Beitrags-Archiv für die Kategory 'Anregende Buchstaben'

A. Mahler macht sich selbstständig / Versuch 3

Donnerstag, 8. Januar 2015 19:34

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Hat man die Chance gleich vier Männern eine Frage stellen zu dürfen, könnte es eine Antwort geben. Das denkt Archibald Mahler, der zweimal schon den Aufbruch wagte und dennoch keinen Schritt nach vorne tat, was heißt gen Norden, was ihn aber nicht wirklich entmutigte. (OK! Stand heute und jetzt am Abend eben!) Jedoch das Bedenkenswerte, also das Bemerkenswerte am Bedenkenswertem, ist daß diese vier Männer – Abbild sowieso und nicht mehr – einer sind nur. Der Herr Buchhalter Pessoa – das ist der kleine sitzende schwarze Mann vorne – lebte ein ganzes Leben in Lissabon in Portugal und blieb dort, tat sein Tagwerk und reiste nie. Ein ganzes langes Leben lang pendelte er täglich gewissenhaft zwischen Einraumwohnung und Kontor hin und her. Abends dann, an der heimischen Schreibmaschine, spaltete er sich auf oder ab und dann saßen die Herren Alvaro do Campos (der Grüne?), Alberto Caito (in der Mitte und anthrazit!) und Ricardo Reis (der Blaue rechts dann wohl!) vor, hinter und neben Fernando Pessoa und durchreisten im Auftrag ihres Schöpfers alle inneren und äußeren Welten des Erdballs. Und dies kann der Portugiese: – zumindest tat er es Jahrhunderte lang – die Meere besegeln und etliche Welten entdecken. Aber irgendwann kam die Zeit, da segelte er müde und geschlagen in seine kleines Land zurück, kehrte indigniert Resteuropa seinen Rücken zu, blickte hinaus auf Tejo und Atlantik und reiste nur noch im Kopf durch die Länder seiner Sehnsucht, während herrlich traurige Lieder wie heimatlose Möwen ihn umschwirrten.

Letztes Jahr hatte der ehrenwerte Herr Ernst Albert im Musentempel Mittelhessen ein Theaterstück bearbeitet, welches eine alte Geschichte aus Lissabon erzählte und der Bär hört heute noch diese traurig – lebensfrohen Lieder, die damals Tag und Nacht die Höhle in der Kleinen Häßlichen Stadt durchwehten. So schön. Sind Bären nicht auch an Land gesetzte Seefahrer ohne eigenes Schiff? Ist Archibald Mahler nicht ein Portugiese, eigentlich? So denkt er gerade mal und bleibt hocken, weil die Heizung so wohltuend blubbert und für das Wochenende oben an der Küste fürchterliche Orkane, Sturmfluten und umfallende Bäume angesagt sind. Ich bleibe hier, sagt er sich, und lasse wie der Meister Pessoa Abspaltungen meiner Eigenheit durch die Welt tappern. Wie könnten die dann heißen? Otto Pasulke? Karl – Heinz Hoppenstedt? Jeremias Heinrich?

„Ich höre?“ Kiel hatte angerufen. „Bär! Willst Du nur von Fischbrötchen quatschen oder sie wirklich kauen? Bär! Willst Du Dich in Aufrechtgeherbadezimmern lauwarm föhnen oder willst Du in Strande die feuchte Wucht eines Sturmes auf Deinem Pelz spüren? Bär! Weißt Du noch wie die Möwen kreischten? In Laboe! Und Deine Angst damals?“ Archibald Mahler legt auf. Er will nachdenken. Er hat immer noch keine ordentliches Reisebudget zur Verfügung. Möglichkeiten? Im überdachten Mittelhessen bleiben? Das beheizte Mittelleid kultivieren? Mittelmäßig verharren oder wilder Aufbruch, einen Taxifahrer als Geisel nehmen, als blinder Passagier über regennasse Autobahnen hoch und weiter? Was schrieb Stendhal? „Die Welt ist gleichsam ein Buch, von dem man nur die erste Seite gelesen hat, wenn man nichts als seine Heimat kennt?“ Und was schrieb Ilse Aichinger? „Wenn einer eine Reise tut, so kann er nichts erzählen. Das fiel mir schon ziemlich früh auf. Die unglaubliche Sprachlosigkeit Gesellschafts – oder auch Einzelreisender. (…) Dann gibt es Lichtbildervorträge. ‘Hier siehst Du mich! ‘ – aber wen sieht man, zwischen Eisbergen oder an Dattelpalmen gelehnt? Wieder nur sich selbst!“ Der Beginn der Reise verzögert sich ein drittes Mal.

Thema: Anregende Buchstaben, Aufbrüche 2015 | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

A. Mahler macht sich selbstständig / Versuch 2

Dienstag, 6. Januar 2015 16:48

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Das ist also das Buch. Das Buch ist ein schönes Buch. Ein wunderbares Buch. Das hatte der Herr Budnikowski gelegentlich schon erwähnt gehabt, aber jetzt hat der Mahler mehr als nur rein geschnuppert und ist froh. Wer solche Bücher geschenkt bekommt, ist vielleicht ein netter Bär. Vielleicht! Schon der Anfang des Buches! „Es war einmal ein Juckreiz!“ Und aus dem Juckreiz erwächst ein Bär. Und der bricht auf und begegnet Blumen und der Stille, trifft den Saumseligen Salamander, den Vorletzten Vorzeige – Pinguin und viele andere, steht vor dem Kompass – Baum, reitet auf einem Schildkröten – Taxi durch den Wald, in dem sich alle verirren und kommt an bei dem Bär, der er sein sollte und wahrscheinlich sogar ist. Vielleicht!

Archibald Mahler ist begeistert. Aber die Begeisterung bringt ihn keinen Schritt weiter, keinen Zentimeter nach vorne, bringt ihn nicht vor den salzigen Wind da oben, nicht an das Ufer, wo der weite Blick über die Ostsee schweift und selbstredend schiebt die Begeisterung ihm kein Fischbrötchen zwischen die hungrigen Zähne. Das ersehnte Gekreische der Möwen hallt lediglich durch die Vorzimmer seiner Erinnerung. Hilft alles nicht und keiner sowieso. Warum? Ganz simpel. Der Bär, der nicht da war, also der Genosse Pelz aus dem wunderbaren Buch, ist zwar inzwischen angekommen oder endlich und überhaupt, aber Mahler, ein anderer Bär, der noch nicht da ist, hat noch den Weg vor sich und nur weil der eine Bär kann der andere Bär noch lange nicht und der Anderbär vom Feldberg ist noch ein Thema auf dem Weg. Zusammenfassung: Der Mahler muß alleine da hoch reisen. Eine weitere schmerzliche Erkenntnis! Archibald Mahler bleibt erstmal auf seinem Pöter sitzen. „Wie komme ich nach Kiel?“ Da liegt noch ein Buch. Vorne auf dem Buch sind vier Männer drauf. Auf dem Deckel! Einer der vier muß doch einen guten Tipp parat haben, denkt der Bär und singt sich ein Mutmachlied zur Reise. Aber dann wird es schon wieder dunkel. Der Bär bereut eine lange Sekunde lang – eine knappe Sekunde lang – daß er dieses Jahr auf den Winterschlaf verzichtet. Ein kleines Nickerchen aber? Der Beginn der Reise verzögert sich ein zweites Mal.

Thema: Anregende Buchstaben, Aufbrüche 2015 | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

No, no, no: it ain` me, babe / part four this is

Montag, 29. Dezember 2014 16:35

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(Riechen wir und schmecken Tauwetter? Vor der Türe vielleicht. Hinter den beschlagenen Fenstern dito? Mitnichten. Mediator Budnikowski wirft einen Blick auf seine Kontoauszüge. Nun denn, die Herren Bären zahlen. Der Job darf weiterhin erledigt werden. Doch wofür denn auch? Stillstand lediglich? Die Eisschollen reiben noch knirschend ihre Kanten aneinander und unter ihnen eilt der Strom Richtung Delta, verzweigt sich, verdunstet und regnet nieder, die Rücken der Schweiger werden feucht und weiterhin wehen schneeschwangere Winde über abgegraste Wipfel, selbst über den Feldberg rüber ab und an und sonstwo auch. In Mahlers Schädel ein trunken – trotzig Lied. Dann spricht der Hase zu ihm! Hören wir rein mal wieder!)

„Heute, Herr Archibald Mahler, richte ich meine dürren Worte an Sie, alter Gefährte, Wegekumpan und Teilhaber an manch dunkler, aber auch hellster Denkstunde. Gestatten Sie mir eine vorläufige Diagnose. Oft schon erlebte ich Sie als einen, der der Welt den Rücken kehrte, um sich aufzumachen zu einer Wanderung hinunter in die Schlünde Ihres verfinsterten Egos. Und immer wieder – hernach – fanden Sie mich als bange wartenden, gar harrenden – dies meiner Natur vollumfänglich entsprechenden – Hasenbeherzten, bange darauf hin harrend und starrend, ob Sie denn nun von der Reise ins Herz der Finsternis wieder zurückkehren täten, frohgemut, befreit von all Ihren stets wiederkehrenden Juckreizen und bereit die Welt neuerlich mit Ihren schlauen Augen zu bewerfen. Heute jedoch, liebster Bär, bin ich nicht bereit an den Rändern Ihres knarzenden Ichs rumzuhoppeln, nicht bereit die Aura Ihrer Zweifel peripher zu dekorieren, heute, Bär vom Brandplatz, trete ich beherzt gegen Ihr einst abbes Bein, entbiete artigst und pflichtschuldigst meine Wünsche zum neuen Jahre hinwärts, verlasse das alte Jahr – Haken rechts, Haken links – und lege, bis ich Ihre wohltuende Stimme wieder vernehme, ein Buch nieder, nieder zu Ihren Fußpranken. Dieses Buch. Das Buch schlechthin. Vielleicht. Gewiß jedoch: Ihr Buch. So long, ming Jong!“

(Budnikowski legt Mahler ein Buch zu dessen Füßen. Ein herrliches Buch. Das allerherrlichste Bärenbuch überhaupt und generell. Mahler atmet tief ein und aus und ein und man könnte den Eindruck gewinnen, er mache sich auf den Weg, auf den Weg zurück aus den Tiefen seiner Ichverwinkelung, auf den steinigen Weg zurück in die Welt. Schauen wir zu! Und hören nochmals das alte Lied. Und schauen zu wie Mahler wendet seinen Blick gen Mitbär und dann beginnt zu lesen. Oder andersrum.)

Thema: Anregende Buchstaben, Archibalds Geschichte, jetzt mal 2014 | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Mr. A. Mahler träumt tageweise ins Buch / fünf

Montag, 27. Januar 2014 16:54

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Und plötzlich waren da Kontraste. Linien. Grenzen. Schärfen. Die Buntheit, wo ist die Buntheit? Mahler blickt angespannt auf seinen flimmernden Traumbildschirm und dort ist tatsächlich alle Buntheit weg. Ein Testbild vibriert vor dem Auge des Schläfers, schwarz ist es und weiß. Und das war es. Und es ist gut. Das findet Mahler. Es wirkt klarer und das Hirn eines Bären ist auch keine doofe Puddingschüssel und Farben mahlern macht es sich selber, des Meister Petz’ Denkkästlein. Wenn es überhaupt will. Ein Traumschlaumeier hoppelt durch das Testbild. „Und was ist mit der Vielfalt? Den Zwischentönen?“ Unnötiger Einwurf. Die Übergänge vom Schwarz ins Weiß sind… na ja … auch Übergänge. Zärtlicher jedoch. Geruhsamer. Aber die Trennlinien sind – wenn man will – schärfer. Härter. Kontrast. Mahler ist zufrieden und beschließt das kommende Jahr in schwarz und weiß zu betrachten. Und einzuteilen. Und zu bewerten. Ja: bewerten! Er hofft so wieder zum Ja und zum Nein zu finden. Die vorauseilende Relativierung jeder vergangenen und zukünftigen Lebenssekunde raubte ihm in den letzten Monaten allzuoft den Schlaf. Das muß sogar ein Traumschlaumeier einsehen. Mut hat weniger Buchstaben als „jasicherdasseheichzwarnichtsoaberverstehemankannes jaauchandersundso.“ Sonst vergißt bär ja eines Tages sogar, wie er heißt. Und das ist nicht richtig! JA! Der Himmel klarte eben auf vor des Bären Höhle und Väterchen Frost streichelte ein kaltes Rot in den Abendhimmel. Nein, er malte ein mild schwärzeres Weiß ins vorabendliche Grau. Dann träumt Mahler das! Genau!

Thema: Anregende Buchstaben, Traumtagebuch | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Ein Monat belangloses Geschwätz / Scene Nine

Sonntag, 22. Dezember 2013 17:07

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„Is it rollin’, Bob?“

„Sam! Let’s start before I coughed!”

„Es ist lange her, sehr lange her, seit wir uns liebten, unsere Herzen wahr schlugen und einmal, einen kurzen Tag lang, war ich dein Mann!“

„Letzte Nacht hörte ich dich im Schlaf sprechen. Solche Dinge solltest du nicht aussprechen. Oh Baby, dafür sind schon andere im Knast gelandet.“

„Wo sollen wir hin? Gibt es wen, den wir treffen können? Vielleicht geht es dir nicht anders als mir.“

„Seit zwanzig Jahren habe ich meine Familie nicht mehr gesehen. Das ist nicht leicht zu begreifen. Vielleicht lebt ja auch keiner mehr. Ich habe ihre Spur verloren, als sie ihr Land aufgeben mußten.“

„Baby, krempel’ dich um, tanze und schrei’ es raus. Du weißt doch, um was es eigentlich geht. Was treibst du dich auch die ganze Zeit in der prallen Sonne rum? Weißt du, daß der Planet dir dein Hirn leer brennen kann?“

„Mein liebster Feind liegt im Staub, läuft sich tot in seinen sinnlosen Ritualen, seine Lenden schweigen inzwischen. Man hatte ihm übel mitgespielt. Daran ist er zerbrochen. Er starb in Schande. Er hatte ein eisernes Herz.“

„Ich trage dunkle Gläser. Sie bedecken meine Augen. Die dunklen Geheimnisse in ihnen mag ich nicht enthüllen. Komm zurück, Liebste. Wenn ich deine Gefühle verletzt habe, dann bitte ich um Verzeihung!“

„Zwei Züge rollen gen Osten, 40 Meilen lang, Seite an Seite. Du mußt nicht gehen. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, wie sehr ich deine Freundschaft wünsche!“

„Ich denke, als mein Rücken zu dir hin gedreht wurde, fing die ganze Welt, die hinter mir lag, augenblicklich Feuer. Das ist schon eine Weile her, seit wir diesen endlos langen Gang zum Traualtar hinunterschritten.“

„An jenem kalten und frostigen Morgen haben wir zusammen geweint. Wir weinten, weil unsere Seelen auseinander gerissen waren. So viel zu Tränen, soviel über diese langen und verschwendeten Jahre!“

„Bob! Setzen wir nun über? Die Tore offen?“

„Sam! Wir setzten über, einst. Offenes Land. Das gefällt mir!

Thema: Anregende Buchstaben, Robert Zimmermann | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Heute 600zwo und morgen weiter mit Dichtung

Samstag, 27. April 2013 17:52

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Der Vollmond hatte kalte Luft vor Mahlers Pranken geschaufelt, da schweigt man noch ein fröstelndes Ründchen in die Nacht hinein. Morgens trotzdem wird es heller als ehedem und die Vögel zirpen, feuchtes Gefieder schlägt Tropfen an die Fensterscheiben. Ein letztes Mal hilft Samuel B. über den Fluß der Wortlosigkeit:

Da tagte es

Lös ein das ausgetauschte Lebwohlsagen

das Linnen entrollt in deiner Hand

mehr hast du nicht übrig fürs Land

und das Glas über deinen Augen unbeschlagen

Mahler denkt darüber nach, ob der Verzicht auf Sehhilfen Vor- oder Nachteile hat.

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Heute: nach 600mal A. Mahler nun die 600eins

Freitag, 26. April 2013 17:44

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600mal reden statt zu schweigen, wenn bär Welt guckte und der ehrenwerte Herr A. Mahler dankt so heute dem Lippstadt – Budnikowski, Ernst Albert, der immer noch besten aller Frau Pelagias, allen Lesern und vor allem sich selbst, weil wenn man was ertragen muß bis ans Ende der Tage, dann ist es einer selbst. Draußen regnet froher Regen auf trockenfrisches Gras, in Mahler Samuel Beckett again tröpfelt zum Jubiläum, das schon wieder entrauscht ist seit Tagen, die nie waren.

Musik der Gleichgültigkeit

Herz Zeit Luft Feuer Sand

Der Ruhe Einsturz der Lieben

Übertöne ihre Stimmen damit

Ich mich nicht mehr

Schweigen höre

Archibald Mahler denkt so nach über den Unterschied zwischen Silber und Gold.

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KETTEN / SCHWERTER / WEISSE BÄNDER

Dienstag, 18. Oktober 2011 10:36

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Und dies ist die andere Geschichte aus dem Buch:

Aus irgendeinem Grunde fiel mir die Geschichte eines Mannes namens Chang aus Lin-an ein, das damals belagert wurde. Der Buddha erschien ihm im Traum und sagte zu ihm, am folgenden Tag würden Soldaten kommen und ihn töten. In einem vorigen Leben hatte Chang als Soldat während des Huang-Ch’ao-Aufstands einen Mann getötet. Dieser Mann hieß nun Li Li. Am folgenden Tag erschien ein Soldat am Tor und schwang sein Schwert. „Seid Ihr zufällig Meister Li LI?“ „Woher kennt Ihr meinen Namen?“ Chang erklärte alles. Li Li warf sein Schwert zu Boden. „Wenn ich Euch töte, dann werdet Ihr mich im nächsten Leben wieder töten. Und dann werde ich Euch wieder töten. Heute müssen wir diese Kette durchbrechen.“

So ist das wohl. Danke, ausgezeichneter Herr Eliot Weinberger! Und Archibald Mahler denkt darüber nach, woher und aus welchen vielen vergangenen Leben wohl das weiße Band hinüber reicht, das sich durch seine und die Geschichten, die er hier erzählt und denkt und schaut, zieht. Und ihm fällt auf, daß es auf die vielen, entsetzlich ungeduldig drängenden, letzten Fragen lediglich eine Art vorletzte Antwort gibt. So wie die Aufrechtgeher in Spanien immer nur ein vorletztes Bier ordern, wenn sie denn zu Bett schwanken wollen. Bestellten sie ein Letztes, fielen sie – und daran glauben sie fest – auf der Stelle vom Barhocker. Ja, so ist das wohl. Und war da nicht, auf der anderen Straßenseite, vis a vis vom Musentempel, dieses Schild? Der Bär erhebt sich.

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OCCUPY THE KRABBENBERG ODER WENN ES ZWICKT, ZWICKT ES!

Montag, 17. Oktober 2011 18:02

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Schön warm in der Höhle gegenüber dem Musentempel, dort wo Herr Albert und die wunderbare Frau Pelagia ihre Häupter niederlegen. Archibald Mahler genießt es mal wieder weiche Polster unter seinem Pöter zu spüren. Da hinten blubbert die Heizung friedlich vor sich hin. Es duftet nach Mahlzeiten und Tee. Manchmal mag der Bär die Aufrechtgeher. Dann aber muß er an die Geschichte denken, von der er letzten Freitag geträumt hatte, als er das erste Mal nach langer Zeit wieder in der Höhle übernachtet hatte. Wie war die noch mal?

„(Ein Abschiedsbankett) Die Krabben sind köstlich, doch ich konnte nur ein paar davon essen, weil ich an die Mutter des Instruktors Sha denken mußte, dem Arzt in der Präfektur Hu. Sie mochte Krabben über alles und aß täglich Dutzende davon. Sie starb im siebzehnten Jahr der Zeit des Andauernden Aufstiegs. Die Familie versammelte sich am Tempel der Himmlischen Glückwünsche zu einer Zeremonie. Am Tor sah die zehnjährige Enkeltochter die alte Dame, die über und über blutig war. „Ich bin schuldig gesprochen, Krabben gegessen zu haben“, sagte sie. Nach ihrem Tode wurde sie zu einem riesigen Berg Krabben gebracht, den sie erklimmen mußte, immer weiter, während die Krabben sie am ganzen Leibe kniffen und zwickten.“

Und was macht dieses Buch hier? Ach ja, der ehrenwerte Herr Ernst Albert hatte ihn in den Schlaf gelesen. Und da ist ja noch eine Geschichte. Morgen!

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HERR MAHLER VARIIERT ÜBER ENTEN 10

Freitag, 14. Oktober 2011 21:10

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„Der Vorhang ist gefallen und jetzt geht das mit den Fragen erst richtig los.“ Archibald Mahler fällt das Originalzitat nicht mehr ein, aber so ähnlich war es. Er hält den unbeworteten Kritikerblock in seinen Tatzen. Der Bleistift schläft noch. Die Fragen aber irren schon über die nächtlichen Flure. Bald zwei Wochen hat der Bär zugeschaut. Am Ende hat er Zuschauern beim zuschauen zugeschaut. Er konnte gar nicht mehr seine Augen aufs Schilf und die zwei alten Mimen lenken, die zuschauenden Aufrechtgeher haben seine ganze Aufmerksamkeit verzehrt. Und so gibt es doch einiges zu bearbeiten und zu verdenken oder umgekehrt. Zum Beispiel: Ist das Schauen eine Tätigkeit? Kann man mit vor der Brust verschränkten Armen etwas sehen? Und dazu noch mit schief gelegtem Kopf? Oder mit hinterm Haupt verschränkten Gliedmaßen? Ist das Zusehen, falls man es als eine Tätigkeit bezeichnen darf, eine Tätigkeit aus der etwas Neues erwachsen soll oder eine Tätigkeit, die dazu dient etwas zu erhalten? Etwas zu bestätigen? Ist Schauen rückwärtsgewandt oder blickt man nach vorne? Sieht der Zuschauer was er sieht oder nur das, was er erwartet oder vermißt, oder sieht er nur seinen eingewachsenen Zehnagel und die Wettervorhersage? Kann man irgendwohin schauen und gleichzeitig so tun, als sei man ein Fotoapparat und somit behaupten, das eigene Hirn sei in der Lage Gesehenes objektiv abzuspeichern? Muß man nicht alles, was man gesehen hat, für sich behalten, da jede Beschreibung des Gesehenen sich vom im Moment des Sehens Erfahrenen mehr oder weniger komplett unterscheidet? Ist rot rot? Ist grün grün? Ist es zulässig, einem anderen Schauer seine Sicht der Dinge – wie es so schön heißt – aufs Auge zu drücken? Oder soll man einfach beide Augen zudrücken? Ist nicht jedes Schauen von etwas, was vermeintlich tatsächlich stattgefunden hat, eine Art von Übersetzung in den eigenen Kosmos, eine Art von Einordnung in die eigenen Karteikarten, sei es Beifall, Pfiff oder Unentschiedenheit? Ist nicht das betrachtete Objekt vollkommen frei von den Blicken, die man auf es wirft? Existiert es nicht auch ohne Betrachter? Oder beginnen die Dinge erst dann zu leben, wenn man sie betrachtet? Oder gar erst dann, wenn man vom Schauen spricht? Uff! Archibald Mahler sitzt allein im Musentempel. Alle sind weg, der Vorhang offen und alle die Fragen zu oder so ähnlich. Archibald Mahler hat das Gefühl die Antworten auf all seine Fragen befinden sich gerade in Wyoming oder auf Kamschatka. Der ehrenwerte Herr Ernst Albert will abschließen. Den Musentempel und die Sache mit den Enten. Der Bär ist sehr müde. Herr Albert nimmt ihn auf den Arm und bringt ihn in die Höhle. Und dann liest er ihm etwas vor. Aus einem seiner neuen Bücher.

„Die Aymara in den südlichen Anden glauben, daß man nur von dem sprechen kann, was man persönlich erlebt hat. Man kann also nicht sagen: „Lincoln wurde ermordet“, sondern nur „Ich habe gehört, Lincoln wurde ermordet“. Anders als nahezu alle anderen auf der Welt glauben sie, daß die Vergangenheit vor uns und die Zukunft hinter uns liegt, denn die Vergangenheit war deutlich zu sehen, und die Zukunft liegt im Ungewissen.“

Und Archibald Mahler, der eigentlich schon eingeschlafen war, findet, daß dies ein tolles Buch sein muß. Aber das ist eine ganz neue Geschichte. Gute Nacht!

Thema: Anregende Buchstaben, Musentempel | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth