Beiträge vom November, 2012

Ein Ausflug in eine Stadt. Anfangs schneit es, ein Grab wird gesucht und später gefunden 3

Dienstag, 6. November 2012 19:56

praha_denkm_fk1

„Wo sind wir denn jetzt gelandet, Mahler?“

„Ich glaube, das Haus rechter Hand heißt Spanische Synagoge.“

„Sehr beeindruckend, meine ich aber nicht! Diese seltsame Bauchhöhle, in der wir sitzen!“

„Gerade eben hat es noch gegraupelt, Budnikowski und so fanden wir Unterschlupf im Bauch des kopflosen Kafkaträgers.“

„Wie meinen?“

„Na dieses Denkmal für den Herrn Franz K.!“

„Und wo ist der Kafka?“

„Schauen Sie nach oben!“

„Ha, da hockt er ja! Im Nacken eines Kopflosen. Er selber etwa?”

„Eher nicht. So ein bildhaftes Wesen vielleicht!“

„Meinen Sie, das ist so eine Vatermetapher?“

„Mag sein? Mit dem hat er es ja lang und ausdauernd gehabt!“

„Da sagen Sie was. Ich zitiere den Anfang seines ‚Brief an den Vater’: Liebster Vater, Du hast mich letzthin einmal gefragt, warum ich behaupte, ich hätte Furcht vor Dir. Ich wußte Dir, wie gewöhnlich, nichts zu antworten, zum Teil eben aus der Furcht, die ich vor Dir habe, zum Teil deshalb, weil zur Begründung dieser Furcht zu viele Einzelheiten gehören, als daß ich sie im Reden halbwegs zusammenhalten könnte. Und wenn ich hier versuche, Dir schriftlich zu antworten, so wird es doch nur sehr unvollständig sein, weil auch im Schreiben die Furcht und ihre Folgen mich Dir gegenüber behindern und weil die Größe des Stoffs über mein Gedächtnis und meinen Verstand weit hinausgeht…und so weiter noch über 100 Briefseiten.“

“Das können Sie auswendig?”

“Jeder trägt Päckchen und Pakete!”

„Weia! Und was hat der Vater dazu gesagt?“

„Nichts, der Brief wurde nie abgeschickt!“

„Doof!“

„Aber typisch, der Herr K. wollte sowieso alles, was er geschrieben hat in täglicher und nächtlicher Selbstquälerei, verbrennen oder in die Moldau schmeißen lassen nach seinem frühen Tode. Aber, bester Mahler, ein Freund rettete zwar nicht sein Leben, aber seine Worte und die Unsterblichkeit!“

„Wollen Sie auf etwas hinaus, Budnikowski?“

„Nein, keineswegs, bester Freund!“

„Und wo ist nun das Grab, wo wir verabredet sind?“

„Mahler, wir sprechen doch schon!“

„Ich will jetzt dieses Grab sehen, Potzrembel und Waldfee!“

„Gemach, sehen Sie da oben, der Finger des Herrn K. weist in eine Richtung!“

„Budnikowski, meinen Sie, dies ist der Fingerzeig in Sachen eigenes Grab?“

„Möglich!“

„Na dann los! Die Sonne kommt raus!“

praha_denkm_fk2

Thema: Praha | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Ein Ausflug in eine Stadt. Anfangs schneit es, ein Grab wird gesucht und später gefunden 2

Montag, 5. November 2012 14:55

praha_juedf_alt1

Es gibt Orte auf dieser Welt, da versteinert man in Ehrfurcht, schweigt, als habe einem der Rebbe Lowy den Zauberzettel unter der Zunge weggezogen. Die zwei Reisenden hatten die Pinkassynagoge besichtigt. Die Namen und Todestage von 77 297 geschlachteten Juden hatte man dort von Hand an die Wände des alten Gebetshauses gemalt. Von Hand. Vacláv Bostík und Jirí John gebührt der Dank dafür. Siebenundsiebzigtausendzweihundertsiebenundneunzig Namen von Hand an die Wände des alten Gebetshauses geschrieben. Da tut Schweigen gut. Vielen Aufrechtgehern, die die Ruhestätte besuchen, scheint es schwer zu fallen, das Schweigen. Mahler legt einen Zettel auf das Grab des Golemschöpfers Jehuda Lowy (Löw) ben Bezalel. Auf den Zettel hat Mahler ein Zitat von Egon – Erwin Kisch notiert: “Du weißt doch, daß ich ein direkter Nachkomme des weisen Rabbi Löw bin, der aus Lehm den Golem modelliert hat und ihm, wenn den Juden Unrecht droht, befahl: Erhebe Dich und gehe! So einen Golem würden wir brauchen, wenn die Nazis auf uns losgehen werden. Ich würde ihm auch befehlen: Erhebe Dich und geh, die Feinde rücken auf mein Prag zu!” Manchmal gibt es welche, die ahnen nicht nur, was geschehen wird, sie wissen. Doch als der Golem einmal losmarschierte? Weia! Mahler springt ein Gedicht an. Er flüstert es in Budnikowskis Ohr.

Der Golem

Prag, das alte sagenreiche,

Barg schon viele Menschenweisheit,

Barg schon viele Menschentorheit,

Auch den hohen Rabbi Löw.

Rabbi Löw war sehr zu Hause

In den Künsten, Wissenschaften,

Und besonders in der schwarzen,

In der schweren Kabbala.

So erschuf er einen Golem,

Einen holzgeschnitzten Menschen,

Tat belebend in den Mund ihm

Einen Zauberspruch: den Schem.

Unverdrossen, als sein Diener,

Muß der Golem fegen, kochen,

Kinder wiegen, Fenster putzen,

Stiefel wichsen und so fort.

Nur am Sabbath darf er rasten;

Nahm ihm dann der hohe Rabbi

Aus dem Mund den Zauberzettel,

Stand er stockstill augenblicks.

Einmal hat er es vergessen,

Einmal, was ist da geschehen:

Rasend wurde, dwatsch der Golem,

Ein Berserker ward der Kerl.

Bäume reißt er aus der Erde,

Häuser wuppt er in die Wolken,

Schleudert Menschen in die Lüfte,

Stülpt den Hradschin auf den Kopf.

Schon im Anzug war der Sabbath,

Alle Arbeit muß nun ruhen.

Alles flüchtet, brüllt und zetert

Nach dem hohen Rabbi Löw.

Der erscheint; packt eben, eben

Noch den Tollhans am Schlafittchen,

Ist mit ihm bald oben, unten,

Bald auf Bergen, bald im Tal:

Wie ein Bändiger, der dem Pferde,

Das sich bäumt und wirft und schüttelt,

Einen Kappzaum legen möchte,

Und nun mit ihm tanzen muß.

Hopsa, hopsa, was für Sprünge!

Aber endlich glückts, er würgt ihn,

Zerrt den Schem ihm aus den Zähnen -

Und zerschmettert liegt der Kerl.

Nicht noch einmal hat der Rabbi

Einen Golem sich geschnitzelt,

Jede Lust war ihm vergangen:

Allzu klug ist manchmal dumm.

(Detlev v. Liliencron)

Budnikowski hat zugehört und sich einen Witz zum Thema Löw, Golem und Pöhlerei verkniffen, weist dann aber daraufhin, daß der Herr Kafka hier nicht begraben liegt. Mahler nickt. Genug geschwiegen.

praha_juedf_alt2

Thema: Praha | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Ein Ausflug in eine Stadt. Anfangs schneit es, ein Grab wird gesucht und später gefunden 1

Samstag, 3. November 2012 16:08

praha_reisefhr

Da wäre man also. Draußen Graupel, Schneeregen und Horden von Menschen, die einem bunten Regenschirm hinterher laufen, den jemand in die Luft streckt. Das Aufrechtgeherwesen mit dem Schirm in der Hand spricht englisch, italienisch, russisch, französisch und deutsch, aber auch japanisch. Die Wesen, welche dem Schirmwesen hinterher tapern, sprechen alle Sprachen gleichzeitig und übereinander. Archibald Mahler sitzt im Café eines Museums. Gerade hat das „Sterbeglöcklein der Astronomischen Uhr geschlagen. Dann defilieren die zwölf Apostel, nachdenklich auf die Menschenmenge hinabblickend, an den zwei schmalen Fenstern vorbei. Schließlich kräht der Hahn, worauf abschließend der Stundenschlag ertönt.“ So steht das alles im Reiseführer, welcher vor Mahlers Pranke liegt, auf dem Tisch eines Cafes in einem Museum zu Prag. Gut, daß es da steht, sehen kann man es kaum, zu viel Schirme. Doch dies ist nicht, was den Mahler beschäftigt! Sondern wie und wo, bitte, geht es zum Grabe des Herrn Kafka, jetzt wo das Sterbeglöcklein ihn daran erinnert und dortselbst der Herr von Lippstadt – Budnikowski auf den Bären wartet? „Am jüdischen Friedhof, Herr Mahler!“ You name it, hare! Aber welcher denn nun? Mahler nestelt den dem Reiseführer beigefügten Stadtplan auseinander. Feuchtkalte Fremde ist schon anstrengend, aber das Auseinanderfalten eines Stadtplans und dann auch noch die Orientierung finden? Weia! Zu viel Gewusel da draußen. Aber da, hopp die Flosse, gleich ums Eck, Josefov, drei Gehminuten: der Jüdische Friedhof! „Prosim zaplatit!“ Echt preiswert hier alles. Archibald Mahler läuft los. Zweimal links, dann rechts, wieder links und wer sitzt denn da?

„Hömma, endlich Mahlerchen, dat glaub ich nicht. Kannse dat begreifen tun? Anne Außenmauer vonnen jüdischen Friedhof zu Praha? ‘Für immer Westfalenstadion’!“

„Ihr Herr Kafka ist also ein Balltreter der verehrten Borussia?“

„Quatsch, Bär. Dat iss wohl noch ausse Rosický – Zeiten über geblieben!“

„Sie überfordern mich, Budnikowski!“

„Dat kannse auch nich verstehen tun, Mahlerken. Dat iss Historie!“

„Ich vermute hinter diesen Mauern historisiert es entschieden sinnvoller! Können wir?“

„Die tun ihre Türen erst um 9 Uhr öffnen tun!“

„Budnikowski! Es ist 9 Uhr!“

„Ett iss 8! Winterzeit! Hasse wat verpennt!“

„Heißt das, wir müssen nun noch eine Stunde lang über Pöhlerei sprechen?“

„Wenn Sie dat gerne möchten tun!“

„Ach, Winterzeit nun und ich immer noch nicht im Schlafe!“

„2002 also, sach ich mal, der lange Koller und der kleine Zauberzwerg Rosický – dat war noch lange vorrem Kloppo–Hype – mit Odonkor, Ricken, Oliseh, Reina, Amoroso und alle auffem Weg inne Finanzkrise, dabei Jungkehl un Altkohler, Fistelwörns un dann Dede auf Ewerthon…! Mahler? Schlafen Sie?“

praha_bvb

Thema: Praha | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth