Ein Ausflug in eine Stadt. Anfangs schneit es, ein Grab wird gesucht und später gefunden 2

praha_juedf_alt1

Es gibt Orte auf dieser Welt, da versteinert man in Ehrfurcht, schweigt, als habe einem der Rebbe Lowy den Zauberzettel unter der Zunge weggezogen. Die zwei Reisenden hatten die Pinkassynagoge besichtigt. Die Namen und Todestage von 77 297 geschlachteten Juden hatte man dort von Hand an die Wände des alten Gebetshauses gemalt. Von Hand. Vacláv Bostík und Jirí John gebührt der Dank dafür. Siebenundsiebzigtausendzweihundertsiebenundneunzig Namen von Hand an die Wände des alten Gebetshauses geschrieben. Da tut Schweigen gut. Vielen Aufrechtgehern, die die Ruhestätte besuchen, scheint es schwer zu fallen, das Schweigen. Mahler legt einen Zettel auf das Grab des Golemschöpfers Jehuda Lowy (Löw) ben Bezalel. Auf den Zettel hat Mahler ein Zitat von Egon – Erwin Kisch notiert: “Du weißt doch, daß ich ein direkter Nachkomme des weisen Rabbi Löw bin, der aus Lehm den Golem modelliert hat und ihm, wenn den Juden Unrecht droht, befahl: Erhebe Dich und gehe! So einen Golem würden wir brauchen, wenn die Nazis auf uns losgehen werden. Ich würde ihm auch befehlen: Erhebe Dich und geh, die Feinde rücken auf mein Prag zu!” Manchmal gibt es welche, die ahnen nicht nur, was geschehen wird, sie wissen. Doch als der Golem einmal losmarschierte? Weia! Mahler springt ein Gedicht an. Er flüstert es in Budnikowskis Ohr.

Der Golem

Prag, das alte sagenreiche,

Barg schon viele Menschenweisheit,

Barg schon viele Menschentorheit,

Auch den hohen Rabbi Löw.

Rabbi Löw war sehr zu Hause

In den Künsten, Wissenschaften,

Und besonders in der schwarzen,

In der schweren Kabbala.

So erschuf er einen Golem,

Einen holzgeschnitzten Menschen,

Tat belebend in den Mund ihm

Einen Zauberspruch: den Schem.

Unverdrossen, als sein Diener,

Muß der Golem fegen, kochen,

Kinder wiegen, Fenster putzen,

Stiefel wichsen und so fort.

Nur am Sabbath darf er rasten;

Nahm ihm dann der hohe Rabbi

Aus dem Mund den Zauberzettel,

Stand er stockstill augenblicks.

Einmal hat er es vergessen,

Einmal, was ist da geschehen:

Rasend wurde, dwatsch der Golem,

Ein Berserker ward der Kerl.

Bäume reißt er aus der Erde,

Häuser wuppt er in die Wolken,

Schleudert Menschen in die Lüfte,

Stülpt den Hradschin auf den Kopf.

Schon im Anzug war der Sabbath,

Alle Arbeit muß nun ruhen.

Alles flüchtet, brüllt und zetert

Nach dem hohen Rabbi Löw.

Der erscheint; packt eben, eben

Noch den Tollhans am Schlafittchen,

Ist mit ihm bald oben, unten,

Bald auf Bergen, bald im Tal:

Wie ein Bändiger, der dem Pferde,

Das sich bäumt und wirft und schüttelt,

Einen Kappzaum legen möchte,

Und nun mit ihm tanzen muß.

Hopsa, hopsa, was für Sprünge!

Aber endlich glückts, er würgt ihn,

Zerrt den Schem ihm aus den Zähnen -

Und zerschmettert liegt der Kerl.

Nicht noch einmal hat der Rabbi

Einen Golem sich geschnitzelt,

Jede Lust war ihm vergangen:

Allzu klug ist manchmal dumm.

(Detlev v. Liliencron)

Budnikowski hat zugehört und sich einen Witz zum Thema Löw, Golem und Pöhlerei verkniffen, weist dann aber daraufhin, daß der Herr Kafka hier nicht begraben liegt. Mahler nickt. Genug geschwiegen.

praha_juedf_alt2

Tags »

Autor: Christian Lugerth
Datum: Montag, 5. November 2012 14:55
Trackback: Trackback-URL Themengebiet: Praha

Feed zum Beitrag: RSS 2.0 Kommentare und Pings geschlossen.

Keine weiteren Kommentare möglich.