Beiträge vom 6. April 2012

Post vom Bosporus / Der Zweite Himmel

Freitag, 6. April 2012 17:44

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- Posta restante für den Bären, falls er dann erwacht -

Merhaba Mahler!

Ich war sehr früh auf gewesen, also war ich einer der Ersten. Trotzdem mußte ich meine Schuhe ausziehen, mir eine Plastiktüte von der Rolle reißen und die Schuhe darin verstauen. Dann darf ich eintreten. Knappe zwei Fußballfelder großer Innenraum, ausgelegt mit teuerstem Teppich, nichts an Mobiliar, keine Bankreihen, keine Stühle, keine Altäre, keine Grabplatten, keine kerzenbeschienenden Votivnischen. Ein Art Holzgeländer, hinter der ich als sogenannter Gottloser zu verweilen und zu schauen gebeten bin und etliche niedrige Holzregale, um die Plastiktüten mit dem Schuhwerk dort abzulegen. Hinten, da hinten, weit, weit hinter der Absperrung saugen zwei Staubsauger vor sich hin. Der riesige Raum riecht frisch, obwohl hier seit Jahrhunderten Barfüßige und Sockenträger über den Teppich wandeln. Man stelle sich – rein olfaktorisch – einen solchen Raum in unserer Heimat vor. Hier wäscht sich der Beter ausgiebig, bevor er die Moschee betritt. Füße, Hände, Gesicht. Ich blicke nach oben und das Innen wird ein Außen. Ein von Menschenhand und Sultansschatulle gebauter Himmel überspannt den riesigen und friedlichen Gebetsplatz. An Hunderten von Stahlseilen hängen Leuchter und Lampen in den Raum hinab, als habe man die Sterne ins Innere der Moschee befohlen. Der Zweite Himmel. Ich bin hin und her gerissen zwischen schierer Bewunderung und dem tiefen Wunsch hinauszurennen, hinaus unter den Ersten Himmel, dorthin, wo es sich immer noch am besten beten läßt, unter den Einen Himmel, den Himmel, der keine Geländer braucht. Auch keinen Dom. Den Rest des Tages verbrachte ich laufend und staunend, fuhr mit der Fähre hinüber nach Asien, aß zu Mittag und trank Wein. Und kein Gott zürnte mir. Mir gefällt diese Stadt über alle Maßen. Bald ist Ostern und wir sehen uns. Seien Sie gegrüßt

Herzlichst Ihr Lippstadt – Budnikowski

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Thema: Zweitausendzwölf | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth