Beitrags-Archiv für die Kategory 'Kieloben'

A. Mahler macht sich selbstständig / Versuch 5

Dienstag, 13. Januar 2015 19:18

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Keine Garantie wenn Du mit dem Licht reist, daß Du nicht doch im Dunkeln landest. Der Tunnel am Ende des Lichts? Genau so wenig, wie eine gut gemeinte Geste nicht – kaum ist der geflickte Bleistift in die Luft gehalten – angezweifelt, zerredet, zerfleddert, mißbraucht wird. Das ist der Gang der Dinge, sollte aber niemanden davon abhalten, gelegentlich den Kopf zu senken und zu schweigen. Minuten nur vielleicht. Mehr geht eh nicht. Oder zumindest zu warten, bis der Sarg versenkt oder die Urne verbrannt. Bis man wieder schreit und zappelt: Ich! Ich! Ich! Das Talent zu hassen, ist nicht allen gegeben. Gott sei Dank. Nur welchem denn bitte?

Archibald Mahler rutschte den hellen Strahl entlang, sein Pöter brannte vor Hitze und Glück und während er Zeit und Raum durcheilte, drehte sich die Welt stoisch weiter, die Tellerränder, die letzten Sonntag in Paris einige Stunden lang etwas abgeflachter erschienen als gewöhnlich, wuchsen erneut in den Himmel und die Ahnungslosen wanderten wieder durch ihre alten Täler. Ei verbibbsch! Aber sie müssen es dürfen dürfen. Conditio sine qua non kein Volk. „Nu Fatti, nu sache mol? Was heestn das schon widder! Gonditor?“ „Nu Muddi, swird woorscheinlich wieder son Muselmanendioleggt sein! Egoal: Ich bin ooch dr Prinz Tschorles!“ „Wende meenst! Jetz aber fix heeme. De Fraunkirsche iss schon komplett finster!“

Und wie reist man nun durch Zeit und Raum? Für die Querung der einzelnen höherdimensionalen Räume nutzt man verschiedene Techniken: Mit Transitionen durchqueren man den fünfdimensionalen Hyperraum; dazu entmaterialisiert ein Raumschiff im Normalraum, springt in den Hyperraum und materialisiert an einem anderen Punkt im Normalraum, der viele Lichtjahre entfernt liegen kann. Höhere Reichweiten und geringeren Energieverbrauch bei gleichzeitig geringerer Belastung für Mensch und Maschine bietet der sogenannte Linearflug. Bei diesem entmaterialisiert das Raumschiff nicht vollständig aus dem Normalraum, sondern fliegt in einer Halbraumzone zwischen dem ein Normalraum und dem Hyperraum im Linearflug direkt mit Sicht auf das Ziel zu. Auf diese Weise werden auch die für den Hyperraum benötigten umständlichen Sprungberechnungen vermieden. Andere Antriebsformen für den intergalaktischen Flug wie das Dimetranstriebwerk ermöglichen Sprünge von Galaxienmittelpunkt zu Galaxienmittelpunkt. Oder so ähnlich. Aber es funktioniert und es geschieht, weil es geschah. Des Bären Raumgleiter sind seine Buchstaben und des Bären Hyperraum ist sein Leben.

Jetzt ist Archibald Mahler vorläufig angekommen. Nur wo? Ein Hauch von Wiedererkennen rührt ihn an. Das Erdreich hier ist vollgesaugt mit Himmelsnaß bis über die Grenze der Aufnahmefähigkeit hinaus. Eine Möwe schreit und die Fähre nach Oslo tutet. Also müßte es etwas vierzehn Glock geschlagen haben. Ein heftiger Wind greift nach den Wipfeln der vom Dauersturm gemüdeten Bäume und Herr Mahler schaut sich mal um. Aus einer Kneipe klingt ein vertrauter Sprech.

Thema: Aufbrüche 2015, De re publica, Kieloben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

SECHS SÄTZE AN DEN WASSERN UND EINER GEHT EINFACH (NICHT SCHLIMM)

Dienstag, 29. November 2011 15:04

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„Mahler! Hallo! Herr Mahler!“

„Lassen Sie mich! Man schläft!“

„Keineswegs! Die letzten Sätze! Bär! Zusagen!“

„Aufkommende kalte Winde befreien einen Bären von allen Zusagen!“

„Das denken nur Sie.“ (Man tritt dem Bären beherzt ans Knie.)

„Seehase, elender! Dann beginnen Sie und ich drehe mich kurz noch mal auf die andere Seite. Ein Viertelstündchen!“

„Handeln Sie nicht mit mir, dies hier ist kein Denkbasar!“

„Entschleunigung! Entdeckung der Langsamkeit! Stan zu Lütten, gehen Sie in sich!“

„Ab morgen sei Ruh. Endspurt! Man scheitert oft genug am letzten Pinselstrich!“

„Potzrembel die Waldfee, Sie Laus im Pelz. Dann stellen Sie das Ohr in den Wind und hören Sie!“ (Der Bär atmet ein, sein schweres Haupt sinkt auf die Brust, beinahe fast, der Hase hebt das Bein zum neuerlichen Tritt, der Bär erbärt sich und spricht.) „Die selbstgerechte Anhäufung von Geld, Macht und Schuldzuweisung im germanischen Lande ließ dieses Jahr den Griechen in mir wiederauferstehen. Das vierzehnte Jahresgehalt ist allgemeines Bärenrecht! Nummero Eins! Jetzt Sie!“

„Meista gestern, Meista auch morgen, der Rotkopp tut sich schon Baldrian besorgen. Ich wage die Wette und wenn et nich klappen tut, dann 2013 und allet is gut. Woll! Gebe zu, die klappert verheerend, die Nummer Zwei. Bleibt aber so stehen. Ran an den Speck, Herr Bär.“

„Wenn die Stürme die Wälder abholzen, die Fluten durch die Straßen jagen und die strahlenden Fische die Tiefen der Meere beleuchten, geht der Gemeine Aufrechtgeher sich erstmal die Nägel machen lassen. Nummer Drei. Stan zu Lütten, übernehmen Sie!“

„Wenn in den Tiefen der Wälder die Zeit stehen bleibt, mußt Du die Schnauze halten! Länger ist meine Nummero vier nicht. Nach Ihnen, Mahler!“

„Sieh hier! Kaum Wasser!

Dort rufen sie um Hilfe!

Ein Berg schwimmt vorbei.“

„Geschafft, bester Mahler! Ihrer Fünf folgt meine Sechs! Manchmal ist es höflicher aufzustehen und einfach zu gehen.“

(Herr von Lippstadt – Budnikowski erhebt sich. Warum nicht noch ein wenig am Strand entlang schlendern. Man hat ja nun genügend Zeit. Archibald Mahler ist dabei, eine imaginäre Linie zu überschreiten. Wacht er noch, schläft er schon? Es färbt sich vor seinem Auge Meer, Land und Luft, ein Arm packt ihn, er schwebt, es drudelt und – hört er recht? – in der Ferne rufen Glocken. Mächtige Glocken. Nur wo! Die See liegt still. Der Bär murmelt vor sich hin. Was hat er gesagt?)

„War ein schönes Jahr! Danke, Ihr Bärengötter! Finster wird es! Weia!“

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Thema: Kieloben, Unterwegs mit Herrn Albert | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

LANDGANG, STRAND UND MÜDE SEIN

Montag, 28. November 2011 20:32

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„Leichtmatrose Stan von Lütten bittet an Land gehen zu dürfen!“

„Ja, was soll ich denn dazu sagen?“

„Leichtmatrose Stan von Lütten, im Namen aller überstandenen Winde, kommen Sie an Land!“

„Warum?“

„Rituale, Sie Landei.“

„Komm von dem Kahn runter, Du Hase, mir ist kalt am Pöter und ich bin müde!“

„Von dieser Begrüßung träumte mir in den Kurischen Wäldern!“

„Träume können auch wahr werden. Schön Sie wieder zu sehen, auch wenn das Auge vor Müdigkeit tränt!“

„Ha! Sentimentbär!“

„Der Name des Schiffes, nur eine kurze Anmerkung, ist ein Frontalangriff auf meine empfindliche Bärenseele. Sie sehen mich nachdenken über den Zufall. Ich biege um das Eck und dann: Kehrheim!“

„Verzeihung, Mahler, und Sie werden mir es nicht glauben: es fiel mir erst auf, als ich von Bord gegangen war!“

„Glaube! Hiebe! Winterschlaf!“

„Was halten Sie davon, wenn wir uns ein wenig die Pfoten und Tatzen vertreten und jahresabschließend aufs Wasser blicken?“

„Genehmigung erteilt. Was hätten Sie zu berichten?“

„Nichts! Sie haben die Karten gelesen?“

„Große Freude!“

„Dann schweigen wir eine Runde und basteln uns eine Sanduhr!“

(Es wird freudig erregt ob des Wiedersehens geschwiegen. Kann man auch mal machen. Gestern war ja gestern. Dann spricht der Bär.)

„Und morgen? Kleines Spiel?“

„Gerne, Herr Bär! Vorschlag!“

„Jeder hat drei Jahreszusammenfassungssätze zur Verfügung!“

„Länge vorgegeben? Form definiert? Reimgebot?“

„Wurschtbrot!“

„Fein!“

(Es wird freudig erregt ob der allerletzten Aufgabe geschwiegen. Kann man auch mal machen. Wer denkt, moppert nicht rum. Dann spricht der Bär.)

„Ich bin recht müde!“

„Dürfen Sie sein, Herr Mahler!“

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DANN IST DAS SCHIFF DA UND MAN GLAUBT ES NICHT (KEIN ZUFALL)

Freitag, 25. November 2011 11:08

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Da wären die schönen Schiffe. Die alten Schiffe. Die Schiffe aus Holz. Aber die segeln nicht mehr. Oder nur an Festtagen und dann wischen sich alle die Tränen aus den Augen und jammern ob der guten, alten Zeiten. Wer es eilig hat! Und da fällt dem Bären etwas auf. Seit Tagen sitzt er nun hier oben an der See und es regt sich kein Lüftchen. Der Wind hat sich hinter einer Düne schlafen gelegt und läßt die trübkalte Luft in Ruhe über den Wassern stehen. Archibald Mahler erinnert sich an das letzte Jahr hier oben, als der Sturm dermaßen übers Meer jagte, daß er den ehrenwerten Herrn Ernst Albert bitten mußte, ihn festzuhalten, damit er nicht hinausfliegt auf das offene Meer und am Ende sogar noch das Schwimmen hätte lernen müssen. Können täten hätte er es schon gekonnt, das Schwimmen, aber wollen müssen, daß wäre ihm nicht recht gewesen. Die Nähe zum Aufrechtgeher macht bisweilen bequem. Und jetzt? Bewegen sich die salzigen Lüfte? Nüscht! Die alten bunten Holzboote haben ihre Segel gerefft, dümpeln vor sich hin und sogar die Möwen sitzen mißmutig auf der Mole. Es trägt sie nicht der Wind, sie müssen selber fliegen. Blödblöd! Und nirgendwo eine Hinweistafel, auf der etwa stünde: „Abholer für Anreisende aus Litauen bitte hier warten und in aller Ruhe ein Fischbrötchen verzehren!“ Leere und Stillstand, wohin die Nase riecht. Archibald Mahler ist ja prinzipiell ein großer Anhänger der Unhektik, aber man muß es nicht übertreiben. Er vertritt sich die Tatzen und biegt ums Eck, als ihn der Schlag tritt. Der Schlag des Zufalls, der natürlich kein Zufall ist. Denn wenn der Bär auf Reisen ist, passiert ständig so etwas. Das kommt vom die Augen offenhalten. Erhebet Euch von Euren Sitzen und stimmet an das Lied von der Coincidencia! Ist dies etwa das Schiff, welches die Heimkehr des lange in Litauen weilenden Herrn von Lippstadt – Budnikowski bewerkstelligen soll? Den rechten Namen trägt es wohl. Warten wir es ab!

Auf den Wassern liegt

Der schlafende Wind. Es knarrt

Die lose Planke.

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WENN EIN SCHIFF DA IST, HEISST DAS GAR NICHTS (WENN ES WEITERFÄHRT)

Donnerstag, 24. November 2011 17:28

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Und dann ist es plötzlich da. Es schält sich aus dem Nebelbrei. Man hatte es nicht kommen hören können, nicht kommen sehen können. Zack! Riesig! Ist es das richtige Schiff? Zumindest das erste Schiff ist es. Archibald Mahler hatte gerade Spaß am Warten gefunden. Das Schiff kommt zu früh. Viel zu früh. Man hatte gesagt morgen oder eher übermorgen. Aber wenn es das jetzt schon ist? Man wäre noch nicht bereit. Oder will mittlerweile doch ein anderes Schiff haben, auf das man warten möchte. Das Leben ist der neidvolle Blick auf den Teller des Mitessers. Warum habe ich das eigentlich nicht bestellt? Zu spät. Jetzt hört man – das Schiff ist nah genug – das Stampfen der Maschine des Schiffes. Weit weg. Vernebelt. Gedämpft. Fremd. Das Schiff macht keine Anstalten zu halten. He! Hallo! Komisch. Ich habe doch gewunken. Dann ist es das Schiff nicht, auf welches Archibald Mahler warten will. Fahr weiter! Nimm mein Winken als Abschiedsgruß. Entscheidung! Aber morgen dann nicht rumjammern. Hätte und wäre und wenn! Archibald Mahler denkt nach. Ihm fällt was ein. Weia! Ist er etwa schon so winterschlafdusselig im Kopf, daß er schon komplett vergessen hat, ob heute heute oder vielleicht nicht doch gestern oder gar schon morgen ist? Vielleicht war dies schon das nächste Schiff. Das von morgen. Und das richtige Schiff ist schon längst vor Anker und man wartet. Das kommt davon, wenn man vergessen hat, die Fahrpläne zu studieren und sich mal so an den Strand setzt, weil da hinten im tiefsten Nebel, am Ende des Wassers Litauen liegen soll und man jemanden erwartet. Vielleicht ist es doch angeraten einen Hafen zu suchen. Sonst fahren die Schiffe einfach weiter. Der Bär macht sich auf den Weg. Er geht am Ufer entlang. Ein ganzes Stück. Er erblickt, was er gesucht. „Ha! Wußte ich es doch! Man ist ja kein Blödbär!“ Das spricht Herr Mahler und nimmt Platz. Eventuell ist morgen ja tatsächlich  morgen.

Neben den Wassern

Kein Land. Hör auf zu winken.

Bau einen Hafen.

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WENN EIN SCHIFF IMMER NOCH NICHT DA IST, WIRD ES WOHL KOMMEN (MÜSSEN?)

Dienstag, 22. November 2011 15:46

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Geduld ist ja bekanntermaßen nicht die Stärke des Gemeinen Aufrechtgehers. Warten ist Qual und jede Verzögerung wird persönlich genommen. Mächte! Verschwörung! Beweis! „Da muß doch noch was kommen! Da kommt noch was, paß auf! Das gibt es doch nicht! Wieso kommt denn da nix? Wieder mal typisch! Noch eine Minute und ich bin weg! Das ist doch nicht zu fassen! Mit unsereins kann man es ja machen!“ Wenn dann aber was kommt, was auch immer: „Bitte! Bitte! Ich hab’s kommen sehen. Ich hab’s doch gewußt. Das hat sich doch schon lange am Horizont abgezeichnet. Hab ich es nicht immer gesagt? Komm, hör doch auf!“ Wissend ungeduldiges Abwinken. Der Aufrechtgeher und das Meer seines kleinen Lebens. Archibald Mahler sieht nichts. Nebel vielleicht und Schemen. Er schaut weiter. Irgendwo dahinten ist Litauen. Soviel weiß er. Sehen kann man es nicht. Das heißt aber nicht, es ist nicht da. Da ist es gewiß. Und von dort soll was kommen. Sagt man. Ein Schiff. Vielleicht kommt auch nichts. Kein Schiff. Oder es ist schon da? Schon längst da? Unsichtbar ist es auf einen zugerast und taucht auf, von einer Sekunde auf die andere? Nichts mit Prophetie und darauf folgenden Applaus? Die Zukunft ist ein Unterseeboot und die Meeresoberfläche keine Autobahn? Das Meer blubbert vor sich hin. Oder so: da kam schon die ganze Zeit was, man war jedoch vor lauter Warterei so entnervt, daß man gar nicht sehen konnte, was da schon da war? Oder sogar so: man nicht nur nicht sehen konnte, sondern sogar nicht sehen wollte? „Jetzt ist zu spät. Jetzt will ich auch nicht mehr!“ Näselnd beleidigtes Abwinken. Der Aufrechtgeher und der Ozean der nicht erfüllten Erwartungen. Kann sein. Archibald Mahler, zugegebenermaßen heute auch etwas ungeduldig – Die Müdigkeit! Winterschlaf ante portas!  – nimmt es sportlich und läßt das Meer Meer sein und so nur Oberfläche seiner selbst, projektionsfrei, erwartungslos. Vertritt er sich halt die Tatzen. Und was ist das bitte für eine riesige Stahlzigarre hier? Wo kommt das Monstrum denn her? Und wer hat es gesehen? Hat gesehen, wie es kam? Und ist das noch ein Schiff?

Unter den Wassern

Kein Grund. Blinde Flecken.

Die Möwen lachen.

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EIN SCHIFF WIRD KOMMEN (VIELLEICHT)

Montag, 21. November 2011 8:22

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Das Holz ward gestapelt, in die Zwiebel gebissen und eine Träne erzeugt, als der ehrenwerte Herr Ernst Albert um die Ecke bog und den Bären fragte, ob er denn, bevor er sich in den wohlverdienten und bitter notwendigen Winterschlaf verabschiedete, noch einmal das Meer sehen möge. Jenes Meer, auf welches er vor Jahresfrist voller Liebe und Hingabe geblickt hatte? Welche Frage!

„Kann man von hier aus Litauen sehen, Herr Albert?“

„Ich nicht, Du vielleicht schon!“

Herr Albert macht sich an die Arbeit und Archibald Mahlers Blicke durchmessen den dicken und feuchten Nebel. Kaum ein Aufrechtgeher am Ufer, die Ostsee unter eingeschlafenem Wind und eine Stille dick wie Vanillecreme. Selbst das Möwenpack hält die vorlauten Schnäbel. Und der Bär schickt das ganze, fast vergangene, so volle letzte Jahr raus aufs Meer und sieht, wie es sich auflöst in Tausende von klitzekleinen Erinnerungsstückchen, ein wenig vor sich hin glitzert, dann die Meeresoberfläche durchschlägt und versinkt.

“Das war kein schlechtes Jahr. Jetzt liegt es hinter mir. Nur noch das eine Schiff wird kommen. Wenn es kommt. Ich möchte es als Erster sehen!”

Und Archibald Mahler, Bär im Resümee, blickt hinaus auf die Ostsee und genießt den November und seine ohrenbeißende kalte Traurigkeit. Ein Schiff wird kommen. Wenn es dann kommt. Und er wird es sehen, der Mahler. Wenn es dann kommt. Geduld!

Über den Wassern

Kein Himmel. Alte Fragen.

Das Schiff kann kommen.

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SCHEIDEBECHER DER MELANCHOLIE, EUPHORIE UND WARUM KEINER GEHT

Dienstag, 9. November 2010 16:33

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Diese Geschichte ist die vorletzte vor der Winterpause, es ist die zweihundertzwanzigste seit Beginn der Weltenschau am Aschermittwoch 2010, also ist es auf eine Art und Weise auch eine ein klein wenig stolze Geschichte und es ist eine Geschichte, bei der Herrn Archibald Mahler das Gefühl beschleichen könnte, man nehme ihm gerade das Steuer aus den Pfoten. Dem ist aber nicht so. Der Reihe nach.

Ernst Albert war, nachdem er den Bären alleine gelassen hatte, am Ufer auf- und abmarschiert und hatte sich fremde Worte ins Hirn gehauen. Erst ins Kurzzeitgedächtnis rein damit, dort alles ein bißchen abhängen lassen, dann mit Sinn und Verstand vermengen und hoffen, daß beim morgigen Transfer ins Langzeitgedächtnis noch ein wenig übrigbleibt. Das ist das mühsame Gewerbe eines Musentemplers, wenn er auf und nicht vor den Brettern tätig sein muß. Aber irgendwann reicht es selbst dem diszipliniertesten Memorierer und Ernst Albert betrat ein Fischlokal. Es war eben jenes Fischlokal, an dessen Rückseite zur selben Zeit ein Bär in Richtung Winterschlaf ein letztes Mal die obligatorischen Fettreserven updaten wollte. Es rappelten die Deckel der Mülltonnen und Ernst Albert ließ besser mal ein Auge gelegentlich aus dem Fenster blicken. Weiß man es? Das andere Auge? Was tat das?

„Fisch muß schwimmen!“ So sagt man. In diesem Fall sagten dies Ernst Alberts derzeitiger Herr Musentempeldirektor nebst Gemahlin, die es im oben genannten Lokal zu treffen galt. Man legte also einen kleinen Biertümpel in den Eingeweiden an, um dem noch in der Küche lauernden Dorsch mit Rote Beete und Kartoffeln in Senfsauce eine fröhliche Einkehr zu ermöglichen. Und der Tag war noch ziemlich jung. Vielleicht hat es damit zu tun, daß das Hinausblicken aufs Meer gleichzeitig Euphorie befeuert, aber auch eine gehörige Portion Melancholie mit sich bringt. Ein Spannungsverhältnis, welches durch Gerstengetränke zumindest abgemildert wird. Der Fisch war gut, der Durst noch nicht gestillt. Aufbruch.

Archibald Mahler protestierte heftigst, als er geweckt wurde. Typisch Aufrechtgeher! Kein Respekt vor den Ritualen und Bedürfnissen anderer Erdenbewohner. Als Ernst Albert ihn dezent auf die mit Baggern anrollenden Strandreiniger von Strande hinwies, wuchs so etwas wie Einsicht in des Bären todmüdem Hirn. Er kam mit. Unter Protest. „Ich will heim! Sofort! Heim nach Mittelhessen! Und schlafen!“ In der Hoffnung keine Klage wegen der Vernachlässigung der Aufsichtspflicht an den Hals zu bekommen und um der Wahrheit die Ehre zu geben: man kehrte noch lange nicht heim. Im Gegenteil, die Kaschemme, die man nun ansteuerte, war ein berühmt–berüchtigter Sammelpunkt für Freunde des Tagesbiergenusses. Und dies wohl schon seit Jahrzehnten. Herr Mahler saß, inzwischen gelassen vor sich hindämmernd, auf einem Schiffmodell, schaute Herr Ernst Albert, der sich der Trunkenheit in dezenten Nullkommazwoliterschritten annäherte, über die Schulter und hatte seinen Spaß.

Es wurde eine schöne Abschiedsfeier. Der Musentempeldirektor und Herr Ernst Albert sprachen hoch im Norden in ihren zutiefst heckerländischen und sauschwäbischen Dialekten miteinander und auch die anderen Gäste freuten sich des Lebens laut und feucht. Da war zum Beispiel ein Mann, der jahrelang hinter Kasernentoren eingesperrt war und der sagte, als man ihn fragte, wie lange er denn die letzte und längste Nacht getanzt habe, bis drei Uhr habe er dies getan und als man ihn weiter fragte, ob es drei Uhr Sommer- oder Winterzeit gewesen sei, sagte er: „Zu beiden Zeiten!“ Worauf Herr Ernst Albert wiederum bemerkte, ein Panzer könne ja auch nicht gleichzeitig vorwärts und rückwärts fahren und so gewänne man keinen Krieg. Was ja wiederum sehr gut sei. „So iss das dann wohl!“ Das sagte der Mann und grinste. Und als man im angeregten Gespräch feststellte, daß die Butter im Heckerland auch gerne mal der Butter genannt würde, protestierten die anwesenden Nordlichter heftigst. “Das mag ja wohl nich angehn.” Aber Herr Ernst Albert hat ihnen dann erklärt, daß die Milch, wenn sie den Euter verlässt, stante pede das männliche Geschlecht annehme. Das ist dann auch gleich eine neue Runde wert gewesen. „So ein Blödsinn aber auch. Aber lustig ist das schon!“ Archibald staunte darüber, wieviel sinnloses Zeugs fröhliche Aufrechtgeher reden können, um sich dann unbändig darüber zu freuen. Und dann dachte er noch, daß, wenn er so viele gelbe Getränke getrunken hätte, sein Abdomen schon längst explodiert wäre. Und dachte aber auch, hier machen die Aufrechtgeher zwar auch dummes Zeug wie immer, aber zumindest tun sie keinem  weh. Außer sich selbst, selbstredend.

„Oin Scheidebecher nämmet mir noch!“ Wie oft er diesen Satz heute schon vernommen hatte! Archibald Mahler, Bär im Lammers Eck zu Kiel, hatte nicht mitgezählt. Fast schien es, daß diese Ankündigung eines nahenden Aufbruchs die alten Saufköpfe noch fester auf ihre Barhocker schraubte. Euphorie und Melancholie eben. Draußen dämmerte es, in den Hirnen der Thekenbelagerer auch und inzwischen hatte auch ein reger Pendelverkehr zwischen Zapfhahn und Endlagerstätte eingesetzt. Alter und Überfüllung taten ihr Werk. „Da bewegt sich ja was! Nur wie! Mehr in die Breite als nach vorn.“ Wo soll das alles nur enden?

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RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN DES TIEFSCHLAFS

Montag, 8. November 2010 7:50

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Der ein oder andere Aufrechtgeher widersetzt sich gerne dem Lauf der Welt und glaubt offenbar noch im beginnenden November an eine Rückkehr von Fräulein Else Sommer. Hübsch! Da standen also noch einige Strandkörbe, ganz nah am Wasser, waren vorne mit einem Lattenrost verschlossen und hinter diesem Rost lagen Handtücher, Schwimmreifen, Badehosen und anderes Sommergeschirr und warteten auf einen letzten Badetag. Vergeblich wohl. Oder war dies gar einer dieser Orte, an dem sich Winterschwimmer versammelten, um ihren Leib auch in den dunklen und kalten Monaten unerbittlich in die eiskalte Ostsee zu schmeißen? Archibald Mahler, den müden Bären, interessierte das nicht weiter. Ihm gefielen die abgeschlossenen Strandkörbe und zwischen den Holzlatten, welche das Hab und Gut der Badezweibeiner sicherten, war ausreichend Platz für einen kleinen Bären um durchzuschlüpfen. Und der hier gefiel ihm besonders. Kaum Gerümpel hinter dem Lattenrost, aber ein Aufrechtgeher hatte ein originales Piratenkopftuch drinne liegen lassen. Der perfekte Kolder. Den Apfel reingeschoben ins ausgewählte Winterdomizil – ist auch ein gutes Kopfkissen so ein Notapfel! – und dann sich in das Tuch wickeln und dem alten Bärenjahr einen beherzten mentalen Tritt in den Pöter geben und ab dafür. Herr Morpheus, übernehmen Sie!

Und weil weder Eva Pelagia noch Ernst Albert in der Nähe waren – ein selbstständiger Bär braucht das auch nicht! – sang er sich mit einem Lied, welches er öfters in der mittelhessischen Höhle gehört hatte, eigenverantwortlich in den Schlaf. Und so ging das Lied. Huch! In Ordnung, hier ist ein Einschub. Doppelpunkt. Tatsache ist, daß Herr Archibald Mahler selbstredend des Englischen mächtig ist, das haben wir ja schon an anderer Stelle erwähnt. Also jetzt: das Lied: “I’m a sleepy time baby, a sleepy time boy / Work only maybe, life is a joy / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / Sleepy time time / Sleepy time time all the time / Asleep in the daytime, asleep at night / Life is all playtime; working ain’t right / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / Sleepy time time / Sleepy time time all the time / I have my Sunday, that ain’t no lie / But on Monday morning comes my favorite try / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / We’ll have a sleepy time time / Sleepy time time / Sleepy time time all the time.” Ach, Sie glauben nicht, daß man bei solch einem Krach einschlafen kann? Man kann. Achten Sie auf den Bass!

Am Sonntagabend war er dann eingeschlafen der Herr Archibald Mahler, da oben am Strand von Strande und die Ostsee gurgelte leise vor sich hin, der wilde Sturm war eingeschlafen und die Nacht war noch angenehm mild und die ersten Stunden des Schlafes tief und fest. Kein Traum störte den Bären, das vergangene, erlebnisreiche Jahr ließ ihn in Ruhe und nichts hirnte unter dem Fell, alles atmete ruhig aus und ein. Selbst die Möwen hielten ihre kreischenden Schnäbel. Weiche und wohltuende Ruhe. Aber ein Sonntag endet und dann kommt der Montag. Und es kam nicht nur der Montag. Sondern auch der kleine Bagger. Und der Lastwagen. Und die zwei Aufrechtgeher bewaffnet mit Schaufeln und Rechen und Müllsacken und Sackkarren und und und. Und warum fahren die mit dem kleinen Bagger und ihrem Laster und den Sackkarren auf den Strand? Und warum steuerten sie mit entschlossenem Blick die letzten Strandkörbe an? Und warum als erstes diesen einen? Eben jenen? Dort wo? Auweia!

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VON HIER AUS DAS NICHTS ANSTEUERN

Sonntag, 7. November 2010 13:17

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Er hatte so ein Ding schon mal gesehen, unten an der Lahn. Aber da gehören sie nicht hin, genau so wenig wie der dort aufgeschüttete extrem alberne Sand, der etwas unterbelichteten Aufrechtgehern den Feierabend gestalten soll, den sie wohl nicht mehr selber gestalten können auf Grund ihrer durch permanente Dauerbespaßung verkleinerten Gehirne. Aber hier gehörten diese Dinger hin, denn hier waren sie auch geboren worden. Ein Aufrechtgeher in Rostock hatte vor einhundertfünfundzwanzig Jahren für seine rheumakranke Tante so ein Ding konstruiert, damit sie bei jedem Wind und Wetter auf die Ostsee schauen kann. Und da ein Tag ohne Wind oder Sturm am Meer sehr selten ist, wollten alle anderen auch so ein Ding haben. Und jetzt kann man die sich kaufen oder mieten und es ist kuschelig warm am Pöter und vorne rollt das Meer gegen den Sand, der hier auch hingehört und gar nicht albern wirkt, sondern ganz im Gegenteil. Archibald Mahler saß das erste Mal in seinem Leben in einem Strandkorb und das gefiel ihm sehr.

Der Sturm rüttelte an seinem Korb, aber sonst war es recht gemütlich und Archibald dachte, eine bessere Höhle findet er nicht. Und jetzt den Winterschlaf beginnen und dann aufwachen und als erstes das Meer sehen, das war ab sofort sein Plan. Allerdings stand der Korb, in dem er jetzt saß, etwas ungünstig im Winde und es hatte ordentlich reingeregnet in das Ding und das wiederum gefiel ihm gar nicht. Mit nassen Pöter einzuschlafen, da ist das Rheuma vorprogrammiert und da hilft auch kein noch so schicker Strandkorb mehr. Und da sah er, weiter vorne am Strand, etwas, was ihm sehr geeignet schien. Und er packte seinen Apfel, den ihn Ernst Albert überreicht hatte und machte sich auf den Weg. Der Weg war nicht sehr lang, aber Archibald hatte das Gefühl viele, viele Meilen wandern zu müssen. Es war ihm, als balanciere er auf dem schmalen Grat zwischen Wachen und Schlaf. Aber er fiel nicht runter auf seinem Weg ins winterliche Nichts. Und er weiß immer noch nicht, wie er es dann doch geschafft hat sein Ziel zu erreichen. Aber er hat es erreicht.

Dann hat er sich vor das neue Ding gesetzt und noch mal geschaut, raus aufs Meer und ganz genau hingeschaut. Nicht mit den Augen geschaut, sondern mit jeder Pore geschaut, mit seinem Atem geschaut, mit allem geschaut, was einen Bären ausmacht. Ja, er liebte es sehr, das Meer. Und der Rhythmus der an- und abrollenden Wellen erfasste ihn und trug ihn sanft hinüber in das Land, in dem er sich die nächsten Wochen und Monate aufhalten sollte und wollte. „Hinter diesem Gatter ist besser!“ Das dachte er noch. Und er kletterte hinein. Ein Schiff fuhr in den nahen Hafen.

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