Beitrags-Archiv für die Kategory 'Draußen vor der Tür'

Offener Brief an Herrn Lenz

Donnerstag, 6. Mai 2010 16:41

brief_lenzArchibald hat noch einen Brief geschrieben: “Werter, prinzipiell hochgeschätzter Herr Lenz! Sie finden mich in heller Aufregung! Meinem gesundheitlichen Zustand und einer generellen Erschöpfung geschuldet vermeide ich das Wort Empörung. Gewiß, eine lange und ungewohnte Reise liegt hinter mir, bevorstehende Wartungsarbeiten am maroden Bärenlaib harren meiner, all das mag dünnpelzig machen, aber, Hand aufs Herz, was Sie heute so veranstalten! Sekunde! Aha! Im Hintergrund gestikuliert Herr Ernst Albert und weist mich darauf hin, daß es Sie sowieso nicht mehr gibt und dito mein Brief von gänzlicher Sinnlosigkeit, aber ich weigere mich, den Glauben an Sie gänzlich in vollgelaufenen Gullys entschwinden zu sehen. Was ist los? Erst fehlt Ihnen der Mut dem Genossen Iwan Heribert Wintersen endgültig die Rote Karte zu zeigen, wenige Tage später räumen Sie das Feld für Frau Else Sommer und heute? Wie soll man es deuten? Das Tromp d’oil dieser unwirklichen Begrünung vor dem Fenster meiner Höhle wird umgarnt von Nebeln, die sonst der ehrwürdige Freiherr Gottfried von Herbst selbst im Gepäck zu haben pflegt, wenn er – denn dabei möchte er nicht gesehen werden – den Staffelstab an Genosse Wintersen überreicht. Nichts gegen Feuchtigkeit und Regenfall, denn jeder Bär ist auch Hobbybotaniker und die Blaubeere gilt es zu bewässern und trockene Bäche liebt der Lachs nicht, aber wo ist ihr Maß? Letzten Freitagabend dreißig Celsiuseinheiten im Heckerland, achtundvierzig Stunden später dort selbst nur noch knappe zehn, angekommen in Mittelhessen angenehme siebzehn und heute Morgen vier? Was rechtfertig diese Verwirrungen? Verkünden Sie uns so die aktuellen Lottozahlen? Ach, und kommen sie mir nicht mit vorgezogener Schafskälte! Plumpe Ausreden! Mir ist bewußt, daß der durchschnittliche Aufrechtgeher gewiß seinen Anteil am Zustandekommen der klimatischen Extrem- und Absurdvariationen hat. Aber, und dies der Grund meiner Post, ich als armer Bär, regelmäßiger Winterschläfer und genetisch den VIER Jahreszeiten verpflichtet, mobil ohne Blechmilbe, Resteverwerter aus Überzeugung und Finanznot, was soll ich denn tun, wenn mein inneres Koordinatensystem im Viereck springt, weil Sie ihren Job nicht tun? Oder Sie gar – und ich hoffe Herr Ernst Albert hat da unrecht – schon in Rente oder vom Mobilitätswahn der Aufrechtgeher gemeuchelt sind? Eine etwas transparentere Informationspolitik wäre da schon angebracht. Finden Sie nicht auch? Sie sind doch nicht etwa Herr Joachim Löw? Oder doch? Um eine schnelle Beantwortung dieser Fragen bittet hingebungsvoll Ihr alter Freund und Kupferstecher Archibald Mahler, momentan Bär mit dem Arsch auf der Heizung. (Mäßigung im Ausdruck rät – en passant – der ebenfalls schlotternde Setzer)

PS 1: Wegen Ihrer Eskapaden ist die eigentlich geplante Denkpause meinerseits immer noch keine Pause geworden. Wenn das Eva Pelagia erfährt, kann ich mich auf etwas gefaßt machen, Sie Lenz.

PS 2: Von Herrn Ernst Albert soll ich ausrichten lassen, er würde gerne mal wieder die Hügel und Felder rund um die kleine häßliche Stadt mit seinem Fahrrad queren.”

Thema: Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Archibald bricht auf

Freitag, 9. April 2010 14:47

kerouacEinst als Indien noch Teil des British Empire war und die Aufrechtgeher keine Lust mehr verspürten, auf dem Rücken von Pferden, Eseln und Kamelen durch die Wüste oder das wilde Kurdistan zu reiten und also das Automobil erfanden, wurde dort im fernen Kalkutta ein Sadhu – so nennt man die Heiligen Männer des Landes – von einem britischen Governor zu einer kleinen Testfahrt in einem neu erworbenen Benzingefährt eingeladen. Der Heilige Mann nahm Platz, bat jedoch nach etwa zwei Kilometern Fahrt den Chauffeur die Knatterkiste zu stoppen, stieg aus, setzte sich an den Straßenrand und begann zu meditieren. Als man ihn dann fragte, warum er dies tue, antwortete er: „Mein lieber Freund, ich warte auf meine Seele. Sie ist nicht so schnell wie Euer Gefährt. Sie kommt nach.“

So ähnlich fühlte sich nun Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz. Er sollte verreisen, unter seinem Bärenhintern würden sich zum ersten Male Eisenstangen und daran befestigte Scheiben in Bewegung setzen. Gewiß, er hatte die Geschichte seiner Vorfahren noch nicht in Gänze studiert, aber eines wußte er: Bären auf Rädern gibt es nicht und zum Fischen und Beerensammeln ging man schon immer zu Fuß. Das hält schlank und beweglich an Kopf und Bein. Wurde ihm also schon wieder Gewalt angetan, wie einst im Monat März? Nein, denn das muß man Ernst Albert diesmal lassen, er hatte – auch nachdem Eva Pelagia ihr Einverständnis signalisiert hatte – den Bären in aller Form gefragt, ob er Interesse an einem mehrwöchigen Ausflug in den Süden und in seine, Ernst Alberts, alte Heimat habe. Und da Bären zwar faul, aber auch extrem neugierig sind und Ernst Albert gemurmelt hatte, es gäbe da draußen durchaus Orte, die etwas sehenswerter seien als die kleine häßliche Stadt und man fahre ja schließlich nicht nach Friesland, hatte der Bär gebrummt, zustimmend.  Seine Aufregung jedoch konnte er nicht verbergen, keine Spur der so gerne von den Zweibeinern kolportierten Bärenruhe. So reichte Ernst Albert dem Bärenviech ein altes, vergilbtes und mehrfach geflicktes Buch, zur Beruhigung und Anregung.

Das Buch roch nach Strassen, Schienen, Meilen, Getränken und Musik. Archibald steckte seine Nase in die Buchstabensuppe und es begann: „Ich hatte gerade eine schwere Krankheit überstanden, die ich nicht weiter erwähnen will, höchstens daß sie etwas mit einer scheußlich deprimierenden Trennung zu tun hatte und mit meinem Gefühl, alles sei tot. Mit dem Auftauchen von Dean Moriarty begann der Teil meines Lebens, den man mein Leben auf den Straßen nennen könnte. Ich hatte vorher schon oft davon geträumt…“ Die Blätter des zerlesenen und bekritzelten Buches raschelten und rauschten an Archibalds Nase vorbei und ein Zug verließ die kleine häßliche Stadt. Ciao! Zahnbürste nicht vergessen! Ciao! Ciao!

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“That’s the way God planned it!”

Mittwoch, 7. April 2010 5:54

sonne4Und jemand ward faul im Staate Dänemark. Da war die Sonne gekommen, wie Herr George Harrison es besungen hatte, und das fand Archibald, der Bär vom Brandplatz, war in Ordnung, sehr sogar. So wandte er einfach all den klugen Worten und Tiraden den Rücken zu und beließ es bei transzendenter Untätigkeit. Sein Pelz saugte die Wärme auf wie die Wüste einen Regenguß, entrückt rieb der Bär seinen Rücken am Fensterrahmen und mit den Worten des Prinzen Hamlet von Dänemark flüsterte er: „An sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu.” Also laß fahren all die Müh! Sic!
Und was sah das Auge des Bären? Auf einen Mäuerchen unten vor dem Fenster saß eine junge Maid. Sie schien auf jemand zu warten, denn obwohl sie ihr Gesicht in die Sonne streckte, sah dieses recht verdrießlich aus. Um die Ecke bog in Eile ein junger Galan und sprach: „Ich dachte, wir treffen uns am Brandplatz.“ Die Maid stand auf und recht verächtlich kam es aus ihrem Munde: „Denke nie gedacht zu haben, denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken. Wenn Du denkst Du denkst, denkst Du, daß Du denkst, doch denken tust Du nie!“ Und weg war sie und das Gesicht des jungen Mannes unbeschreiblich dämlich. Sic, die Zweite!
Zudem hatte Archibald gar nicht die Ruhe, um gehaltvoll zu denken. Er wollte tanzen. Er mußte tanzen. Nicht so wie seine Ahnen, die von den Aufrechtgehern einst an Nasenringen über Marktplätze und durch Zirkusarenen gezogen wurden und als Tanzbären ein recht klägliches Bild abgegeben hatten, nein dies nicht. Eines der Lieder, die Ernst Albert gestern beim Kofferpacken mehrmals gehört hatte, ließ den Bären nicht mehr los. Ein wuchtiges, jubilierendes und zum Schluß gar ekstatisches Lied. Und Archibald erhob sich und sein Bärenlaib begann sich zu den Klängen des Liedes, das in seinem Inneren spielte, hin und her zu wiegen. Ganz langsam, aber irgendwann gewaltig.

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Die Rückkehr der Herren Lenz und Zimmermann

Dienstag, 6. April 2010 8:14

sonne3Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz und seine Gedanken setzten sich zusammen und faßten folgenden Entschluß: Anläßlich der Rückkehr des Herrn Lenz feiern wir – im übrigen vorwurfsfrei – einen Tag der Mittelhessischen Untätigkeit. So leget denn nieder Hammer, Sichel, Maus und Car und summet und singet mit uns: „Here comes the sun / here comes the sun / and I say it’s all right / Little darling, it’s been a long cold lonely winter / Little darling, it feels like years since it’s been here / Here comes the sun, here comes the sun / and I say it’s all right / Little darling, the smiles returning to the faces / Little darling, it seems like years since it’s been here / Here comes the sun, here comes the sun / and I say it’s all right / Sun, sun, sun, here it comes / Sun, sun, sun, here it comes / Sun, sun, sun, here it comes / Sun, sun, sun, here it comes / Sun, sun, sun, here it comes / Little darling, I feel that ice is slowly melting / Little darling, it seems like years since it’s been clear / Here comes the sun, here comes the sun / and I say it’s all right / It’s all right!”

Im Hintergrund beging Ernst Albert seinen monatlichen Concert-for-Bangla Desh-Tag und zog den Koffer aus dem Schrank. Archibald versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Er summte vor sich hin. Und so ging es weiter. Damals, als Herr Zimmermann zurückkam.

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Und es war einer da, der von der Ferne zusah (Archibald 27. 55.)

Freitag, 2. April 2010 8:57

gipfelUnd das war dann passiert. Der geheime Fieberthermometerhalter (Hat der keinen Kurznamen? Gruß vom Setzer) war von hinten an Archibald herangetreten und hatte ihm gesagt, daß drei Männer in blauen Anzügen mit gelben Krawatten Ernst Albert mitgenommen hatten und daß, nun da die Türe offenstand, es vielleicht klug wäre ihn zu suchen, am Tag der Buße und der Einkehr.

Archibald ging in den Park. Den kannte er. Er erinnerte sich, daß man in einer Ecke des Geländes einen Hügel aufgeschüttet hatte. Den wollte er besteigen und sich einen Überblick verschaffen. Alter Bärentrick. Man riecht besser, wenn man oben steht. Und da fing es schon an mit dem Tag der Buße. Der Kiesberg war steil und rutschig, der Wind hatte auf Nord gedreht, es war eisbärkalt und Herr Lenz schien jegliche Rückkehrabsicht ad acta gelegt zu haben. Auf bärisch: es war eine elende Plackerei, Archibalds Kondition befand sich noch im Winterschlaf und das rechte Bein pochte. Da stand er nun auf dem Gipfel, zu seinen Füßen der Park und Teile der kleinen häßlichen Stadt und seine Lungen arbeiteten im Akkord. Der Park und die ihn umgebenden Straßen waren leer. Die Aufrechtgeher lagen in den Betten. Kirchenglocken bimmelten. Wenige alte Zweibeiner ließen sich von den Glocken rufen. Archibald reckte die Nase in den Himmel. Er roch letzte Überreste eines alten Zweibeinerrituals. In weiter Ferne krähte dreimal ein Hahn. Jemand wusch seine Hände in Unschuld und Zitronenwasser. Hohngelächter und wuchtige Hammerschläge. Ein hagerer Mann trank Essig und Galle aus einem Schwamm. Die neben ihm hangen, riefen ihm zu, er möge sich selber helfen. Zu seinen Füßen würfelte man um seine Kleider. „Eli, Eli, lama asabthani? Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Der Vorhang zerriß in zwei Teile.

Archibald drehte sich um. Etwas entfernt, hinter den Mauern des Parks, erblickte er eine alte Ritualstätte der Zweibeiner, einen Ort, wo sie einst die Verstorbenen in die Erde gegeben hatten, um ihrer mit aufgestellten Steinen und Holzkreuzen zu gedenken. Zwischen den Steinen sah er ein mittelaltes Ehepaar. Sie rannten und keuchten. Sie trugen schreiend bunte kurze Hosen, mit Schriftzügen versehene Hemden, die Frau hatte ihre mit bunten Strähnen gefärbten Haare mit einem Tuch zusammengebunden und hinter ihnen her rannte ein riesiges Hundeviech, dessen Fell ebenso gefärbt oder zumindest onduliert schien. Der Hund hatte Spaß daran, ab und an einen der Gedenksteine mit seinen Verdauungssäften zu benetzen, was die Frau mit hysterischem Gebrüll kommentierte, während der Mann so tat, als sei er nicht vorhanden. Archibald kratzte sich am Hintern und wunderte sich. Offensichtlich haben die Zweibeiner neue Rituale entwickelt, um den Tag der Buße zu begehen. Es grauste ihn und er wandte sich ab.

Und da sah er in der Ferne, in den Straßen zwischen den heute geschlossenen Kaufbuden, ein Viech, ein seltsames Viech mit riesigen Ohren und einem großen Wollknäuel am Hintern. Und dieses Viech sprach mit der Stimme von Ernst Albert. Oh, mein Bärengott!

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Archibald sagt “Westerwelle” und wird von Ernst Albert gebremst wegen der Blöden

Dienstag, 30. März 2010 9:53

worteSei gegrüßt, Tschurtschenthaler Gregor. Ernst Albert und Archibald wären bereit. Die Gläser sind gefüllt. Archibald legt los. „Voila! Liebe Aufrechtgeher, wenn ich folgendes in der nächsten Zeit nicht jeden Tag doppelt, drei- bis hundertfach lesen, hören und riechen müßte, wäre ich sehr dankbar. Es geht unter anderem auch um meine Gesundheit. Also, notieren Sie bitte: Hallooo? Gänsehautfeeling. Nachhaltig. Ich warne davor. Der Saal kochte. Emotionaler Moment. Sie stehen kompakt. Bio. Woche der Wahrheit. Die Parteivorsitzenden unterhielten sich angeregt. (Na zdrave!) Bio. Passt schon. Zutiefst betroffen. Ich finde, er hat seine Sache gut gemacht. Großes Tennis! Ich melde mich dann. Kopfprämie.  Geht klar. Schönen Tag noch! Haben Sie eine Paybackkarte? (Slainte!) Haarscharf daneben. Wir bedauern das außerordentlich. Mehr Service für weniger Geld. Liebe isst. Entspannen Sie sich. Genuß pur. Bio. Auf dem Weg zu sich selbst. Die Abseitsfalle schnappt zu. Ganz normales Geschäftsgebaren.  (Genatzt!) Verjährt. Die Tragweite seines Handelns. Ich bin fokussiert. Uns fehlt das Siegergen. Er hat die Haare schön. FDP. Personenschaden. Da muß man sich dran gewöhnen. Bio. Man gönnt sich ja sonst nix. (Kippis!) Ich fahr meinen Wagen gleich weg. Zeitfenster. Zeitnah. Bio. Green Building. Hier ist richtig was los. Wir sprechen hier über. Wir sprechen hier nicht über. Alleinstellungsmerkmal. Stockfehler. (Txin Txin!) Ein typischer Pokalfight. Ich bin nun mal so. Kultur des Hinsehens. Jetzt wird es eng für den Trainer. Literaturpapst. Fitneßpapst. Kochpapst. Papst. Bio. Kachelmann. (Kampai!) Migrationshintergrund. Das Geheimnis des Erfolges. Was geht? Ich habe Vertrag bis 2012. Soziale Teilhabe. Gerne. Bio. Endzeitstimmung. Interessierte Öffentlichkeit. Vorgängerregierung. (Bottoms up!) Die Krise meistern. Kulturbulent. Was habe ich damit zu tun? Gemeinsames Duschen. Also ich hatte meinen Spaß. Bio. Nimm drei, zahl zwei. Leistungsträger. Internationales Entsetzen. Steuersenkungen. (Stößchen!) Wir schauen nur nach vorne. Verzögerungen im Betriebsablauf. Das gehört einfach dazu. Bleibt Ribery? Bio. Ich bin mir das wert. Abzocke. Zum Gegenangriff blasen. Bärenstarke Laufleistung. Okeee?“ Das neunte Getränk rinnt die Kehlen hinab, begleitet von einem kräftigen: Jamas!

Archibald spürt erste Erleichterung. Aber da geht noch was. „Da geht noch was. Westerwelle…“

Ernst Albert bremst Archibald Mahler, den Bären vom Brandplatz. Nicht nur wegen des bevorstehenden zehnten Unterhaltungsgetränkes aus Griechenland und weil er sich nicht vorwerfen lassen will, unschuldige Bären in den Trinkersumpf hinabzureißen, nein: die Blöden stehen vor der Türe. Und da gilt es sich vorzubereiten. Gelingt die Traumaaufarbeitung?

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Drei Tage war der Archi krank, jetzt schaut er wieder, Gott sei Dank!

Sonntag, 28. März 2010 16:06

roentgenDer Schmerz, aber: Die Krankheit. Die Sorge. Die Angst. Die Diagnose. Die Medikamentation. Die Pflege. Die Heilung. Man braucht hier gar nicht auf diesen albernen, aber höchst lukrativen Mond-Venuszug aufzuspringen, dennoch: eine Tendenz ist klar erkennbar. Archibald lag im Bett oder vor dem Bilderapparat, Ernst Albert fuhr in der Weltgeschichte herum und mal gewannen die Blöden, dann waren die Blauen Erster. Tage im Gleichmaß: gelegentliche Bärenstöhner, exzessiver Honigkonsum und abgestandene Luft, bis Eva Pelagia eingriff und Archibald von dannen trug. Die Tat.

„Aha, soso, na ja!“ sagte die Ärztin des Hauses, ihr Gesicht legte sich in zu honorierende Falten und man schob Archibald unter das Strahlengerät. Immerhin hatte ein Bürger dieser Stadt, der hier zudem begraben liegt, einst die durchsichtig machende Wirkung dieser Strahlen entdeckt und sie für die Heileheilekunst verfügbar gemacht. Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz wurde geröntgt, das erste Mal. Wenig später lag das Photo auf dem Schreibtisch der Frau Doktor. „Aha, soso, na ja!“ Die Falten im Gesicht der Heilkünstlerin nahmen an Tiefe und Bedeutung zu. „Der Lichtkranz um das Gehirn deutet auf eine Frühform einer eventuell streßbedingten  Überreizung der vorderen Hirnlappen hin, eine sogenannte supracogitatio literaris humilis. Der weiße Fleck an der rechten Pfote ist Folge einer gemeinen Übersaugung auf Grund eines latenten Phantasiestaus, eines vacui thematis generalis. Die stark hervortretenden Augen legen einen mehrtägigen Bilderapparatentzug nahe, extractio televisio.“ Archibald zuckte. Der Kampf der Blöden gegen die Blauen hatte doch gerade erst an Fahrt aufgenommen und dann so etwas. „Am meisten Sorgen aber macht mir dieser große, höchstwahrscheinliche posttraumatische Wärmestau – concalesco extremo abdomalis – mit leichter Rechtstendenz im Bereich des Unterlaibs. Offensichtlich die Spätfolge einer nicht hundertprozentig fachgerechten Anoperation eines abben Beines.“ „Vielleicht aber auch nur erste Anzeichen des körpereigenen Frühling!“, dachte der Bär, wagte es aber nicht bei so viel Sachverstand in Weiß zu widersprechen. Eva Pelagia schaute ein wenig erschüttert, was zum einen ein Grundzug ihres zutiefst emphatischen Wesens ist, aber auch mit ihrer Verstrickung in die Causa “Abbes Bein/Anoperation” zu tun hatte. Also sprach die Weißkittelin:„Machen Sie sich mal nicht zu viel Sorgen. Ruhe, viel Trinken, Verzicht auf Genußgifte aller Art und Ruhe, viel Ruhe. Aber das habe ich ja schon gesagt. Ach ja, und die kleinen Punkte am Hals deuten auf eine ganz normale infektiöse Angina hin, verursacht durch Scheißwetter und eine defectio virium, einen allgemeinen Schwächezustand. Streßbedingt. Mann, bin ich fertig. Oh. Entschuldigung. Auf Wiedersehen.“ Man schob die Beiden sanft aus dem Sprechzimmer. „Fräulein Else, schicken Sie mir jetzt den Hasen mit der Obstipation herein.“

Archibald war die Lust am Kranksein gründlich vergangen. Gerade noch ein lebensbejahender, bildapparatschauender Leidensbär mit einem leicht kratzenden Hals und wenig später schon ein Fall für die Notschlachtung. Er schaute aus dem Fenster. Es regnete. Kalter Wind. Herr Lenz hatte Termine außerhalb des Landes wahrgenommen. Es rappelte im Treppenhaus. Ernst Albert kehrte zurück. Er roch nach Genußgiften. Die Zugfahrt war lang gewesen. Aber als er seinen zerrütteten Bären sah, lachte er nicht, sondern er hatte eine Idee. Er flüsterte dem Bären etwas in Ohr. Dann tröstete Ernst Albert Eva Pelagia, den sie konnte nichts dafür, weder für dieses noch für jenes. Archibald schaute aus dem Fenster. „Na klar! Deshalb! An die Arbeit!“

Thema: Archibalds Geschichte, Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Draußen vor der Tür liegt ein Bär

Dienstag, 23. März 2010 8:19

pennerMit der Heimkehr ist das immer so eine Sache. Auch bekennende Solitäre, wie sie Bären nun einmal sind, haben durchaus gewisse Erwartungen in Bezug auf einen ordentlichen Empfang nach etwas längerer Abwesenheit. Pochierter Lachs auf Preiselbeerbett, mit Honigschnaps flambiertes Aas, die Heizung auf voll, im Bilderapparat auf paar hübsche Naturfilme – egal ob über Alaska oder die Kurilen – und, wenn möglich, keine dummen Fragen: das sind schon ein paar Standards. Und dann ist die Tür verschlossen, keiner zu Hause und selbst die Nachbarin, die aushelfen könnte, ist an der Arbeit. Hallooo! (Kurze Entschuldigung für diesen Ausdruck an alle Leser jenseits der Zielgruppe 14 bis 49! Herzlichst: Der Setzer) Archibald hatte sich das alles ein wenig anders vorgestellt. Der Regen hatte zwar nachgelassen, aber so ein feuchtes Fell juckt und stinkt und ein anoperiertes Bein reagiert in solch einem Fall gerne mit rheumatischem Zucken. Archibald ließ seinen Magen knurren, eine sanfte Form des Protests gegen Ernst Alberts und Eva Pelagias unerwartete Abwesenheit.
Linderung brachte der nicht zu bremsende Mitteilungszwang des modernen Aufrechtgehers. Vor der verschlossenen Haustüre lagen dutzende dieser Umsonstzeitungen, mit denen ein durchschnittlicher Haushalt tagtäglich belästigt wird. In diesen Blättern, welche als Baum eine weit sinnvollere Erscheinungsform darstellen würden, äußern sich periphere Schreiberlinge zu peripheren oder an anderer Stelle schon hundertmal durchgekauten Ereignissen. Im Wesentlichen bestehen diese Papierberge aber aus beigelegten Empfehlungen für die umliegenden Kaufbuden. Aber Archibald war diese weitere humanoide Überflüssigkeit im Moment außerordentlich willkommen. Auch die guten alten Hobos, Penner und Clochards, mit denen Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz, sich heute sehr verbunden fühlte, wissen die wärmende Wirkung von Zellulose zu schätzen. Der Bär deckte sich zu und seine feine Nase rochlas diese Meldung:
Hase und Maus mußten sterben. Ein Hase und eine Maus sind am Freitagabend Opfer eines Beziehungsstreits eines Paares geworden. Ein Mann und seine Lebenspartnerin hatten sich im bayrischen Schönau in angetrunkenem Zustand derart gezofft, daß sie das Haustier des jeweils anderen umbrachten. Eine Nachbarin hörte Hilferufe der Frau und alarmierte die Polizei, welche die Situation beruhigen konnte. Die Frau verbrachte die Nacht dann bei einer Verwandten.“
Und wieder hatte die Realität die Fiktion um Längen geschlagen. Vor wenigen Tagen noch, an historischer Stätte, hatte Archibald intensiv nachgedacht und fabuliert, wie denn einstens sein Bein abgegangen sein könnte. Und jetzt dies. Realität war leider auch, daß die Hausherren nicht anwesend waren und der durchnäßte Bär ante portas lag. So riecht ein Skandal! Doch Archibald war nicht gewillt sich auf die Ebene der zweibeinigen Überempfindlichkkeit und des Gejammers herabzulassen. Er nahm seine momentane Situation als eine weitere Übung in Sachen Akzeptanz an und schlief ein. Wird schon wer kommen! Sspakojnaj notschi!

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Herr Mahler kritisiert Herrn Lenz, mietet eine Zweithöhle an und geht nach Hause

Montag, 22. März 2010 8:19

zweitwohnungEs hatte die Nacht über aus Kübeln gegossen. Archibald erwachte und kroch aus seinen Unterschlupf. Er war nach seinen Rundflug über die kleine häßliche Stadt vor dem einsetzenden Regen in den Park geflüchtet. Die freundlichen Gärtner hatten dort im letzten Herbst eine Holzkiste aufgestellt, diese mit Laub gefüllt und mit Styropor fein säuberlich ausgekleidet, damit dort Igel und andere Bedürftige ihre Winterruhe halten können. Dort hatte der Bär sich – Gelernt ist gelernt! – verkrochen und bestens geschlafen, den indischen Heilblättern sei es gedankt. Nun war er aufgewacht. Auf, neben und vor der Kiste nieselte es. Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz, schickte einen extrem lenzkritischen Blick zum grauen Himmel. Herr Lenz hatte dies wohl bemerkt, trat hinter einer Birke hervor und sprach: „Werter Herr Mahler! Ich sehe sehr wohl ihren vorwurfsvollen Blick. Auch verstehe ich diesen, angesichts der Tatsache, daß mein Vorgänger Ihnen dieses Jahr einiges zugemutet hat. Doch erwarten Sie nicht zuviel vom Frühling! Es gibt kein Versprechen im Frühling, es gibt nur ein Wetterleuchten dieses Versprechens. Wissen Sie es zu würdigen und zehren Sie davon!“ Daraufhin spannte Herr Lenz seinen Regenschirm auf und verschwand hinter dem nächsten Gewächshaus. Unter Archibalds Hintern raschelte es. Ein Igel kroch ins Freie, drehte sich um und bemerkte: „Mein lieber Herr Bär, diese Unterkunft wäre jetzt zu haben. Bis Mitte oder Ende November, wenn Sie Interesse haben!“ Großartig, ein kleiner Sitz draußen auf dem Lande! Na ja, zumindest im Grünen. Hocherfreut stimmte Archibald zu. Auf den Handschlag verzichtete er wohlweislich. Man kennt das ja mit den Igeln und eine entzündete Pfote ist eine lästige und langwierige Angelegenheit. Der Igel nickte kurz zum Zeichen des Abschieds, zog sich ein Regencape über und verkroch sich unter dem nächsten Gebüsch. „Potzrembel aber auch, diese indischen Heilblätter haben es aber in sich!“, dachte Herr Archibald Mahler.
Der große russische Geschichtenerzähler Leo Tolstoi soll einst gesagt haben: „Der Gedanke ist alles. Der Gedanke ist der Anfang von allem. Und Gedanken lassen sich lenken. Daher ist das Wichtigste: Die Arbeit an den Gedanken.“ Nicht daß Archibald, der er ja erst vor wenigen Tagen das Buchstabenriechen erlernt hatte, schon die Muße gehabt hätte, die über 1500 Seiten von „Krieg und Frieden“ durchzuschnüffeln, aber mit obigen Ausspruch hatte Herr Tolstoi ganz gewiß recht. Es war also höchste Zeit, sich mal wieder vor den Gedankenschrank zu setzen und die letzten Tage und Gedanken zu ordnen. Zudem begann es wieder zu regnen und des Bären neuer Landsitz hatte leider keine Heizung. Wenn man sich an einen gewissen Komfort gewöhnt hat, also bitte! Mag man es spätrömisch nennen oder nicht! Archibald machte sich auf den Weg nach Hause.

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Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung

Sonntag, 21. März 2010 7:21

vaterDas Eisentor stand offen. Archibald flog hinaus in die häßliche Stadt. Und er sah, daß diese häßliche Stadt den Aufrechtgehern immer noch nicht häßlich genug war. Er sah, daß die Zweibeiner in der ganzen häßlichen Stadt zwischen all den häßlichen Kaufbuden riesige Löcher gegraben hatten. Was suchten sie? Archibald schien es, ein riesiger Grizzlybär habe die Straßen durchwühlt, auf der Suche nach dem Aas, welches er letzten Herbst eingebuddelt hatte. Aus den Löchern strömte der faulige Geruch alter Kanalisationsrohre. Archibald sah hunderte rotweißer Plastikgeländer, welche die Vertiefungen, in denen sich kein einziger Zweibeiner aufhielt, umstellten. Sie hatten diese Löcher geschaufelt und gebaggert und haben dann, nachdem sie nichts gefunden hatten, panisch die Flucht ergriffen. Ihre Bagger haben sie einfach zwischen den schreiend bunten Kaufbuden stehen gelassen. Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz sah einen großen, schwarzen Mann, der eine schwarze Melone auf dem Kopf trug und hektisch zwischen den großen Löchern umherlief. „Hereinspaziert!“ schrie er unentwegt. „Hereinspaziert!“ Seine Stimme überschlug sich. Ihm folgte eine Handvoll Kinder. Die Kinder trugen uralte, verblichene und schmutzige Theaterkostüme. Wo hatten sie diese alten, erbärmlichen Kostüme gefunden? In einer der Gruben? Ein kleiner, dicker, häßlicher Junge war als Eichhörnchen verkleidet. Er schwitzte. Der große Schwarze Mann und die verkleideten Kinder drückten den Tüten und Taschen voller Lebensmittel, Elektroartikel, Kleidungsstücke und Kopfschmerztabletten aus den Kaufstuben zerrenden Aufrechtgehern bunte Zettel in die Hand. Die Tütenschlepper warfen einen kurzen Blick auf diese Zettelchen, ließen sie dann auf die Straße gleiten oder warfen sie – das bot sich an – in eines der großen Löcher. „Hereinspaziert! Hereinspaziert!“ Dann sah der Bär einen anderen Mann. Er trug ein Pappschild vor sich her, welches er an einem langen Holzstab befestigt hatte. Auf dem Pappschild stand geschrieben: „Holger sagt: Laßt Eure Finger aus den Hirnen derer, die von Euch abhängig sind. Denn sie rechnen mit Euch. Lukas 8.13.“

Archibald blieb stehen. Er stand vor einer riesengroßen Glasscheibe. Er blickte in Bärenaugen. Hinter der Scheibe saß in einem lächerlichen, mit Plastikblumen versehenem Regal: Verwandtschaft. „Gefangenbefreiung! Und zwar sofort!“, schrie es in Archibald. Der Revoltebär erwachte. Er bummerte gegen die Scheibe. Das dicke, häßliche Eichhörnchenkind lachte blöde. Eines der Bärenviecher hinter der Glasscheibe, ein stämmiger Grizzly, blinzelte ihm zu. „Vater?“ Archibald preßte seine Nase gegen die Scheibe. „Junior! Alles in Ordnung! Kümmere Dich nicht! Du hast zu tun! Bis bald!“

Warmer, dicker Regen fiel vom Himmel. Es war Zeit in den Park zurückzukehren.

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