DR. A. MAHLERS GESAMMELTE BÄNKE XII (KOPFLOSER ENGEL / KAPITEL ZWEI)
Und so geht die Geschichte weiter, die Archibald Mahler einfiel, als das Viech sein Bein hob:
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„Podulski, kommen Sie doch mal kurz rüber.“ Gottfried Podulski, leitender Beamter im Kommissariat 33 der Kripo Gießen, zuständig für besondere Ermittlungs- und Fahndungsaufgaben, erhob sich mit dem wissenden Seufzer eines müden Routiniers aus seinem bandscheibenstützenden Bürosessel, gurgelte seine aufkommende schlechte Laune mit einem Schluck kaltem Roibuschtee herunter, verließ sein Büro durch die stets offene Türe und schlurfte, nichts Erfreuliches ahnend, an den ebenfalls offenstehenden Türen seiner Kollegen entlang, dem Zimmer jenes Mannes entgegen, der vor kurzem den Fluren diese Form der Transparenz und Durchlässigkeit, verbunden mit erhöhter Erkältungsgefahr, verordnet hatte: Kriminalrat Hellinger, der neue Chef der Kripo Gießen.
„Wir sind wie eine große Familie. Wir, die wir die Geheimnisse der Straftäter aufzudecken haben, wir dürfen keine Geheimnisse untereinander haben. Öffnen Sie sich. Die Türen sind nur der Anfang.“ Klingende Worte, unlängst gesprochen von Hellinger anläßlich seiner Amtseinführung.
Podulski fuhr sich durch das zum dezenten Igel hochgegelte Haar, roch kurz an seinen Fingerspitzen – „Irgendwie marzipanig!“ dachte er dabei – und klopfte an die verschlossene Türe seines Chefs. „Herein, wenn`s Podulski ist.“, klang es seiner Anmeldung entgegen. Allein die Frequenz der stets demonstrativ gutgelaunten Stimme des Kriminalrates, versetzte Podulski eine Art von leichtem Stromschlag, in dem Moment, da sie sein Trommelfell erreichte, seine Stirn runzelte sich schmerzhaft, er drückte die Klinke nach unten und trat ein.
„Soll ich offen lassen, Herr Kriminalrat?“
Hellinger verschränkte die Arme vor seiner schmächtigen Brust, legte den Kopf unnachahmlich süffisant zur Seite, schüttelte den Kopf, schürzte dabei die Lippen und Podulski schloß die Tür hinter sich. Er nahm auf dem Besucherstuhl Platz. Hellinger stand auf, reichte Podulski die Hand, setzte sich wieder, zog rasselnd etwas Luft durch seine Nase, hielt diese ein bis zwei Sekunden an und fixierte sein Gegenüber. Als er wieder anfing zu sprechen, hatte seine Stimme jegliche Verbindlichkeit verloren. Er klang blechern und genervt.
„Podulski, was wir hier besprechen, wird dieses Zimmer nie verlassen. Kann ich davon ausgehen?“
„Wenn Sie das wünschen. Sie sind der Chef.“
„Was ich an ihnen schätze, und lassen Sie mich ehrlich sein, es beruht wohl nicht auf Gegenseitigkeit, was ich aus Ihren doch recht zahlreichen ironischen Einlassungen zu meiner Art und Weise dieses Haus zu führen, entnehmen kann, ist dennoch ihre Geschicklichkeit, gerade bei der Aufklärung , sagen wir, etwas spezieller Fälle.“
Mehr als ein Brummen war es nicht, was Podulskis Stimmbändern entfleuchte. Hellinger holte einen Aschenbecher aus der Schublade seines Schreibtisches, stellte ihn vor Podulski. „Rauchen Sie ruhig.“
Zigarettenrauch kräuselte zur Decke. Hellinger schob ein Foto über den Tisch.
„Schauen Sie sich das mal an.“
Podulski erlitt einen leichten Hustenanfall.
„Was ist das denn?“
„Henriette von Stützerbach.“
„Henriette wie?“
„Boxer aus traditionsreichen Zuchtbetrieben heißen nun mal so. Hundeadel sozusagen, Herr Hauptkommissar. Das ist der Hund meiner Gattin.“
Podulski betrachtete das Foto ein zweites Mal. Er sah einen dämlich dreinschauenden Boxer, dem irgendein Spaßvogel eine Sonnenbrille auf die Schnauze gesetzt, einen – welch alberner Humor – Boxershort über den Hintern gezogen und ein Pappschild um den Hals gehängt hatte, auf welchem stand, „Mir tut es leid.“ Das „Mir“ dick unterstrichen.
„Ich verstehe nicht ganz, Herr Kriminalrat.“
„Ich werde erpreßt. Hier lesen sie.“
Podulski überflog das Schriftstück, drückte seine Zigarette aus und raunzte. „Ein bißchen kindisch. Nehmen Sie das ernst?“
„Ich vielleicht nicht so. Aber meine Frau. Sie wissen, manchmal gibt es gewisse Abhängigkeiten.“ Podulski, seit 10 Jahren erfolgreich geschieden, rang sich ein leichtes Nicken ab.
„Wann und wie ist denn das Vieh, verzeihen Sie, die Dame von Stützerbach verschwunden? Abgehauen? Oder entführt?“
„Meinethalben, nennen Sie das Vieh ruhig Vieh. Seit Samstagabend letzter Woche. Beim Gassi gehen mit meiner Frau. Auf dem Alten Friedhof.“
„Herr Hellinger, soweit ich informiert bin, sollen die Hunde dort, falls sie da überhaupt etwas zu suchen haben, an der Leine geführt werden. Ist da was gerissen?“ Hellinger winkte entnervt ab.
„Verkneifen Sie sich ihre dummen Scherze. Sie kennen meine Frau nicht. Die Leine ist für sie ein Teufelswerkzeug, andererseits ist, lassen Sie mich es so formulieren, ihr erzieherischer Einfluß auf Henriette von Stützerbach schon immer eher gering gewesen. Was genau vorfiel, darüber weiß ich auch nicht Bescheid. Meine Frau hüllt sich in Schweigen. Finden Sie diesen Wahnsinnsvogel, der mich seit nun bald einer Woche täglich mit diesen Fotos belästigt. Und finden Sie Henriette. Und ich wiederhole meine Bitte, Dezenz, absolute Dezenz im Umgang mit dieser Geschichte. Hier.“ Hellinger schob einen Umschlag über den Tisch. „Hier die restlichen Fotos.“
Podulski erhob sich. Es fiel ihm schwer nicht in schallendes Gelächter auszubrechen, doch gleichzeitig krampfte sich in seinem Magen ein veritabler Wutanfall zusammen. Er schlug den Umschlag mehrmals rhythmisch in die Innenfläche der linken Hand und räusperte sich.
„Herr Hellinger, macht es Sinn, wenn ich mal mit Ihrer Frau spreche?“
„Im Moment eher nicht. Sie liegt mit einem Nervenzusammenbruch in der Uniklinik. Gehen Sie jetzt, machen Sie sich ein paar Gedanken und teile Sie mir diese mit. Schönes Wochenende.“
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So! Pause erstmal. Archibald Mahler erhebt sich und macht sich auf zu einer neuen Bank. Und dem nächsten Kapitel. Bis morgen dann!