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Samstag, 15. August 2020 17:03
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Die hohe Bank
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Jetzt sitze ich auf einer hohen Bank und heiße immer noch Archibald Mahler. Ich sitze etwas mittiger als eben noch und es ist noch heißer geworden, obwohl wir noch lange nicht Mittag haben. Der, welcher mich mit meinem Namen versah, steht früh auf. Manchmal nicht, aber sonst immer. Davon auf dieser Bank, die eine hohe Bank ist, heute nichts. Es ist eine Beinebaumelbank (BBB). Ich, Archibald Mahler, der ich seit einigen Jahren wieder beide Beine fest am Leibe habe, baumele mit meinen Gehstumperln eh auf jeder Bank, aber die Aufrechtgeher bauen sich jetzt vermehrt hohe Bänke unter ihre Pöter, um auch mit den Beinen baumeln zu können. Das fördere die Rückkehr in die Vergangenheit. Weißt Du noch? Sorgenfrei baumelt das Kind. Sogar mein langbeiniger Namensgeber kann hier baumeln. Weiß er noch? Oh ja. Aber was? Solche gibt es, die zu wissen vorgeben, was geschah, weil sie es behaupten, andere waren dabei und können sich daran so gar nicht erinnern und manche schätzen die Arabesken und Kurven, die sich im Laufe eines sich langsam ablebenden Lebens an das ein oder andere Ereignis geheftet haben, wie die Kletten an Archibald Mahlers Fell. Also mein Fell. Der Mann, der Archibald Mahler taufte, stiefelt gern durch das Dickicht. Tat er schon immer, sagt er. Ich, Archibald Mahler will und kann das nicht überprüfen. Ich war nicht dabei. Heute aber ist er hier. Gestiefelt durch Dickicht. Und ich auch. Mit Kletten der Erinnerung am Fell. Und was ich – behaglich beinebaumelnd – vor mir erblicke, greift ans Herz. Welche Schönheit! Welches Idyll! Ein Auenland. Ein reiches Auenland! Eine reiche Au im See da unten. Am Horizont der Seerücken, bewohnt von den noch Reicheren, die die Au gerne besuchen, sie zu bereichern. Und das ist ein Geschenk der Götter. Am Abend des sechsten Tages hat Gott noch mal richtig Freude gehabt, Schönes zu schaffen. Hier und da unten. Das denk ich mal, das dies so war. Also mit Gott. Weil selber gebaut, ham die das sicher nicht. Egal. Schönheit ist schön. Beine baumeln lassen auch. Und mein Namensgeber erzählt eine Geschichte, wie er vor mehr als vier Jahrzehnten auf dieser Bank, die noch keine hohe war, am selben Platz aber stand als eine andere Bank und die Füße der Draufsitzer den Waldboden noch berührten, mussten, oder durften, wer weiß das schon, wie er also hier saß, dieses sah wieder und wieder, was das Herz berührte und trotzdem er und seine Gefährten – Nenne keine Namen, sie sind austauschbar im Sinne der Erzählung, der Fabel, der Sage, des heiligen und fürchterlichen Paradies Erinnerung! – sprachen – Wem das Zitat ins Brevier heften? – Ach, nenne keine Namen, sie sind austauschbar im Sinne der Erzählung, der Fabel, der Sage, des heiligen und fürchterlichen Paradies Erinnerung! – also einer sprach: „Was für ein fürchterliches Idyll! Hier muß man weg, wenn man nicht zu einer Bank werden will, nur noch glotzt und ach, so schmerzhaft auch immer es ist. Gehen wir.“ Was sie auch alle taten. Der Leichtsinn und der Mut der Jugend. Und auf dem Weg hinter der Bank, die an einem dezent jähen Abgrund platziert, näherte sich ein Traktor, etwa so alt wie mein Namensgeber, der sinnend auf die reichen Auen blickte, darüber nachsann, wo und wie er damals aufbrach, nun wieder hier saß, auf höherer Bank, nun beinebaumelnd, älter, geschwächter, ernüchtert, aber noch nicht am Ende, das manchmal winkte schon mit schiefem Grinsen. Und da die Traktorjugend mit Kühltasche sich scheu neben die hohe Bank stellte, in respektvollem Abstand, bot der Mann, der mich Archibald Mahler nannte einst – das gefiel mir erst nicht, dann doch – den Dreien die Bank an. Man wäre eh im Aufbruch. Wo ich doch eben erst angefangen hatte zu schauen auf die reichen Auen. Allerdings mußte sich die Jugend noch die Erzählung des alten Rundwanderers anhören, wie, was und wo so und ähnlich auf der Bank – damals ohne Beinebaumelei – gesprochen, gedacht oder gar entschieden wurde. Da lachten sie, ich sah freundliche Schüchternheit in ihren Augen und einer oder war es die eine, sagte: „Schon schön hier!“ Und: „Ich wollt hier nich weg!“ Wir aber mußten, weil ja die Bank freigegeben war. Es wurde noch heißer. Aber ich, Archibald Mahler, ließ mich tragen. So schaute ich weiter in die Bäume, sah den See glitzern, mal rechts, mal links vom Pfad und hörte zu bis zur nächsten Bank.
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Thema: Klebebilder | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth