meinem Leben als Weltenbewanderer bald in meinem Reisebericht „Lichte Höhe“ ausführlicher schildern – hinab blicke ins Tal, in dem das Leben sich rege zu tummeln beginnt und  die Wache halte.

Tinseltown ist, man möge mir meine vielleicht etwas harsche Ausdrucksweise verzeihen, ein mieses, stinkendes und korruptes Kaff, bewohnt von holzköpfigen Glücksrittern, dummdreisten Trunkenbolden und eiskalten Menschenschindern. Angelockt vom Versprechen auf schnellen und wohlfeilen Reichtum, nach kürzester Zeit durch billigsten Fusel von allem, falls überhaupt vorhandenen, Anstand in Gänze befreit und den letzten ehrlich erworbenen Dollar verloren an Zuhälter, Zocker und ungezählte Hübschlerinnen, versammelt sich in Tinseltown eine Mischpoke, die letztlich nur vereint ist durch die Abwesenheit jeglicher Moral und Gottesfurcht. Und in Tinseltown war es vor gar nicht langer Zeit geschehen, daß mich das letzte Mal ein derartiger Schlag getroffen hatte. Der ehrenwerte Old Schmetterpfote, damals noch ein Greenhorn, war in die Gewalt der Tinseltown terrorisierenden Forrester – Bande gefallen und ein altes Versprechen zwang mich meinen Rappen ‘Deadly Dust’ zu besteigen und in die Höhle des Löwen zu reiten, als mich dieser Schlag traf, der Schlag eines Gewehrkolben, der Schlag des mit Silbernägeln verzierten Kolben meiner Büchse ‘Rodriganda’. Doch von diesem, einem Kamschatka – Bear nicht zur Ehre gereichenden, hinterhältigen Niederschlag später, wenn die Engel mich wieder hinaus aus dem finsteren Labyrinth meiner derzeitigen Träume in das lichte Tal geleitet haben. Aber diese Stunde scheint noch fern und solange liege ich in einer stinkenden Whiskylache auf dem Boden des ‘Royal Flash’, dem einzigen und größten Saloon in Tinseltown, die weinende Kitty Belaire Johnson hält mein blutendes Haupt, das elektrische Klavier hämmert einen atemlosen Ragtime und die krächzende Lache von Kinky Claude, der buckligen und irren rechten Hand von Forrester stellt mir die bohrende Frage: „Warum? Warum nur liege ich hier?“

Für so manches gibt es keine Erklärung, mag man noch so tief in den Schubladen seiner Erfahrungen, in den Hosentaschen seiner Erinnerungen herumwühlen, doch mein heutiger Schlag ist nichts weiter als eine der vielen logischen und bedauernswerten Folgen der fatalen Achtundvierzigsten Minute. Ich hatte, damals noch ein blutiges Greenhorn, mich auf den Weg gemacht von El Paso nach Tinseltown, gewiß war ich aufgebrochen in der Hoffnung dort die Legende des Westens, den designierten Häuptling der Kamschatka – Bear Kleines Abbes Bein zu treffen, doch der Wahrheit die Ehre, ich verließ El Paso nicht ganz freiwillig, nein, ein Unschuldiger wurde damals mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt, weil er, der Unschuldige, damals noch ein Greenhorn und zeitweise auch ein rechtes Großmaul, seine zarten Pfoten über die Beine der legendären Dolores streichen ließ, jene Beine auf denen zu jener Zeit die widerlichen Pranken eines Sid ‘Vicious’ Forrester zu liegen pflegten. Und ich hatte von seltsamen Geschehnissen vernommen und dies dem Gefährten zu berichten, war meine Pflicht. Und hier beginne ich zu flüstern, wenn ich dem Leser mitteile, daß ich damals einen Schwur tat, daß falls jemals wieder die GRAUE WOLKE …, aber ach, verzeihe Leser, hier bricht mir meine Stimme. Heute morgen als mich des Bären zuckendes Bein traf, da erblickte ich in den Augen des Gefährten, o ihr Götter, die GRAUE WOLKE und erschrak darüber derart, daß mein Schlag notwendig ward. Manitu sei mein Zeuge! Und so saß ich und hielt Wacht, zu meinen Füßen der Freund in Morpheus’ Armen, leichter atmend. Ein Hauch von Ruhe glättete seine Stirn. Die GRAUE WOLKE schien ihren Griff zu lockern. Dann schlug ein Käuzchen. Ein mächtiger Habicht kreiste über dem Tal. Zeit den Ausguck zu verlassen und Deckung zu suchen. Ein Westmann spielt nicht mit dem, was ihm die Götter schenkten, seinem Leben. Das nächste Lied pfiff ich nicht, ich dachte es mir. In der Ferne ein elektrisches Klavier.

(Fortsetzung folgt)

tal06

Thema: Archibalds Geschichte, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Durchs wilde Absurdistan / Der Mammon

Samstag, 13. Juni 2015 21:41

tal04

Ich sei ein mißtrauischer, manchmal gar mürrischer Bär mag man mir gelegentlich vorhalten. Nun denn, nicht an allen Lagerfeuern klingen die Lauten hell und leicht. Der Blick, der über die weiten Prärien schweift, sich in tiefen Canyons verliert, durch dichtes Unterholz kriecht oder unstet durch die rapide und maßlos wuchernden Siedlungen der Bleichgesichter wandert, gebiert gar manche düstere Wolke und zerfurcht so die der Welt eigentlich freundlich zugewandte Stirn. Und so mäanderte mein wacher Blick, trotz strahlender Morgenhelle von brummender Düsternis umflort, durch dieses herrliche Tal, welches wir nach unserem langen und mühseligen Ritt mit der aufgehenden Sonne erreicht hatten. Der Ginster grüßte uns in voll erblühter Pracht und eine fast schon zärtliche Brise bewegte das frische Grün. Azurren spannte sich das Himmelszelt. Man mag sich kaum vorstellen, wie dieser Ort einst vor dem Auge des Betrachter geschunden darnieder lag, nachdem eine Feuerwalze damals hier ihr todbringendes Werk verrichtet hatte. Noch heute klingt die gespenstische Stille in meinen Ohren, obwohl meine letzten, wild bewegten Lebensjahre mir so manches Bild der Erinnerung entrissen haben und mein Herz sich immer und wieder scheut der Düsternis die Pforten der Wahrnehmung und des Verstehens zu öffnen. In manchen Lieder, die man an den Lagerfeuern, begleitet von alten, scheppernden Gitarren, singt, wird gar berichtet ich hätte die damalige Schlacht in tiefer Ohnmacht verschlafen. Ob dem so war, dies mag ich noch nicht niederschreiben. Doch eines ist gewiß – und ja, dies mag der geneigte Leser lange schon erraten haben – all das, was und wie auch immer es sich zugetragen hatte, es geschah des schnöden Mammon wegen. Und dies alles war nur möglich – dies zu betonen fordert mein aufrecht schlagendes Herz von mir – da sich an jenem Tage die Welt wieder einmal im Zustande schändlichster Gottvergessenheit befand. Und so ward begangen, was begangen wurde und nicht das Böse verhindert, wozu die Götter der Wälder und Prärien nie müde sind, aufzurufen. Doch länger soll meine Vorrede nicht währen, schreiten wir zum Beginn der Geschichte und wenden das Haupt gen El Paso. Ich drehte mich meinem Gefährten zu und äußerte meine Bitte. Und der Freund handelte.

Man nennt mich gelegentlich auch die „Ilse Werner der Prärie“. Nun mag ein unerfahrener Leser darin eine nicht hinnehmbare Kränkung erkennen, doch vernehme, o Greenhorn, das du den verzärtelten Hintern auf Fauteils und Seidenkissen dir pupswarm hältst, hier draußen zwischen Atem nehmenden Staubwolken und planlos stampedenden Rindsköpfen, zwischen zischenden Pfeilen der Huronen und krachenden Tomahawks der Dakota, einen zu starken, verbrannten Kaffee in der von Lasso zerfurchten Hand haltend, mit wund gerittenem Pöter und vor Sehnsucht brennendem Aug’ einsame Wache schiebend, nicht zu sprechen von einer im – leider notwendigen – Duell erlittenen, nacheiternden Schußwunde, tja, hier draußen sind die Sitten und Gebräuche rauher und mancher nett gemeinte Scherz mag da an den „zivilisierten“ Kaffeetafeln, vollgesogen mit verlogener Höflichkeit, als höchst insultierend aufgefasst werden. Verglichen mit dem Holze, aus man man hier draußen geschnitzt sein sollte, ist Mahagoni nichts mehr als Softeis. Also kam ich ohne weiteres Nachkarten sogleich der Bitte meines Blutsbruders Kleines Abbes Bein nach und pfiff das gewünschte Lied. Ja, El Paso! Und schon nach den ersten wohlbekannten Tönen spürte ich, obwohl Schmetterlinge unsere Häupter umtaumelten und die Frösche einen vielstimmigen Willkommens – Chor anstimmten, wie die GRAUE WOLKE nach dem Gefährten griff und, ja, so vernahm ich wie – meine musikalische Darbietung nicht störend, aber durchbrechend – ein leises Murmeln durch seine zusammengebissenen Zähne entwisch. „Oh du mein Schatz, verfluchter Schatz du, hätte man dein Geheimnis niemals mir anvertraut.“ Dies waren die geflüsterten, nein, die gezischten Worte, die ich vernahm an diesen strahlenden Morgen im Tal.

Es hat sich verändert das Tal, schien mir, doch nein, das ist falsch. Das Tal hat zu sich zurückgefunden. Gewiß es gibt Spuren, die keine Zeitläufte zu tilgen in der Lage sind, mögen noch so viel wohlwollende Jahre über die vernarbte Wunde hinweg gerauscht sein, doch am heutigen Morgen meinte ich feststellen zu können, daß sich vor meinen Augen etwas ausbreitete, was Frieden atmete, etwas was mich zu erinnern schien an schlafende Zeiten, an jene Zeit, die ich für immer und ewig untergegangen glaubte, ein Frieden, der mich führte zurück in jene glücklichen Tage, jene Tage vor der Achtundvierzigsten Minute. Und gleich begann mein rechtes Bein zu jucken. Die alte Narbe meldete sich wieder, zuckte und ich trat gegen das Knie meines Gefährten. Dieser brach sein Lied ab und es traf mich – unvorbereitet – der Blick von Old Schmetterpfote.

(Fortsetzung folgt)

tal03

Thema: Archibalds Geschichte, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Durch die Wüsten / Das Tal I

Donnerstag, 11. Juni 2015 22:32

tal01

Eine Nacht und einen Tag waren wir durchgeritten. Unsere Pöter waren platt wie jene der Horden Dschingis Khans, nachdem diese die Wüste Gobi gequert hatten und ein stechender Schmerz trieb uns rostige Nägel in unser Rückgrat. Das Fleisch unter unseren Sätteln war gar durch und durcher und begann allmählich zu riechen. Nun, aber wenn dich eine alte Geschichte ruft, eine alte Geschichte, die vielleicht zu deiner Geschichte werden mag, dann hast du diesem Ruf zu folgen und alles Wenn oder Aber löst sich in Rauch auf, wie das stinkende mit Fußnägeln versetzte Kraut, welches sich aus dem Kalumet eines Assisiboin in den Nachthimmel kräuselt. Bis an den Rand meines seit Tagen ungewaschenen Hals angefüllt mit schierer und aufrechter Freude über das Erreichen unseres ersten Ziels, blickte ich zu meinem Gefährten, den tapferen Grenzgänger und Pfadfinder Old Schmetterpfote hinüber, der müde wie Vasco da Gama nach einer dritten Weltumseglung im Sattel hing, aber dennoch mit unnachahmlicher Lässigkeit die Enden der Zügel in seiner linken Pfote hielt, die schon manchen Spitzbube vorübergehend, doch wirksam ins Reich der Träume gesandt hatte. Seine gespitzten Lippen pfiffen ein altes Lied. “Take me to the green valley!”

„Wenn einem Freund die Not im erschöpften Gesichte steht, ist es deine Aufgabe, früher aufzustehen als gewohnt.“ Ein wahres Wort, welches das Herz eines jeden aufrechten Abenteurers erbeben lässt. Als mich heute in der finster und wortlos durchrittenen Nacht immer wieder aufkommende Zweifel an meiner Nibelungentreue gegenüber meinen alten Weggefährten Kleines Abbes Bein, designierter Häuptling der Kamschatka – Bear und Titelgeber vieler Gesänge, die zwischen den sturmdurchtosten Prärien Hassonias und den sonnenverbrannten Canyons des Schwarzhains an unzähligen Lagerfeuern von Mund zu Ohr wandern, befielen, nachdem ich zum wiederholten Male von meinem Wallach Hattumörla herabsteigen mußte, um dessen leicht lahmenden rechten Vorderhuf mit einer Paste aus zerkauter Karotte, Brennesselpaste und zerbröseltem Knäckebrot einzureiben, fiel mir obiger Sinnspruch meines Großonkels Kunibert Ottokar von und zu Rammelburg op der Lüger mittenmang hinein ins hadernde Herz. Und hier gilt es – in aller Bescheidenheit natürlich – kurz zu erwähnen, daß es sich bei meinem Großonkel Kunibert Ottokar von und zu Rammelburg op der Lüger um jenen legendären Feldhasen handelt, welcher in grauer Vorzeit einen noch legendäreren Wettkampf gegen einen schurkischen und betrügerischen Igelclan verloren hatte (Oh, ungezählt die Seiten, welche mit der Wiedergabe dieser Mär beschrieben!), aber dennoch niemals die Löffel sinken ließ, nein ganz im Gegenteil seine Lehren aus dieser epochalen, die Seele peinigenden Niederlage zog und so ins ferne Mexiko auswanderte, um am Ende des vorvorigen Jahrhunderts in Acapulco eine Imbißbude zu eröffnen, die – legendärer bald als seine im alten, verstaubten und engstirnigen Europa erlittene Demütigung – die weltweit ersten mit zerkauter Karotte, Brennesselpaste und zerbröseltem Knäckebrot gefüllten Burritos feilbot. Und nicht zu vergessen den unglaublichen und vitalisierenden Kakteenblütentee „Maison Rammelburg“, der seine besondere Wirkung vor allem dann entfaltete, wenn man ihn durch die Borsten eines erlegten Igeltieres in sich hinein saugte. Doch davon heute berichten werden wir nicht, den es gilt fürderhand Zeugnis abzulegen von überwundenem Schmerz und dem Erreichen des ersten Zieles.

So lag es also vor uns in seiner unschuldigen Schönheit, einer Schönheit hinter der, wie wir bald erfahren werden, mancher wilde Schmerz verborgen schlummert, nur darauf wartend von unvorsichtiger Hand wieder geweckt zu werden: das Tal. Ich blinzelte in die Morgensonne und fragte meinen erschöpften Geist, ob meine Hand denn schon bereit sei, an der Firniß des sich mir darbietenden, herrlichen Bildes zu reiben und zu kratzen, ob ich bereit bin für die alte Geschichte, diese verschütt geglaubte Geschichte der Achtundvierzigsten Minute. Er war Zeit vom Roß hinabzusteigen, den nächsten Felsen zu erklimmen und sich einen Überblick zu verschaffen. So taten wir dies. Manitu, der Gerechte, sei unser Zeuge!

(Fortsetzung folgt)

tal02

Thema: Archibalds Geschichte, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Mit den Augen des befreundeten Fremd / Sechs

Montag, 8. Juni 2015 22:00

clo

Es hatte keinen Spaß mehr gemacht. Das Blicken. Das Schauen. Das Hinsehen müssen. Die Wiederholung. Der Alltag. Und Budnikowski schaute und erblickte in den letzten Tagen und Wochen so manches direkt vor dem ihm anvertrauten Fenster. Davon reden? Davon schweigen. Budnikowski weiß nur zu gut, gerne wird nicht der Täter, sondern der Berichterstatter angepinkelt. Mahler wiederum hielt sich an die Verabredungen. Er wartete, den Rücken von der Sonne beschienen, geduldig wie nie nun, auf einen eventuellen Bericht des Hasen. Dieser schwieg. Gelegentlich ein Mümmeln, ein knirschendes. Unverständnis, behaucht von gänzlich unhasigem Wüten. Irgendwann ist auch gut. Mahler kündigt also die Vereinbarung und dreht sich um. Aha! Das macht tatsächlich keinen Spaß mehr. Das mag auch Mahler nicht mehr sehen. Tagtäglich schon gar nicht. Mahler und Budnikowski wollten schon lange aufgebrochen sein. Die Kleine, immer häßlicher werdende Stadt in Mittelhessen hat sich auserzählt. Hier scheint man glücklich zu sein, wenn man dreitausend Picknickdecken aneinander gereiht hat und es an dem Tag nicht regnete. Weltrekord. Oh sanctae Simpeleien. Und jetzt auch noch das. Mahler beginnt zu weinen. Aus heiterem Himmel über Santa Fe. Doch schnell beißt er sich die Tränen weg. Indianer donn nit kriesche. Budnikowski versteht. Aus dem Tal der Toten grüßt der perfekte Dialog.

„Sie hat Dich geliebt!“

„Ich habe sie auch geliebt!“

„Wir sind nun allein, mein Bruder!“

Mahler, Häuptling der Bear und Old Budnikowski schauen ein letztes Mal aus ihrem alten Fenster. Gegenüber pinkelt ein Mitglied von Forresters Bande gegen die Wand. Eine kleine, dicke, bebrillte Frau in einem Papageienkostüm fährt auf ihrem Fahrrad knapp am Strahl vorbei. Sie kichert. Eine Windstoß hebt sie aus dem Sattel. Leere Billigbierbüchsen rollen über den Asphalt. In der Ferne das Pfeifen der Bieberlies. Dreimal schlägt das Käuzchen. Die zwei Sänger der einsamen Zweisamkeit erheben sich. Zeit zu gehen.

„Mahler, was hatte ‘Schöner Tag’ noch zur ‘Alten Schmetterhand’ gesagt, als sie ihn nach der Schlacht von Roswell im Pueblo der Apachen gesund pflegte?“

„Wer ein Unrecht nicht verhindert, ist genauso schuldig wie derjenige, der es begeht, sagt das Gesetz der Apachen!“

„Und wohin nun?“

„Erst in die untergehende Sonne und dann zum Greystone – Canyon. Dort hatte man mich damals gefunden!“

„Wie? Wer? Wo? Wann?“

„Sie, Old Budnihand! In der Achtundvierzigsten Minute!“

aufbruch

Thema: Archibalds Geschichte, Das Fremd, De re publica | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Unter grauer Blume Glückwunsch bunt und leise

Sonntag, 24. Mai 2015 20:41

blumen2

Sie hatten Blumen mitgebracht. Diese waren einst bunt gewesen. Dann stellte Budnikowski eine Frage. Mahler antwortete. Man sprach in fremden Zungen. Budnikowski war in die Rolle des Herrschers geschlüpft, also mußte Mahler den Alchimisten geben. So steht es im Buch. Dort duzen sich Herrscher und Alchimist. Budnikowski und Mahler aber sind eigentlich überzeugte Siezer. Eine Macke vielleicht, aber so tun sie eben. Man spricht leiser in jener Art. Nun steht es aber anders im Buch. Budnikowski beginnend demnach mit den Worten des Herrschers.

„Mir ist zu Ohren gekommen, du hättest da gewisse Fähigkeiten.“

„Hm, ich nicht, aber ich weiß, wen du meinst.“

„Du bist nicht der Alchimist?“

„Nein, aber ich seh ihn gelegentlich, wenn er mit seinen Taschen und Flaschen hier vorbeikommt. Wir unterhalten uns manchmal.“

„Und was sagt er?“

„Nichts Besonderes. Aber ich sehe ihn manchmal seltsame Zeichen machen. Ich sag nichts dazu. Ich seh es mir nur an.

„Was macht er denn?“

„Manchmal was ganz Kleines, manchmal was ganz Großes.“

„Zum Beispiel?“

„Na ja, einmal habe ich ihn Feuer an Eis halten sehen. Das war spannend. Der ganze Laden ist weggeschmolzen.“

„Du warst dabei?“

„Mittendrin. Ich habe mich nicht vom Fleck gerührt, um ihn nicht in seiner Kunst zu stören. Die anderen sind fast alle rausgerannt, aber ich war da und hab zugeschaut.

„Und was geschah dann?“

„Eh ich mich verseh, schlittern wir auf Eis. Er hat mir auch andere sachen gezeigt, aber das sag ich nicht.

„Warum nicht?“

„Ich will, daß er wiederkommt und mir noch mehr zeigt.“

„Ich frage ja nur, weil ich mir ein klein wenig Sorgen um das Reich mache.“

„Wieso?“

„Alle gehen pleite, und weil ich doch Herrscher bin, finde ich, ich muß sie da raushauen.“

„Ich kann ja mal mit ihm reden. Was brauchst du denn, Gold oder Gewitter?“

„Irgendwas, womit man Schulden bezahlen kann.“

„Bei wem hast du denn Schulden?“

„Gewissen Unsichtbaren. Genau weiß es keiner.“

„Wie bist du denn in so eine miese Lage geraten?“

„Ich habe sie geerbt.“

„Na ja, ich will sehen, was ich tun kann, aber wie gesagt, ich bin nicht er.“

„Ich wäre dir sehr verbunden.“

Mahler und Budnikowski riechen an den Blumen, welche sie mitgebracht haben. Das sind sie dem Darsteller des Alchimisten schuldig. Er hat heute Geburtstag. Der Darsteller des Herrschers ist verstorben. Er hatte einen Bart und eine Brille und dichtete Geheul. Das Buch in dem auf Seite 61 obige Worte stehen ist ein Logbuch. Dann singt der Alte. Mahler und Budnikowski hören zu und es wird Nacht und wieder Tag. Jetzt könnten sie aufstehen und gehen. Aber sie bleiben noch etwas unter den Blumen sitzen, denn der Alchimist und der Herrscher singen den Gratulanten noch ein Ständchen. Wenn man sich halt schon so lang’ kennt.

Thema: Anregende Buchstaben, Robert Zimmermann | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Mit den Augen des befreundeten Fremd / Fünf

Freitag, 22. Mai 2015 21:36

fenster5

Alle reden vom Wettern, Budnikowski aber blickt weiter. Es besteht immer die Möglichkeit ein Gemeines Blutströpfchen zu erspähen, eine Gammaeule, einen Admiral. Eventuell und gerade heute fällt ein Mönchs – Kotkäfer, eine Blattschneiderbiene oder gar ein Trauerrosenkäfer ins Auge. Malt sich da ein Pinselkäfer ins Bild? Die Möglichkeit besteht. Jedoch besteht ebenfalls die Möglichkeit, daß alles Getier heute streikt und die Leinwand vor des Betrachters Auge öd und leer. Diese Möglichkeit besteht durchaus. Dann mag der Blick schweifen gen Innerei. Das tut der Mahler eben, wobei die Innerei in diesem Fall kein seelisches oder anderweitiges Gekröse darstellt, sondern den Raum hinter dem Fenster, durch welches Budnikowski hinausblickt. In diesem Raum, am anderen Ende des Raums, unter dem gegenüberliegenden Fenster zum Hinterhof hin, da steht ein Schreibtisch. Es ist der Schreibtisch des Herrn Ernst Albert. Auf dem Schreibtisch liegt ein aufgeschlagenes Buch. Mahler räuspert sich. Budnikowski erschrickt, kippt nach vorn und berührt die Fensterscheibe. Leichtes Scheppern. Vibration.

„Aua und verdammt! Mahler, elender! Jetzt ist der Pinselkäfer verschreckt davon.“

„Oh! Verzeihen Sie bitte! Aber dieses Gedicht da!“

„Ich weiß! ‘Krulls!’ Das Gedicht von Herrn Robert Schindel in diesen aufgeschlagenen Buch auf Ernst Alberts Schreibtisch. Ich kann es aufsagen, wenn gewünscht.“

„Haben Sie auch hinten Augen?“

„Das nicht, aber Sie haben mich gebeten für Sie zu schauen und ich pflege die mir gestellten Aufgaben ernst zu nehmen. Also hören Sie:

Krulls

1

Manche werfen zu viel ihrer Wörter

Aus der Seelengehirnfalte raus in den Schlund

Ohne fünf Texte ist der Tag gar nicht fertig

Stehn am Muskel und schleudern

Das Echo des Eignen auf den Marktplatz

Stapeln die Empfindlichkeit hoch die überwächst

Das genickgerechte Schauen. Durchfall

Des Wortdirigats und Winde. Sonnen

Fallen aufs Wortwerk, die Schatten im Ton

2

Nichtmal im Ton, die Wortscheißerei

Lässt zurück das lautlose widerristliche Harren

Zu viel schreiben viele. Die Krulls. Zu wenig

Noch mehr

Das war’s.“

„Weia! Und wer sind wir?“

„Tja, wenn ich das wüßte. Wir finden es aber raus!“

„Eine Idee, Herr Budnikowski?“

„Wir verabschieden uns und lassen nur mehr schauen.“

„Für uns?“

„Quatsch! Auf uns!“

„Na dann!“

„Darf ich jetzt weiter blicken! Der Pinselkäfer tunkt sich eben in den Farbtopf!“

„Gerne!“

„Danke, Herr Mahler.“

(Fortsetzung folgt)

Thema: Anregende Buchstaben, Das Fremd, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Mit den Augen des befreundeten Fremd / Vier

