Beitrags-Archiv für die Kategory 'Archibalds Geschichte'

A 45 gegen Frankfurt, Deutscher Fußballmeier und warum das die Gesundung fördert

Sonntag, 9. Mai 2010 20:15

schlußkonferenzNach dem Eingriff ist man schlauer. Nach der Wahl auch. Und erst recht am letzten Spieltag. Davor ist viel Lärm. Aber das ist nunmal die Art der Aufrechtgeher, mit dem kurzem Hemd den langen Wind zu machen, davor, egal um was es sich auch handelt. Prognosen, Spekulationen, dick geschnürte Angstpakete und mahnende Zeigefinger. Archibald jedoch hatte keinen Grund zu klagen, jetzt da alles vorüber. Der Eingriff war nur noch Erinnerung, Eva Pelagias sorgende Hände hatten sauber gearbeitet und wat mutt, dat mutt eben. Die Nachversorgung war zu seiner Zufriedenheit bestellt. Honig fürs Interne, außen Franzbranntwein, Talismänner für die Seele und – das war neu – die sagenumwobene Schlußkonferenz.

Ernst Albert war seit längerer Zeit dazu übergegangen, die Balltretkunst nicht mehr im Bilderapparat zu betrachten, sondern meist im Wortegerät zu hören. Dies hatte weniger mit der Qualität des gezeigten Sports zu tun, sondern mit den Begleitpersonen. Die Betrachtung der Posch-, Beck- und bald auch noch Klinsmänner bereiteten ihm einfach nur körperliche und seelische Pein. Und noch springt – Heiliger Günter Koch verhindere dies! – der Hörfunkberichtererstatter nicht auf das Spielfeld, um den abspielbereiten Balltreter zu fragen, warum er den Paß nach rechts spielen wolle und nicht nach links und ob er wirklich nach Mailand oder Spanien wechsle.

Ernst Albert hatte Archibald erlaubt, auf dem Wortegerät zu sitzen und zu lauschen. Gut, der Bär schob manchmal gelbe Tennisbälle mit dem geheimen Fieberthermometerhalter hin und her, wenn Ernst Albert und Eva Pelagia außer Haus, aber als einen der etwa zwanzig Millionen Balltretkunstnationalspielleiter würde er sich nicht bezeichnen und wer da gegen wen rannte, das war ihm bärig wurst. Jedoch machte es einen Riesenspaß dem Stimmengewirr zu lauschen, dem Umgeschalte von Spielort zu Spielort, den aufgeregten Hinweisen darauf, daß jetzt hier und dort ein Ball ins Netz gekugelt worden war oder ein Schweinepriester das Feld verlassen muß. Die Sprecher waren ganz heiser vor Aufregung und selbst als alles gegessen und erledigt, wie erwartet, sagte einer von ihnen: „Wir unterbrechen für eine Verkehrsmeldung: Auf der A 45 gegen Frankfurt liegen Gegenstände auf der Fahrbahn.“ Und der andere sagte: „Beim neuen Deutschen Fußballmeier ist noch kein Bier verschüttet worden.“ Und das hatte Archibald tatsächlich gehört, weil es genau so gesagt wurde. Das gefiel ihm, weil es doof war, er darüber lachen konnte, es keine Bedeutung hatte und so etwas die Gesundung fördert. Manchmal ist es einfach. Alles. Fast alles. „Zurück nach München.“ „Nach Berlin.“ „Sag ich doch.“

Thema: Archibalds Geschichte, De re publica, Öffentliche Leibesübungen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Im Namen des unpäßlichen Herrn Mahler überdenkt Herr Albert Variationen des Betrachtens

Samstag, 8. Mai 2010 13:34

Liebe Leser und Freunde des Archibald Mahler! Ich freue mich Ihnen mitteilen zu dürfen, daß der kleine, in den letzten Wochen notwendig gewordene, operative Eingriff an Herrn Mahlers legendenumwobenen abben Bein erfolgreich verlaufen ist. Der Rekonvaleszent bittet Sie um Verständnis, daß er sich in den nächsten Stunden noch nicht zu seinem Befinden äußern möchte. Er hat aber der Veröffentlichung dreier während der OP entstandener Photodokumente zugestimmt. Welches Bilderl hätten’s denn gern?

OP1Erstens: Die maximal intime, dennoch aus medizinischer Notwendigkeit heraus entstandene, sowie die Verletzung präzise und emotionsfrei ablichtende Variante? Sie spart das Gesicht des Patienten aus, konzentriert sich auf die arbeitenden Hände der Heilerin, zeigt einen Schritt im Prozeß des zunähenden Eingriffs und verleugnet nicht den Schmerz. Wir weisen daraufhin, daß alle Eingriffe im Haushalt Albert / Pelagia / Mahler & Co ohne Anästhesie stattfinden. Nur wer sich dem unverwässerten, klaren Schmerz stellt, lernt dazu. Der Rest merkelt rum und legt jeden Lernprozeß nachfolgenden Generationen auf die noch schwachen Schultern.

OP2Zweitens: Die anrüchige, leicht sexuell aufgeladene und trotzdem Mitleid erregende Fassung, die versucht Bloßstellung und Wahrung der Würde des Patienten zu wahren? Bei dieser Abbildung steht – neben der Entschlossenheit des Photographen, sich ein solches Motiv nicht entgehen zu lassen – im Mittelpunkt der optische Hinweis auf die Schmerz verursachende, aber langzeitstabilsierende Dicke des Faden. Auch der, der Farbe des Pelzes fast deckungsgleich angepaßte Braunton des Garnes fällt angenehm auf. Das Mitleid der meisten Betrachter erregt die unnatürliche, gewiß nicht druckfreie Haltung des Kopfes, die allzu aggressive Präsentation des Bärenhinterteils und das ängstliche Funkeln im Auge des Bären. Ruhe jedoch strahlt aus der, wie gewohnt, sichere und wissende Griff der Hände der operierenden Frau Eva Pelagia. Das Leben im OP-Saal ist nunmal kein Ponyhof.

OP3Drittens: Die Variante, die aus dem Schmerz und damit verbundenen kleinen Katastrophen, versucht das, wahlweise, Spektakuläre oder auch durchaus Komische zu ziehen? Der Patient und somit seine und unser aller Welt steht Kopf, trotzdem scheint ein Grinsen die Lippen des Bären zu umspielen. Der Eingriff wird zur Nebensache. Aus jedem Schmerz läßt sich noch ein Tröpfchen Lustigkeit pressen. Diese Art der Abbildung korreliert wahrscheinlich am ehesten mit der uns Aufrechtgehern angeborenen Haltung aus Fehlern, Krankheiten und ähnlichen Unpäßlichkeiten nicht unbedingt Schlüsse ziehen zu wollen. Aussitzen, weitermachen und hoffen, daß es trotzdem etwas zu lachen gibt. We love to entertain you! Legal, jedoch nicht abendfüllend. Entscheiden Sie selbst!

Ich verabschiede mich von Ihnen und hoffe, wie Sie, ab morgen an dieser Stelle wieder den gewohnten Weltschauer Archibald M. begrüßen zu dürfen. Und ich gratuliere von hier aus Herrn van Gaal. Und dem Butt zur Nummer 1! Wetten? Herzlichst E. A.

Thema: Archibalds Geschichte, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Drei Tage war der Archi krank, jetzt schaut er wieder, Gott sei Dank!

Sonntag, 28. März 2010 16:06

roentgenDer Schmerz, aber: Die Krankheit. Die Sorge. Die Angst. Die Diagnose. Die Medikamentation. Die Pflege. Die Heilung. Man braucht hier gar nicht auf diesen albernen, aber höchst lukrativen Mond-Venuszug aufzuspringen, dennoch: eine Tendenz ist klar erkennbar. Archibald lag im Bett oder vor dem Bilderapparat, Ernst Albert fuhr in der Weltgeschichte herum und mal gewannen die Blöden, dann waren die Blauen Erster. Tage im Gleichmaß: gelegentliche Bärenstöhner, exzessiver Honigkonsum und abgestandene Luft, bis Eva Pelagia eingriff und Archibald von dannen trug. Die Tat.

„Aha, soso, na ja!“ sagte die Ärztin des Hauses, ihr Gesicht legte sich in zu honorierende Falten und man schob Archibald unter das Strahlengerät. Immerhin hatte ein Bürger dieser Stadt, der hier zudem begraben liegt, einst die durchsichtig machende Wirkung dieser Strahlen entdeckt und sie für die Heileheilekunst verfügbar gemacht. Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz wurde geröntgt, das erste Mal. Wenig später lag das Photo auf dem Schreibtisch der Frau Doktor. „Aha, soso, na ja!“ Die Falten im Gesicht der Heilkünstlerin nahmen an Tiefe und Bedeutung zu. „Der Lichtkranz um das Gehirn deutet auf eine Frühform einer eventuell streßbedingten  Überreizung der vorderen Hirnlappen hin, eine sogenannte supracogitatio literaris humilis. Der weiße Fleck an der rechten Pfote ist Folge einer gemeinen Übersaugung auf Grund eines latenten Phantasiestaus, eines vacui thematis generalis. Die stark hervortretenden Augen legen einen mehrtägigen Bilderapparatentzug nahe, extractio televisio.“ Archibald zuckte. Der Kampf der Blöden gegen die Blauen hatte doch gerade erst an Fahrt aufgenommen und dann so etwas. „Am meisten Sorgen aber macht mir dieser große, höchstwahrscheinliche posttraumatische Wärmestau – concalesco extremo abdomalis – mit leichter Rechtstendenz im Bereich des Unterlaibs. Offensichtlich die Spätfolge einer nicht hundertprozentig fachgerechten Anoperation eines abben Beines.“ „Vielleicht aber auch nur erste Anzeichen des körpereigenen Frühling!“, dachte der Bär, wagte es aber nicht bei so viel Sachverstand in Weiß zu widersprechen. Eva Pelagia schaute ein wenig erschüttert, was zum einen ein Grundzug ihres zutiefst emphatischen Wesens ist, aber auch mit ihrer Verstrickung in die Causa “Abbes Bein/Anoperation” zu tun hatte. Also sprach die Weißkittelin:„Machen Sie sich mal nicht zu viel Sorgen. Ruhe, viel Trinken, Verzicht auf Genußgifte aller Art und Ruhe, viel Ruhe. Aber das habe ich ja schon gesagt. Ach ja, und die kleinen Punkte am Hals deuten auf eine ganz normale infektiöse Angina hin, verursacht durch Scheißwetter und eine defectio virium, einen allgemeinen Schwächezustand. Streßbedingt. Mann, bin ich fertig. Oh. Entschuldigung. Auf Wiedersehen.“ Man schob die Beiden sanft aus dem Sprechzimmer. „Fräulein Else, schicken Sie mir jetzt den Hasen mit der Obstipation herein.“

Archibald war die Lust am Kranksein gründlich vergangen. Gerade noch ein lebensbejahender, bildapparatschauender Leidensbär mit einem leicht kratzenden Hals und wenig später schon ein Fall für die Notschlachtung. Er schaute aus dem Fenster. Es regnete. Kalter Wind. Herr Lenz hatte Termine außerhalb des Landes wahrgenommen. Es rappelte im Treppenhaus. Ernst Albert kehrte zurück. Er roch nach Genußgiften. Die Zugfahrt war lang gewesen. Aber als er seinen zerrütteten Bären sah, lachte er nicht, sondern er hatte eine Idee. Er flüsterte dem Bären etwas in Ohr. Dann tröstete Ernst Albert Eva Pelagia, den sie konnte nichts dafür, weder für dieses noch für jenes. Archibald schaute aus dem Fenster. „Na klar! Deshalb! An die Arbeit!“

Thema: Archibalds Geschichte, Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Vom Bären vom Brandplatz

Donnerstag, 18. März 2010 7:30

abbes bein2Einhundert Meter vom abben Bein bis zur Komplettierung sind eigentlich keine Riesenentfernung. Aber für einen Bären, der die letzten Wochen und Monate meist sitzend und liegend verbracht hatte, ist das ein richtiges Stück Arbeit. Da saß also Archibald auf einem Mäuerchen, welches eine Art Park umfaßte, seine untrainierten Lungen rasselten und er war ergriffen. An dieser Stelle hatte all das gelegen, was ein abbes Bärenbein erst zum Komplettbären macht: Herz, Hirn, Bauch und Zweitbein. Hier hatte ihn Ernst Albert einst aufgesammelt und ihn in sein neues Leben getragen. Ja, Archibald war ergriffen und dankbar, obwohl er wußte, daß Dankbarkeit gegenüber den Aufrechtgehern eine zweischneidige Angelegenheit ist. Immerhin hatten sie Jahrhunderte lang großen Spaß daran Archibalds Ahnen zu massakrieren und ihren Lebensraum nachhaltig – auch so ein schwachsinniges Zweibeinerwort, dachte er – zu zerstören. Aber heute war er bereit eine Ausnahme zu machen, hier an der Stätte seiner zweiten Geburt. Und er spürte, daß es Zeit war für ein kleines Bärenritual. Er kratzte sich ausdauernd am Hintern, saugte an seinen Pfoten und rieb sich den Rücken am Eisengeländer, welches das Mäuerchen zierte. Er brauchte einen neuen Namen, eine Art – auch wenn das gräßlich martialisch klänge – Kampfnamen, jetzt wo er es hier draußen mit der Welt aufnähme. Genau, er würde sich taufen, eine originale Bärenselbsttaufe. Nichts gegen Archibald, kein schlechter Name, aber die Aufrechtgeher haben nun mal die Angewohnheit alle Arten von Viechern mit Namen zu etikettieren, die einen leichten Hang zum sogenannten Humorvollen oder Ironischen haben. Heute gefiel ihm das nicht. Und er dachte an die Frau, die ihn vor wenigen Minuten entgeistert angestarrt hatte, als er mit dem Stück Kreide seinen ehemaligen Fundort skizzierte hatte und zu ihrem Begleiter sagte: „Schau, jetzt gibt es schon malende Bären hier auf dem Brandplatz.“ Brandplatz! Ja, das war es! Archibald spuckte dreimal in die Luft und er taufte sich auf den Namen Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz. Nun würde er auf seinen Wanderungen immer wissen, von wo er losgegangen war. Und falls er mal einen Personalausweis beantragen müßte – man weiß ja nie auf was für Ideen die Aufrechtgeher kommen – hätte er auch einen schönen Nachnamen. Was vor dem Brandplatz geschehen war, das hatte er eingesehen, er würde es nie in allen Einzelheiten herausfinden können. Das abbe Bein und der Rest waren wieder zu einer Einheit verschmolzen. Und das war gut so, sagte sich Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz.

Archibald (Mein lieber Bär! Du glaubst doch nicht etwa, daß ich jetzt jedes Mal hier diesen ellenlangen Kampfnamen in die Tasten haue. Schöne Grüße: Der Setzer) stand auf und drehte sich um. Er sah diesen Park, der gerade dabei war sich aus dem Winterschlaf zu schälen. Er wußte nicht, daß dieser Park ein Botanischer Garten war und daß sie in dieser kleinen Provinzstadt sogar behaupten, daß es sich um den ältesten Garten dieser Art im ganzen Lande handelt. Er wußte aber, daß vor wenigen Tagen eine Stimme, es war die Stimme von Horse Badorties gewesen, Archibald hinausgerufen hatte, hinaus in den Park, um dort ruhig und cool, mit seiner ganzen gelösten strahlenden Persönlichkeit, sich der vitalen Meditation und dem Beknabbern von Buschwerk zu widmen. Und er dachte, daß dies ein guter Anfang für eine neue Reise sei. Täuschte er sich, oder erwärmte sich die Luft heute schneller als in den letzten Wochen? Er reckte seine feine Nase in die Höhe. Ja! Tatsächlich!

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“Wer die eine Hälfte gefunden hat, muß auch die andere suchen.”, krächzte der Rabe

Mittwoch, 17. März 2010 8:20

abbes beinGenau hier war es gewesen. Es war Archibald, als bewege eine fremde Macht seinen Arm, der mit einem Stück Kreide die Umrisse eines Bärenbeines auf die Treppe malte, welche zum Eingang des sogenannten Neuen Schlosses der kleinen Stadt führte. Da hatte es gelegen, das Bein, im Frühsommer 2006, genauso einsam wie Archibald sich heute fühlte. Harter Stoff. Der Mensch mag ja die eine oder andere Therapieform in Sachen Traumaaufarbeitung entwickelt haben, in deren Zentrum harte und schonungslose Konfrontation steht, aber muß man damit auch einen armen kleinen Bären quälen? Archibald dachte nach. Bald vier Jahren sind kein Pappenstil und man will ja auch präzise bleiben. Eines war klar: Archibald war Opfer, Opfer eines bei den Menschen so beliebten Gerangels, welches unter dem Motto steht: „Alles meins, meins, meins.“ Das gilt selbstredend für beide Parteien. Aber wer waren die Kombattanten, die Archibald damals in zwei Stücke gerissen hatten? Zwei Kinder, Geschwister gar, die sich gegenseitig den Bären nicht gönnten? Oder war er eine Art Trennungskind, wo sich das auseinanderstrebende Paar in einem öffentlichen Streit nicht über den Verbleib des armen Bärenviechs einigen konnte? Hatte ein armer Trunkenbold eine letzte Erinnerung an eine grandios gescheiterte Liebe zerstören wollen? Hatte gar ein Mensch – und so etwas gibt es tatsächlich – Archibald einem verzogenen Vierbeiner zum Spielen vor die Schnauze geschmissen? Oder litt er an den katastrophalen Spätfolgen eines klassischen Verarbeitungsfehlers? Archibald spürte einen alten Schmerz, doch er erkannte nicht den Verursacher. Nur eines war sicher: es war ein Mensch gewesen, der sich in einen schuldhaften Zusammenhang verstrickt hatte. Wobei sich in diesem Zusammenhang Archibald die Frage stellte, warum der Mensch sich immer dann Mensch nennt, wenn er damit aussagen will, daß er ein ganz besonders feinfühliges und aufrechtes Wesen sei. Ambivalentes Saupack, schoß es Archibald durch den Kopf und das darf dann schon mal sein in solch einer Situation.

Der Tag war vorangeschritten, Zweibeiner auf dem Weg zu Arbeit eilten an Archibald vorüber und schauten – Verzeihung – dumm. Der Platz vor dem Neuen Schloß füllte sich mit den vierrädrigen Lieblingsspielzeugen der Aufrechtgeher und zwischen den abgestellten Kisten raste ein kleines orangefarbenes Reinigungsmobil umher. Es quietschte und fiepste, auf seinem Dach drehte ein Blinklicht und zwei riesige runde Besen, die an der Vorderseite des Mobils angebracht waren, rotierten unablässig über den Boden und saugten alles was auf dem Platz herumlag gnadenlos in das Innere des kleinen Monsters. Archibalds Herz zog sich zusammen. Man stelle sich vor: damals: er und das abbe Bein und dann dieses Ding. Nein, gar nicht dran denken. Archibald erhob sich. Das rechte Bein juckte, aber es hielt. Langsam tapperte er von dannen. Er suchte etwas. Er suchte sich, genauer den zweiten Teil von Archibald, dem Bären. Ein Schwarm Raben zog über den saubergesaugten Platz dahin. Sie krächzten Archibald zu. Er winkte zurück, vorsichtig, denn man weiß ja nie.

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Die “condicio ursa” träumt einen gewaltigen Traum

Dienstag, 9. März 2010 6:52

sonne1Wenn Bären allein sind, denken sie immer ganz besonders intensiv. Da Bären nun mal Einzelgänger sind, insbesondere die Herren, bedeutet dies, sie denken immer ganz besonders intensiv, außer vielleicht sie haben zuviel an vergorenem Obst zu sich genommen. Selbstverständlich gibt es dutzende und mehr Bärendamen auf dieser Welt, die dies bezweifeln. Also das mit dem Denken, keinesfalls das mit dem vergorenen Obst. Doch Weltfrauentag war gestern und Archibald befand sich in offensiver Denklaune und alleiniger als sonst, da nicht nur die Holde des Hauses an der Arbeit war, sondern auch Ernst Albert zu einer Kurzreise aufgebrochen war. So machte sich Archibald daran, ein größeres Thema anzudenken. Nein: nicht „Abbes Bein/Anoperation“, sondern nicht weniger als die „condicio ursa“, die Bedingung des Bärenseins, war es, die Archibald heute umtrieb. Seit Tagen beschäftige er sich nun schon damit, ob er denn ein Ostbär oder ein Westbär sei. Gewiß, es gab Momente, wo ihm dies alles schnurzegal war und er seinem Bärenfatalismus frönte. Doch heute war es Archibald, als ob er sich selbst neu erfinden oder zumindest definieren müsse. Wer bin ich? Wo komm ich her? Warum? Weshalb? Wann? Die vielen, vielen W-Fragen. Und solche großen Fragen haben Bären schon immer im Liegen gelöst. Also stieg Archibald von seinem Fensterbrett, legte sich auf Ernst Alberts (eigentlich Eva Pelagias) rotes Sofa, schlief ein und, wie es Robert Zimmermann einst gesungen hatte: „He dreamt a monstrous dream.“

Archibald stand im Zentrum eines Kreidekreises. Zwei Männer an den Rändern desselben. Der eine Mann roch nach gebranntem Kartoffelwasser und Machorka, der andere trug das Abbild eines riesengroßen Ahornblattes auf seiner Brust und rief unentwegt „Timber! Alas! Timber!“. Archibald hatte das Gefühl beide zu mögen, soweit Gefühle in Träumen präzise sein können. Plötzlich packten die beiden Männer Archibald und jeder versuchte ihn aus dem Kreidekreis auf seine Seite zu ziehen. Beide Männer schienen gleich stark zu sein. Es war ein gewaltiger Schmerz, der Archibald erwachen ließ. Er blickte um sich und sah, daß er auf der Straße einer mittelhessischen Kleinstadt lag. Er war zweigeteilt, hier sein rechtes Bein, dort, etwa 100 Meter weiter, der Rest.

Archibald erwachte ein zweites Mal. Der Tag hatte ihn wieder. „Potzrembel! So kann man sich, wenn man es übertreibt, in zwei Teile denken.“, dachte er und: „Liegt da nicht das mit Mäusespuren übersäte Papier, welches Ernst Albert mir am Potzrembeltag mit dem Ausruf: „Lesebär!“ vor die Nase geworfen hatte?“ Da Archibald vor Kälte und posttraumatischer Verwirrung etwas fröstelte, deckte er sich zu. Mit einem Buch.

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Die Geschichte vor der Geschichte bleibt dunkel

Mittwoch, 24. Februar 2010 13:02

hinten2Eine alte Bärenweisheit aus Kamschatka lautet: “Betrachte jeden Fluß von beiden Ufern aus.”  Archibald setzte sich um. Auch wenn es Bären im Allgemeinen und Archibald im Besonderen schwerfällt liebe Gewohnheiten zu ändern oder gar aufzugeben. Nun blickte er von der anderen Seite aus dem Fenster. Jedoch die Welt draußen hatte sich nicht umgesetzt. Der Regen fiel weiterhin gleichmäßig aus einem grausuppigen Himmel und die allerletzten schmutzigen Schneereste verschwanden im Gulli. Regen bleibt nun mal Regen, ob von rechts oder links betrachtet. “Da hätte ich auch auf der anderen Seite sitzen bleiben können.”, hörte Archibald  seine bärengenetische Faulheit protestieren. Doch das Gleichmaß der fallenden Tropfen versetzte ihn innert kürzester Zeit in einen angenehmen Zustand der Weltergebenheit. Er saß. Es regnete. Ob von rechts oder von links betrachtet, ganz egal. Und er dachte ebenso gleichmäßig und weltergeben darüber nach, ob es tatsächlich eine sinnvolle Angelegenheit sei, in der alten Rumpelkammer namens Erinnerung rumzukramen. Und ob es denn wirklich wesentlich sei , jene Geschichte vor der Geschichte aus irgendeinem alten muffigen Pappkarton rauszuziehen, falls sie da überhaupt noch drinliegt. Dies liefe letztendlich rein küchenschypsologisch immer darauf hinaus, daß man einen Schuldigen suche und auch finde. In 90% der Fälle wäre der Schuldige dann Papa Bär, der den armen Bärenjungen nicht ordentlich genug liebgehabt hat, weil er lieber vergorenes Obst fraß und Fremdbärinnen hinterher rannte oder den armen Bärenjungen anfauchte, wenn der zu blöd war, sich selber einen Lachs aus dem Bach zu holen. Aber da ein Papa Bär sich sowieso nie um seinen Nachwuchs kümmert, hatte sich das hiermit erledigt. Das abbe Bein war wieder dran und viel wichtiger als den Abmacher zu verurteilen und bloßzustellen, ist es doch den Anoperierer zu ehren. Oder? Oder vielleicht doch nicht? Archibald kratzte sich an seinem Hinterteil. Bären sind manchmal sehr wankelmütig. Da hörte er aus dem Nebenzimmer ein Hämmern, Fluchen und Schrauben. Ernst Albert und Eva Pelagia bauten ihren neuen Schrank zusammen. Archibald schloß die Augen und hörte nur noch zu. Der Regen und das Hämmern, Fluchen und Schrauben verschmolzen zu einem  Rhythmus. Drinnen und draußen, gestern und heute, ab und an: alles ein großer wohlschmeckender Eintopf.

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Archibald und die Geschichte vor der Geschichte

Dienstag, 23. Februar 2010 9:29

hinten1Bären neigen manchmal zu einer gewissen selbstzerstörerischen Ehrpusseligkeit. Wenn sie bemerken, daß etwas nicht so verläuft, wie erwünscht und erhofft, suchen sie den Fehler. Unermüdlich und meistens bei sich selber. Also saß Archibald wieder auf seiner Fensterbank und war nicht wirklich konzentriert, was den Blick in die Welt hinaus betraf. Er dachte darüber nach, warum er es einfach nicht schaffte, das zu erzählen, was er seit Tagen versprochen hatte. Klar, es ist viel auf ihn eingestürmt seit Aschermittwoch, trotzdem: so eine große Sache ist das mit dem abben Bein auch wieder nicht. Und er mußte daran denken, wie ihn Ernst Albert damals aus der Kneipe in seine Höhle geschleppt, ihn dort auf einen kleinen Tisch in seinem Schlafzimmer gesetzt hatte und das abbe Bein so neben Archibalds Rumpf gelegt hatte, daß es aus der Ferne aussah, als ob das abbe Bein wieder dran wäre. Ernst Albert war in jenen Tagen nicht in allerbester Verfassung gewesen, schlug sich fast jede Nacht um die Ohren und hatte nicht viel Zeit, sich um einen, wenn auch schwerverletzten Bären zu kümmern. Wobei, ältere Herren und Bären: ein heikles Thema. Aber Ernst Albert gewährte Archibald immerhin Asyl. Archibald saß also auf diesem Tischlein, lehnte an einem Blumentopf mit einer Pflanze, die sich über Gießwasser sehr gefreut hätte, spürte das etwas mit seinem rechten Bein nicht stimmte, obwohl es sich wieder an der fast richtigen Stelle befand, die Zeit verging wie im Fluge und graue Staubflocken  sammelten sich auf seinem Bärenhaupt. Doch er war froh nicht mehr zweigeteilt auf der Straße zu liegen, es war schön warm in Ernst Alberts Höhle und überhaupt: er hatte komplett vergessen, wie es eigentlich dazu gekommen war, daß sein rechtes Bein etwa 70 Meter entfernt von ihm auf einer vorsommerlichen Straße in Mittelhessen gelegen hatte. Und da schoß es Archibald durch den Bärenschädel. Wie solle er denn die Geschichte der Anoperation des abben Beines erzählen, wenn er gar nicht mehr wußte, wie das Bein abgegangen war? Da war keine Erinnerung, da war nur ein großes, rotgerandetes Loch. Was war damals geschehen? Vor der Straße? Lange vor der Anoperation? Wer den zweiten Schritt vor dem ersten tut, fällt auf die Nase und blamiert sich. Und wenn Bären etwas nicht mögen, ist es sich zu blamieren. Also, dachte Archibald, ist es nicht angebracht sich jeden Tag zu entschuldigen wegen der fehlenden Schilderung der Anoperation. Erstmal müsse er über die Geschichte vor der Geschichte nachdenken. Grundsätzlich. Jawoll! Befriedung machte sich in seinem Bärenherzen breit und er schaute aus seinem Fenster. Konzentriert. Und sah Dinge.

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Es ist mal wieder Potzrembel-Tag!

Montag, 22. Februar 2010 10:37

potzrembeltagArchibald spürte eine mittelschwere Verbitterung in sich aufsteigen. Der gestrige Schnee, so schnell er gekommen war, so schnell hatte er sich weggetaut. Und wenn ein Bär etwas nicht leiden kann sind es Sprunghaftigkeit und Unzuverlässigkeit. So beschloß also Archibald heute seinen allmonatlichen Potzrembel-Tag einzulegen. Der Potzrembel-Tag ist ein Ritual der Soquatschi-Indianer, die in der alten Bärenheimat jenseits der Meere leben. Durch fortwährende Wiederholung des Wortes Potzrembel reinigt man sein Bewußtsein, befreit es von den drin angehäuften Trümmern und Spinnweben. Und heute war ein guter Tag für einen Potzrembel-Tag. Also lieh sich Archibald von Ernst Albert, der immer noch schlief, weil er bis in die frühen Morgenstunden Stahlzigarren in einer Rinne aus Eis in seinem Bilderapparat geschaut hat, eine Sonnenbrille, setze sie auf und sprach:

Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel  Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel (Archibalds Gewissen klopft an) Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel  Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel (Du wolltest) Potzrembel (etwas erzählen) Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel Potzrembel  Potzrembel (Das abbe Bein) Potzrembel Potzrembel (Die Anoperation) Potzrembel Potzrembel Mann! Mann?

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Archibald schaut aus dem Fenster

Mittwoch, 17. Februar 2010 16:51

archi_fensterDer Aschermittwoch ist ein guter Tag, um damit zu beginnen. Also beschloß Archibald nun öfters aus dem Fenster zu schauen. Zuletzt war er meist ruhig in seiner Ecke gesessen und ließ die Welt durch sich hindurchwehen wie Zugluft. Denn ihm war nicht wirklich nach der Welt da draußen und damit verbundener Erkenntnis, solange er sich tief in seinem Herzen noch wie eine Fundsache fühlte. Menschen aus Fleisch und Blut mögen dies vielleicht Trauma nennen. Archibald jedoch fühlte sich eben wie eine Fundsache. Und dies war er nun mal auch.

Vor einiger Zeit, genauer gesagt im Mai des Jahres 2006, hatte Ernst Albert, sein jetziger Chef und Besitzer, ihn auf der Straße gefunden. Und um präzise zu bleiben, Ernst Albert hatte zuerst das abgetrennte rechte Bein des Bären Archibald auf der Strasse entdeckt, es fragend aufgehoben, um dann etliche Meter weiter in einem Gebüsch am Straßenrand den dazu gehörigen Besitzer des Beines  zu entdecken, dieses braune Ding aus Stoff und Holzwolle, welches, um auch hier präzise zu bleiben, erst  Monate später auf den Namen Archibald getauft wurde. Da Ernst Albert an diesen Tag betrunken war, was er – der Wahrheit die Ehre – manchmal ist, hat er den zweiteiligen Bären in seine Jackentasche gesteckt und mit in die nächste Kneipe getragen. Und beinahe hätte er Archibald den Einbeinigen inklusive Zweitbein dort einer Bedienung geschenkt, auf die er zu dieser Zeit sein trübes Auge geworfen hatte. Doch da war die Vorsehung vor. Und Eva Pelagia ante portas.

Aber das ist eine neue Geschichte. Und solange schaut Archibald erst mal aus dem Fenster. Langsam, ganz langsam.

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