Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung

vaterDas Eisentor stand offen. Archibald flog hinaus in die häßliche Stadt. Und er sah, daß diese häßliche Stadt den Aufrechtgehern immer noch nicht häßlich genug war. Er sah, daß die Zweibeiner in der ganzen häßlichen Stadt zwischen all den häßlichen Kaufbuden riesige Löcher gegraben hatten. Was suchten sie? Archibald schien es, ein riesiger Grizzlybär habe die Straßen durchwühlt, auf der Suche nach dem Aas, welches er letzten Herbst eingebuddelt hatte. Aus den Löchern strömte der faulige Geruch alter Kanalisationsrohre. Archibald sah hunderte rotweißer Plastikgeländer, welche die Vertiefungen, in denen sich kein einziger Zweibeiner aufhielt, umstellten. Sie hatten diese Löcher geschaufelt und gebaggert und haben dann, nachdem sie nichts gefunden hatten, panisch die Flucht ergriffen. Ihre Bagger haben sie einfach zwischen den schreiend bunten Kaufbuden stehen gelassen. Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz sah einen großen, schwarzen Mann, der eine schwarze Melone auf dem Kopf trug und hektisch zwischen den großen Löchern umherlief. „Hereinspaziert!“ schrie er unentwegt. „Hereinspaziert!“ Seine Stimme überschlug sich. Ihm folgte eine Handvoll Kinder. Die Kinder trugen uralte, verblichene und schmutzige Theaterkostüme. Wo hatten sie diese alten, erbärmlichen Kostüme gefunden? In einer der Gruben? Ein kleiner, dicker, häßlicher Junge war als Eichhörnchen verkleidet. Er schwitzte. Der große Schwarze Mann und die verkleideten Kinder drückten den Tüten und Taschen voller Lebensmittel, Elektroartikel, Kleidungsstücke und Kopfschmerztabletten aus den Kaufstuben zerrenden Aufrechtgehern bunte Zettel in die Hand. Die Tütenschlepper warfen einen kurzen Blick auf diese Zettelchen, ließen sie dann auf die Straße gleiten oder warfen sie – das bot sich an – in eines der großen Löcher. „Hereinspaziert! Hereinspaziert!“ Dann sah der Bär einen anderen Mann. Er trug ein Pappschild vor sich her, welches er an einem langen Holzstab befestigt hatte. Auf dem Pappschild stand geschrieben: „Holger sagt: Laßt Eure Finger aus den Hirnen derer, die von Euch abhängig sind. Denn sie rechnen mit Euch. Lukas 8.13.“

Archibald blieb stehen. Er stand vor einer riesengroßen Glasscheibe. Er blickte in Bärenaugen. Hinter der Scheibe saß in einem lächerlichen, mit Plastikblumen versehenem Regal: Verwandtschaft. „Gefangenbefreiung! Und zwar sofort!“, schrie es in Archibald. Der Revoltebär erwachte. Er bummerte gegen die Scheibe. Das dicke, häßliche Eichhörnchenkind lachte blöde. Eines der Bärenviecher hinter der Glasscheibe, ein stämmiger Grizzly, blinzelte ihm zu. „Vater?“ Archibald preßte seine Nase gegen die Scheibe. „Junior! Alles in Ordnung! Kümmere Dich nicht! Du hast zu tun! Bis bald!“

Warmer, dicker Regen fiel vom Himmel. Es war Zeit in den Park zurückzukehren.

Tags »

Autor: Christian Lugerth
Datum: Sonntag, 21. März 2010 7:21
Trackback: Trackback-URL Themengebiet: Draußen vor der Tür, Küchenschypsologie

Feed zum Beitrag: RSS 2.0 Kommentare und Pings geschlossen.

Keine weiteren Kommentare möglich.