Montag, 18. Mai 2015 21:08

fenster4

Budnikowski brauche immer soooo lange. Es läge vielleicht an seinem kleineren Kopp. Bis der mal Gesehenes verarbeitet und eingeordnet habe! Weia! Und welche Menge an Gedanken soll in dieser Nußschale schon Platz finden? Potzrembel! Du bleibst, was Du bist! Genau! Man murmelt so einiges. Doch Vorsicht, schnell ist das Urteil gefällt, welches am nächsten Tag dir auf die ungewaschenen Füße fällt. Mahler bekämpft seine Ungeduld. Eine fundamental unbärige Eigenschaft, die ihn aber befällt seit jenem Tage, da er seinen Blick dem Freund und so dem Fremd zur Verfügung gestellt hatte. Das Beifahrersyndrom! Demnach weiterhin Ruhe zwischen Bär und Hase. Und sonst? Budnikowskis Blicken hatte in den letzten Stunden oder Tagen die Straße gequert, ist zweimal rechts und einmal links abgebogen, trat durchs offene Eisentor und befand sich im Botanischen Garten. Und siehe da: durch die liebenswert milde Lenzluft taumeln und schwirren Dornröschen – Bläuling, Nierenfleck, Taubenschwänzchen, Großer Kohlweißling und der Wasserlinsenzünsler.  In den Beeten und Rabatten kriechen und krabbeln Rothalsbock, Weißpunktiger Schertlilienrüssler, Rothalsiges Getreidehähnchen, 12 – Punkt – Spargelhähnchen und mancher Gemeine Rosenkäfer. Pardauz, fiel dort nicht ein Stolperkäfer über eines seiner Beine?  Zwischen Ästen und Blattwerk weben und gestalten ihre Netze und Stuben  Streckerspinne, Gewächshaus – Springspinne, Zebraspringspinne, Gemeine Baldachin – Springspinne und die Veränderliche Krabbenspinne. Es summen und tönen zwischen Wegen und Büschen Späte Großstirnschwebfliege, Gemeine Narzissenfliege, Scheinbauch – Keilfleckschwebfliege, Gemeine Trauerbiene und einige Gemeine Stubenfliegen, die wohl Ausgang haben. Den Teich durchquert ein Gemeiner Rückenschwimmer und dem Budnikowski juckt das Fell. Ist es die Beifuß – Weichwanze? Die Grüne Stinkwanze gar? Oder nur eine gemeine Gemeine Feuerwanze? Und da ein Vierzehnpunkt – Marienkäfer. Der muß wohl nächstes Wochenende absteigen? Der Glückliche! Und Budnikowski sieht noch viel mehr an Gekreuch und Gefleuch, da aber stellt Mahler seine Frage.

„Budnikowski? Und das alles sehen Sie und wissen sogar die Namen und Bezeichnungen?“

„Ja, Mahler, ja! Aber erst las ich, dann sah ich, was ich sah!“

„Ihr Fremd bediente sich bei einem weiteren Fremd?“

„So ähnlich. Der Wahrheit die Ehre! Kaum etwas von dem, was ward beschrieben, ich sah es denn. Aber seit ich von der Existenz all dieser Wesen las und so weiß, habe ich Hoffnung, diese zu erblicken. Ist das nicht toll?“

„Ja, das gefällt mir gut. Und verzeihen Sie bitte meine an ihr Ufer schwappende Ungeduld.“

„Warten wir! Soll ich sagen, was es noch alles gibt?“

„Heute nicht mehr. Sehen Sie dort den Totenkopfschwertflieger?“

„Ich pfeif das alte lustige Liedlein.“

(Fortsetzung folgt)

Thema: Das Fremd, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Mit den Augen des befreundeten Fremd / Drei

Mittwoch, 13. Mai 2015 21:09

fenster3

Budnikowski tut so als ob. Was bleibt ihm anderes übrig. „Am abben Bein vorbei gucken!“ Der Mahler kommt aber auch auf Ideen. Die Not wird es wohl sein. Nun gut, der Mahler ist dem Budnikowski ans Hasenherz gewachsen, aber zaubern oder Wunder vollbringen kann er deshalb noch lange nicht. Das abbe Bein rechts liegen lassen! Oder links! Hömma, iss man Lionel, der argentinische Rasenrastelli? Also simuliert Budnikowski lediglich ein Schauen. Den Blick stier gerichtet durchs Fenster auf eine Welt, die stündlich auf die Resettaste zu drücken scheint und sich dabei doch nichts Neues einfallen lässt als Wiederholung auf Wiederholung grinsekatziger Nichtigkeiten. Schlimm ist dies weiter nicht, schlimm allein ist die Erwartung, die Erwartung ein Drücken solcher Taste ändere irgendetwas am gnadenlosen Gleichmaß der Ein – und Ausatmerei des Großen Geistes. Geben. Nehmen. Erschaffen. Zerstören. So nun die Scheibe Welt plan und matt vor des Hasen gefurchter Stirn und dem Aug’ gegenüber nüscht als Huschen, Bewegung ziellos, manisch, verzweifelt und fröhlich, tapfer und blind, jeglichen Sinn verleugnend, als sich selber als vorhanden und so als gewichtig zu feiern. Gut so. Das Hirn des Schausimulierers, wohltuend leer fühlt es sich an, der Blick ruht aus pupillenstill und schweift mal nicht gen Innereien. Aber da wäre noch das abbe Bein. Der Auftrag. Die Bitte. Ein Einfall fasst den Budnikowski an. Er spricht also.

„Mahler?“

„Ja? Was sieht das Medium?“

„Ich denke, also blind ich!“

„Budnikowski, bester! Hunderte mal blickte ich aus dem Fenster hinaus und sie nach dem dritten oder vierten Male hauen mir erkenntnisschwangere Wortbasteleien ums Ohr!“

„Es ist lediglich das Fremd!“

„Ich lausche!“

„Sie müssen alles umdrehen!”

„Was bedeutet dies? Wir sitzen hinter dem Fenster als säßen wir davor?“

„So ähnlich! Stellen wir uns vor, ich blicke am abben Bein vorbei und es ist gar nicht das ihrige!“

„Das ist Blödsinn! Hier! Sehen Sie! Fassen Sie an!“

„Das geht schon nicht ab von ihrem Leib oder ihrer Seele ihr heiliges abbes Bein, wenn Sie es mal jemanden anderen überantworten, zeitweilig!“

„Budnikowski, Mann! Sie überfordern mich! Jetzt schauen Sie bitte aus dem Fenster und morgen will ich von Ihnen lediglich erfahren, was die Blumen tun!“

„Wie bär es wünscht! Ihr Auftrag, mein Blick!“

Und Budnikowski sieht ein abbes Bein da unten auf der Straße liegen, das legendäre abbe Bein des Archibald Mahler. Um das Bein herum schwellen Pfützen und Hagelkorn trommelt auf das Pflaster. Und wo gestern oder vorgestern noch Fäden – Zeugen einer noch nicht begriffenen Tat – aus dem oberen Teil des Beines ragten, da wachsen heute blaßrote Tulpen und recken ihre Köpfe in den Gewittersturm. Und Budnikowski summt ein altes Lied. Und Mahler nickt dazu, rhythmisch. Hat er schon lange nicht mehr gemacht.

(Fortsetzung folgt)

Thema: Archibalds Geschichte, Das Fremd, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Mit den Augen des befreundeten Fremd / Zwei

Dienstag, 12. Mai 2015 19:56

fenster2

Mahler beginnt zu zweifeln. Budnikowski schaut und sacht nüscht. Schaut der dann überhaupt? Hömma, dat iss ebend dat Problem. Budnikowski schaut hin und her und schaut und findet und verwirft und ist gewissenhaft und schaut. Wer sagt, daß man Mitteilung machen muß, wenn man schaut? Mahler täte aber gerne was wissen wollen und ob hinter seinem Rücken Welt noch stattfindet ist ihm durchaus von Interesse. Hömma, dat iss ebend dat Problem. Die Welt tut dat nich mal mitkriegen tun mit des Mahlers sein haarigen Rückenteil und dat mit die ganze Versuchsanordnung am hessischen Fensterbrett. Das ist dem Mahler vollkommen klar, aber der Unruhe, welche im Bären steppt, offensichtlich nicht. Der Stolz nun, welcher auch in Mahler ruht und sich dort mit manchem moralischen Axiom das durchwühlte Lager teilt, lässt ungeduldige Nachfrage nicht zu. Was tun? Zu spät jedoch die falsche Bescheidenheit des Mahler, denn Budnikowski spürt trotz aller eigner Aufgeregtheit und angespannter Pflichtbewußtheit der neuen Aufgabe gegenüber, wie hinter seinem Rücken ein Bärenkosmos unruhig vibriert. Ein erster Satz mag sich so bilden, dann formen im Bereich der Sprechmuskulatur. Doch er wird noch gebremst von Onkel Kleinhirn und anderen Prinzipienreitern. Spürt Budnikowski da, nachschmeckend noch was ihm eben fast auf der Zunge gelegen wäre, einen Bärenellenbogen in den dürren Rippen? Der sinnende Hase räuspert sich, spannt Gaumensegel und Zungenboden, sucht nach neuen Textbausteinen, um seiner Empörung angesichts unangemessener Ungeduld und egomaner Drängelei Ausdruck zu verleihen, als er einen tiefen Bärenseufzer vernimmt und – zeitgleich fast – ein hingehauchter Bärensatz seine Löffel vibrieren lässt.

„Budnikowski? Ist das abbe Bein noch da?“

„Mahler! Das abbe Bein ist immer da!“

„Ich meinte, liegt das abbe Bein noch auf der Straße? Vor Ihrem wachen Aug’?“

„Das kann ich nicht sehen!“

„Ja schauen Sie denn nicht?“

„Ob das abbe Bein jetzt da liegt oder nicht, es ist immer da! Das sehe ich.“

„Das können Sie sehen?“

„Das ist der Vorteil des Fremd!“

„Das verstehe ich nicht.“

„Mahler! Auch wenn Ihr abbes Bein an Ihnen dran ist, liegt es da unten rum. Selbst wenn es da nicht rumliegt. Sie haben mich gebeten für Sie zu schauen und also sehe ich nur abbes Bein!“

„Habe ich immer nur abbes Bein gesehen, als ich schaute?“

„Geht gar nicht anders. So ist die Welt!“

„Sie sagen, mein abbes Bein ist die Welt, die mein?“

„Oft ist das so!“

„Budnikowski? Könnten Sie für mich das abbe Bein wegschauen?“

„Kaum! Ich könnte versuchen daran vorbei zu blicken.“

„Und das abbe Bein links liegen lassen?“

„Oder rechts!“

„Wollen Sie das mal versuchen!“

„Gerne. Und jetzt bitte Ruhe im Bärenfell! Hören Sie?

(Fortsetzung folgt)

Thema: Das Fremd, Küchenschypsologie, Letzte Fragen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Mit den Augen des befreundeten Fremd / Dank

Sonntag, 10. Mai 2015 11:37

feiertag

Satz mit x. Die Versuchsanordnung wurde nach dem ersten Treffen inne Tonne gekloppt. Ein Tadel eilt heran und erteilt sich den Laboranten. Die denken gar nicht daran schuldbewußt zu nicken. “Aber der vorgestrige Freitag war als fester erster Versuchstag gebucht und angekündigt.” So war der Vorwurf.  Gespannt lauschen wir dem Dialog von den Gründen.

„Mensch, Budnikowski, da haben wir ja gerade noch mal die Kurve gekriegt!“

„Den Göttern eines wie auch immer schmerzhaften Friedens sei Dank. Am 8. Mai zu arbeiten gehört sich wirklich nicht.“

„Das Antiquariat gegenüber hatte auch geschlossen letzten Freitag!“

„Der hat ja immer noch ein ‘Je suis Charlie’ – Plakat im Fenster hängen!“

„Solange sie es nicht einschmeißen!“

„Mahler, passen Sie auf, daß Sie wegen dieser Äußerung nicht beschimpft werden in den Netzen und Blöcken!“

„Ja, ich weiß. Schlimmer als ein Waffenhändler ist immer noch ein Intellektueller!“

„Tja, man mag es fast glauben, liest man die Ergüsse der ständig wachsenden Gemeinde der DasMußManDochMalSagen-Dürfer!“

„Wahrscheinlich haben die fürchterliche Angst im Main der veröffentlichen Meinung zu ertrinken und versuchen sich deshalb in manifesten Denkimitationen! Den Versuch einer Erklärung, die im Bereich einer Annäherung an (Teil)Wahrheiten stehen bleibt, zu ertragen und sich selbst als außen vor zu begreifen, ist nicht einfach. Her mit den Schuldigen!“

„Mama!“

„Gewagter Schlenker, lieber Budnikowski!“

„Ja, weil wir heute auch nicht arbeiten dürfen!“

„Haben Sie eigentlich eine Mutter!“

„Die Mär geht, man habe mich an einer Autobahnraststätte erstanden. Man kam von einer Pöhlerei.“

„Sie sind käuflich?“

„Wer ist das nicht, Herr Mahler! Und Ihre Frau Mama? Oder stammen Sie direkt von Matunus ab, der Sie auf die Erde sandte, nach den Aufrechtgehern zu sehen?“

„Ich bin ja kein katalanischer Fuchtelaugust in zu engen Hosen!“

„Hömma, dat Thema iss mein Brevier.  Desweiteren: Ihre Antwort fehlt noch, die auf den ersten Teil meiner Frage!“

„Meine wesentlichen Erinnerungen setzen erst nach dem abben Bein ein. Der Rest davor ist zu schwammig und jede Äußerung dazu wäre bloße Spekulation verbunden mit der Gefahr sich im Vorwurf zu verheddern. Aber ich gehe prinzipiell von der Existenz meiner Mutter aus. Und bei Ihnen?“

„Wollen Sie mich adoptieren, Herr Mahler?“

„Um mir dann ein Leben lang Vorhaltungen machen? Nein danke!“

„Nun gut. Wollen wir ein Lied anhören und aller Mütter dankend gedenken, auch wenn wir die unserigen noch suchen müssen?“

„Wissen Sie, mancher der, obwohl er eine wunderbare Mutter hat, sucht den Idealentwurf seiner Mutter auch ein Leben lang. Dummerweise haben aber Mütter auch Mütter. Und die Suche höret nimmer auf!“

„Tja, vergißt man gerne. Ähem, das Lied ist sehr kitschig und sehr alt! Nur als Warnung!“

„Wenn Erinnerungen damit verbunden sind, geht das schon in Ordnung! Drücken Sie auf die Taste!“

„Und wissen Sie was, Väter haben ja auch Väter!“

„Später! Los jetzt! Das Lied!“

(Man hört das Liedchen. Und gedenkt. Die Tulpen öffnen sich. Das Hase bleibt etwas unruhig. Sein Naturell.)

„Mahler?“

„Ja, was ist denn schon wieder?“

„Die Blumen sind schön!“

„Das sehe ich doch, Budnikowski.“

„Aber manchmal muß man es auch sagen.“

„Nervsack!“

„Los!“

„Ok! Die Blumen sind schön. Sehr schön sogar.“

„Geht doch! Danke!“

(Fortsetzung folgt.)

Thema: Archibalds Geschichte, Das Fremd, De re publica | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth